Verordnung des BSV über den Pilotversuch «Intensive Frühintervention bei Kindern mit frühkindlichem Autismus»
vom 17. Oktober 2018 (Stand am 1. Januar 2019)
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV),
gestützt auf Artikel 98 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung vom 17. Januar 1961¹ über die Invalidenversicherung (IVV),
verordnet:
¹ SR 831.201
1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen
Art. 1 Gegenstand
Diese Verordnung regelt:
a. die Voraussetzungen für die Teilnahme von Kindern am Pilotversuch «Intensive Frühintervention bei Kindern mit frühkindlichem Autismus» sowie die Voraussetzungen für die Durchführung der intensiven Frühintervention durch Leistungserbringer im Rahmen des Pilotversuchs;
b. die Vergütung der im Rahmen des Pilotversuchs erbrachten Leistungen durch die Invalidenversicherung (IV).
Art. 2 Zweck des Pilotversuchs
Mit dem Pilotversuch sollen folgende Modelle entwickelt werden:
a. ein Modell für einheitliche Programme der intensiven Frühintervention (Programm-Modell);
b. ein Modell für den langfristigen Nachweis der Wirkung der intensiven Frühintervention (Ergebnis-Modell);
c. ein Modell für die Finanzierung der Kosten der intensiven Frühintervention (Kosten-Modell).
2. Abschnitt: Teilnahme von Kindern mit frühkindlichem Autismus
Art. 3 Voraussetzungen für die Teilnahme von Kindern mit frühkindlichem Autismus
¹ Zur Teilnahme am Pilotversuch können Kinder, die nach dem Bundesgesetz vom 19. Juni 1959² über die Invalidenversicherung versichert sind, zugelassen werden:
a. bei denen eine Fachärztin oder ein Facharzt für Neuropädiatrie oder Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie einen frühkindlichen Autismus nach dem Code F84.0 gemäss der Klassifikation ICD 10, Version 2016³ diagnostiziert hat, ohne dass Komorbiditäten bestehen, bei denen eine intensive Frühintervention kontraindiziert ist; und
b. die beim Eintritt in die Behandlung 2–4 Jahre alt sind.
² Die Inhaberinnen und Inhaber der elterlichen Sorge müssen:
a. bestätigen, darüber informiert worden zu sein, dass während der Teilnahme am Versuch keine weiteren im Zusammenhang mit dem Autismus stehenden medizinischen Massnahmen der IV, ausgenommen Medikamente, übernommen werden;
b. sich zu einer unentgeltlichen aktiven Mitarbeit an der Behandlung und zur Erteilung von Auskünften, insbesondere über allfällige weitere Behandlungen, die einen Einfluss auf die Frühintervention haben könnten, verpflichten; und
c. sich mit der Evaluation der Daten des Kindes im Rahmen des Pilotversuchs einverstanden erklären.
³ Die Teilnahme am Pilotversuch findet auf Gesuch der Inhaberinnen und Inhaber der elterlichen Sorge statt.
² SR 831.20
³ Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modification, Version 2016 (ICD-10-GM, Version 2016) ist einsehbar unter: www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Gesundheit > Grund-lagen und Erhebungen > Nomenklaturen > Medizinische Kodierung und Klassifikationen > Instrumente zur medizinischen Kodierung > ICD-10-GM.
Art. 4 Beginn, Dauer und Ende der Teilnahme
¹ Die Teilnahme am Pilotversuch beginnt frühestens im Zeitpunkt der Zusprache der intensiven Frühintervention durch die IV-Stelle.
² Das Kind kann höchstens zwei Jahre am Pilotversuch teilnehmen. In begründeten Fällen kann die Teilnahme um ein Jahr verlängert werden, längstens aber bis zum Übertritt des Kindes in die Primarschule.
³ Die Teilnahme endet spätestens mit dem Ende des Pilotversuchs.
⁴ Verletzen die Inhaberinnen und Inhaber der elterlichen Sorge ihre Pflichten gemäss Artikel 3 Absatz 2 Buchstaben a–c, so widerruft die IV-Stelle die Berechtigung zur Teilnahme mit einer Verfügung.
⁵ Der Austritt aus dem Pilotversuch ist jederzeit per Ende Monat möglich. Die Inhaberinnen und Inhaber der elterlichen Sorge müssen den Austritt der zuständigen IV-Stelle und dem betroffenen Leistungserbringer schriftlich mitteilen.
Art. 5 Gesuch um Teilnahme
¹ Das Gesuch um Teilnahme des Kindes am Pilotversuch muss von den Inhaberinnen und Inhabern der elterlichen Sorge bei der zuständigen IV-Stelle schriftlich eingereicht werden.
² Ein Gesuch um Verlängerung der Teilnahme muss von einer Fachärztin oder einem Facharzt für Neuropädiatrie oder Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie begründet werden.
Art. 6 Zusprache der intensiven Frühintervention ohne Verfügung
¹ Sind die Voraussetzungen nach Artikel 3 erfüllt und wird dem Gesuch vollumfänglich entsprochen, so kann die IV-Stelle die intensive Frühintervention ohne Erlass eines Vorbescheides oder einer Verfügung zusprechen (Art. 58 IVG).
² Dasselbe gilt für die Verlängerung der Dauer der intensiven Frühintervention.
3. Abschnitt: Teilnahme von Leistungserbringern
Art. 7 Voraussetzungen für die Teilnahme von Leistungserbringern
¹ Die intensive Frühintervention darf nur von Leistungserbringern durchgeführt werden, die vom BSV anerkannt sind.
² Der Leistungserbringer stellt beim BSV ein Gesuch um Anerkennung.
³ Die Anerkennung wird erteilt, wenn der Leistungserbringer eine Methode zur intensiven Frühintervention anbietet, die:
a. wissenschaftlich anerkannt ist;
b. einen verhaltenstherapeutischen oder einen entwicklungsorientierten Ansatz oder eine Kombination dieser beiden Ansätze verfolgt;
c. die Bereiche Kognition, Kommunikation und Sprache, soziale Interaktion und emotionale Entwicklung umfasst;
d. eine Intensität von mindestens 20 Wochenstunden hat, wobei die Intensität während einer Verlängerung nach Artikel 4 Absatz 2 weniger gross sein kann;
e. die Inhaberinnen und Inhaber der elterlichen Sorge einbezieht; und
f. von einem interdisziplinär zusammengesetzten Team durchgeführt wird.
⁴ Der Leistungserbringer muss zudem folgende Voraussetzungen erfüllen:
a. Er muss an eine öffentlich-rechtliche Institution angegliedert sein.
b. Er muss entweder durch eine Fachärztin oder einen Facharzt für Neuropädiatrie oder Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie geführt werden oder die vom Leistungserbringer durchgeführten medizinischen Massnahmen müssen durch eine solche Fachärztin oder einen solchen Facharzt begleitet werden.
c. Seine Finanzierung muss über die ganze Dauer des Pilotversuchs gesichert sein.
d. Er muss über ein Qualitätsmanagementsystem verfügen.
e. Das medizinische Personal und das pädagogisch-therapeutische Personal müssen mindestens je 30 Prozent des gesamten Personals ausmachen.
f. Sowohl innerhalb seines medizinischen Personals als auch innerhalb seines pädagogisch-therapeutischen Personals dürfen nicht mehr als 30 Prozent der Vollzeitäquivalente durch Personen in Ausbildung besetzt sein.
⁵ Für die Bestimmung der Intensität der Therapie werden Therapiestunden, die von den Inhaberinnen und Inhabern der elterlichen Sorge erbracht werden, mit höchstens zwei Stunden pro Tag angerechnet.
Art. 8 Vereinbarung zwischen Leistungserbringer und BSV
¹ Die anerkannten Leistungserbringer schliessen mit dem BSV eine Vereinbarung über die Durchführung der intensiven Frühintervention ab.
² Die Vereinbarung hält insbesondere fest, dass die Leistungserbringer zur Mitarbeit an der Entwicklung eines Programm-, eines Ergebnis- und eines Kosten-Modells und zur Auskunftserteilung gegenüber den zuweisenden IV-Stellen und dem BSV während des ganzen Pilotversuchs verpflichtet sind.
Art. 9 Ende der Teilnahme
¹ Die Teilnahme endet spätestens mit dem Ende des Pilotversuchs.
² Erfüllt der Leistungserbringer eine der Voraussetzungen nach Artikel 7 Absätze 3 und 4 nicht mehr oder verletzt er die Vereinbarung mit dem BSV, so kündigt dieses die Vereinbarung mit einer Frist von drei Monaten. Absatz 4 bleibt vorbehalten.
³ Ein Austritt aus dem Pilotversuch ist mit einer Frist von sechs Monaten jederzeit möglich. Der Austritt ist dem BSV schriftlich und mit Begründung mitzuteilen.
⁴ Das BSV kann die Vereinbarung mit einem Leistungserbringer unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten jederzeit kündigen, wenn die Entwicklung der Modelle nach Artikel 2 nicht mehr realistisch ist.
4. Abschnitt: Vergütung der Leistungen
Art. 10 Voraussetzungen für die Leistungserbringer
Leistungserbringer, die vom BSV nach Artikel 7 anerkannt sind und eine Vereinbarung nach Artikel 8 abgeschlossen haben, haben Anspruch auf die Vergütung ihrer Leistungen.
Art. 11 Fallpauschale
¹ Die IV richtet für die ganze Dauer der intensiven Frühintervention eine Fallpauschale von 45 000 Franken aus für:
a. die Elemente der medizinischen Behandlung;
b. die Instruktionen des Leistungserbringers an die Inhaberinnen und Inhaber der elterlichen Sorge (Co-Edukation).
² Die Fallpauschale wird wie folgt ausbezahlt:
a. bei kurzen und stationären intensiven Frühinterventionen: 50 Prozent bei Behandlungsbeginn und 50 Prozent nach Behandlungsende;
b. bei längeren und ambulanten intensiven Frühinterventionen: jeweils 25 Prozent bei Behandlungsbeginn, nach sechs Monaten, nach einem Jahr und nach Behandlungsende.
³ Bei Abbruch der intensiven Frühintervention werden die noch ausstehenden Anteile der Vergütung nicht ausgerichtet.
⁴ Bei Unterbruch der intensiven Frühintervention werden die Auszahlungen sistiert. Bei Wiederaufnahme der Behandlung lebt der Anspruch auf Auszahlung wieder auf.
Art. 12 Vergütung einer Verlängerung
Bei einer Verlängerung der Teilnahme werden höchstens 1000 Franken pro Monat vergütet.
Art. 13 Ausgeschlossene Leistungsvergütung
Therapiestunden, die von den Inhaberinnen und Inhaber der elterlichen Sorge erbracht werden, werden von der IV nicht vergütet.
Art. 14 Akzessorische Leistungen
¹ Die IV vergütet den Inhaberinnen und Inhabern der elterlichen Sorge die Reisekosten, sofern der Leistungserbringer keinen gemeinschaftlichen Transportdienst zur Verfügung stellt, sowie die Kosten für auswärtige Verpflegung und Unterkunft. Artikel 90 Absätze 2–5 IVV ist anwendbar.
² Sie vergütet den Leistungserbringern den Aufwand für das Verfassen der eingeforderten Berichte sowie für das Erfassen zusätzlicher Daten für das Ergebnis-Modell nach der Tarifstruktur für ärztliche Leistungen (Tarmed) und nach den Ansätzen der Tarifverträge für Leistungen der Ergo-, Physio- und Psychotherapeutinnen und ‑therapeuten.
5. Abschnitt: Schlussbestimmungen
Art. 15 Übergangsbestimmungen
¹ Kinder, die beim Inkrafttreten dieser Verordnung schon in einem Autismuszentrum, mit dem das BSV vor Inkrafttreten dieser Verordnung bereits eine Vereinbarung über die Durchführung der intensiven Frühintervention abgeschlossen hat, behandelt werden, können ihre Behandlung im Rahmen des Pilotversuchs fortsetzen, wenn die Inhaberinnen und Inhaber der elterlichen Sorge dies beantragen. Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b ist nicht anwendbar.
² Kinder, die beim Inkrafttreten dieser Verordnung schon in einem Autismuszentrum behandelt werden, das beim Inkrafttreten dieser Verordnung noch keine Vereinbarung mit dem BSV abgeschlossen hat, können am Pilotversuch teilnehmen, wenn das Zentrum vom BSV anerkannt wird und mit dem BSV eine Vereinbarung abschliesst. Die Behandlung kann im Rahmen des Pilotversuchs fortgesetzt werden, wenn die Inhaberinnen und Inhaber der elterlichen Sorge dies beantragen. Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b ist nicht anwendbar. Die Fallpauschale wird anteilsmässig für die verbleibende Dauer der Behandlung ausbezahlt.
Art. 16 Inkrafttreten und Geltungsdauer
Diese Verordnung tritt am 1. Januar 2019 in Kraft und gilt bis zum 31. Dezember 2022.
Feedback