Verordnung über das Jugendstrafrecht (331)
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Verordnung über das Jugendstrafrecht

Verordnung über das Jugendstrafrecht (Jugendlichen-Verordnung) vom 24. November 1941
1 Der Grosse Rat des Kantons Appenzell I. Rh., in Anwendung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) vom 21. Dezember
1937, Art. 369 –373 und Art. 82–99, in Ausführung der kantonalen Strafprozess-Ordnung (StPO) vom 27. April 1941, Art. 3, 5, 10 und 90, verordnet: Geltungsbereich und Organe Art. 1
1 Nach dieser Verordnung werden Minderjährige im Alter von sechs bis achtzehn Jahren beurteilt, welche eine durch das StGB oder durch das kantonale Recht mit Strafe bedrohte Tat begehen.
2 Die vorgesehenen Massnahmen und Strafen haben dem Zweck der Fürsorge und Erziehung zu dienen. Art. 2
1 Für die Behandlung rechtsbrecherischer Minderjähriger (d.h. von Kindern im Alter von sechs bis vierzehn Jahren und von Jugendlichen im Alter von über vierzehn bis achtzehn Jahren) gelten die Bestimmungen des Sonder-Strafrechtes des StGB und dieser Verordnung (Art. 82–99 StGB).
2 Die allgemeinen Bestimmungen des StGB über den Geltungsbereich und über die Strafbarkeit finden sinngemässe Anwendung. Art. 3
1 Die Organe im Jugendstrafrecht sind:

1. der Jugendsekretär;

2. das Jugendgericht;

3. die Standeskommission.

1 Mit Revision vom 28. Oktober 1996.
2 Zur Versorgung und zur Beaufsichtigung der Erziehung von minderjährigen Rechtsbrechern sollen die zuständigen Organe – soweit tunlich – die Mitwirkung der Bezirks-Kinderschutzkommissionen, von freiwilligen Vereinigungen für verwahrloste Kinder und Jugendliche, wie auch von Sachverständigen (Geistlichen, Lehrern, Ärzten usw.) in Anspruch nehmen. – Zur persönlichen Einvernahme von Kindern und von jugendlichen Mädchen sind nach Tunlichkeit Frauen beizuziehen. Art. 4
1 Die Standeskommission wählt für den innern Landesteil und für Oberegg je einen Jugendsekretär und bestimmt das betreffende Dienstverhältnis.
2 Der Jugendsekretär führt die Untersuchung (durch Feststellung des strafrechtlichen Tatbestandes und der persönlichen Verhältnisse), stellt und begründet seinen An- trag vor Jugendgericht und veranlasst und überwacht den Vollzug. – Dem Jugend- sekretär ist auch die Jugendschutzaufsicht übertragen.
3 Er untersteht der direkten Aufsicht und den Weisungen des zuständigen Jugendge- richtes und dessen Ausschusses. Art. 5
1 Als Jugendgericht amtet die zuständige Vormundschaftsbehörde. Es entscheidet über die Massnahmen und Strafen gegen rechtsbrecherische Minderjährige.
2 Leichtere Fälle kann das Jugendgericht dem Ausschuss zur Erledigung übertragen, unter Vorbehalt des Weiterzuges an die Gesamtbehörde.
3 Über den Zivilanspruch eines Geschädigten urteilt das ordentliche Gericht. Im Ein- verständnis der Parteien kann aber der betreffende Anspruch dem Jugendgericht zur Entscheidung übertragen werden. Art. 6
1 Vom Jugendgericht ergangene Entscheide (evtl. auch ihm übertragene Entscheide über Zivilansprüche) können innert zehn Tagen von den betroffenen Parteien (d.h. von dem gesetzlichen Vertreter des beurteilten Minderjährigen und evtl. dem Ge- schädigten) an die Standeskommission weitergezogen werden, welche Behörde endgültig entscheidet. – Der Rekurs hat aufschiebende Wirkung.
2 Mutwillige Rekurse können mit Ordnungsbusse in Höhe von Fr. 5.— bis 50.— ge- ahndet werden. Verfahren Art. 7 Für das Verfahren gelten nachstehende Bestimmungen:

1. Die Untersuchung gegen Minderjährige ist vom Verfahren gegen Erwachsene

getrennt zu halten, soweit der Zweck der Untersuchung es gestattet. Auch an- lässlich der Gerichtsverhandlung und beim Massnahmen- und Strafenvollzug soll eine Berührung mit erwachsenen Rechtsbrechern vermieden werden.

2. Die Anordnung der Untersuchungshaft ist möglichst zu vermeiden. Auf alle

Fälle ist der Jugendliche von den andern Häftlingen getrennt zu halten.

3. Das Recht der Zeugenschaftsverweigerung besteht bei der Feststellung der

persönlichen Verhältnisse eines beklagten Minderjährigen nur so weit, als der Zeuge Amts- oder Berufsgeheimnisse zu wahren hat oder sich selbst eines strafbaren Verhaltens bezichtigen müsste.

4. Nach Abschluss der Untersuchung überweist der Jugendsekretär die Akten

dem Präsidenten des Jugendgerichts, welcher entweder die Ergänzung der Untersuchung oder die Weiterleitung an das Jugendgericht oder an den Aus- schuss veranlasst.

5. Kinder und Jugendliche sind von der Anhörung der Parteiverhandlungen aus-

zuschliessen. – Der Jugendgerichtspräsident kann bei Vorliegen besonderer Gründe vom persönlichen Erscheinen vor Gericht dispensieren.

6. Die Gerichtsverhandlungen sind nicht öffentlich. – Private Verteidiger sind in

der Regel zuzulassen. – Der Jugendgerichtspräsident kann auf Ersuchen hin Eltern, Vormünder, Fürsorger und allenfalls Geschädigte zu den Verhandlun- gen zulassen. – Über die eventuelle Anordnung einer amtlichen Verteidigung entscheidet das Gericht. Art. 8
1
1 Die Kosten des Verfahrens, der Massnahmen und der Versorgung tragen die El- tern, evtl. der rechtsbrecherische Minderjährige (Art. 272 ZGB).
2 Können in den Fällen, in denen es sich um hierorts Beheimatete handelt, weder die Eltern noch der beurteilte Minderjährige die Kosten bezahlen, so hat – unter Vorbe- halt der Unterstützungspflicht der Verwandten (Art. 328 ff. ZGB) – der Staat dafür aufzukommen.
3 Ist der rechtsbrecherische Minderjährige nicht im Kanton Appenzell I. Rh. heimat- berechtigt und ist die Kostendeckung für das Verfahren, die Massnahmen oder die Versorgung weder von den Eltern, dem Minderjährigen oder allfällig pflichtigen Ver- wandten, noch von den heimatlichen Behörden erhältlich, so bleibt die Heimschaf- fung vorbehalten.
4 Interkantonale und internationale Vereinbarungen bleiben vorbehalten.
1 Abgeändert (Abs. 2) durch GrRB vom 28. Oktober 1996 (Inkrafttreten: 1. Januar 1997).

Art. 9

Massnahmen und Strafen, welche die Versetzung in eine Familie oder Anstalt in sich schliessen, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung der Standes- kommission. Inkrafttreten Art. 10
1 Diese Verordnung tritt nach der Genehmigung durch den Bundesrat am 1. Januar
1942 in Kraft.
2 Die Standeskommission wird mit dem Vollzug beauftragt. Vom Bundesrat genehmigt am 8. Dezember 1941.
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