BBl 2024 2479
CH - Bundesblatt

Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (Finanzierung der Stiftung Entschädigungsfonds für Asbestopfer)

Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (Finanzierung der Stiftung Entschädigungsfonds für Asbestopfer)
vom 13. September 2024
Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung ¹ .
Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
13. September 2024 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Viola Amherd Der Bundeskanzler: Viktor Rossi
Übersicht
Die Stiftung Entschädigungsfonds für Asbestopfer verfügt nicht über ausreichende Mittel, um die finanziellen Ansprüche von Asbestopfern auf lange Sicht zu decken. Aus diesem Grund soll der Suva die Kompetenz eingeräumt werden, die Stiftung finanziell zu unterstützen.
Ausgangslage
Asbest wurde lange Zeit in verschiedenen Bau- und Industriematerialien verarbeitet. Nach Bekanntwerden, dass Asbest für verschiedene schwere Krankheiten verantwortlich ist, erliess der Bund im Jahr 1989 ein Asbestverbot. Aufgrund der langen Inkubationszeit erkranken weiterhin jährlich um 120 Personen schwer aufgrund einer früheren Asbestexposition. Von diesen haben rund zwanzig bis dreissig Personen mangels beruflicher Asbestexposition keinen Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung. Um diese Personen finanziell zu entschädigen, wurde die Stiftung Entschädigungsfonds für Asbestopfer (Stiftung EFA) gegründet. Die Finanzierung dieser Stiftung sollte durch freiwillige Einlagen der asbestverarbeitenden Industrie erfolgen. Diese Finanzierung gestaltet sich mitunter schwierig. Seit dem Jahr 2020 konnten keine namhaften Zahlungen mehr registriert werden. Die Suva kann mangels gesetzlicher Grundlage keine Einlagen tätigen.
Inhalt der Vorlage
Der Suva als gesetzlichem Unfallversicherer zahlreicher asbestverarbeitender Betriebe ist es aufgrund einer fehlenden gesetzlichen Grundlage nicht möglich, die Stiftung EFA finanziell zu unterstützen. Deshalb soll mit vorliegender Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung die Grundlage geschaffen werden, dass die Suva zukünftig Zahlungen an die Stiftung EFA leisten kann. Die Finanzierung soll aus Geldern von Ertragsüberschüssen aus der Versicherung gegen Berufsunfälle und Berufskrankheiten erfolgen. Der Entscheid, ob, wann und wie hoch die entsprechenden Zuwendungen ausfallen, liegt in der Kompetenz des Suva-Rates.
Botschaft
¹ BBl 2024 2480

1 Ausgangslage

1.1 Handlungsbedarf und Ziele

Asbest wurde während langer Zeit in verschiedenen Bau- und Industriematerialien verarbeitet. Die positiven Eigenschaften dieses Materials sind vielfältig: So ist Asbest hitzebeständig, elastisch, zugfest, lässt sich wegen seiner Bindefähigkeit mit anderen Materialien leicht zu Produkten verarbeiten, ist beständig gegen Säuren und Laugen sowie wasserabweisend. Insbesondere in Gebäuden zwischen 1950 und 1970 wurden asbesthaltige Bauprodukte eingesetzt. Da jedoch bereits geringe Konzentrationen von Asbeststaub in der Luft die Entstehung von Krebserkrankungen der Lunge begünstigen können, erliess der Bund 1989 ein Asbestverbot. ² Aufgrund der langen Inkubationszeit für asbestbedingte Krankheiten, welche bei dreissig bis vierzig Jahren liegt, erkranken in der Schweiz weiterhin jährlich um die 120 Personen schwer, weil sie eine krebserregende Menge an Asbestfasern eingeatmet haben. Um Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung gemäss dem Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG) vom 20. März 1981 ³ zu haben, ist eine berufliche Asbestexposition Voraussetzung. Rund zwanzig bis dreissig dieser erkrankten Personen haben mangels einer beruflichen Asbestexposition keinen Anspruch auf die Leistungen nach UVG, sondern lediglich auf solche der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und der Invalidenversicherung. Diese fallen deutlich geringer aus.
Das Bundesgericht hat in mehreren Urteilen die absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren gemäss dem Verantwortlichkeitsgesetz vom 14. März 1958 ⁴ gestützt. In einem konkreten Beispiel bestätigte es 2010 seine langjährige Praxis
und entschied sowohl hinsichtlich der Ansprüche der Familie eines verstorbenen Asbestopfers gegen die Arbeitgeberin als auch gegen die Suva, dass die Ansprüche der Kläger verjährt seien. ⁵ Die betroffene Familie erhob dagegen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), insbesondere gestützt auf Artikel 6 Absatz 1 der Konvention vom 4. November 1950 ⁶ zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), dem Recht auf faires Verfahren. Der EGMR hat in seinem Urteil ⁷ eine Verletzung des genannten Artikels festgestellt. Er argumentierte, dass die Anwendung der Verwirkungs- und Verjährungsregeln unverhältnismässig gewesen sei. Denn durch eine systematische Anwendung dieser Bestimmungen auf Opfer von Krankheiten, welche erst viele Jahre nach den krankheitsauslösenden Ereignissen diagnostiziert werden könnten - wie bei Asbest - nehme es den Opfern jede Möglichkeit, die Ansprüche gerichtlich geltend zu machen. ⁸ In einem weiteren, aktuellen Urteil bestätigte der Gerichtshof diese Rechtsprechung, insbesondere unter Berücksichtigung der Art und Weise, wie der Tag, ab dem die Verjährungsfrist beginnt (dies a quo), in Bezug auf den Beginn der absoluten Verjährungsfrist bestimmt wurde. Er stellte klar, dass dies auch unter der neuen Vorschrift, die die Verjährungsfrist auf 20 Jahre festlegt, der Fall wäre, wenn die gleiche Art der Bestimmung des dies a quo beibehalten würde. ⁹ Der EMGR urteilte weiter, dass die Schweiz ihrer Pflicht nicht nachgekommen sei, dafür zu sorgen, dass das Gerichtsverfahren innerhalb einer angemessenen Frist durchgeführt worden sei. Hintergrund dieser langen Verfahrensdauer war, dass das Bundesgericht das Verfahren im April 2018 während rund vier Jahren aussetzte, da die Debatte im Parlament betreffend eine Anpassung des Obligationenrechts zu einer Verlängerung der Verjährungsfrist (vgl. unten) abgewartet wurde. 1⁰ Es liege also eine Verletzung von Artikel 6 Absatz 1 EMRK (fehlender Zugang zu einem Gericht und angemessene Dauer des Verfahrens) vor.
Durch die Gründung der Stiftung EFA (vgl. unten unter Ziff. 1.2) wird den betroffenen Personen eine Alternative zur Beschreitung des gerichtlichen Wegs geboten. Eine solche wird durch den EGMR nicht ausgeschlossen.
² Diese Information ist abrufbar unter: www.bag.admin.ch
> Gesund leben > Umwelt & Gesundheit > Chemikalien > Chemikalien a-z > Asbest.
³ SR 832.20
⁴ SR 170.32
⁵ BGE 136 II 187
⁶ SR 0.101
⁷ Urteil des EGMR vom 11. März 2014, Howald Moor und andere gegen Schweiz.
⁸ Urteil des EGMR vom 11. März 2014, Howald Moor und andere gegen Schweiz, Ziff. 77.
⁹ Urteil des EGMR vom 13. Februar 2024, Jann-Zwicker und Jann gegen die Schweiz, Ziff. 80-82.
1⁰ Urteil des EGMR vom 13. Februar 2024, Jann Zwicker und Jann gegen die Schweiz, Ziff. 101.

1.2 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung

Erster Runder Tisch 2015-2016
Um den Verpflichtungen aus der EMRK sowie dem oben zitierten Urteil des EGMR nachzukommen, setzte der damalige Vorsteher des Eidgenössischen Departements des Innern, Bundesrat Alain Berset, im Jahr 2015 einen runden Tisch ein. Unter der Leitung von alt Bundesrat Moritz Leuenberger fanden Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft und Politik zusammen mit dem Ziel, eine Lösung zu finden, um Betroffene und ihre Angehörigen finanziell zu unterstützen.
Die Beteiligten verabschiedeten am 30. November 2016 1¹ einen Schlussbericht. Dieser enthielt sowohl einen detaillierten Vorschlag für die Entschädigung von Asbestopfern als auch einen konkreten Entwurf für die Ausgestaltung eines Fonds zur Finanzierung dieser Entschädigung. Im März 2017 wurde die Stiftung EFA formal gegründet. Damit wurde insbesondere bezweckt, Entschädigungen an diejenigen Personen auszuzahlen, denen es aufgrund der Verjährung ihrer Ansprüche nicht möglich ist, über den gerichtlichen Weg entschädigt zu werden, sowie Personen, welche mangels beruflicher Asbestexposition keinen Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherer haben. Bereits im Juli 2017 konnten die ersten Zahlungen durch die Stiftung EFA geleistet werden.
Mit der Änderung des Obligationenrechts wurde die Verjährungsfrist bei Schadenersatzansprüchen von zehn auf zwanzig Jahre angehoben (Revision der Verjährungsfristen vom 15. Juni 2018 ¹2 ). Da bei Asbesterkrankungen die Latenzzeit sehr lange dauert, war die Verjährungsfrist von zehn Jahren in vielen Fällen zu kurz angesetzt und es war den Opfern nicht möglich, einen Schadenersatzanspruch anzumelden.
Am runden Tisch wurde 2016 geschätzt, dass sich der Finanzbedarf bis 2025 auf ca. 100 Millionen Franken belaufen wird. Rund 26 Millionen Franken wurden unter anderem vom Schweizerischen Versicherungsverband, von Bahnunternehmen, asbestverarbeitenden Betrieben und paritätischen Berufskommissionen aufgebracht. Die Suva konnte, wie oben erwähnt, mangels gesetzlicher Grundlage keine Zahlungen leisten.
In den folgenden Jahren gingen weniger Entschädigungsgesuche ein als erwartet, sodass die Stiftung gegenwärtig noch über rund 11 Millionen Franken verfügt.
Solidaritätsgespräche ab 2021
Die Finanzierung der Stiftung EFA erwies sich als schwierig. Seit 2020 konnten keine namhaften Zuwendungen mehr erwirkt werden, obwohl solche angesichts der weiterhin hohen Fallzahlen notwendig wären. Ende 2021 fanden unter Teilnahme des damaligen Bundespräsidenten Guy Parmelin und des für das Innendepartement zuständigen Bundesrates Alain Berset Solidaritätsgespräche statt. Diese Gespräche sollten dazu dienen, die Wirtschaft an ihre soziale Verantwortung zu erinnern und weitere Beiträge für die Stiftung EFA zu generieren. Wiewohl die Notwendigkeit der Unterstützung von Asbestopfern und ihrer Angehörigen weiterhin unbestritten ist, signalisierten bei diesen Solidaritätsgesprächen nur wenige Teilnehmende eine gewisse Zahlungsbereitschaft. Damit konnten keine Zuwendungen an die Stiftung EFA erwirkt werden.
Aus heutiger Sicht erfordert der Weiterbetrieb der Stiftung EFA bis 2030 zusätzliche finanzielle Mittel von 25-50 Millionen Franken. Dieser Finanzbedarf ist auch damit begründet, dass mit der Änderung vom 9. November 2016 ¹3 von Artikel 36 Absatz 5 der Verordnung vom 20. Dezember 1982 ¹4 über die Unfallversicherung (UVV; in Kraft getreten am 1. Januar 2017) der finanzielle Bedarf gestiegen ist. Denn seither entsteht bei Personen, die an einem Mesotheliom oder einem anderen Tumor mit prognostisch ähnlich kurzer Überlebenszeit erkranken, der Anspruch auf die volle Integritätsentschädigung bereits mit Ausbruch der Krankheit. Das Entschädigungsreglement der Stiftung EFA vom 9. Mai 2017 ¹5 greift dies auf und setzt aufgrund der Verlängerung der Verjährungsfrist im Obligationenrecht das Jahr 1996 fest, ab dem die Stiftung EFA Entschädigungen leisten kann.
Gewählte Lösung
Die Idee, den Entschädigungsfonds durch die Suva zu speisen, die verschiedene Wirtschaftsvertreter anlässlich der Solidaritätsgespräche vorgebracht hatten, wurde in der Folge aufgenommen.
Gemäss dem in Artikel 61 Absatz 2 UVG festgelegten Prinzip der Gegenseitigkeit darf die Suva Erträge nur zu Versicherungszwecken verwenden und es gilt ein Gewinnausschüttungsverbot. ¹6 Nach dem daraus fliessenden Äquivalenzprinzip müssen die zur Deckung der Ausgaben (Versicherungsleistungen, Verwaltungskosten und Aufwendungen zur Verhütung von Unfällen) notwendigen Geldmittel durch die Prämien, den Kapitalertrag und die Erträge aus dem Rückgriff gegen haftpflichtige Dritte gedeckt werden. ¹7 Zwischen den Nettoprämien und den Versicherungsleistungen muss ein Gleichgewicht bestehen. Schliesslich müssen die Nettoprämieneinnahmen eines Versicherungszweiges zwingend für die Finanzierung von dessen Versicherungsleistungen verwendet werden. Für die Verwaltungskosten gelten diese Grundsätze analog (Art. 109 Abs. 2 und 3 sowie Art. 114 Abs. 1 UVV).
Zuschüsse an die Stiftung EFA durch die Suva können erbracht werden, sofern eine gesetzliche Grundlage im UVG besteht. Die Zuschüsse würden aus Ertragsüberschüssen der obligatorischen Versicherung der Berufsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne von Artikel 63 Absatz 5 Buchstabe f UVG finanziert und nicht aus den zweckgebundenen Nettoprämieneinnahmen und Prämienzuschlägen. Der finale Entscheid einer finanziellen Unterstützung und deren Höhe liegt gestützt auf Artikel 63 Absatz 5 Buchstabe f UVG in der Kompetenz des Suva-Rates.
1¹ Der Schlussbericht ist abrufbar unter: www.bag.admin.ch
> Gesund leben > Umwelt & Gesundheit > Wohngifte > Wohngifte und gesundheitliche Beschwerden > Runder Tisch Asbest.
¹2 AS 2018 5343
¹3 AS 2016 4393
¹4 SR 832.202
¹5 Das Entschädigungsreglement ist abrufbar unter:
www.stiftung-efa.ch > Über uns > Stiftung > Wichtige Dokumente > Grundlagen.
¹6 Silvia Läubli-Ziegler zu Artikel 61 UVG, Basler Kommentar Unfallversicherungsgesetz, Ghislaine Frésard-Fellay, Susanne Leuzinger, Kurt Pärli (Hrsg.), Basel 2019, N 12.
¹7 Thomas Gächter / Kaspar Gerber zu Artikel 92 UVG, Basler Kommentar Unfallversicherungsgesetz, Ghislaine Frésard-Fellay, Susanne Leuzinger, Kurt Pärli (Hrsg.), Basel 2019, N 37.

1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 24. Januar 2024 ¹8 zur Legislaturplanung 2023-2027 noch im Bundesbeschluss vom 6. Juni 2024 ¹9 über die Legislaturplanung 2023-2027 angekündigt.
Die Einführung dieser neuen Gesetzesbestimmung ist dennoch angezeigt, da der finanzielle Bedarf der Stiftung EFA für die nächsten Jahre nicht gesichert ist. Um zu vermeiden, dass der Stiftung EFA die finanziellen Mittel vorzeitig ausgehen, und um den finanziellen Bedarf der Asbestopfer sicherzustellen, ist rasches Handeln angezeigt.
¹8 BBl 2024 525
¹9 BBl 2024 1440

2 Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

Zwischen dem 22. November 2023 und dem 8. März 2024 wurde eine Vernehmlassung durchgeführt. Dabei sind 43 Stellungnahmen eingegangen. Die Mehrheit der Eingebenden steht der Gesetzesanpassung wohlgesinnt gegenüber.
Die wenigen kritischen Stimmen beanstandeten insbesondere, dass es nicht Aufgabe der Suva sei, diese Stiftung finanziell zu äufnen, sondern Aufgabe der asbestverarbeitenden Wirtschaft. Diese Meinungen blieben jedoch in der Unterzahl. 2⁰
2⁰ Der Ergebnisbericht über das Vernehmlassungsverfahren kann abgerufen werden unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2023 > EDI

3 Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Die Gefährlichkeit von Asbestfasern ist in zahlreichen anderen Ländern bekannt und hat entsprechend zu Nutzungsverboten geführt. So kennt die Europäische Union (EU) seit dem Jahr 2005 2¹ ein umfassendes Asbestverbot. 2² Einzelne EU-Mitgliedstaaten haben ein solches bereits vor diesem Zeitpunkt erlassen, in Deutschland wurde Asbest beispielsweise im Jahr 1993 verboten, in Italien im Jahr 1994, und Schweden verbot bereits 1975 den Einsatz von Asbest. In der EU sind Bestrebungen im Gange, eine Europäische Strategie zur Beseitigung von Asbest (ESRAA) zu entwickeln. Im Zuge der Bestrebungen wird ein Legislativvorschlag zur Anerkennung von Berufskrankheiten einschliesslich aller bekannten asbestbedingten Krankheiten angedacht. Dieser beinhaltet zudem Mindestanforderungen für Anerkennungsverfahren und für Mindestnormen für die Entschädigung der Opfer asbestbedingter Berufskrankheiten. ²3 Weiter fordert das europäische Parlament die Gründung von Patientenverbänden und Gewerkschaften für die Opfer asbestbedingter Krankheiten, um die Betroffenen und ihre Familien zu unterstützen, und es wird eine Aufstockung der nationalen Mittel zur Entschädigung der Opfer asbestbedingter Erkrankungen gefordert, damit die unmittelbaren, mittelbaren und menschlichen Kosten der Krankheit ausreichend gedeckt werden. ²4
Die einzelnen Länder haben allfällige Entschädigungszahlungen - sofern solche überhaupt vorgesehen sind - unterschiedlich geregelt: So kennt beispielweise Frankreich ebenfalls die Lösung via einen Fonds (Fonds de l’indemnisation des victimes de l’amiante; FIVA), bei dem unbürokratisch via Homepage ein allfälliger Anspruch geltend gemacht werden kann. Sofern Entschädigungen gesprochen werden, gilt ein pauschaler Ansatz. Seit der ersten Entschädigung aus dem Jahr 2003 hat der FIVA mehr als 100 000 Antragstellerinnen und Antragsteller mit über 7 Milliarden Euro entschädigt. ²5
2¹ www.consilium.europa.eu/ > Deutsch > Infografiken > Asbest: Auswirkungen auf die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
2² Richtlinie 1999/77/EG der Kommission vom 26. Juli 1999 zur sechsten Anpassung von Anhang I der Richtlinie 76/769/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen (Asbest); Text nicht mehr in Kraft.
²3 Entschliessung des Europäischen Parlaments vom 20. Oktober 2021 mit Empfehlungen an die Kommission zum Schutz der Arbeitnehmer vor Asbest (2019/2182(INL)).
²4 Entschliessung des Europäischen Parlaments vom 20. Oktober 2021 mit Empfehlungen an die Kommission zum Schutz der Arbeitnehmer vor Asbest (2019/2182(INL)).
²5 www.fiva.fr > L’indemnisation des personnes concernées

4 Grundzüge der Vorlage

4.1 Die beantragte Neuregelung

Der neue Artikel 67 b UVG bezweckt die Sicherstellung der Finanzierung der Stiftung EFA, nachdem von der Wirtschaft nicht ausreichend Kapital eingebracht wurde.
Der Artikel 67 b UVG beinhaltet in Absatz 1 die Möglichkeit, dass die Suva die Stiftung EFA finanziell unterstützt. Absatz 2 konkretisiert, dass diese finanzielle Unterstützung ausschliesslich aus Ertragsüberschüssen (im Sinne von Artikel 63 Absatz 5 Buchstabe f UVG) erfolgt, welche sich aus der obligatorischen Versicherung gegen die Folgen von Berufsunfällen und Berufskrankheiten ergeben.
Die Suva ist von Gesetzes wegen der Unfallversicherer für bestimmte Wirtschaftszweige (vgl. Art. 66 UVG). Betroffen sind insbesondere diejenigen Wirtschaftszweige, welche mit der Asbestnutzung in Verbindung gebracht werden. Eine zu einer Krankheit führende Asbestexposition ergibt sich regelmässig direkt oder indirekt aus der Tätigkeit der bei der Suva obligatorisch versicherten Wirtschaftszweige nach Artikel 66 UVG. Mit der Anpassung des UVG wird dabei dem Grundsatz gefolgt, die Haftpflicht des Arbeitgebers durch ein System der Versicherung zu ersetzen. Ähnlich ist es die Idee der Stiftung EFA, eine mögliche - allenfalls verjährte oder nicht beweisbare - Verantwortung der insbesondere unter das Teilmonopol der Suva fallenden Unternehmen durch Leistungen der Stiftung EFA zu ersetzen. Aufgrund dieses engen Zusammenhangs lässt sich eine Finanzierung der Stiftung EFA durch Ertragsüberschüsse der Suva rechtfertigen.
Ertragsüberschüsse können sich insbesondere aus Kapitalerträgen ergeben, nachdem sämtliche Finanzierungsbedürfnisse gedeckt wurden (Finanzierung der Verzinsung der Rentendeckungskapitalien, Finanzierung der obligatorischen Teuerungszulagen, Äufnung der gesetzlich vorgesehenen und selbst bestimmten Eigenmittel). Solche Überschüsse können sich aus der Versicherung gegen Berufsunfälle und Berufskrankheiten einerseits und aus der Versicherung gegen Nichtberufsunfälle andererseits ergeben. Während der Versicherungszweig der Berufsunfälle und Berufskrankheiten durch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber - d. h. durch Unternehmen - finanziert wird, wird der Versicherungszweig der Nichtberufsunfälle durch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finanziert.
Sollte die Finanzierung via Ertragsüberschüsse der Nichtberufsunfallversicherung erfolgen, würden entsprechend nicht Unternehmen, sondern Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Stiftung mitfinanzieren. Da Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Gegensatz zu den Unternehmen keine Verantwortung für durch Asbest entstandene Krankheitsbilder auferlegt werden kann und es sich bei durch Asbestexposition entstandene Krankheiten nicht um Unfälle handelt, drängt es sich auf, die Finanzierung einzig durch die Ertragsüberschüsse aus der Versicherung gegen die Folgen von Berufsunfällen und Berufskrankheiten sicherzustellen, nicht aber aus den Ertragsüberschüssen aus der Nichtberufsunfallversicherung. So kann eine unsachliche Gleichbehandlung zwischen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern einerseits und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern andererseits vermieden werden.

4.2 Abstimmung von Aufgaben und Finanzen

Die vorgeschlagene Änderung hat für Bund und Kantone keine zusätzlichen Kosten zur Folge.

4.3 Umsetzungsfragen

Die vorgeschlagene Gesetzesanpassung zieht weder eine Änderung bei der zugehörigen Verordnung nach sich noch bei der Gesetzgebung auf kantonaler Ebene.

5 Erläuterungen zum Artikel

Das UVG soll mit einem zusätzlichen Artikel ergänzt werden. Der neue Artikel 67 b UVG regelt in Absatz 1, dass die Suva die Stiftung EFA finanziell unterstützen kann. In Absatz 2 wird geregelt, dass die Unterstützung ausschliesslich aus Ertragsüberschüssen im Sinne von Artikel 63 Absatz 5 Buchstabe f UVG finanziert wird, welche sich aus der obligatorischen Versicherung der Berufsunfälle und der Berufskrankheiten ergeben. Ertragsüberschüsse aus der Nichtberufsunfallversicherung dürfen nicht verwendet werden.
Dadurch, dass der Artikel als Kann-Vorschrift ausgestaltet ist, kommt dem Suva-Rat, gestützt auf seine aus Artikel 63 Absatz 5 Buchstabe f UVG resultierende Kompetenz der Entscheid zu, wie er die allfälligen Ertragsüberschüsse verwenden wird. Somit liegt die Entscheidung, ob, wann und in welcher Höhe die Stiftung EFA durch die Suva unterstützt wird, beim Suva-Rat.

6 Auswirkungen

Die generellen Auswirkungen von Artikel 67 b UVG sind als bescheiden zu taxieren. Betroffen sind insbesondere die Suva, welcher die Kompetenz zukommen soll, die Stiftung EFA finanziell zu unterstützen, sowie die Stiftung EFA, für welche eine neue Finanzierungsmöglichkeit geschaffen wurde.

6.1 Auswirkungen auf den Bund

Der neue Artikel hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Bund, weder in finanzieller noch in personeller Hinsicht.

6.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete sind keine zu erwarten.

6.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft sind nur in sehr geringem Ausmass zu erwarten. Indem Ertragsüberschüsse verwendet werden können, um die Stiftung EFA zu finanzieren, können diese nicht dazu verwendet werden, zu den versicherten Betrieben in Form von reduzierten Prämien zurückzufliessen. Entsprechend werden die Betriebe finanziell stärker belastet.

6.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft

Die Gesellschaft ist in ihrer Gesamtheit von der vorliegenden Bestimmung nicht betroffen. Den Opfern von Asbesterkrankungen wird es durch diese Änderung des Gesetzes und die neue Finanzierungsmöglichkeit durch die Suva auch zukünftig möglich sein, finanziell entschädigt zu werden.

6.5 Auswirkungen auf die Umwelt

Es sind keine Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten.

7 Rechtliche Aspekte

7.1 Verfassungsmässigkeit

Gemäss Artikel 117 Absatz 1 BV erlässt der Bund Vorschriften über die Kranken- und Unfallversicherung. Entsprechend kommt dem Bund im Bereich der Unfallversicherung die Kompetenz zu, Vorschriften zu erlassen. Der Bundesgesetzgeber legt fest, welche Aufgaben die vom Gesetz für ein Teilmonopol geschaffene Versicherungsträger - vorliegend die Suva - zu erfüllen haben. Er bestimmt, ob Mittel der Unfallversicherung verwendet werden dürfen für Leistungen an eine Stiftung zugunsten von möglichen Opfern einer durch Asbest ausgelösten Berufskrankheit.

7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Seit am 1. Juni 2002 das Abkommen vom 21. Juni 1999 ²6 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA) in Kraft getreten ist, wendet die Schweiz die Regeln der Europäischen Union (EU) zur Koordinierung der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit an, worauf Artikel 115 a UVG verweist.
Diese Regeln sehen keine Harmonisierung der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit vor. Unter Berücksichtigung der Koordinationsgrundsätze des europäischen Rechts können die Mitgliedstaaten die Modalitäten ihres Systems der sozialen Sicherheit selber festlegen, namentlich die Leistungen eines Sozialversicherungssystems und die Voraussetzungen für die Ausrichtung von Leistungen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung ist einer der Koordinierungsgrundsätze der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ²7 die im Rahmen des FZA in der Schweiz anwendbar ist. Dieselben Regeln gelten für die Schweiz und die anderen Länder der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) nach dem Übereinkommen vom 4. Januar 1960 ²8 zur Errichtung der EFTA (EFTA-Übereinkommen). Gestützt auf diesen Gleichbehandlungsgrundsatz müssen die finanziellen Mittel, welche die Suva der Stiftung EFA allenfalls zukommen lassen soll, auf eine nicht diskriminierende Weise verwendet werden. Gemäss ihrem Reglement ist dies vorliegend der Fall. Ausserdem sieht das Abkommen vom 9. September 2021 ²9 zur Koordinierung der sozialen Sicherheit zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland, das seit dem 1. November 2021 provisorisch anwendbar und am 1. Oktober 2023 in Kraft getreten ist, ein ähnliches Koordinationssystem vor wie das FZA und das EFTA-Übereinkommen.
Daraus folgt, dass die Vorlage mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar ist.
²6 SR 0.142.112.681
²7 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der für die Schweiz verbindlichen Fassung gemäss Anhang II des Abkommens vom 21. Juni 1999 über die Freizügigkeit zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits ( SR 0.142.112.681 ) (eine konsolidierte, nicht verbindliche Fassung dieser Verordnung findet sich unter SR 0.831.109.268.1 ) sowie in der Fassung, die für die Schweiz gemäss Anlage 2 zu Anhang K des Übereinkommens vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) ( SR 0.632.31 ) verbindlich ist.
²8 SR 0.632.31
²9 AS 2021 818

7.3 Erlassform

Die Zuständigkeiten der Suva werden im UVG abschliessend aufgezählt. Da der Suva mit der vorliegend in Frage stehenden Bestimmung eine zusätzliche Kompetenz zukommen soll, ist auch diese auf Gesetzesstufe zu regeln.

7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen geschaffen, noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen. Somit ist vorliegende Vorlage nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.

7.5 Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

Der neu geschaffene Artikel 67 b UVG hat zum Zweck, dass die Suva die Stiftung EFA finanziell unterstützen kann. Weder der Bund noch die Kantone sind von dieser neuen Bestimmung betroffen. Das Subsidiaritätsprinzip bleibt mit der vorliegenden Anpassung entsprechend unangetastet - weder dem Bund noch den Kantonen werden neue Aufgaben zuerkannt. Auch das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz wird mit der vorgeschlagenen Anpassung des UVG nicht verletzt.

7.6 Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes

Die Vorlage sieht keine Finanzhilfen oder Abgeltungen vor.

7.7 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Mit der Vorlage werden keine Rechtsetzungsbefugnisse an den Bundesrat delegiert.

7.8 Datenschutz

Unter dem Gesichtspunkt der Bearbeitung von Personendaten hat die vorliegende Anpassung des UVG keine Auswirkungen auf den Datenschutz.
Bundesrecht
Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (Finanzierung der Stiftung Entschädigungsfonds für Asbestopfer)
Markierungen
Leseansicht