Rundschreiben des Senators für Finanzen Nr. 05/2021 - Einladung schwerbehinderter Bewerber:innen zum Vorstellungsgespräch gemäß § 165 SGB IX
DE - Landesrecht Bremen

Rundschreiben des Senators für Finanzen Nr. 05/2021 - Einladung schwerbehinderter Bewerber:innen zum Vorstellungsgespräch gemäß § 165 SGB IX

Rundschreiben des Senators für Finanzen Nr. 05/2021 - Einladung schwerbehinderter Bewerber:innen zum Vorstellungsgespräch gemäß § 165 SGB IX

Rundschreiben des Senators für Finanzen Nr. 05/2021 Einladung schwerbehinderter Bewerber:innen zum Vorstellungsgespräch gemäß § 165 SGB IX

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Vorbemerkung

Das Neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) regelt im § 165 (bzw. § 82 a.F.) die besonderen Pflichten der öffentlichen Arbeitgeber:innen. Hier heißt es unter anderem: „Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.“
Die Formulierung wurde wortgleich in die Integrationsvereinbarung der Freien Hansestadt Bremen übernommen und durch die Ziffern 2.1.6 und 2.1.7 konkretisiert.
Der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) Bremen e. V. hat am 18. Januar 2021 ein gleichlautendes Schreiben (Rundschreiben Nr. A-3/2021) an seine Mitglieder zu diesem Themenkomplex veröffentlicht.

Konkretisierung des Begriffs „Vorstellungsgespräch“

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im Urteil 8 AZR 45/19 vom 27. August 2020 den Begriff des „Vorstellungsgesprächs“ nach § 165 Satz 3 SGB IX konkretisiert und die damit verbundene Einladungspflicht öffentlicher Arbeitgeber:innen bei mehrstufigen Auswahlverfahren erheblich ausgeweitet.

Sachverhalt

Im Jahr 2016 hatte sich der schwerbehinderte Kläger bei einem Landesbetrieb auf eine Führungsposition beworben. Wie bei dem Landesbetrieb üblich, wurde bei der Besetzung der Führungsposition ein mehrstufiges Auswahlverfahren durchgeführt. Dieses umfasste zunächst ein ca. einstündiges Auswahlgespräch. Im Anschluss daran wurden die Bewerber:innen, die im Rahmen des Gesprächs am meisten überzeugt hätten, zu einer ca. fünfstündigen Potenzialanalyse eingeladen werden. Der Kläger wurde zum Auswahlgespräch geladen, eine Einladung zur Potenzialanalyse erfolgte nicht, stattdessen erhielt der Kläger eine Absage.
Der Kläger begehrte im anschließenden einstweiligen Verfügungsverfahren Akteneinsicht sowie die Mitteilung der Ablehnungsgründe. Die Parteien einigten sich auf einen gerichtlichen Vergleich, in dem sich das beklagte Land verpflichtete, dem Kläger Akteneinsicht zu gewähren und diesen nachträglich zu der Potenzialanalyse einzuladen. Der Kläger erhielt nach Teilnahme an der Potenzialanalyse erneut eine Absage.
Seine daraufhin erhobene Klage richtete sich auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Das beklagte Land habe ihn aufgrund seiner Behinderung benachteiligt, indem es ihn nicht nach § 82 Satz 2 SGB IX a.F. zur Potenzialanalyse und damit nicht zu allen Teilen des Vorstellungsgesprächs eingeladen habe. Entscheide sich der öffentliche Arbeitgeber für ein mehrstufiges Auswahlverfahren, müsse er den schwerbehinderten Bewerber nach Sinn und Zweck der Vorschrift zu jeder Stufe einladen, da nur so eventuelle behinderungsbedingte Nachteile ausgeglichen und Vorbehalte ausgeräumt werden könnten.
Dass er nachträglich zur Potenzialanalyse eingeladen worden sei, beseitige die Vermutungswirkung des Verstoßes gegen § 82 Satz 2 SGB IX a.F. nicht. Das beklagte Land bestritt eine Benachteiligung des Klägers. Der Kläger habe im Auswahlgespräch nicht überzeugt und sei deswegen nicht zur Potenzialanalyse eingeladen worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren weiter. Das beklagte Land beantragte die Zurückweisung der Revision.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG gab der Revision statt und sprach dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 7.674,00 Euro zu, da er aufgrund seiner Behinderung unmittelbar benachteiligt worden sei.
Entgegen der Annahme der Vorinstanz, hätte das beklagte Land nach Auffassung des BAG den fachlich nicht offensichtlich ungeeigneten Kläger zu allen Teilen des Auswahlprozesses, also nicht nur zum Auswahlgespräch, sondern auch zu der anschließenden Potenzialanalyse einladen müssen.
Der Begriff „Vorstellungsgespräch“ im Sinne von § 82 Satz 2 SGB IX a.F. sei nicht eng im Sinne eines Gesprächs, in dem sich der Bewerber einmalig vorstellt, sondern weit auszulegen. Er umfasse – auch bei mehrstufigen Auswahlprozessen – grundsätzlich alle Instrumente der Personalauswahl, unabhängig der jeweiligen Bezeichnung, der angewandten Methode und der konkreten Durchführungsform, die nach der Konzeption des Arbeitgebers erforderlich seien, um sich einen umfassenden Eindruck von der fachlichen und persönlichen Eignung der Bewerber:innen zu verschaffen. Anderenfalls hätte der schwerbehinderte Bewerber entgegen dem gesetzgeberischen Anliegen nicht die Möglichkeit, einen nach dem bisherigen Verlauf des Auswahlverfahrens ggf. bestehenden Vorsprung anderer, nicht schwerbehinderter Bewerber:innen durch einen umfassenden persönlichen Eindruck auszugleichen. Schwerbehinderte Bewerber:innen seien daher zu allen Stufen eines Auswahlverfahrens einzuladen.
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG begründe der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, mithin auch der Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 82 Satz 2 SGB IX a.F. geregelte Pflicht, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen Behinderung (§ 22 AGG). Das beklagte Land habe keine Tatsachen vorgetragen, die diese Vermutung zu widerlegen vermochten. Weiterhin könne sich das beklagte Land nicht darauf berufen, ein etwaiger Verstoß gegen § 82 Satz 2 SGB IX a.F. sei durch die nachträgliche Einladung des Klägers zur Teilnahme an der Potenzialanalyse geheilt worden. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG kann der Verstoß gegen § 82 Satz 2 SGB IX a.F. gerade nicht nachträglich geheilt oder beseitigt werden.

Stellungnahme

Die vorgenommene Konkretisierung des Begriffs des „Vorstellungsgesprächs“ im Sinne von § 165 Satz 3 SGB IX (= § 82 Satz 2 SGB IX a.F.) geht in ganz erheblichem Maße über den Wortlaut der Gesetzesvorschrift hinaus, indem er bei mehrstufigen Auswahlprozessen auf alle Stufen des Auswahlprozesses, die nach der Konzeption der Arbeitgeber:innen erforderlich sind, um sich einen umfassenden Eindruck von der fachlichen und persönlichen Eignung der Bewerber:innen zu verschaffen, ausgeweitet wird. Die damit verbundene Einladungspflicht öffentlicher Arbeitgeber:innen wird damit erheblich erweitert.
Das BAG hält zwar die Möglichkeit für „nicht grundsätzlich ausgeschlossen“, auch weiterhin mehrstufig in dem Sinne zu verfahren, dass zunächst ein Auswahlgespräch durchgeführt werde und sodann mit Bewerber:innen, die dort überzeugt haben, auf einer weiteren Stufe ein weiterführendes Gespräch, Tests etc. durchzuführen. Dies sei jedoch nur dann ausreichend, wenn sich die Arbeitgeber:innen bereits auf Grundlage des Auswahlgesprächs einen „umfassenden Eindruck“ habe verschaffen können, ob Bewerber:innen über die fachliche und persönliche Eignung verfügen.
Diese Vorgehensweise ist für die öffentlichen Arbeitgeber:innen riskant und mit einem hohen Maß an Dokumentationsaufwand verbunden, um nachträglich erhobene Entschädigungsforderungen schwerbehinderter Bewerber:innen, die nach der ersten Stufe des Auswahlprozesses abgelehnt worden sind, abzuwehren. Die nachträgliche Heilung oder Beseitigung eines Verstoßes gegen die Einladungspflicht ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG nicht möglich.
Öffentlichen Arbeitgeber:innen ist daher zu empfehlen, schwerbehinderte Bewerber:innen, die für die ausgeschriebene Position nicht offensichtlich fachlich ungeeignet im Sinne von § 165 Satz 4 SGB IX sind, die Teilnahme an allen Stufen des Auswahlprozesses zu ermöglichen.
Ob schwerbehinderte Bewerber:innen für eine zu besetzende Stelle fachlich ungeeignet sind, ist nach der Rechtsprechung des BAG anhand eines Vergleichs zwischen dem fachlichen Anforderungsprofil des zu besetzenden Arbeitsplatzes und dem fachlichen Leistungsprofil der Bewerber:innen zu ermitteln. „Offensichtlich” fachlich nicht geeignet ist, wer unzweifelhaft nicht dem fachlichen Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht. Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung rechtfertigen es gerade nicht, von einer Einladung abzusehen.

Kontakt

Der Senator für Finanzen
Referat 33
Doventorscontrescarpe 172c
28195 Bremen
E-Mail: referat33@finanzen.bremen.de
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