Gesetz über den Vollzug von jugendstrafrechtlichen Sanktionen
Jugendstrafvollzug: Gesetz Gesetz über den Vollzug von jugendstrafrechtlichen Sanktionen (Jugendstrafvollzugsgesetz, JStVG) Vom 13. Oktober 2010 (Stand 1. Januar 2021) Der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt, gestützt auf Art. 3 der Schweizerischen Jugendstrafprozessordnung (JStPO) vom 20. März 2009
1 ) resp. Art. 439 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) vom 5. Oktober 2007
2 ) nach Einsichtnahme in den Ratschlag des Regierungsrates Nr. 10.0466.01 vom 30. März 2010 sowie in den Bericht der Justiz-, Sicherheits- und Sportkommission Nr. 10.0466.02 beschliesst:
§ 1 Geltungsbereich des Gesetzes
1 Dieses Gesetz regelt den Vollzug der im Jugendstrafgesetz aufgeführten Sanktionen (Strafen und Schutzmassnahmen) und Begleitungen sowie der vorsorglich angeordneten Schutzmassnahmen.
2 Für die im Jugendstrafverfahren angeordneten stationären Beobachtungen gilt dieses Gesetz sinnge - mäss.
§ 2 Zuständige Behörde
1 Die zuständige Behörde für den Vollzug ist die Jugendanwaltschaft.
§ 3 Grundsätze
1 Der Vollzug von jugendstrafrechtlichen Sanktionen hat zum Ziel, Jugendliche von weiteren Strafta - ten abzuhalten und sie in ihren Fähigkeiten zu fördern, die für die Führung eines selbstverantwortli - chen Lebens notwendig sind.
2 Die Vollzugsbehörde und die von ihr mit Vollzugsaufgaben beauftragten Dritten achten die Men - schenwürde der Jugendlichen. Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Ge - burt, Geschlecht, Behinderung, Hautfarbe, ethnische Herkunft, nationale Herkunft, Sprache, Religion, politische Überzeugung und gesellschaftliche oder wirtschaftliche Stellung.
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3 Die Mitwirkungspflichten richten sich nach Art. 12 JStPO.
§ 4 Aufgaben der Vollzugsbehörde
1 DieVollzugsbehörde trifft die für die Durchführung des Vollzugs notwendigen Anordnungen und er - lässt die erforderlichen Verfügungen.
2 JStG); vorsorglichen Schutzmassnahmen (Art. 5 JStG); Begleitungen während der Probezeit bei bedingt ausgesprochenen Strafen und bei beding - ter Entlassung (Art. 29 Abs. 3 und Art. 35 Abs. 2 JStG); Begleitungen bei einem Freiheitsentzug von über einem Monat (Art. 27 Abs. 5 JStG).
3 Die Vollzugsbehörde überwacht: die Durchführung des Vollzugs von Strafen, Schutzmassnahmen und Begleitungen, so - weit Vollzugsaufgaben durch Dritte wahrgenommen werden;
1) SR .
2) SR .
3) Fassung vom 18. September 2019, in Kraft seit 1. Januar 2021 (KB 19.10.2019)
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Jugendstrafvollzug: Gesetz die Einhaltung auferlegter Weisungen.
4 Die allgemeine Aufsicht über stationäre Vollzugseinrichtungen obliegt der für zivilrechtliche Platzie - rungen von Jugendlichen zuständigen Behörde. In Einzelfällen, namentlich wenn die der speziellen Problematik entsprechende Institution durch die Zivilbehörde nicht beaufsichtigt ist, kann die Vollzugsbehörde die Verantwortung für den Vollzug der Platzierung im In- oder Ausland selbst über - nehmen.
§ 5 Durchführung von Schutzmassnahmen
1 Für die Durchführung der Schutzmassnahmen sind eine Jugendanwältin oder ein Jugendanwalt und eine zusätzlich zu bestimmende Person zuständig. Diese steht in regelmässigem Kontakt mit der Ju - gendlichen oder dem Jugendlichen, ihrer gesetzlichen Vertretung und den mit Vollzugs- und Betreu - ungsaufgaben beauftragten Dritten. Sie gibt Empfehlungen bezüglich Verlauf, Änderung und Aufhe - bung der Schutzmassnahme zuhanden der zuständigen Jugendanwältin oder des zuständigen Jugend - anwaltes ab.
2 Bei der Auswahl der im Vollzug zuständigen Personen werden aus dem Untersuchungsverfahren be - stehende Kontakte soweit möglich berücksichtigt.
3 Die Vollzugsbehörde kann Vollzugsaufgaben an geeignete öffentliche und private Einrichtungen oder Privatpersonen übertragen. Sie bestimmt, wer mit dem Vollzug von Schutzmassnahmen betraut wird.
4 Aus wichtigen Gründen kann der Vollzug von Strafen oder Schutzmassnahmen vorübergehend sis - tiert oder aufgeschoben werden.
5 Die Absätze 1–4 gelten für Begleitungen sinngemäss.
§ 6 Durchführung von vorsorglichen Schutzmassnahmen
1 Entscheide im Rahmen der Anordnung, Änderung und Beendigung von vorsorglich angeordneten Schutzmassnahmen sowie die Verfügung über die Versetzung in eine andere Institution obliegen der jeweils zuständigen Verfahrensleitung.
2 Die Verfahrensleitung kann die Vorführung gemäss § 12 anordnen.
§ 7 Einweisung in den Vollzug bei Unterbringung und Freiheitsentzug
1 Die Vollzugsbehörde erlässt nach Rechtskraft des Entscheides einen Vollzugsbefehl.
2 Die Vollzugsbehörde berücksichtigt dabei die Lebenssituation der verurteilten Person und bei Freiheitsentzug das Strafmass. Sie kann der verurteilten Person, die sich nicht bereits in Haft befindet oder vorsorglich untergebracht ist, eine angemessene Frist setzen, die Unterbringung oder den Freiheitsentzug anzutreten. Eine Fristerstreckung ist nur ausnahmsweise und auf begründetes Gesuch hin zulässig.
3 Im Vollzugsbefehl wird bei Freiheitsentzug auf besondere Vollzugsformen hingewiesen, sofern sol - che möglich sind.
§ 8 Kompetenzen bei Unterbringung
1 Die Vollzugsbehörde bestimmt über: die Wahl der Vollzugseinrichtung; die Gewährung von Urlaub; die Gewährung von Vollzugsöffnungen; die Verschärfung der Vollzugsbedingungen;
273ff. ZGB, sofern diese sich mit der Institution nicht einigen können; die Entlassung aus der Vollzugseinrichtung.
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2 Die Vollzugsbehörde berücksichtigt bei der Ausübung ihrer Kompetenzen gemäss Abs. 1 lit. b, c und d die Hausordnung und Regeln der betreffenden Institution.
§ 9 Beendigung von Schutzmassnahmen
1 Die Vollzugsbehörde prüft mindestens jährlich oder auf Antrag die Notwendigkeit der Fortführung einer Schutzmassnahme. In der Regel eröffnet sie eine Fortführung nach einem Gespräch mit der betroffenen Person und ihrer gesetzlichen Vertretung mittels Verfügung.
2 Die Aufhebung oder die Änderung einer Schutzmassnahme wird in Form einer Verfügung in der Re - gel nach einer Verhandlung im Sinne von § 12 Abs. 1 EG JStPO eröffnet. Vorbehalten bleibt die Än - derung durch das Jugendgericht gemäss § 17.
3 Die Vollzugsbehörde bereitet die Entlassung aus der Schutzmassnahme in geeigneter Form vor.
§ 10 Entlassung aus dem Freiheitsentzug
1 Die Vollzugsbehörde teilt möglichst frühzeitig der verurteilten Person, seiner gesetzlichen Vertretung und der vollziehenden Einrichtung den Tag und die Uhrzeit der Entlassung aus dem Freiheitsentzug mit. Bei einem Freiheitsentzug bis zu 14 Tagen wird der Entlassungszeitpunkt im Vollzugsbefehl fest - gelegt.
2 Vorbehalten bleibt der tageweise Vollzug.
3 Die Verweigerung der bedingten Entlassung wird der verurteilten Person und ihrer gesetzlichen Ver - tretung mit Verfügung eröffnet.
4 Der Vollzug eines unbedingt ausgesprochenen Freiheitsentzugs ist beendet, wenn dieser vollständig verbüsst worden ist oder wenn nach einer bedingten Entlassung die Probezeit abgelaufen ist.
§ 11 Persönliche Leistung
1 Die Vollzugsbehörde bestimmt, wo eine angeordnete persönliche Leistung zu erbringen ist und setzt der verurteilten Person dafür eine angemessene Frist.
2 Der Einsatzbetrieb oder der Kursveranstalter meldet der Vollzugsbehörde nach Ablauf der Frist, ob die persönliche Leistung vollständig und genügend erbracht worden ist.
§ 12 Zwangsweise Durchsetzung des Vollzuges
1 Die Vollzugsbehörde kann eine verurteilte Person zwangsweise vorführen oder dem direkten Vollzug zuführen lassen, falls sich die verurteilte Person dem Vollzug einer rechtskräftigen Sanktion ganz oder teilweise unentschuldigt entzieht oder eine persönliche Leistung ungenügend erbringt.
2 Sofern nicht Fluchtgefahr besteht, ist die Vorführung resp. direkte Zuführung in den Vollzug mit An - setzung einer letzten Frist zur korrekten Verbüssung der Sanktion anzudrohen.
§ 13 Haft zur Sicherung einer stationär zu vollziehenden Sanktion
1 Die Vollzugsbehörde kann eine verurteilte Person bei einer zu vollziehenden Unterbringung oder ei - nem zu vollziehenden Freiheitsentzug aus folgenden Gründen in Sicherheitshaft nehmen: Fluchtgefahr; erhebliche Gefährdung der Öffentlichkeit; Gefährdung am Aufenthaltsort.
2 Soll die Sicherheitshaft länger als fünf Tage dauern, stellt die Vollzugsbehörde spätestens am fünften Das Verfahren richtet sich nach Art. 440 StPO.
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§ 14 Ersatzmassnahmen zur Sicherung des Vollzugs
1 Anstelle einer Sicherheitshaft sind eine oder mehrere mildere Massnahmen anzuordnen, wenn sie den gleichen Zweck erfüllen. Ersatzmassnahmen sind namentlich: die Sicherheitsleistung; die Ausweis- und Schriftensperre; das Verbot, einen bestimmten Ort zu verlassen; die regelmässige Meldung bei einer Amtsstelle; die Auflage einer Tagesstruktur; die ärztliche Behandlung oder die ärztliche Kontrolle; das Verbot, mit bestimmten Personen Kontakte zu pflegen.
2 Zur Überwachung der Einhaltung der unter Abs. 1 lit. c und e aufgeführten Ersatzmassnahmen kön - nen technische Mittel eingesetzt werden.
§ 15 Disziplinarmassnahmen bei Unterbringung
1 Die Leitung der Vollzugseinrichtung kann im Zusammenhang mit der Unterbringung Disziplinar - massnahmen verfügen, welche in die persönliche Freiheit der in der Einrichtung platzierten Person eingreifen.
2 Bei Disziplinarmassnahmen, welche erheblich in die persönliche Freiheit der in einer Vollzugsein - richtung platzierten Person eingreifen, holt die Leitung der Vollzugseinrichtung umgehend nach An - ordnung der Disziplinarmassnahme die Einwilligung der Vollzugsbehörde ein. Bei Einschliessung von mehr als 24 Stunden oder einer mehr als siebentägigen time-out-Platzierung ist diese Einwilligung zwingend einzuholen. Die verurteilte Person soll dazu angehört werden.
§ 16 Beobachtungsaufenthalt im Rahmen der Schutzmassnahme
1 Vor der Änderung einer Schutzmassnahme kann eine stationäre Beobachtung angeordnet werden. Die Bestimmungen des JStG und der JStPO sind anwendbar.
§ 17 Änderung der Schutzmassnahme
1 Erachtet die Vollzugsbehörde die Änderung einer ambulanten Schutzmassnahme in eine Unterbrin - gung oder eine geschlossene Unterbringung oder die Änderung einer Unterbringung in eine geschlos - sene Unterbringung als notwendig, stellt sie einen schriftlichen Antrag an das Jugendgericht.
2 Der Antrag enthält eine kurze Zusammenfassung der Umstände.
3 Das Verfahren vor Jugendgericht richtet sich nach Art. 34 Abs. 5 und Art. 35ff. JStPO.
4 Bei Dringlichkeit kann die Änderung vorsorglich angeordnet werden. Das Verfahren für die vorsorg - liche Anordnung von Schutzmassnahmen ist anwendbar.
§ 18 Vollzugsakten, Akteneinsicht
1 Die Vollzugsakten umfassen die für das Vollzugsverfahren wesentlichen Gutachten, Berichte, Proto - kolle und Verfügungen.
2 Für das Recht auf Akteneinsicht sind Art. 101 StPO, Art. 15 JStPO und § 9 EG JStPO anwendbar.
§ 19 Vollzugskosten
1 Der Regierungsrat erlässt Ausführungsbestimmungen zur Beteiligung von Eltern und Jugendlichen an den Vollzugskosten.
§ 20 Beschwerde
1 Die verurteilte Person und deren gesetzliche Vertretung können analog zum Verfahren gemäss Art.
393ff. StPO folgende Verfügungen über den Vollzug mit Beschwerde beim Jugendgericht anfechten: die Änderung oder die Nichtänderung der Schutzmassnahme;
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Jugendstrafvollzug: Gesetz die Versetzung in eine andere Einrichtung; die Verweigerung oder den Widerruf der bedingten Entlassung; die Beendigung oder Weiterführung der Schutzmassnahme; die Auferlegung von Vollzugskosten von mehr als CHF 3'000; die Anordnung der Sicherheitshaft im Vollzug gemäss § 13 Abs. die Anordnung von Ersatzmassnahmen anstelle von Sicherheitshaft; vergleichbare Verfügungen im Rahmen einer vorsorglich angeordneten Schutzmassnah - me; die Bewilligung von Disziplinarmassnahmen gemäss § 15 Abs. 2; die Anordnung einer stationären Beobachtung gemäss § 16; die vorsorgliche Änderung einer Schutzmassnahme gemäss § 17 Abs. 4.
2 Über Beschwerden nach Abs. 1 lit. e bis k kann ein Mitglied des Jugendgerichtspräsidiums als Ein - zelgericht entscheiden.
3 Wurde die Verfügung durch das Jugendgericht oder durch ein Mitglied des Jugendgerichtspräsidiums getroffen, ist die Beschwerde im Sinne von § 4 Abs. 1 lit. c EG JStPO an das Appellationsgericht zu richten.
4 Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung, falls dies nicht durch die Beschwerdeinstanz aus - drücklich angeordnet wird.
5 Entscheide über Beschwerden im Vollzug sind endgültig.
§ 21 Berufung
1 Gegen die Änderung einer ambulanten Schutzmassnahme in eine stationäre Unterbringung oder von einer offenen in eine geschlossene Unterbringung können die verurteilte Person und deren gesetzliche Vertretung Berufung einlegen.
2 Die Vollzugsbehörde kann gegen Entscheide des Jugendgerichts im Vollzugsverfahren Berufung ein - legen.
3 Das Verfahren richtet sich nach Art. 398ff. StPO.
§ 22 Planung von Vollzugseinrichtungen
1 Die Vollzugsbehörde unterstützt die zuständige Behörde bei der Planung der erforderlichen Angebote der stationären und ambulanten Jugendhilfe insbesondere durch die Weitergabe von planungsrelevan - ten Daten zu Art und Umfang der Massnahme.
2 Der Regierungsrat kann entsprechende Ausführungsbestimmungen erlassen.
§ 23 Übergangsbestimmungen
1 Der Vollzug von Schutzmassnahmen und Begleitungen, der nach Wirksamwerden dieses Gesetzes voraussichtlich noch weniger als sechs Monate dauern wird, kann durch die bisherige Vollzugsbehör - de weitergeführt werden. Dieses Gesetz ist zu publizieren; es unterliegt dem Referendum. Es wird auf den 1. Januar 2011 wirk - sam.
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