Richtlinien für den Sozialdienst bei den Justizvollzugsanstalten des Landes Brandenburg
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Richtlinien für den Sozialdienst bei den Justizvollzugsanstalten des Landes Brandenburg

Richtlinien für den Sozialdienst bei den Justizvollzugsanstalten des Landes Brandenburg
vom 21. August 2024 ( JMBl/24, [Nr. 9] , S.97)
1 Vorbemerkungen
Der Sozialdienst wirkt an der Gestaltung und Erfüllung der Aufgaben auf der Grundlage des Brandenburgischen Justizvollzugsgesetzes (BbgJVollzG) und des Gesetzes über den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (BbgSVVollzG) mit und ermittelt den spezifischen Bedarf an sozialen Hilfen. Die Hilfs-, Betreuungs- und Behandlungsangebote sind darauf zu richten und so auszugestalten, dass sie die Lebenslagen der Inhaftierten und Untergebrachten verbessern, ihnen Möglichkeiten zur sozialen Integration bieten und sie in ihrer individuellen Persönlichkeitsentwicklung fördern. Ziel ist es, die Gefangenen und Untergebrachten zur eigenverantwortlichen und selbständigen Lösung ihrer Probleme im individuellen, familiär-sozialen und gesellschaftlichen Bereich zu befähigen. Dabei sind die bestehenden und sich wandelnden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse angemessen zu berücksichtigen.
2 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialdienstes
2.1 Bei den Justizvollzugsanstalten werden staatlich anerkannte (Bachelor) Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter beziehungsweise Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen eingestellt.
2.2 Die unter 2.1 genannten Bediensteten bilden den Sozialdienst.
2.3 Zur Unterstützung des Sozialdienstes können geeignete Kräfte zur Mitarbeit eingesetzt werden. Sie werden im Benehmen mit dem Sozialdienst der jeweiligen Justizvollzugsanstalt ausgewählt, eingesetzt, angeleitet und fachlich gefördert.
3 Grundsätze der Sozialen Arbeit
3.1 Soziale Arbeit versteht sich als eine angewandte Wissenschaft, deren Aufgabe darin besteht, praktische soziale Probleme zu lösen, zu lindern oder zu verhindern.
3.2 Soziale Arbeit hat zum Ziel, Gefangene und Untergebrachte bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu unterstützen und sie zu befähigen, ein Leben in Eigenverantwortung ohne weitere Straftaten zu führen und sich mit der Tat und deren Folgen auseinanderzusetzen und durch Straftaten entstandene Schäden wiedergutzumachen.
3.3 Soziale Arbeit unterstützt Gefangene und Untergebrachte bei der Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten. Sie leistet einen Anteil bei der Herstellung und Erhaltung der persönlichen Kontakte der Gefangenen und Untergebrachten und trägt dazu bei, Ausgrenzung entgegenzuwirken und soziale Beziehungen zu stabilisieren.
3.4 Soziale Arbeit trägt dazu bei, eine erneute Inhaftierung zu vermeiden oder auf das zwingend notwendige Maß zu verkürzen.
3.5 Soziale Arbeit dient dem Schutz der Gesellschaft und der Wiederherstellung des sozialen Friedens.
3.6 Soziale Arbeit erfordert eine geregelte enge Kooperation und Vernetzung aller an der Resozialisierung mitwirkenden Personen und Organisationen.
4 Ziele und rechtlicher Rahmen
4.1 Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialdienstes berücksichtigen bei ihren Tätigkeiten wissenschaftlich fundierte und anerkannte Erkenntnisse und Methoden der sozialen Arbeit im Justizvollzug. Ihre Tätigkeit ist in erster Linie darauf gerichtet, die Gefangenen und Untergebrachten zu befähigen, ihre Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu regeln.
4.2 Sie wirken an der Erfüllung der Aufgaben des Vollzugs mit.
4.3 Die Tätigkeit des Sozialdienstes richtet sich nach den geltenden Vorschriften, gesetzlichen Grundlagen und institutionellen Regelungen.
5 Methoden der Sozialarbeit, Supervision und Fortbildung
5.1 Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialdienstes bedienen sich der Methoden, die ihnen im Rahmen ihres Studiums und in berufsbegleitender Fortbildung vermittelt wurden. Sie haben sich fachlich fortzubilden.
5.2 Methoden der Sozialen Arbeit bezeichnen detailliert planbare, geregelte und zielorientierte Wege der Problemlösung.
5.3 In ihrer Arbeit bedienen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialdienstes unter anderem der klassischen Methoden der Sozialen Arbeit wie Einzelfallhilfe, Soziale Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit.
5.4 Im Rahmen der Evaluation von Maßnahmen und Projekten findet eine Zusammenarbeit mit dem Kriminologischen Dienst statt.
5.5 Das für Justiz zuständige Ministerium ermöglicht im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen eine bedarfsgerechte Supervision für die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Die Inanspruchnahme von Supervision wird erwartet.
6 Interne und externe Zusammenarbeit
6.1 Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben arbeitet der Sozialdienst mit den anderen Bediensteten zusammen. Maßnahmen, die den Zuständigkeitsbereich anderer Bediensteter berühren, stimmen sie mit diesen ab.
6.2 Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialdienstes arbeiten im Rahmen der Vernetzung mit anderen sozialen Diensten, Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege, weiteren zuständigen Behörden und sonstigen Bezugspersonen der Gefangenen und Untergebrachten zusammen.
6.3 Bei Übergang aus der Bewährungshilfe oder der Führungsaufsicht in den Justizvollzug sowie bei einer Entlassung aus dem Justizvollzug in die Bewährungs- oder Führungsaufsicht findet eine fachgerechte Überleitung statt, die durch einen verbindlichen, frühzeitigen und zielgerichteten Austausch aller jeweils relevanten Informationen und die gemeinsame Abstimmung der Vorgehensweise, erforderlichenfalls der gegenseitigen Unterstützung gekennzeichnet ist.
7 Aufgaben
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialdienstes nehmen - unter Beachtung der jeweils aktuell gültigen Qualitätsstandards - insbesondere folgende Aufgaben wahr:
7.1 Führung des Sozialpädagogischen Erstgesprächs verbunden mit Maßnahmen zur Wohnungssicherung, Sicherung der Habe, Abmeldung bei Behörden
7.2 Erstellung einer Sozialanamnese im Rahmen des Diagnoseverfahrens (§ 13 BbgJVollzG)
7.3 Ermittlung des Förder- und Erziehungsbedarfes bei jungen Untersuchungsgefangenen (§ 16 BbgJVollzG)
7.4 Stellungnahme zur Vollzugs- und Eingliederungsplanung (§§ 14, 15 BbgJVollzG)
7.5 Vorbereitung der Eingliederung in die Gesellschaft (§ 50 BbgJVollzG)
7.6 Vermittlung in Schuldnerberatung
7.7 Vermittlung in Suchtberatung
7.8 Gespräche mit den Inhaftierten über die Straftat, Straffälligkeit, Persönlichkeitsdefizite und soziale Kompetenzen, gegebenenfalls unter Einbeziehung externer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sowie Koordination und Begleitung der entlassungsvorbereitenden Maßnahmen
7.9 Einschätzung zu sozialen Kontakten einschließlich deren Förderwürdigkeit
7.10 Einbeziehung von Bezugspersonen und Einrichtungen außerhalb des Vollzuges
7.11 Gespräche aufgrund schriftlicher Anträge der Gefangenen
7.12 Zuarbeit zu Stellungnahmen zur vorzeitigen Entlassung gemäß §§ 57, 57a des Strafgesetzbuches (StGB), § 88 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG), im Rahmen der Führungsaufsicht gemäß § 68 StGB und im Rahmen der Gnadenordnung
7.13 Zuarbeit zu Stellungnahmen zur Frage des Absehens von der Strafverfolgung gemäß § 456a der Strafprozessordnung
7.14 Stellungnahmen im Rahmen der Haftentscheidungshilfe
7.15 Stellungnahmen zu Anträgen auf Besuchsüberstellung
7.16 Stellungnahme zu Anträgen von Gefangenen auf Verlegung in Abweichung vom Vollstreckungsplan
7.17 Zuarbeiten zu Stellungnahmen zur Ausnahme vom Jugendvollzug gemäß § 89b JGG
7.18 Akquise, Koordinierung und Betreuung von externen Kräften im Rahmen sozialpädagogischer Behandlungsangebote innerhalb und außerhalb der Anstalt
7.19 Gewinnung und Betreuung von Ehrenamtlichen, Mitwirkung am Zulassungsverfahren
7.20 Praktikumsbetreuung von Studentinnen und Studenten der Sozialarbeit und Sozialpädagogik
7.21 Mitwirkung bei der Konzeption und Gestaltung der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Wohneinheiten, Wohngruppen und sonstigen Vollzugsbereichen
7.22 Mitwirkung bei der vollzugsinternen Bedarfsanalyse in Bezug auf benötigte Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen zur Erreichung des Vollzugsziels
8 Dienst- und Fachaufsicht
8.1 Die Anstaltsleitung kann in fachlichen Angelegenheiten des Sozialdienstes, die sich ihrer Beurteilung entziehen, Auskunft verlangen und Anregungen geben.
8.2 Bei fachlichem Dissens zwischen der Anstaltsleitung und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sozialdienstes in spezifisch sozialarbeiterischen Fragen kann die Anstaltsleitung, sofern keine Einigung zwischen den Beteiligten erzielt wird, die Sache der Aufsichtsbehörde zur Entscheidung vorlegen. Bis zur Entscheidung der Aufsichtsbehörde kann die Anstaltsleitung die Durchführung von Maßnahmen aussetzen, die nach ihrer Ansicht ohne Aussetzung die Sicherheit der Anstalt oder die (Gesamt-)Behandlung der oder des Gefangenen gefährden würden.
8.3 Dem für Justiz zuständigen Ministerium steht für die Wahrnehmung seiner Fachaufsicht eine hauptamtliche Sozialarbeiterin oder ein hauptamtlicher Sozialarbeiter zur Verfügung (§ 115 Absatz 2 BbgJVollzG).
9 Leitungsfunktionen
9.1 Den unter 2.1 genannten Bediensteten kann die Leitung von Vollzugseinheiten (zum Beispiel Wohngruppen) mit besonderen Betreuungs- und Behandlungsschwerpunkten übertragen werden.
9.2 Den unter 2.1 genannten Bediensteten können gemäß gesonderter Richtlinie Leitungsfunktionen übertragen werden, die über Nummer 9.1 hinausgehen.
10 Sozialdienstkonferenz
10.1 In Justizvollzugsanstalten mit mindestens drei Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter beziehungsweise Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen führen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Erfüllung und Koordinierung ihrer Aufgaben regelmäßig Sozialdienstkonferenzen durch.
10.2 Die Anstaltsleitung sowie durch diese bestimmte Bedienstete sowie die fachaufsichtsführende Sozialarbeiterin oder der fachaufsichtsführende Sozialarbeiter des für Justiz zuständigen Ministeriums können daran teilnehmen.
10.3 Über die Konferenz wird ein Protokoll geführt.
11 Sprecherinnen und Sprecher des Sozialdienstes
11.1 In Justizvollzugsanstalten mit mindestens drei Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern beziehungsweise Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen werden eine Sprecherin oder ein Sprecher sowie eine Vertretung bestellt.
11.2 Die Bediensteten des Sozialdienstes der jeweiligen Anstalt wählen eine Sprecherin oder einen Sprecher und eine Vertretung, die sie der Anstaltsleitung zur Bestellung vorschlagen. Bedenken gegen die Bestellung erörtert die Anstaltsleitung mit dem Sozialdienst mit dem Ziel der Einigung. Kommt diese nicht zustande, berichtet die Anstaltsleitung dem für Justiz zuständigen Ministerium.
Die Bestellung der Sprecherin oder des Sprechers und deren Vertretung erfolgt für die Dauer von drei Jahren, eine Wiederwahl ist möglich. Die Anstaltsleitung kann die Bestellung widerrufen, wenn zwingende dienstliche Gründe vorliegen.
Über die Bestellung und Abberufung wird dem für Justiz zuständigen Ministerium berichtet.
Die Aufgaben der Sprecherin oder des Sprechers sind im Geschäftsverteilungsplan zu berücksichtigen. Sie werden von ihrer sonstigen Tätigkeit zu 20 Prozent entlastet.
11.3 Die Sprecherin oder der Sprecher soll einerseits die fachlichen Belange der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vertreten und andererseits der Anstaltsleitung sowie dem für Justiz zuständigen Ministerium in fachlichen Angelegenheiten des Sozialdienstes als Ansprechperson zur Verfügung stehen.
11.4 Die Anstaltsleitung beteiligt die Sprecherin oder den Sprecher bei der Vorbereitung wichtiger und grundlegender Entscheidungen im Vollzug (Organisation, Struktur, Konzeption, Ausgestaltung) und insoweit auch an Dienstbesprechungen und Konferenzen.
11.5 Zu den Aufgaben der Sprecherin oder des Sprechers gehören:
Einberufung und Leitung der Sozialdienstkonferenz,
Einweisung und koordinierende Anleitungen neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Ausbildung von Praktikantinnen und Praktikanten sowie Beratung ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer,
Anregung und Förderung von Fallbesprechungen und Supervisionen,
Teilnahme an den landesweiten Dienstbesprechungen der Sprecherinnen und Sprecher des Sozialdienstes,
Teilnahme an landesweiten fachthemenbezogenen Dienstbesprechungen mit den Sozialen Diensten der Justiz,
Akquise externer Behandlungsmaßnahmen entsprechend der vollzugsinternen Bedarfsanalyse,
Mitwirkung bei der Haushaltsplanung in den die Sozialarbeit betreffenden Bereichen,
Mitwirkung, den Bereich des Sozialdienstes betreffend, bei der Einstellung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Geschäftsverteilung,
Mitwirkung bei fachlichen Beurteilungen durch Erstellung eines Beurteilungsbeitrages an Hand der Qualitätsstandards, gegebenenfalls unter Einbeziehung der Fachaufsicht des für Justiz zuständigen Ministeriums,
Verteilung von Aufgaben des Sozialdienstes, die im Geschäftsverteilungsplan nicht geregelt sind,
Entwicklung und Umsetzung von Konzepten zur Organisation und zur Wahrnehmung besonderer Aufgabengebiete sowie
Fachöffentlichkeitsarbeit in Abstimmung mit der Anstaltsleitung.
12 Inkrafttreten, Außerkrafttreten
Diese Allgemeine Verfügung tritt am 1. Oktober 2024 in Kraft. Gleichzeitig tritt die Allgemeine Verfügung vom 1. März 1998 außer Kraft.
Potsdam, den 21. August 2024
Die Ministerin der Justiz
Susanne Hoffmann
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