Allgemeinverfügung
Allgemeinverfügung
Das Bundesamt für Verkehr hat in der Angelegenheit
Antrag um Feststellung der Befreiung der Kraftwerke Oberhasli AG von der Pflicht zur Beseitigung der Benachteiligung für Menschen mit Beeinträchtigung bezüglich Gelmer- und Reichenbachfall-Bahn
I.
festgestellt:
1.
Mit Schreiben vom 17. Januar 2023 wurde dem Bundesamt für Verkehr (BAV) beantragt, festzustellen, dass die Antragstellerin sowohl für die Gelmerbahn als auch für die Reichenbachfall-Bahn von der Pflicht zur Beseitigung der Benachteiligung für Menschen mit einer Beeinträchtigung gemäss Behindertengleichstellungsgesetz vom 13. Dezember 2002 (BehiG, SR 151.3 ) befreit sei.
2.
Die Antragstellerin begründet diesen Antrag auf Befreiung von BehiG-Massnahmen primär mit der wirtschaftlichen Unverhältnismässigkeit der erforderlichen baulichen Massnahmen.
3.
Das BAV hat mit Schreiben vom 2. Mai 2024 Inclusion Handicap (IH) zum vorliegenden Antrag angehört und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 31. Mai 2024 gegeben. Mit der Stellungnahme vom 29. Mai 2024 liess sich IH wie folgt vernehmen:
«Die zur Verfügung gestellten Unterlagen wurden von IH geprüft. Der Vorschlag des BAV, die Kraftwerke Oberhasli AG von der Pflicht zur behindertengerechten Ausgestaltung der Gelmerbahn sowie der Reichenbachfall-Bahn zu befreiten, sind aufgrund der gegebenen Fakten für IH nachvollziehbar. IH hält jedoch fest, dass die Gutheissung dieser Befreiung von der Pflicht zur Beseitigung der Benachteiligung kein Präjudiz in Bezug auf andere, beziehungsweise zukünftige Projekte ist und solche wiederum im Einzelfall geprüft werden müssen.»
II.
in Erwägung gezogen:
A. Formelles:
1.
Gemäss Artikel 3 Buchstabe b Ziffer 7 BehiG gilt das Behindertengleichstellungsgesetz für Bauten und Anlagen sowie Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs, welche dem Seilbahngesetz vom 23. Juni 2006 (SebG; SR 743.01 ) unterstehen. Das BehiG findet somit für die beiden Anlagen der Antragstellerin als Standseilbahnen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 SebG Anwendung. Die Anlagen und Fahrzeuge müssen damit den gesetzlichen Anforderungen des BehiG genügen.
2.
Das BAV ist gemäss Artikel 22 Buchstabe a SebG Aufsichtsbehörde über Seilbahnen mit Bundeskonzession und damit auch über die beiden Seilbahnanlagen der Antragstellerin. Die Aufsichtstätigkeit des BAV umfasst unter anderem die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für Seilbahnen im Bereich der Behindertengleichstellung.
3.
Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben im Bereich der Behindertengleichstellung liegt damit in der sachlichen Zuständigkeit des BAV.
4.
Gemäss Artikel 25 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968 (VwVG; SR 172.021 ) kann die in der Sache zuständige Behörde auf Begehren über den Bestand, den Nichtbestand oder den Umfang öffentlich-rechtlicher Rechte oder Pflichten eine Feststellungsverfügung erlassen. Dem Begehren um Erlass einer Feststellungsverfügung ist bei Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses zu entsprechen.
4.1
Dem BAV wurde der Antrag gestellt, festzustellen, dass die Antragstellerin sowohl in Bezug auf die Gelmerbahn als auch im Hinblick auf die Reichenbachfall-Bahn von der Pflicht zur Beseitigung der Benachteiligung für Menschen mit einer Beeinträchtigung befreit sei.
4.2
Für den Erlass der beantragten Feststellungsverfügung bedarf es nach Artikel 25 Absatz 2 VwVG eines schutzwürdigen Interesses der Antragstellerin.
4.2.1
Gemäss Artikel 22 Absatz 1 BehiG müssen Bauten und Anlagen sowie Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs spätestens 20 Jahre nach Inkrafttreten des BehiG, also per 1. Januar 2024, behindertengerecht ausgestaltet sein. Im Falle einer Benachteiligung im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 BehiG mangels behindertengerechter Ausgestaltung von Anlagen oder Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs kann eine benachteiligte Person nach Artikel 7 Absatz 2 BehiG die Beseitigung oder Unterlassung der Benachteiligung verlangen. Die zuständige Behörde ordnet die Beseitigung gemäss Artikel 11 Absatz 1 BehiG ausnahmsweise nicht an, wenn der für Behinderte erwartbare Nutzen in einem Missverhältnis steht, insbesondere zum wirtschaftlichen Aufwand (Bst. a), zu Interessen des Natur- und Heimatschutzes (Bst. b) oder zu Anliegen der Verkehrs- oder Betriebssicherheit (Bst. c).
4.2.2
Seit dem Ablauf der gesetzlichen Anpassungsfrist per 31. Dezember 2023 besteht für die Antragstellerin aufgrund der bisher ausgebliebenen baulichen Anpassungen zur Beseitigung der Benachteiligung sowohl bezüglich Gelmerbahn als auch bezüglich Reichenbachfall-Bahn das Risiko einer Beseitigungsklage einer benachteiligten Person gemäss Artikel 7 Absatz 2 BehiG. Mit diesem Risiko ist insbesondere die Rechtsunsicherheit verbunden, ob die Beseitigung der Benachteiligung vom BAV angeordnet würde oder ausnahmsweise mangels Verhältnismässigkeit gemäss Artikel 11 Absatz 1 BehiG auf eine Anordnung zu verzichten wäre.
4.2.3
Es stellt sich die Frage, ob das beantragte Feststellen des Nichtbestehens der Pflicht der behindertengerechten Ausgestaltung der Seilbahnanlagen bzw. das Feststellen der fehlenden Verhältnismässigkeit baulicher Massnahmen für die Antragstellerin die gewünschte Rechtssicherheit bringen kann.
Die beantragte Verfügung würde die Beantwortung der Frage, ob ausnahmsweise auf die Anordnung der Beseitigung einer Benachteiligung aufgrund der fehlenden Verhältnismässigkeit verzichtet wird, vorwegnehmen und nicht erst in einem allfälligen Verfahren nach Artikel 7 Absatz 2 BehiG verbindlich klären. Die Antragstellerin hätte damit gegenüber Dritten eine rechtskräftige Beurteilung der Rechtslage vorzuweisen. Die gewünschte Rechtssicherheit ist jedoch erst dann zu bejahen, wenn der Beurteilung der Unverhältnismässigkeit baulicher Massnahmen und der darauf gestützte Verzicht auf Anordnung der Beseitigung der Benachteiligung eine mehr oder weniger stabile Sachlage zugrunde liegt. Müsste die Rechtslage und damit insbesondere die (Un-)Verhältnismässigkeit baulicher BehiG-Massnahmen aufgrund einer sich ändernden Sach-lage regelmässig neu beurteilt werden, könnte die von der Antragstellerin gewünschte Rechtssicherheit auch mittels einer Feststellungsverfügung nicht erreicht werden. Die verfügte Feststellung könnte in diesem Fall nur solange Bestand haben, wie sich der der Feststellung der Rechtslage zugrundeliegende Sachverhalt nicht massgeblich geändert hat. Insofern würde es in einem solchen Fall am für den Erlass einer Feststellungsverfügung notwendigen schutzwürdigen Interesse fehlen.
4.2.4
Sowohl bei der Gelmerbahn als auch bei der Reichenbachfall-Bahn handelt es sich um historische Standseilbahnen, welche seit knapp bzw. über hundert Jahren betrieben werden. Ihnen kommt keine Erschliessungsfunktion im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes vom 20. März 2009 (PBG; SR 745.1 ) zu (Art. 3 PBG i.V.m. Art. 5 der Verordnung über die Personenbeförderung vom 4. November 2009 (VPB; SR 745.11 )). Die beiden Bahnen werden heute primär touristisch und saisonal (Mai bis Oktober) betrieben. Ebenfalls haben die beiden Bahnen keinen offiziellen Fahrplan, sondern verkehren grundsätzlich nach Bedarf.
4.2.5
Die Antragstellerin führt aus, dass das touristische Angebot bei den Bergstationen der beiden Bahnen primär auf Wandergäste ausgelegt ist und es insbesondere keine Restaurants oder anderweitige Verpflegungsmöglichkeiten enthalte. Entsprechend einfach seien die beiden Bergstationen gehalten. Darüber hinaus dient die Reichenbachfall-Bahn der Beförderung zum Reichenbachfall, welcher aufgrund der Romanfigur Sherlock Holmes internationale Berühmtheit erlangt hat. Die Bergstation der Reichenbachfall-Bahn bietet daher nebst dem Startpunkt diverser Wanderrouten auch ein kleines Sherlock Holmes Museum und drei Aussichtsterrassen mit Blick auf den Reichenbachfall und das Haslital.
Bei den beiden Beförderungsangeboten der Antragstellerin liegt daher eine grundsätzlich stabile Sachlage zugrunde. Es ist aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Angebots und der primären Ausrichtung auf Wandergäste nicht von einer relevanten Zunahme an Personen mit einer Beeinträchtigung, die das Angebot der Antragstellerin nutzen wollen, auszugehen. Es sind damit keine Gründe ersichtlich, welche eine regelmässige Neubeurteilung der Verhältnismässigkeit notwendig machen würden.
4.2.6
Anders verhielte es sich insbesondere bei einem vom Bund oder Kanton bestellten Angebot mit Erschliessungsfunktion. Solche Angebote unterstehen regelmässigen Änderungen in Form von geänderter Linienführung oder einem Ausbau des Angebots. Auch im Falle einer Neuer-schliessung von Ortschaften könnte aufgrund der geänderten Sachlage eine Neubeurteilung der Verhältnismässigkeit erforderlich werden. Gleiches hat für Fälle zu gelten, wo die Anzahl Personen mit Beeinträchtigung in den vom Angebot erschlossenen Ortschaften signifikant zunimmt oder die Nachfrage generell signifikant zunimmt.
4.2.7
Hinzu kommt, dass die beiden Angebote der Antragstellerin ohne Abgeltungen oder Investitionen des Bundes, welche insbesondere auch die baulichen Massnahmen zur Umsetzung des BehiG mitfinanzieren, betrieben werden. Die aus BehiG-Sicht notwendigen Massnahmen stellen daher eine finanzielle Hürde dar, die die Antragstellerin alleine eigenwirtschaftlich zu tragen hätte. Die Antragstellerin hat folglich ein erhebliches Interesse daran, zu wissen, ob sie aus Gründen der Verhältnismässigkeit von der Pflicht zur Vornahme baulicher BehiG-Massnahmen befreit ist oder nicht.
4.2.8
Die im vorliegenden Fall in Frage stehenden Seilbahnanlagen der Antragstellerin ermöglichen es aus den dargelegten Gründen einerseits und rechtfertigen es damit andererseits, eine Feststellungsverfügung zu erlassen. Der Antragstellerin kann die gewünschte Rechtssicherheit gewährt werden, weshalb das schutzwürdige Interesse in diesem Fall zu bejahen ist.
4.3
Die Antragstellerin hat ein schutzwürdiges Interesse am Erlass der beantragten Feststellungsverfügung.
5.
Das BAV als Aufsichtsbehörde der Seilbahnen mit Bundeskonzession ist die zuständige Verwaltungsbehörde im Sinne von Artikel 11 Absatz 1 BehiG. Die Behandlung des Antrags auf Erlass einer Feststellungsverfügung liegt in seiner Kompetenz. Aufgrund des dargelegten schutzwürdigen Interesses ist auf das Gesuch einzutreten.
B. Materielles:
1.
Wie unter Ziffer 4.2.1 hiervor ausgeführt, müssen Fahrzeuge sowie Bauten und Anlagen des öffentlichen Verkehrs seit dem 1. Januar 2024 behindertengerecht ausgestaltet sein.
2.
Gemäss Artikel 11 Absatz 1 BehiG ordnet das BAV die Beseitigung der Benachteiligung nicht an, wenn der für Behinderte erwartbare Nutzen in einem Missverhältnis insbesondere zum wirtschaftlichen Aufwand (Bst. a), zu Interessen des Natur- und Heimatschutzes (Bst. b) oder zu Anliegen der Verkehrs- oder Betriebssicherheit (Bst. c) steht. Diese Auflistung ist einerseits alternativ und andererseits auch nicht abschliessend zu verstehen.
2.1
Die Behindertengleichstellungsverordnung vom 19. November 2003 (BehiV; SR 151.31 ) sieht in Artikel 6 vor, wie die Abwägung der Interessen im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Artikel 11 Absatz 1 BehiG im Einzelfall vorzunehmen ist. So sind zur Beurteilung der Frage, ob ein Missverhältnis vorliegt, namentlich die Zahl der die Anlage benutzenden Personen, die Bedeutung der Anlage für Menschen mit Behinderung sowie der provisorische oder dauerhafte Charakter der Anlage zu berücksichtigen.
2.2
Gleichermassen sind bei einer Abwägung der Interessen der Behinderten gegen Interessen der Denkmalpflege gemäss Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a und Buchstabe b Ziffer 2 BehiV die Bedeutung der Anlage aus Sicht des Denkmalschutzes sowie das Ausmass, in dem die baulichen Anpassungen die Bausubstanz, die Struktur und das Erscheinungsbild der Anlage aus Sicht des Denkmalschutzes beeinträchtigen, zu berücksichtigen.
3.
Es ist unbestritten, dass der Zugang zu den beiden Seilbahnanlagen der Antragstellerin ohne Vornahme baulicher Massnahmen eine Benachteiligung für Menschen mit einer Beeinträchtigung im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 BehiG darstellt. Die Nutzung der Anlagen ist heute für Betroffene aus baulichen Gründen nicht oder nur unter erschwerenden Bedingungen möglich.
4.
Es ist daher zu klären, ob auf die Anordnung der Beseitigung der Benachteiligung bzw. auf die Vornahme der notwendigen baulichen Massnahmen ausnahmsweise aus Gründen der Unverhältnismässigkeit zu verzichten ist.
4.1
Verhältnismässigkeit baulicher und fahrzeugspezifischer Massnahmen betreffend Gelmerbahn:
4.1.1
Die Gelmerbahn ist als Seilbahn von nationaler Bedeutung im «Schweizer Seilbahninventar» aufgenommen. Einer Anpassung der Gelmerbahn, insbesondere für die barrierefreie Beförderung von Menschen mit einer Gehbeeinträchtigung, stehen deshalb gewichtige Aspekte des Heimat- und Denkmalschutzes entgegen.
Die für eine barrierefreie Beförderung von Menschen mit Gehbeeinträchtigung, insbesondere für Menschen im Rollstuhl, erforderlichen Anpassungen wären nicht möglich, ohne dabei massiv in die denkmalgeschütze visuelle und historische Substanz der Seilbahnanlage der Gelmerbahn einzugreifen. Ein solcher Eingriff ist aus denkmaschlützerischer Sicht als unverhältnismässig im Sinne von Artikel 11 Absatz 1 BehiG einzustufen.
4.1.2
Neben den Aspekten des Denkmalschutzes gilt es zudem auch die Anforderungen des BehiG an die Sicherheit (Art. 6 Abs. 1 der Verordnung vom 12. November 2003 über die behinderten-gerechte Ausgestaltung des öffentlichen Verkehrs (VböV, SR 151.34 )) mitzuberücksichtigen. Bei einer Streckenneigung von bis zu 106 % in offenen Fahrzeugen sind diese Anforderungen ebenfalls nicht mit verhältnismässigem Aufwand lösbar, ohne dabei massiv in die Substanz der Seilbahnanlage der Gelmerbahn einzugreifen.
4.1.3
Vor dem Hintergrund dieser beiden Aspekte der Verhältnismässigkeit sind die baulichen Anpassungen der Gelmerbahn zur Umsetzung einer barrierefreien und sicheren Beförderung von Personen mit einer Gehbeeinträchtigung gesamthaft betrachtet als unverhältnismässig einzustufen. Der Aspekt des wirtschaftlichen Aufwandes muss folglich darüber hinaus nicht weiter vertieft werden.
4.1.4
Bezüglich Massnahmen für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung stellt das BAV bei den Stationen der Gelmerbahn keine Komplexität fest, die im Sinne von Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung des UVEK vom 23. März 2016 über die technischen Anforderungen an die behindertengerechte Gestaltung des öffentlichen Verkehrs (VAböV, SR 151.342 ) i.V.m. Ziffer 7.3.2 der BAV-Checkliste «Standseilbahnen: BehiG-Anforderungen» ein taktil-visuelles Leitsystem erfordern würde. Eine allfällige Realisierung eines Leitsystems zwischen den relevanten Bushaltestellen bis vor die Talstationen der Gelmerbahn liegt in der Verantwortung der jeweiligen Strasseneigentümerinnen.
4.2
Verhältnismässigkeit baulicher und fahrzeugspezifischer Massnahmen betreffend Reichbachfall-Bahn:
4.2.1
Die Reichenbachfall-Bahn führt zur Aussichtsplattform des weltweit insbesondere durch die Romanfigur Sherlock Holmes berühmt gewordenen Reichenbachfalls. Entsprechend hoch ist die Attraktivität der historischen Bahn und vor allem der Aussicht von der Bergstation auf den Reichenbachfall zu werten.
4.2.2
Die Reichenbachfall-Bahn ist ebenfalls als Seilbahn von nationaler Bedeutung im «Schweizer Seilbahninventar» aufgenommen und wird in diesem aufgrund ihres einzigartigen denkmalschützerischen Wertes hervorgehoben. Eine autonome Benützung der Seilbahnanlage für Menschen im Rollstuhl ist ohne bauliche Massnahmen, welche massiv in die visuelle und historische Substanz der Seilbahnanlage eingreifen würde, nicht möglich und fällt deshalb aufgrund denkmalschützerischer Aspekte ausser Betracht. Gleiches hat für bauliche und fahrzeugspezifische Massnahmen zu gelten, welche eine Beförderung von Menschen im Rollstuhl, insbesondere durch Personalhilfe (z.B. mit Treppenliften an den Stationen), ermöglichen sollen. Die dafür erforderlichen Anforderungen würden den denkmalschützerischen Wert der Bahn erheblich beeinträchtigen oder gar vernichten.
4.2.3
Aufgrund der sich aus denkmalschützerischer Sicht ergebenden Unverhältnismässigkeit baulicher Anpassungen der Reichenbachfall-Bahn zur Umsetzung einer barrierefreien und sicheren Beförderung von Personen mit einer Gehbeeinträchtigung müssen die Aspekte des wirtschaftlichen Aufwandes sowie der Verkehrs- und Betriebssicherheit nicht weiter vertieft werden.
4.2.4
Bezüglich Massnahmen für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung stellt das BAV bei den Stationen der Reichenbachfall-Bahn keine Komplexität fest, die im Sinne von Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung des UVEK vom 23. März 2016 über die technischen Anforderungen an die behindertengerechte Gestaltung des öffentlichen Verkehrs (VAböV, SR 151.342 ) i.V.m. Ziffer 7.3.2 der BAV-Checkliste «Standseilbahnen: BehiG-Anforderungen» ein taktil-visuelles Leitsystem erfordern würde. Eine allfällige Realisierung eines Leitsystems zwischen den relevanten Bushaltestellen bis vor die Talstationen der Reichenbachfall-Bahn liegt in der Verantwortung der jeweiligen Strasseneigentümerinnen.
4.3
Aufgrund der dargelegten Gründe gilt es zusammenfassend festzuhalten, dass bauliche An-passungen sowohl der Gelmer- als auch der Reichenbachfall-Bahn zur Umsetzung einer barrierefreien Beförderung, insbesondere von Personen mit einer Gehbeeinträchtigung, aus denkmalschützerischer Sicht unverhältnismässig sind. Auf die Anordnung der Beseitigung der Benachteiligung mittels baulicher oder fahrzeugspezifischer Anpassungen ist deshalb im Sinne von Artikel 11 Absatz 1 BehiG zu verzichten.
4.4
Ebenfalls lässt sich festhalten, dass sich die im vorliegenden Fall erforderlichen Hilfestellungen durch den Einsatz von Personal im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 VböV nicht erbringen lassen.
5.
Gemäss Artikel 12 Absatz 3 BehiG hat das BAV das konzessionierte Unternehmen dazu zu verpflichten, eine angemessene Ersatzlösung anzubieten, wenn das BAV auf die Anordnung der Beseitigung einer Benachteiligung gemäss Artikel 11 Absatz 1 BehiG verzichtet.
5.1
Die in Ziffer 4 hiervor vorgenommene Verhältnismässigkeitsprüfung hat ergeben, dass auf die Anordnung der Beseitigung der Benachteiligung zu verzichten ist. Die Antragstellerin hat deshalb eine angemessene Ersatzmassnahme im Sinne von Artikel 12 Absatz 3 BehiG anzubieten.
5.2
Ersatzmassnahmen:
5.2.1
Sowohl bei der Gelmer- als auch bei der Reichenbachfall-Bahn handelt es sich primär um touristische Angebote und nicht um rein funktionale Personenbeförderungen. Da beiden keine Erschliessungsfunktion zukommt, steht jeweils das touristische Erlebnis im Mittelpunkt des Angebots:
Bei der Gelmerbahn steht die Fahrt mit der steilsten, offenen Standseilbahn Europas sowie die historische Anlage an sich im Fokus. Die Bergstation als Endpunkt des Beförderungsangebots ist zudem Ausgangspunkt für das Wandergebiet rund um den Gelmersee.
Die Reichenbachfall-Bahn bietet nebst der Beförderung mit der historischen Standseilbahn bei der Bergstation ein kleines Sherlock Holmes Museum. Die Bergstation ist zudem Ausgangspunkt zu den drei Aussichtsplattformen auf den Reichenbachfall sowie ins Wandergebiet Rosenlaui.
5.2.2
Ungeachtet des in den vorliegenden Fällen über die rein funktionale Personenbeförderung hinausgehenden Erlebnisses ist die anzustrebende Ersatzlösung im Hinblick auf das Beförderungsangebot selbst zu finden. Es liegt dabei in der Natur der Sache, dass sich gerade touristische Angebote nicht eins zu eins ersetzen lassen, wenn sich die (historischen) Anlagen oder Fahrzeuge mangels Möglichkeit verhältnismässiger technischer Anpassungen oder Personalhilfe nicht behindertengerecht ausgestalten und damit gar nicht erst nutzen lassen.
5.2.3
Weder für die Gelmerbahn noch für die Reichenbachfall-Bahn lässt sich eine angemessene Ersatzlösung für das Beförderungsangebot ermöglichen. Dafür fehlt es in beiden Fällen an alter-nativer Infrastruktur, namentlich einer Strasse, auf welcher Betroffene mittels eines Shuttleservice zumindest im Sinne der funktionalen Personenbeförderung zur jeweiligen Bergstation bzw. von dieser zur Talstation gebracht werden könnten. Die dafür notwendige Infrastruktur lässt sich aufgrund der Lage und des Geländes auch nicht mit verhältnismässigem Aufwand neu erstellen. Von einer angemessenen Ersatzlösung im Sinne von Artikel 12 Absatz 3 BehiG kann nicht gesprochen werden. Das Gleiche gilt z.B. für Helikopterflüge zu den Destinationen der beiden Bahnen: solche wären für die Betreibergesellschaft nicht zumutbar und als unverhältnismässig zu betrachten, da sich die Kosten für solche Flüge auf jeweils mehrere Hundert Franken belaufen. Ihre technische Machbarkeit sowie ihre Vereinbarkeit mit den Zielen des Natur-, Heimat- und Umweltschutzes wären ebenfalls kaum nachzuweisen.
5.2.4
Die Antragstellerin hat vorgeschlagen, den Personen, welche die Gelmer- und/oder die Reichenbachfall-Bahn auch mit Personalhilfe nicht nutzen können, kostenlos barrierefreie Führungen in den von der Antragstellerin betriebenen Kraftwerken Handeck 1, 2 und 2E inkl. Kristall-ausstellung sowie für die unterirdischen Kraftwerke Innertkirchen 1 und 1E anzubieten.
Das vorgeschlagene Alternativangebot stellt ein finanzielles Entgegenkommen der Antragstellerin dar. Betroffene, welche die Beförderungsangebote der Antragstellerin aufgrund ihrer Beeinträchtigung auch mit Personalhilfe nicht nutzen können, sollen damit als Ausgleich kostenlos eine von der Antragstellerin angebotene Alternative besuchen dürfen.
Das BAV begrüsst dieses Alternativangebot der Antragstellerin und sieht darin für betroffene Personen zumindest einen gewissen Ausgleich für die ihnen entstandene Benachteiligung. Das vorgeschlagene Alternativangebot stellt jedoch keinen Ersatz für das der Aufsicht des BAV unterstehende, konzessionspflichtige Beförderungsangebot dar. Es lässt sich damit vom BAV weder als Ersatzmassnahme gemäss Artikel 12 Absatz 3 BehiG verbindlich anordnen noch von diesem durchsetzen.
5.2.5
Es gilt deshalb zusammenfassend festzuhalten, dass im vorliegenden Fall vom BAV aufgrund der konkreten Umstände keine angemessene d.h. verhältnismässige Ersatzmassnahme für die beiden konzessionspflichtigen Beförderungsangebote der Antragstellerin angeordnet werden kann.
6.
Artikel 2 der Gebührenverordnung für den öffentlichen Verkehr vom 25. November 1998 (GebV-öV; SR 742.102 ) hält fest, dass derjenige eine Gebühr bezahlen muss, der eine Dienstleistung oder Verfügung nach Artikel 1 veranlasst. Unter Artikel 1 Buchstabe a GebV-öV fallen insbesondere sämtliche Verfügungen der Aufsichtsbehörde im Bereich Seilbahnen.
Angesichts des durch das vorliegende Gesuch verursachten Aufwandes ist der Antragstellerin eine Gebühr in der Höhe von 900 Franken aufzuerlegen. Die Gebühr wird 30 Tage nach Eröffnung oder im Falle der Anfechtung mit Eintritt der Rechtskraft des Beschwerdeentscheides fällig. Die Zahlungsfrist beträgt 30 Tage vom Eintritt der Fälligkeit an (Art. 15 GebV-öV).
7.
Gemäss Artikel 36 Buchstabe c VwVG kann die Behörde ihre Verfügung unter anderem in einer Sache mit zahlreichen Parteien in einem amtlichen Blatt eröffnen.
Die vorliegende Verfügung soll nicht nur gegenüber der Antragstellerin, sondern gegenüber jeder Person mit einer Beeinträchtigung, für welche der Zugang zu den Seilbahnanlagen der Antragstellerin eine Benachteiligung im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 BehiG darstellt, Rechtswirkung entfalten. Aus diesem Grund ist die Verfügung zusätzlich zur individuellen Eröffnung an die Antragstellerin amtlich zu publizieren.
III.
verfügt:
1.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin für die Gelmerbahn und die Reichenbachfall-Bahn von der Pflicht zur Beseitigung der Benachteiligung von Menschen mit einer Gehbeeinträchtigung befreit ist.
Auf die Anordnung der Beseitigung der Benachteiligung wird verzichtet.
2.
Es wird festgestellt, dass keine verhältnismässigen Ersatzmassnahmen angeordnet werden können.
3.
Der Antragstellerin wird eine Gebühr in Höhe von 900 Franken auferlegt.
4.
Die Verfügung ist der Antragstellerin eingeschrieben zu eröffnen.
5.
Die Verfügung ist im Bundesblatt amtlich zu publizieren.
Rechtsmittelbelehrung:
Gemäss Artikel 50 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968 (VwVG; SR 172.021 ) kann gegen diese Verfügung innerhalb von 30 Tagen nach deren Eröffnung beim Bundesverwaltungsgericht, Postfach, 9023 St. Gallen, schriftlich Beschwerde erhoben werden. Gemäss Artikel 20 VwVG beginnt die Beschwerdefrist bei persönlicher Eröffnung an die Parteien an dem auf die Eröffnung folgenden Tag zu laufen. Der Stillstand der Fristen richtet sich nach Artikel 22 a VwVG.
Die Beschwerdeschrift hat die Begehren und deren Begründung mit Angabe der Beweismittel zu enthalten. Die angefochtene Verfügung und die als Beweismittel angerufenen Urkunden sind beizulegen, soweit der Beschwerdeführer sie in Händen hat. Die Beschwerdeschrift ist vom Beschwerdeführer oder seinem Vertreter zu unterzeichnen; ein allfälliger Vertreter hat sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen. Die Kostentragung im Beschwerdeverfahren richtet sich nach Artikel 63 VwVG.
4. Oktober 2024 | Bundesamt für Verkehr Sektionschefin Recht: Joanna Ozimek Sektion Recht: Cédric Burkhardt |
Bundesrecht
Allgemeinverfügung. Bundesamt für Verkehr
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