Parlamentarische Initiative Einführung einer Objektsteuer auf Zweitliegenschaften Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vom 25. Juni 2024 Stellungnahme des Bundesrates
Parlamentarische Initiative Einführung einer Objektsteuer auf Zweitliegenschaften Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vom 25. Juni 2024 Stellungnahme des Bundesrates
vom 21. August 2024
Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren
Zum Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vom 25. Juni 2024 ¹ betreffend die Einführung einer Objektsteuer auf Zweitliegenschaften auf Verfassungsstufe nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.
Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
21. August 2024 | Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Viola Amherd Der Bundeskanzler: Viktor Rossi |
Stellungnahme
¹ BBl 2024 1773
1 Ausgangslage
Die vorliegende Vorlage steht in einem engen Zusammenhang zur parlamentarischen Initiative 17.400 der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S), welche die Abschaffung des Eigenmietwerts bezweckt, wobei nach dem Willen des Ständerates die Besteuerung der Selbstnutzung einer Zweitliegenschaft weiterhin Bestand haben soll. Der Nationalrat befürwortet demgegenüber einen vollständigen Systemwechsel. Dieses Geschäft befindet sich im parlamentarischen Differenzbereinigungsverfahren.
Am 16. August 2022 startete die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) einen neuen Anlauf, um die Grundlagen für einen vollständigen Systemwechsel bei der Eigenmietwertbesteuerung zu schaffen. Sie lancierte mit 13 zu 10 Stimmen bei einer Enthaltung die parlamentarische Initiative 22.454. Diese bezweckt mittels einer neuen Verfassungsbestimmung, dass beim Wegfall des Eigenmietwerts die Kantone oder die Gemeinden auf überwiegend selbstgenutzten Zweitliegenschaften eine besondere Liegenschaftssteuer erheben können. Im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens gab ihr auch die WAK-S am 19. Juni 2023 mit 7 zu 5 Stimmen Folge.
Das Vernehmlassungsverfahren zur vorliegenden Initiative dauerte vom 17. November 2023 bis zum 4. März 2024. Insgesamt sind 54 Stellungnahmen eingegangen. Der Ergebnisbericht ² zeigt ein durchzogenes Ergebnis: 19 Kantone sowie 19 Organisationen und Verbände lehnen die vorgeschlagene Verfassungsbestimmung ab. Auch die drei Gebirgskantone (GR, TI und VS), die am stärksten von der Abschaffung des Eigenmietwerts auf Zweiliegenschaften betroffen wären, können sich nicht für die vorgeschlagene Verfassungsbestimmung erwärmen und stellen klar, dass sie am heutigen System der Wohneigentumsbesteuerung festhalten wollen. Würde der Eigenmietwert auf Zweitliegenschaften im weiteren Verlauf der politischen Beratungen abgeschafft, würden die genannten drei Gebirgskantone eine besondere Liegenschaftssteuer im Sinne einer ultima ratio unterstützen, um das Steuersubstrat zu sichern. Demgegenüber findet die Vorlage bei 7 Kantonen, 3 politischen Parteien (SP, SVP, Grüne) sowie 6 Organisationen und Verbänden grundsätzliche Unterstützung.
Am 25. Juni 2024 hat die WAK-N mit 25 zu 0 Stimmen entschieden, die Vorlage weiterhin zu unterstützen und entsprechend den verfahrensrechtlichen Vorgaben den Bundesrat zur Stellungnahme eingeladen.
² Der Ergebnisbericht ist einsehbar unter
www.fedlex.admin.ch
> Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2023 > Parl. > Bundesbeschluss über die kantonalen Liegenschaftssteuern auf Zweitliegenschaften.
2 Stellungnahme des Bundesrates
2.1 Inhalt der Vorlage
Die Vorlage belässt den Kantonen für die Ausgestaltung dieser besonderen Liegenschaftssteuer einen erheblichen Spielraum, um ihren unterschiedlichen Ausgangslagen Rechnung zu tragen. Es handelt sich um eine Objektsteuer, die auf dem Bruttowert der Liegenschaft erhoben wird. Sie kann als separat ausgestaltete Liegenschaftssteuer oder als Zuschlag zu einer bereits vorhandenen Liegenschaftssteuer umgesetzt werden. Die betroffenen Gemeinwesen haben diesbezüglich einen Gestaltungsspielraum. Die Vorlage gewährt den Kantonen auch gegenüber weiteren Eckwerten viel Autonomie. So bleibt die Abgrenzung offen, wann eine Zweitliegenschaft als «überwiegend selbstgenutzt» gilt, d. h. ob nach Massgabe des überwiegenden Teils des Kalenderjahres oder eines anderen Kriteriums. Bezüglich der Steuerbemessung besteht ebenfalls Freiraum. Denn die Verfassungsbestimmung lässt offen, welcher Wert für die Erhebung der besonderen Liegenschaftssteuer heranzuziehen ist.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen dieser Steuer lassen sich wie folgt zusammenfassen:
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Gemäss Bundesgericht ist es den Kantonen schon heute erlaubt, Liegenschaftssteuern zu erheben. Die vorgeschlagene Steuer auf überwiegend selbstgenutzten Liegenschaften, die das heutige Steuersubstrat aus der Eigenmietwertbesteuerung ersetzen soll, würde aber den Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen sprengen, weshalb eine Verfassungsänderung nötig ist. Mit der Abweichung von den Besteuerungsprinzipien nach Artikel 127 Absatz 2 der Bundesverfassung (BV) ³ (Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit) wird der gleiche Ansatz wie in der Verfassungsbestimmung zur besonderen Besteuerung grosser Unternehmensgruppen angewandt (Art. 129 a BV, in Kraft seit 1. Januar 2024).
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Allerdings können die Kantone die besondere Liegenschaftssteuer nicht beliebig hoch ansetzen. In Bezug auf die Einhaltung eines verfassungskonformen Steuermasses setzt die Eigentumsgarantie verfassungsmässige Schranken (Art. 26 BV). Verfassungswidrig handelt ein Gemeinwesen beispielsweise, wenn es der steuerpflichtigen Person ihr privates Vermögen oder einzelne Vermögenskategorien durch übermässige Besteuerung nach und nach entzieht. Das Bundesgericht hat bisher darauf verzichtet, die Grenze zwischen einer zulässigen steuerlichen Belastung und einem konfiskatorischen Eingriff von einem ziffernmässig bestimmbaren Steuertarif abhängig zu machen. Eine klar fixierbare Grenze besteht somit nicht. Ausschlaggebend ist die Gesamtheit der Umstände.
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Gemäss der vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung kann der Bundesgesetzgeber eine Obergrenze für besondere Liegenschaftssteuern vorsehen. Ein Beispiel hierzu sind die Schranken für kantonale Abgaben zur Wassernutzung (sog. Wasserzins). Gestützt auf Artikel 76 Absatz 4 zweiter Satz BV zur Wassernutzung hält Artikel 49 Absatz 1 des Wasserrechtsgesetzes vom 22. Dezember 1916 ⁴ abgaberechtliche Schranken zum Wasserzinsmaximum fest. Die WAK-N hat betreffend die besondere Liegenschaftssteuer keine solche bundesgesetzliche Regelung vorgeschlagen.
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Die besondere Liegenschaftssteuer kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn der Mietwert von selbstgenutzten Zweitliegenschaften vom Bund und von den Kantonen nicht mehr besteuert wird. Damit wird in der vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung ein zentrales Junktim zur parlamentarischen Initiative 17.400 geschaffen. Diese Interdependenz ist sachlich notwendig, weil nur im Falle einer Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung auf Zweitliegenschaften und aufgrund der damit verbundenen Mindereinnahmen eine Abweichung von den Besteuerungsgrundsätzen nach Artikel 127 Absatz 2 BV zu rechtfertigen ist. Andernfalls sollen die Kantone die besondere Liegenschaftssteuer nicht erheben dürfen.
³ SR 101
⁴ SR 721.80
2.2 Würdigung
Aus Sicht des Bundesrats überzeugt eine Abschaffung des Eigenmietwerts erst dann, wenn der Wegfall der Besteuerung der Selbstnutzung auch die Zweitliegenschaften miteinschliesst. Ansonsten werden zwei parallele Systeme aufrechterhalten, was sich verwaltungsökonomisch als schwerfällig erweist. In diesem Fall würde das Vereinfachungspotenzial eines Systemwechsels nicht ausgeschöpft.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 25. August 2021 ⁵ auf ein Kurzgut-achten vom 10. Mai 2019 von Professor René Matteotti, Ordinarius an der Universität Zürich, verwiesen, der es als vertretbar erachtet hat, die Beibehaltung der Eigenmietwertbesteuerung bei Zweitliegenschaften als verfassungswidrig zu qualifizieren. ⁶ Der Bundesrat wies bei dieser Gelegenheit darauf hin, dass nur mit der Abschaffung des Eigenmietwerts auf Zweitliegenschaften eine Gleichbehandlung mit der Eigennutzung anderer ertragloser Vermögenswerte (teure Autos, Jachten, Wohnmobile oder Bilder) sichergestellt werden kann.
Bereits in seiner erwähnten Stellungnahme hat der Bundesrat festgehalten, dass eine anderweitige finanzielle Kompensation gefunden werden müsste. wenn man den Kantonen mit hohem Zweitliegenschaftsbestand entgegenkommen will.
Wenn die zu erwartenden Ausfälle aus dem Wegfall der Eigenmietwertbesteuerung auf Zweitliegenschaften kompensiert werden sollen, ist die Erhebung einer kantonalen Zweitliegenschaftssteuer eine geeignete Massnahme. Frühere Bemühungen in diesem Sinn haben allerdings gezeigt (Botschaft vom 28. Februar 2001 ⁷ zum Steuerpaket 2001 und der indirekte Gegenvorschlag in der Botschaft vom 23. Juni 2010 ⁸ zur Volksinitiative «Sicheres Wohnen im Alter»), dass Regelungen auf Gesetzesstufe schon allein aufgrund verfassungsrechtlicher Schranken keine Option sind. So hielt Professorin Madeleine Simonek von der Universität Zürich in einem vom Eidgenössischen Finanzdepartement in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten 2010 fest, dass die kompensatorische Einführung einer kantonalen Zweitliegenschaftssteuer zu einer Sonderbelastung führen würde, die aus Sicht der Gleichbehandlung verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen wäre, solange vergleichbare andere Luxusgüter hiervon nicht betroffen wären. ⁹ Zu einer ähnlichen Einschätzung waren die Professoren Francis Cagianut und Ulrich Cavelti bereits 2004 gekommen. 1⁰ Bis jetzt ist noch nicht geklärt, bis zu welcher Höhe eine kantonale Liegenschaftssteuer mit den Besteuerungsgrundsätzen nach Artikel 127 Absatz 2 BV vereinbar wäre. Ein Kanton würde das Risiko eingehen, dass seine Steuer vom Bundesgericht als verfassungswidrig taxiert und aufgehoben würde.
Mit der vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung will die WAK-N daher die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, damit die Berg- und Tourismuskantone die Einnahmenausfälle kompensieren können, die ihnen bei einem vollständigen Systemwechsel bei der Eigenmietwertbesteuerung drohen. Es handelt sich dabei um eine Kann-Bestimmung, d. h. die Kantone sind frei, eine solche besondere Liegenschaftssteuer einzuführen, sofern der Mietwert von selbstgenutzten Zweitliegenschaften vom Bund und von den Kantonen nicht besteuert wird.
Der vorgeschlagene Lösungsweg erweist sich als konsequent, da den Kantonen ein verfassungsrechtlicher Spielraum zur Sicherung des Steuersubstrats infolge des Wegfalls der Eigenmietwertbesteuerung zugestanden wird. Wegen des obligatorischen Referendums wäre dafür eine demokratiepolitisch hohe Hürde zu bewältigen.
⁵ BBl 2021 2076
⁶ Das Kurzgutachten ist einsehbar als Beilage unter
www.fdk-cdf.ch
> Themen > Steuerpolitik > Wohneigentumsbesteuerung > 13.6.2019: 17.400 pa. Iv. WAK-S. Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung. Vernehmlassungsstellungnahme.
⁷ BBl 2001 2983
⁸ BBl 2010 5303
⁹
Das Rechtsgutachten ist einsehbar unter
www.newsd.admin.ch/newsd/message/
attachments/35837.pdf
.
1⁰ Francis Cagianut und Ulrich Cavelti: Zur Verfassungsmässigkeit der neuen Bestimmungen über die Wohneigentumsbesteuerung, in ASA 72/2004, S. 542-543.
2.3 Finanzielle Aspekte
Die Vorlage sieht die Möglichkeit vor, besondere Liegenschaftssteuern zu erheben. Sie betrifft nur die Einnahmen der Kantone und Gemeinden. Bei der direkten Bundessteuer ist keine finanzielle Kompensation für den Wegfall des Eigenmietwerts auf Zweitliegenschaften vorgesehen. Unter dem Strich hängen die finanziellen Auswirkungen auf Kantons- und Gemeindeebene davon ab, ob und wie stark diese Sondersteuer genutzt würde. Wenn die Einnahmen aus der Sondersteuer die Mindereinnahmen aus dem Wegfall des Eigenmietwerts auf Zweitliegenschaften kompensieren, so ist die Reform für die Kantone und die Gemeinden aufkommensneutral.
Aufgrund der Rückmeldungen aus der Vernehmlassung hat die Eidgenössische Steuerverwaltung neue Schätzungen vornehmen können, die darauf hindeuten, dass bei einem tiefen Hypothekarzinsniveau von rund 1,5 % die Abschaffung des Eigenmietwerts auf Zweitliegenschaften zu Mindereinnahmen von etwa 200 Millionen Franken bei den Kantons- und Gemeindesteuern sowie etwa 50 Millionen Franken bei der direkten Bundessteuer führen würde. Hingegen würde bei einem Zinsniveau von etwa 4 % Aufkommensneutralität erreicht. Die Schätzung dieser Aufkommenseffekte ist vor allem aufgrund der eingeschränkten Datenlage mit hohen Unsicherheiten verbunden. Der Aufkommenseffekt konzentriert sich stark auf die drei Kantone Graubünden, Tessin und Wallis, die für ca. 75 % des Aufkommenseffekts verantwortlich sind.
Betrachtet man nicht nur die Aufkommenswirkungen einer Abschaffung des Eigenmietwerts auf Zweitliegenschaften, sondern einen vollständigen Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung gemäss nationalrätlichem Konzept, dann ist auf Basis neuer Datengrundlagen und ohne Berücksichtigung der vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung je nach Zinsniveau mit folgenden finanziellen Auswirkungen zu rechnen (Bezugsjahr 2024):
Tabelle vergrössern
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Mio. Fr. | 1,50 % | 2 % | 3 % | 3,50 % | 4 % | 5 % |
---|---|---|---|---|---|---|
Direkte Bundessteuer | -560 | -400 | -40 | 180 | 410 | 850 |
Kantons-/ Gemeindesteuern | -1520 | -1040 | -170 | 330 | 870 | 1990 |
Gesamtstaatliche Änderungen | -2080 | -1440 | -210 | 510 | 1280 | 2840 |
Bei tiefem (hohem) Zinsniveau werden die Mindereinnahmen (Mehreinnahmen) beim Bund auf einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag geschätzt. Bei einem Hypothekarzinsniveau von leicht über 3 % wäre sie für den Bund aufkommensneutral. Das Hypothekarzinsniveau im Jahr 2024 dürfte bei knapp 2 % liegen. Die Schätzungen sind mit hohen Unsicherheiten behaftet.
3 Antrag des Bundesrates
Der Bundesrat beantragt Zustimmung zum Entwurf des Bundesbeschlusses der WAK-N.
Bundesrecht
Parlamentarische Initiative. Einführung einer Objektsteuer auf Zweitliegenschaften. Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vom 25. Juni 2024. Stellungnahme des Bundesrates
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