Absehen von der Strafverfolgung und von der Strafvollstreckung bei Auslieferung und Ausweisung (§§ 154b, 456a StPO)
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Absehen von der Strafverfolgung und von der Strafvollstreckung bei Auslieferung und Ausweisung (§§ 154b, 456a StPO)

Absehen von der Strafverfolgung und von der Strafvollstreckung bei Auslieferung und Ausweisung (§§ 154b, 456a StPO)

AV d. MJ v. 30.4.2020 - 4300-401.93 -
Vom 30. April 2020 (Nds. MBl. S. 524) (1)
- VORIS 34100 -
Redaktionelle InhaltsübersichtAbschnitt
Allgemeines1
Absehen von der Strafverfolgung gemäß § 154b StPO2
Absehen von der Strafvollstreckung nach § 456a StPO3
Verhältnis zu anderen Verfahren4
Berichtspflicht5
Schlussbestimmungen6
(1) Red. Anm.:
Nds. Rpfl. S. 229

Abschnitt 1 StPO§154bAV - Allgemeines

In Verfahren gegen Personen, deren Auslieferung bewilligt worden ist oder deren Ausweisung verfügt ist, kann gemäß § 154b StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage und gemäß § 456a StPO von der Strafvollstreckung abgesehen werden. Hiervon soll in geeigneten Fällen nach Maßgabe der folgenden Grundsätze Gebrauch gemacht werden:
Entschließungen nach den §§ 154b und 456a StPO kommen erst in Betracht, wenn die Auslieferung bewilligt oder die Ausweisung vollziehbar angeordnet ist und diese Maßnahmen unmittelbar im Anschluss an das Absehen von weiterer Strafverfolgung oder -vollstreckung durchgeführt werden sollen.
Red. Hinweis zur Geltungsdauer
Außer Kraft am 1. Juni 2025 durch Nummer 6 der AV vom 30. April 2020 (Nds. MBl. S. 524, Nds. Rpfl. Nr. 7/2020 S. 229)

Abschnitt 2 StPO§154bAV - Absehen von der Strafverfolgung gemäß § 154b StPO

2.1 Ein Absehen von der Strafverfolgung gemäß § 154b StPO ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung oder das öffentliche Interesse wegen der Schwere der Tat oder der Gefährlichkeit der oder des Beschuldigten die Durchführung des Strafverfahrens gebietet. Dies gilt namentlich in Verfahren wegen
Straftaten gegen das Leben,
organisierter Kriminalität,
schwerer Betäubungsmittelkriminalität,
gewerbsmäßiger Straftaten und Bandendelikte,
schwerer Sexualstraftaten oder
gegen Beschuldigte, die nach Ausweisung unerlaubt erneut in die Bundesrepublik Deutschland
eingereist sind.
2.2 In den in Betracht kommenden Fällen verfährt die Staatsanwaltschaft wie folgt:
a)
Die Beweise sind zu sichern. Erforderlichenfalls ist eine richterliche Vernehmung der beschuldigten Person herbeizuführen, namentlich dann, wenn sie als Zeugin oder Zeuge in einem anderen Verfahren benötigt werden könnte (z. B. für Verfahren gegen Angehörige von Schlepperorganisationen).
b)
Das Einvernehmen mit der Abschiebung ist gegenüber der Ausländerbehörde unverzüglich, regelmäßig innerhalb einer Woche, zu erklären.
c)
Erforderlichenfalls ist bei dem Gericht die vorläufige Verfahrenseinstellung zu beantragen ( § 154b Abs. 4 Satz 1 StPO ).
d)
Die beschuldigte Person ist über die möglichen Rechtsfolgen im Fall ihrer Rückkehr zu belehren.
e)
Die notwendigen Fahndungsmaßnahmen für den Fall unerlaubter Rückkehr sind einzuleiten (Niederlegung eines Suchvermerks im Bundeszentralregister, Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung, ggf. Haftbefehl mit Ausschreibung zur Festnahme).
f)
Die Ausländerbehörde ist über den Zeitpunkt der Strafverfolgungsverjährung zu unterrichten.
g)
Die Ausländerbehörde ist um Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft zu ersuchen, sofern die beschuldigte Person vor Eintritt der Strafverfolgungsverjährung in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehrt.
Red. Hinweis zur Geltungsdauer
Außer Kraft am 1. Juni 2025 durch Nummer 6 der AV vom 30. April 2020 (Nds. MBl. S. 524, Nds. Rpfl. Nr. 7/2020 S. 229)

Abschnitt 3 StPO§154bAV - Absehen von der Strafvollstreckung nach § 456a StPO

3.1 Ein Absehen von der Vollstreckung gemäß § 456a StPO kommt in der Regel nicht in Betracht, wenn das öffentliche Interesse oder die Gefährlichkeit der Straftäterin oder des Straftäters die Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Maßregel der Besserung und Sicherung gebietet. Namentlich in Verfahren wegen
organisierter Kriminalität,
schwerer Betäubungsmittelkriminalität,
gewerbsmäßiger Straftaten und Bandendelikte oder
schwerer Sexualstraftaten
wird in der Regel nicht von der Strafvollstreckung abgesehen werden können, es sei denn, eine vollziehbare Ausweisungsverfügung kann zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr durchgesetzt werden.
3.2 Die Zeitpunkte der Entscheidungen nach § 456a StPO werden wie folgt festgelegt:
a)
Von der Strafvollstreckung einer zeitigen Freiheitsstrafe oder einer Jugendstrafe kann vor Verbüßung der Hälfte abgesehen werden, wenn die bisherige Freiheitsentziehung in dem Verfahren bei anschließender Auslieferung oder Ausweisung zur Einwirkung auf die verurteilte Person ausreichend erscheint. Dies gilt namentlich,
aa)
wenn mit der bedingten Entlassung gemäß § 57 Abs. 2 StGB oder § 88 JGG nach der Hälfte der Strafzeit zu rechnen ist,
bb)
wenn die Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt war und der Widerruf der Aussetzung wegen der Verletzung von Auflagen und Weisungen oder wegen einer neuen Straftat erfolgte, die nicht zu einer Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe geführt hat,
cc)
wenn die verurteilte Person im Ausland zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die gesamtstrafenfähig wäre, sofern die Strafe durch ein deutsches Gericht verhängt worden wäre, und ein Härteausgleich bei der Bildung der zu vollstreckenden Strafe noch nicht erfolgt ist.
b)
Zum Zeitpunkt der Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe oder einer Jugendstrafe soll in der Regel von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden.
c)
Über die Hälfte der Strafzeit hinaus soll eine zeitige Freiheitsstrafe oder eine Jugendstrafe nur vollstreckt werden, wenn aus besonderen, in der Tat oder in der Person der oder des Verurteilten liegenden Gründen eine weitere Vollstreckung geboten ist; die Gründe sind aktenkundig zu machen.
d)
Bei lebenslanger Freiheitsstrafe kommt ein Absehen von weiterer Vollstreckung in der Regel nicht vor Verbüßung von 15 Jahren in Betracht. In Ausnahmefällen kann vor diesem Zeitpunkt gemäß § 456a StPO verfahren werden, namentlich wenn der Gesundheitszustand der verurteilten Person schwerwiegend beeinträchtigt ist oder nicht sicher ist, dass eine vollziehbare Ausweisungsverfügung auch zu einem späteren Zeitpunkt durchgesetzt werden kann. Eine Maßnahme nach § 456a StPO kommt nicht in Betracht, wenn die besondere Schwere der Schuld die weitere Vollstreckung
gebietet. Das Absehen von der weiteren Vollstreckung bedarf der Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft.
e)
Bei freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung ist stets zu prüfen, ob von der Vollziehung abgesehen werden kann, weil Besserungs- und Sicherungsinteressen dem Heimatstaat der verurteilten Person überlassen bleiben können. Ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten ( §§ 66 bis 66b StGB ), so kann von der weiteren Vollziehung nur in Ausnahmefällen abgesehen werden, namentlich wenn der Gesundheitszustand der verurteilten Person schwerwiegend beeinträchtigt ist oder nicht sicher ist, dass eine vollziehbare Ausweisungsverfügung auch zu einem späteren Zeitpunkt durchgesetzt werden kann, und ausreichende Vorsorge für eine Sicherung oder Behandlung der verurteilten Person im Ausland getroffen werden kann.
f)
Von der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe soll im Fall der Auslieferung oder Ausweisung der verurteilten Person abgesehen werden, wenn die tatsächliche Ausreise kurzfristig erfolgen soll. Ist neben der Ersatzfreiheitsstrafe noch eine andere zeitige Freiheitsstrafe zu vollstrecken, so ist diese für die Entscheidung nach § 456a StPO maßgebend. Scheidet danach ein Absehen von der Strafvollstreckung aus, so ist auch die Ersatzfreiheitsstrafe zu vollstrecken.
3.3 Der Verfahrensgang wird wie folgt festgelegt:
a)
Die Vollstreckungsbehörde prüft
bei Einleitung der Vollstreckung,
vor Verbüßung der Hälfte der Strafe,
vor Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe,
auf Antrag der Justiz- oder Maßregelvollzugsanstalt,
ob und zu welchem Zeitpunkt ein Absehen von der weiteren Vollstreckung in Betracht kommt. Die Vollstreckungsbehörde setzt sich im Fall der Auslieferung und Ausweisung einer oder eines Nichtdeutschen mit der Ausländerbehörde in Verbindung, um zu klären, ob eine Ausweisungsverfügung ergangen oder zu erwarten ist.
b)
Regt die Justizvollzugsanstalt das Absehen von der Vollstreckung an, so fügt sie einen Führungsbericht bei.
c)
Beabsichtigt die Vollstreckungsbehörde, von der weiteren Vollstreckung abzusehen, so unterrichtet sie sowohl die Justizvollzugsanstalt als auch im Fall der Auslieferung und Ausweisung einer oder eines Nichtdeutschen die Ausländerbehörde. Die Vollstreckungsbehörde trifft ihre Entscheidung so frühzeitig, dass die zur Abschiebung aus der Haft notwendigen Vorbereitungen der Justizvollzugsanstalt und der Ausländerbehörde rechtzeitig abgeschlossen werden können und sich eine Prüfung der Frage der bedingten Entlassung ( §§ 57 , 57a StGB , § 88 JGG ) erübrigt. Entsprechendes gilt für die Vollziehung einer Maßregel der Besserung und Sicherung in einem Landeskrankenhaus und für die Frage einer bedingten Entlassung nach § 67e StGB .
d)
Die Vollstreckungsbehörde ergreift alle geeigneten Maßnahmen, damit bei einer etwaigen Rückkehr der verurteilten Person die Vollstreckung nachgeholt oder fortgesetzt werden kann ( § 456a Abs. 2 Satz 3 StPO , § 17 Abs. 2 Satz 1 der Strafvollstreckungsordnung ). Die Belehrung nach § 456a Abs. 2 Satz 4 StPO , § 17 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 der Strafvollstreckungsordnung soll sich auch darauf erstrecken, dass mit der Nachholung oder Fortsetzung der Vollstreckung bei einer Wiedereinreise auch dann zu rechnen ist, wenn die Wirkung der Ausweisung, Abschiebung oder Zurückschiebung (Verbot der Einreise und des Aufenthalts) bereits durch Ablauf der Befristung aufgehoben ist. Die Vollzugsanstalt erteilt die Belehrung in einer der verurteilten Person verständlichen Sprache. Über die Belehrung fertigt die Vollzugsanstalt eine Niederschrift, die sie der Vollstreckungsbehörde übersendet.
e)
Sind mehrere Strafen zu vollstrecken, so setzen sich die zuständigen Vollstreckungsbehörden miteinander in Verbindung, um ein Einvernehmen über das weitere Vorgehen herbeizuführen. Bei der Berechnung des Zeitpunktes, zu dem gemäß § 456a StPO von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden soll, ist von der Summe der zu vollstreckenden
Strafen auszugehen.
Red. Hinweis zur Geltungsdauer
Außer Kraft am 1. Juni 2025 durch Nummer 6 der AV vom 30. April 2020 (Nds. MBl. S. 524, Nds. Rpfl. Nr. 7/2020 S. 229)

Abschnitt 4 StPO§154bAV - Verhältnis zu anderen Verfahren

4.1 Die Regelungen über das Absehen von der Vollstreckung nach § 456a StPO und über die Vollstreckungshilfe nach dem IRG, einem Akt der EU oder einer sonstigen völkerrechtlichen Vereinbarung, soweit unmittelbar innerstaatlich anwendbar, stehen rechtlich unabhängig nebeneinander. Die jeweils geltenden völkerrechtlichen Akte und Vereinbarungen können dem Länderteil der Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) entnommen werden. Die Vollstreckungsbehörde entscheidet über die zu treffenden Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen, bei anhängigem Vollstreckungshilfeverfahren holt sie die vorherige Zustimmung des MJ ein, wenn sie von § 456a StPO Gebrauch machen will.
4.2 § 456a StPO bietet in der Regel ein einfacheres Verfahren als eine Überstellung auf der Grundlage des IRG oder eines völkerrechtlichen Aktes. Im Fall des § 456a StPO ist eine Einigung mit dem Vollstreckungsstaat nicht erforderlich. Zudem kann die Vollstreckung bei einer Wiedereinreise zumeist durch einen Vollstreckungshaftbefehl gesichert werden, wogegen bei der Vollstreckungshilfe regelmäßig eine Aussetzung der Vollstreckung im Urteilsstaat erfolgen muss.
Ein Vollstreckungshilfeverfahren ist dagegen insbesondere dann vorzuziehen, wenn ein Ausschlussgrund nach Nummer 3.1 vorliegt, eine Überstellung vor Ablauf der in Nummer 3.2 genannten Fristen möglich erscheint oder eine Vollstreckung über die in Nummer 3.2 genannten Zeiträume hinaus geboten ist.
Red. Hinweis zur Geltungsdauer
Außer Kraft am 1. Juni 2025 durch Nummer 6 der AV vom 30. April 2020 (Nds. MBl. S. 524, Nds. Rpfl. Nr. 7/2020 S. 229)

Abschnitt 5 StPO§154bAV - Berichtspflicht

Dem MJ ist vorab zu berichten, wenn die Vollstreckungsbehörde
bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe,
bei einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung
oder
in Fällen von außergewöhnlicher Bedeutung
von der Vollstreckung nach § 456a StPO absehen will oder wenn eine deutsche Staatsangehörige oder ein deutscher Staatsangehöriger zur Vollstreckung einer ausländischen Strafe ausgeliefert werden soll.
Red. Hinweis zur Geltungsdauer
Außer Kraft am 1. Juni 2025 durch Nummer 6 der AV vom 30. April 2020 (Nds. MBl. S. 524, Nds. Rpfl. Nr. 7/2020 S. 229)

Abschnitt 6 StPO§154bAV - Schlussbestimmungen

Diese AV tritt am 1.6.2020 in Kraft und mit Ablauf des 31.5.2025 außer Kraft.
Red. Hinweis zur Geltungsdauer
Außer Kraft am 1. Juni 2025 durch Nummer 6 der AV vom 30. April 2020 (Nds. MBl. S. 524, Nds. Rpfl. Nr. 7/2020 S. 229)
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