STRAFPROZESSORDNUNG
STRAFPROZESSORDNUNG (vom 29. April 1980 1 ; Stand am 1. Januar 2009) Der Landrat des Kantons Uri, gestützt auf Artikel 59 Buchstabe f der Kantonsverfassung 2 und auf Artikel 50 des Organisationsgesetzes für die urnerischen Gerichtsbehörden 3 , beschliesst:
1. Kapitel: GELTUNGSBEREICH UND ZUSTÄNDIGKEIT
Artikel 1 Geltungsbereich
1 Diese Verordnung gilt für die Behandlung von Strafsachen, die in die Ge- richtsbarkeit des Kantons fallen.
2 ... 4
3 Wo diese Verordnung für Personen und Funktionen die männliche Form wählt, gilt sie auch für weibliche Personen. 5
Artikel 2 Örtliche Zuständigkeit
1 Die örtliche Zuständigkeit zur Verfolgung und Beurteilung der nach eidge- nössischem Recht strafbaren Handlungen richtet sich nach den Bestim- mungen des eidgenössischen Rechts, insbesondere nach Artikel 340 bis 345 StGB und Artikel 38 JStG. 6
2 Diese Bestimmungen finden analoge Anwendung auf die Zuständigkeit zur Verfolgung und Beurteilung der nach kantonalem Recht strafbaren Hand- lungen. ___________
1 AB vom 29. Mai 1980
2 RB 1.1101
3 Jetzt Gesetz über die Organisation der ri chterlichen Behörden (Gerichtsorganisations- gesetz, GOG; RB 2.3221).
4 Aufgehoben durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
5 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
6 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006). 1
Artikel 3 Sachliche und funktionelle Zuständigkeit
1 Die sachliche und funktionelle Zuständigkeit der Organe der Strafrechts- pflege richtet sich nach den Bestimmungen des Gerichtsorganisationsge- setzes und nach dieser Verordnung.
2 Wo diese Verordnung das Landgericht als zuständig erklärt, ist dies für den Gerichtsbezirk Uri die strafrechtliche Abteilung des Landgerichts. Wo sie das Landgerichtspräsidium als zuständig erklärt, ist dies für den Ge- richtsbezirk Uri der Vorsitzende oder die Vorsitzende der strafrechtlichen Abteilung. Besondere Bestimmungen bleiben vorbehalten. 7
3 Im Gerichtsbezirk Ursern gilt das Gericht im Hauptverfahren auch ohne Haftrichter nach Artikel 117 als vollständig besetzt. 8
Artikel 4 9 Prüfung der Zuständigkeit
1 Die Organe der Strafrechtspflege haben die Zuständigkeit zur Verfolgung und Beurteilung von Amtes wegen zu prüfen. Gegenüber ausserkantonalen Behörden und Amtsstellen ist die Staatsanwaltschaft und im Rahmen der verhöramtlichen Untersuchung das Verhöramt zuständig, den urnerischen Gerichtsstand anzuerkennen. Ist der Gerichtsstand streitig, ist stets die Staatsanwaltschaft zur Anerkennung oder zur Vertretung des Kantons vor der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zuständig.
2 Die Staatsanwaltschaft ist zuständig, die Bundesanwaltschaft im Sinne von Artikel 337 Absatz 2 Buchstabe b StGB um Übernahme des Verfahrens zu ersuchen. Im Rahmen der verhöramtlichen Untersuchung ist hierzu das Verhöramt zuständig.
3 Bei fehlender Zuständigkeit nehmen die Organe der Strafrechtspflege die unaufschiebbaren Handlungen vor. Sie überweisen die Akten der zuständi- gen Amtsstelle oder Behörde.
4 Innerkantonale Streitigkeiten über die Zuständigkeit entscheidet das Obergericht endgültig. Interkantonal gilt Artikel 345 StGB.
Artikel 5 Vereinigung und Trennung von Verfahren
1 Mehrere Straftaten des gleichen Täters oder mehrerer Personen, die ge- meinsam als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen gehandelt haben, werden im gleichen Strafverfahren verfolgt und beurteilt.
2 Aus Zweckmässigkeitsgründen, namentlich um eine drohende Verjährung zu verhindern, kann eine Trennung vorgenommen werden. ___________
7 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
8 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
9 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
2
3 Das Verfahren gegen Jugendliche ist von demjenigen gegen Erwachsene so rasch als möglich zu trennen. 10
2. Kapitel: ALLGEMEINE VORSCHRIFTEN FÜR DAS VERFAHREN
1. Abschnitt: Verfahrensgrundsätze
Artikel 6 Achtung der Menschenwürde
Im ganzen Verfahren ist die menschliche Würde der Beteiligten zu achten.
Artikel 7 Zweck und Gesetzmässigkeit des Strafverfahrens
1 Die Organe der Strafrechtspflege ermitteln, untersuchen und beurteilen unparteiisch und im vorgeschriebenen Verfahren, ob und in welchem Masse
2 Sie achten darauf, dass weder ein Schuldiger der Strafe entgeht noch ein Schuldloser verfolgt wird.
Artikel 8 Verfolgungszwang
1 Die zuständigen Behörden sind verpflichtet, ein Verfahren durchzuführen, wenn ihnen eine von Amtes wegen zu verfolgende Straftat oder Verdachts- gründe bekannt werden.
2 Bei Ermächtigungsdelikten können die Strafverfolgungsbehörden schon vor der Erteilung der Ermächtigung unaufschiebbare beweissichernde Massnahmen treffen.
Artikel 9 11 Ausnahmen vom Verfolgungszwang
1 Die Staatsanwaltschaft oder das Gericht können von der Strafverfolgung oder der Bestrafung absehen, wenn die Voraussetzungen des Bundes- rechts erfüllt sind (Art. 52 ff. StGB). 12
2 Sofern dem nicht wesentliche Interessen der Privatklägerschaft entgegen- stehen, können sie ausserdem von einer Strafverfolgung absehen, wenn:
a) der Straftat neben den anderen den Beschuldigten zur Last gelegten Ta- ten für die Festsetzung der zu erwartenden Strafe oder Massnahme kei- ne wesentliche Bedeutung zukommt; ___________
10 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
11 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
12 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006). 3
b) eine voraussichtlich nicht ins Gewicht fallende Zusatzstrafe zu einer rechtskräftig ausgefällten Strafe auszusprechen wäre;
c) eine im Ausland verbüsste Strafe anzurechnen wäre, welche der für die verfolgte Straftat zu erwartenden Strafe entspricht;
d) die Straftat bereits von einer ausländischen Behörde verfolgt oder die Verfolgung an eine solche abgetreten wird;
e) bei einer Verurteilung von einer Strafe abzusehen wäre.
3 Das Gericht erlässt in diesen Fällen einen Nichtanhandnahme-Beschluss und die Staatsanwaltschaft verfügt die Einstellung des Verfahrens nach Ar- tikel 157 Absatz 2 Ziffer 6.
Artikel 10 Erforschung der Wahrheit
1 Die Behörden erstrecken die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen, welche für die Beurteilung von Tat und Täter von Bedeutung sind.
2 Sie erforschen und berücksichtigen die entlastenden und belastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt.
Artikel 11 Beschleunigungsgebot
Das Strafverfahren ist ohne Verzögerung durchzuführen.
Artikel 12 Handeln nach Treu und Glauben
1 Jede am Verfahren beteiligte Person hat in Ausübung ihrer Rechte und in Erfüllung ihrer Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2 Der Missbrauch eines Rechtes findet keinen Schutz.
3 Unrechtmässig erlangte Beweismittel dürfen nicht berücksichtigt werden.
Artikel 13 Verbot der doppelten Strafverfolgung
Wer rechtskräftig freigesprochen oder verurteilt worden ist, kann wegen der nämlichen Tat nicht noch einmal verfolgt werden.
Artikel 13a 13 Amtssprache
Die Amtssprache ist Deutsch. Eingaben, Vernehmlassungen, Beweismittel und dergleichen sind in Deutsch oder deutsch übersetzt einzureichen. ___________
13 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
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2. Abschnitt: Rechtshilfe und Strafübernahme 14
Artikel 14 15 Grundsatz
Die Rechtshilfe richtet sich nach den Bestimmungen des Bundesrechts und des Konkordats vom 5. November 1992 über die Rechtshilfe und die inter- kantonale Zusammenarbeit in Strafsachen 16 .
Artikel 15 Durchführung der Rechtshilfe
1 Der Verhörrichter erledigt Rechtshilfegesuche, auch wenn sie von einer Gerichtsinstanz gestellt werden.
2 Er ist die zuständige Behörde im Sinne von Artikel 24 des Konkordats über die Rechtshilfe und die interkantonale Zusammenarbeit in Strafsachen 17 . 18
Artikel 16 19 Erteilung von Bewilligungen
Soweit nicht das Konkordat über die Rechtshilfe und die interkantonale Zu- sammenarbeit in Strafsachen 20 zur Anwendung gelangt, erteilt das Verhö- ramt die Bewilligung für Amtshandlungen, die auf dem Gebiet des Kantons Uri vorgenommen werden sollen (Art. 359 Abs. 1 StGB).
Artikel 17 21 Politische und Pressedelikte
Bei politischen oder durch das Mittel der Medien begangenen Verbrechen und Vergehen entscheidet die zuständige Direktion 22 über die Zuführung der beschuldigten Person an den andern Kanton oder die Übernahme des Strafverfahrens (Art. 356 Abs. 2 StGB). ___________
14 Fassung gemäss LRB vom 27. Februar 1985, in Kraft gesetzt auf den 1. März 1985 (AB vom 8. März 1985).
15 Fassung gemäss LRB vom 1. Juni 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Oktober 1994 (AB vom 10. Juni 1994).
16 RB 3.9225
17 RB 3.9225
18 Fassung gemäss LRB vom 1. Juni 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Oktober 1994 (AB vom 10. Juni 1994).
19 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
20 RB 3.9225
21 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
22 Justizdirektion; siehe Org anisationsreglement (RB 2.3322). 5
Artikel 18 Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland
Im Rahmen der Bundesvorschriften vollzieht der Verhörrichter die Bestim- mungen über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen.
3. Abschnitt: Disziplinarbefugnisse
Artikel 19 Disziplinarmassnahmen
1 Der Verhörrichter oder der Gerichtspräsident sorgen für Ruhe und Ord- nung während der Verhandlung. Sie treffen die erforderlichen Disziplinar- massnahmen.
2 Wer sich während des Untersuchungs- oder Gerichtsverfahrens ungebühr- lich verhält, kann vom Verfahrensleiter mit einer Ordnungsbusse bis zu Fr. 500.–, mit Wortentzug oder Wegweisung gemassregelt werden.
4. Abschnitt: Fristen
Artikel 20 Berechnung
1 Der Tag der Eröffnung einer Frist oder der Tag der Mitteilung einer Verfü- gung bzw. eines Entscheides wird bei der Fristberechnung nicht mitgezählt.
2 Ist der letzte Tag der Frist ein Samstag, Sonntag oder ein staatlich aner- kannter Feiertag, endigt die Frist am nächsten Werktag.
3 Fällt der letzte Tag einer Frist in die Gerichtsferien, verlängert sie sich um zehn Tage über das Ferienende hinaus. 24
4 Schriftliche Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist an die Behörde gelangen oder zu deren Handen der schweizerischen Post über- geben sein. Hält sich ein Beschuldigter in einer Anstalt auf, ist die Eingabe rechtzeitig, wenn sie innerhalb der Frist der Anstaltsleitung übergeben wird.
Artikel 21 Fristerstreckung
1 Gesetzlich bestimmte Fristen können nicht erstreckt werden.
2 Behördlich bestimmte Fristen können auf Begehren aus zureichenden Gründen erstreckt werden, wenn vor Ablauf der Frist darum nachgesucht wird. ___________
23 Fassung gemäss LRB vom 27. Februar 1985, in Kraft gesetzt auf den 1. März 1985 (AB vom 8. März 1985).
24 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
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Artikel 22 Wiederherstellung
1 Wird eine Frist oder eine Verhandlung versäumt, tritt die durch Gesetz oder die vorladende Amtsstelle angedrohte Folge ein.
2 Eine versäumte Frist kann wiederhergestellt werden, wenn der Ge- suchsteller oder sein Vertreter unverschuldet abgehalten wurde, innert der Frist zu handeln, und er binnen zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses ein begründetes Gesuch um Wiederherstellung einreicht.
3 Über das Gesuch entscheidet die in der Sache zuständige Behörde.
Artikel 23 25 Gerichtsferien
1 Die Gerichtsferien dauern:
a) während acht Tagen vor und nach dem Ostersonntag;
b) während der Zeit vom 18. Dezember bis und mit 6. Januar;
c) während der Zeit vom 15. Juli bis und mit 31. August.
2 Die Gerichtsferien gelten nur im gerichtlichen Verfahren. In dringenden Fällen finden auch während den Gerichtsferien Gerichtssitzungen statt.
5. Abschnitt: Vorladung und Vorführung
Artikel 24 Inhalt der Vorladung
1 Die Vorladung enthält:
1. den Namen der vorgeladenen Person und die Eigenschaft, in welcher sie vorgeladen wird,
2. die Prozessache,
3. die Zeit und den Ort des Erscheinens,
4. die Aufforderung an den Vorgeladenen zu erscheinen, unter Hinweis auf die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens,
5. das Datum der Ausstellung und die Unterschrift.
2 Bei Vorladungen kann im Untersuchungsverfahren der Hinweis auf die Prozessache unterbleiben.
3 Wer einer Vorladung nicht Folge leisten kann, hat sein Fernbleiben zu be- gründen. Wer ohne Angabe eines zwingenden Grundes nicht erscheint, wird für die unnütze Tagfahrt kostenpflichtig und kann überdies durch die vorla- dende Instanz mit einer Ordnungsbusse bis zu Fr. 500.– belegt werden; ausgenommen sind Vorladungen durch die Polizei. ___________
25 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994). 7
Artikel 25 Vorladungsfrist
Wenn nicht wichtige Gründe eine Abkürzung rechtfertigen, soll die Frist zwi- schen Zustellung der Vorladung und Zeitpunkt des Erscheinens mindestens acht Tage betragen.
Artikel 26 Vorladungen in dringenden Fällen
In dringenden Fällen können Vorladungen mündlich, telefonisch oder tele- grafisch ergehen. Sie sind in den Akten zu vermerken. Artikel 25 ist nicht anwendbar.
Artikel 27 Vorführung
1 Anstelle einer Vorladung kann eine polizeiliche Vorführung angeordnet werden, wenn:
1. die Voraussetzungen der Verhaftung gegeben sind,
2. ein nachweisbar Vorgeladener ohne hinreichende Entschuldigung aus- geblieben ist oder ernsthaft zu befürchten ist, er werde nicht erscheinen, oder
3. die sofortige Einvernahme unerlässlich ist.
2 Die Vorführung ist in einem Vorführungsbefehl anzuordnen, der den Be- stimmungen von Artikel 24 entspricht.
3 Der Vorgeführte ist unverzüglich einzuvernehmen.
6. Abschnitt: Zustellung
Artikel 28 Zustellungsform
1 Vorladungen und andere schriftliche Mitteilungen werden in der Regel durch die Post, ausnahmsweise durch den Weibel oder die Polizei zuge- stellt. Die Zustellung durch den Weibel oder die Polizei ist auf dem Doppel zu bescheinigen.
2 Die Zustellung gilt als erfolgt, wenn der Adressat sie verhindert.
3 Wird der Adressat in seiner Wohnung nicht angetroffen, kann die Vorla- dung oder eine andere Mitteilung verschlossen einem volljährigen Angehö- rigen oder Familiengenossen übergeben werden.
Artikel 29 Zustelladresse
1 Hat ein Verfahrensbeteiligter einen gesetzlichen oder gewillkürten Vertre- ter, erfolgen Zustellungen auch an diesen.
2 Muss eine Person persönlich erscheinen, so ist deren Vertreter nur dann im Sinne von Absatz 1 zu benachrichtigen, wenn er zur Verhandlung zuge- lassen wird.
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Artikel 30 Zustelldomizil
Ein Verfahrensbeteiligter kann ein Zustelldomizil im Kanton bezeichnen. Er kann vom Verfahrensleiter dazu verpflichtet werden, wenn er nicht in der Schweiz wohnt.
Artikel 31 Öffentliche Zustellung
Können die Vorladung, das gerichtliche Erkenntnis oder andere Mitteilungen im Strafverfahren trotz sachdienlicher Nachforschungen nicht zugestellt werden, so erfolgt eine Veröffentlichung im Amtsblatt sowie nötigenfalls in anderen geeigneten Blättern.
7. Abschnitt: Dolmetscher, Protokoll
Artikel 32 Dolmetscher
1 Können sich befragende Organe der Strafrechtspflege und einzuverneh- mende Personen weder mündlich noch schriftlich klar und sicher verständi- gen, ist ein Dolmetscher beizuziehen.
2 Jede im Kanton wohnhafte Person, die den Anforderungen genügt und der das Zeugnisverweigerungsrecht nicht zusteht, ist verpflichtet, die Ernennung als Dolmetscher anzunehmen.
3 Der Dolmetscher ist auf die Wahrheitspflicht und die Straffolgen des Arti- kels 307 StGB hinzuweisen. Er hat die Richtigkeit der Übersetzung im Pro- tokoll durch seine Unterschrift zu bezeugen.
Artikel 33 Protokoll, Inhalt
1 Über die Untersuchungs- und Beweisverhandlungen wird unmittelbar ein Protokoll geführt, aus dem ersichtlich sind:
1. der Ort und die Zeit der Verhandlung,
2. die an der Verhandlung Mitwirkenden, und
3. die wesentlichen Aussagen oder Beschuldigten, Zeugen, Auskunftsper- sonen und Sachverständigen.
2 Das Protokoll über die Hauptverhandlung muss deren Gang und Ergebnis im wesentlichen wiedergeben sowie die im Laufe der Verhandlung gestell- ten Anträge, ergangenen Entscheide und den Urteilsspruch enthalten, Arti- kel 34 ist nicht anwendbar.
Artikel 34 Bestätigung der Richtigkeit
1 Abgesehen vom Verfahrensprotokoll nach Artikel 33 Absatz 2 ist das Pro- tokoll vorzulesen, sofern der Einvernommene es nicht selber liest. 9
2 Das Protokoll ist vom Einvernommenen und vom Protokollierenden mit der Bestätigung der Richtigkeit und Vollständigkeit zu unterzeichnen. Weigert sich jemand, das Protokoll zu unterzeichnen, so ist die Weigerung und ihre Begründung anzumerken.
3 Vom Einvernommenen verlangte Berichtigungen und Ergänzungen sind im Protokoll aufzunehmen.
Artikel 35 Protokoll über weitere Untersuchungshandlungen
Über Augenscheine, Hausdurchsuchungen und ähnliche Untersuchungs- handlungen ist spätestens am folgenden Werktag ein Protokoll zu erstellen. Seine Richtigkeit ist vom Verfahrensleiter durch Unterschrift zu bestätigen.
Artikel 36 26 Technische Geräte
1 In Ausnahmefällen können Aussagen nicht nur im Protokoll, sondern auch auf Ton- und Bildträgern festgehalten werden.
2 Die Verwendung technischer Geräte ist den Beteiligten vorgängig mitzutei- len.
8. Abschnitt: Mitteilung über Strafverfahren und Akteneinsicht Dritter
Artikel 37 Mitteilungen an die Behörden
Ergibt ein Strafverfahren, dass vormundschaftliche, fürsorgerische oder an- dere nicht strafrechtliche Massnahmen allenfalls notwendig werden, hat der Verfahrensleiter die zuständigen Behörden zu benachrichtigen.
Artikel 38 27 Mitteilungen an die Öffentlichkeit
Das Verhöramt oder in dessen Einvernehmen die Polizei können die Vertre- tungen der Presse, des Radios und des Fernsehens in geeigneter Form über den Sachverhalt und die getroffenen Massnahmen orientieren, wenn das Interesse an der öffentlichen Bekanntgabe den durch die Geheimhal- tung geschützten Interessen vorgeht, wie zur Berichtigung falscher Meldun- gen, zur Beruhigung der Öffentlichkeit und deren Mitwirkung bei der polizei- lichen Fahndung und Ermittlung von Spuren und Beweismitteln. ___________
26 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
27 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
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Artikel 39 Aktenherausgabe und Akteneinsicht Dritter
1 Akten werden in der Regel nur den am Verfahren beteiligten Anwälten he- rausgegeben.
2 Dritte und Verwaltungsbehörden können nur Einsicht in die Akten und Auskunft über das Strafverfahren erhalten, wenn sie ein berechtigtes Inte- resse nachweisen und die Bekanntgabe nicht schützenswerter Interessen von Privaten oder dem Zwecke der Strafrechtspflege zuwiderläuft.
3 Werden Akten wiederholt verspätet oder ungeordnet zurückgegeben oder wird deren Inhalt missbraucht, kann die Herausgabe künftig verweigert wer- den.
4 Über Streitigkeiten mit Dritten entscheidet die Behörde oder Amtsstelle, bei welcher die Sache hängig oder erledigt worden ist, endgültig.
3. Kapitel: DIE VERFAHRENSBETEILIGTEN
1. Abschnitt: Allgemeines
Artikel 40 Begriff der Verfahrensbeteiligten
Verfahrensbeteiligte im Strafverfahren sind:
1. der Beschuldigte (Angeschuldigter in der Untersuchung, Angeklagter im gerichtlichen Verfahren),
2. der Staatsanwalt,
3. der Zivilkläger,
4. der Dritteigentümer beschlagnahmter und der Einziehung unterworfener Sachen oder Vermögenswerte,
5. das Opfer im Sinne des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten 28 . 29
Artikel 41 Prozessfähigkeit
1 Die Fähigkeit, prozessuale Handlungen vorzunehmen, bestimmt sich nach der Handlungsfähigkeit der Verfahrensbeteiligten.
2 Handlungsunfähige werden durch den Inhaber der elterlichen Gewalt oder den Vormund vertreten, soweit eine Vertretung möglich ist.
3 Ist der Handlungsunfähige urteilsfähig, kann er neben seinem gesetzlichen Vertreter selbständig diejenigen Rechte ausüben, welche ihm um seiner Persönlichkeit willen zustehen. ___________
28 SR 312.5
29 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004). 11
2. Abschnitt: Der Beschuldigte
Artikel 42 Rechte und Pflichten
1 Der Beschuldigte ist vor seiner rechtskräftigen Verurteilung als nicht schuldig zu betrachten und zu behandeln.
2 Er ist nicht verpflichtet auszusagen. Verweigert er die Auskunft, ist das Verfahren ohne Rücksicht darauf weiterzuführen.
3 Er kann sowohl während der Untersuchung und im Gerichtsverfahren, wie auch im Strafvollzug freiwillig soziale Betreuung in Anspruch nehmen. 30
Artikel 43 Verhandlungsfähigkeit
Wo das Gesetz die Mitwirkung des Beschuldigten vorsieht, muss er ange- messen vertreten sein, wenn er geistig oder körperlich nicht in der Lage ist, an den Prozesshandlungen teilzunehmen. Verweigert der Vertreter ohne zureichenden Grund die Mitwirkung, so kann die Prozesshandlung in Abwe- senheit des Beschuldigten und des Vertreters durchgeführt werden.
Artikel 43a 31 Verantwortlichkeit des Unternehmens
1 In einem Strafverfahren gegen das Unternehmen bestimmt in den Fällen von Artikel 102a Absatz 1 und Absatz 3 StGB das Präsidium des zuständi- gen Landgerichts die einzige Person, welche das Unternehmen im Strafver- fahren vertritt.
2 Im Untersuchungsverfahren entscheidet das Präsidium des zuständigen Landgerichts auf Antrag des Verhöramts.
3. Abschnitt: Der Staatsanwalt
Artikel 44 Aufgabe
Die Aufgaben, Rechte und Pflichten des Staatsanwaltes richten sich nach den Bestimmungen des Gerichtsorganisationsgesetzes und dieser Verord- nung. ___________
30 Eingefügt durch LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
31 Eingefügt durch LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
12
Artikel 44a Stellung
Der Staatsanwalt ist im Vollamt tätig. Soweit die Gesetzgebung nichts ande- res bestimmt, richtet sich das Anstellungsverhältnis nach der Personalve- rordnung 33 .
4. Abschnitt: Der Zivilkläger
Artikel 45 Begriff
1 Zivilkläger ist, wer sich als Geschädigter am Strafverfahren beteiligt.
2 Dabei gilt als Geschädigter, wer als Träger des angegriffenen Rechtsgutes von der Straftat betroffen ist.
3 Beim Tod des Geschädigten treten dessen Erben an seine Stelle.
Artikel 46 Zivilansprüche
1 Der Zivilkläger kann im Strafverfahren gegen den Beschuldigten Ansprü- che auf Schadenersatz, Genugtuung, Beseitigung der Störung, Rückgabe von Geld oder Sachen geltend machen, die sich aus der strafbaren Hand- lung herleiten lassen.
2 Der Verhörrichter bzw. die ermittelnde Polizei hat den Geschädigten auf dieses Recht hinzuweisen und ihn anzufragen, ob er im Strafverfahren als Zivilpartei teilnehmen wolle.
Artikel 47 Geltendmachung
Die Zivilansprüche müssen im Laufe des Verfahrens bis zu einer vom Ver- hörrichter anzusetzenden Frist bei diesem schriftlich eingereicht werden, wobei die Beweismittel anzugeben, und soweit möglich, beizulegen sind.
Artikel 48 Beurteilung
1 Das Gericht oder, wo dessen Zuständigkeit gegeben ist, der Staatsanwalt, können zusammen mit dem Strafpunkt adhäsionsweise den Zivilanspruch beurteilen.
2 Der Zivilkläger ist an den Zivilrichter zu verweisen, wenn seine Ansprüche nicht ausgewiesen sind oder ihre Abklärung das Verfahren wesentlich er- schwert oder verlängert; auf diese Ansprüche wird nicht eingetreten, wenn das Strafverfahren eingestellt oder der Angeschuldigte freigesprochen wird. ___________
32 Fassung gemäss LRB vom 15. Dezember 1999, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2001 (AB vom 24. Dezember 1999).
33 RB 2.4211 13
Artikel 49 Unentgeltliche Rechtspflege
Wenn die Voraussetzungen dafür nach Massgabe der Zivilprozessordnung gegeben sind, gewährt der Präsident des zuständigen Landgerichts, im Rechtsmittelverfahren der Präsident des Obergerichts, dem Zivilkläger die unentgeltliche Rechtspflege.
Artikel 50 Parteirechte
Die Mitwirkungsrechte des Zivilklägers beschränken sich auf den Zivilpunkt.
5. Abschnitt: Das Opfer 34
Artikel 50a 35 Verfahrensrechte
Die Verfahrensrechte des Opfers richten sich nach dem Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten 36 .
4. Kapitel: DIE VERTEIDIGUNG
1. Abschnitt: Freiwillige Verteidigung
Artikel 51 Recht auf freiwillige Verteidigung
1 Jeder Beschuldigte oder Zivilkläger ist berechtigt, in jedem Stadium des Verfahrens einen berufsmässigen Verteidiger beizuziehen. Der Verhörrich- ter bzw. die ermittelnde Polizei hat die Beteiligten zu Beginn des Untersu- chungsverfahrens darauf aufmerksam zu machen. Beweiserhebungen vor diesem Hinweis sind auf Verlangen zu wiederholen.
2 Wo das Gesetz oder die Verordnung dem Beschuldigten, dem Zivilkläger oder dem Dritteigentümer nach Artikel 40 Ziffer 4 Verfahrensrechte einräu- men, stehen sie auch dem Verteidiger zu, sofern sich diese Rechte nicht ausdrücklich oder sinngemäss auf die Verfahrensbeteiligten persönlich be- ziehen.
3 Die Zulassung zur berufsmässigen Verteidigung richtet sich nach der An- waltsverordnung 37 . 38 ___________
34 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
35 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
36 SR 312.5
37 RB 9.2321
38 Eingefügt durch LRB vom 13. Juni 2001, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 2002 (AB vom 22. Juni 2001).
14
Artikel 52 Einschränkung und Ausschluss
1 Ein Verteidiger kann in der Ausübung seiner Rechte eingeschränkt oder von diesen ausgeschlossen werden:
1. wenn er seine Rechte missbraucht, insbesondere wenn er Kollusionen hervorruft, Ergebnisse der Untersuchung veröffentlicht oder unbefugt mitteilt, Beweismittel zerstört oder beseitigt,
2. wenn begründeter Verdacht strafbaren Zusammenwirkens mit dem Be- schuldigten oder Mitbeschuldigten oder strafbarer Einwirkung auf Zeu- gen, Auskunftspersonen, Sachverständige oder Dolmetscher besteht, oder
3. wenn er trotz Ermahnung den Gang des Verfahrens ernsthaft stört.
2 Strafrechtliche und disziplinarische Verfolgung bleibt vorbehalten.
Artikel 53 Zuständigkeit
Die Verteidigung in ihren Rechten einzuschränken oder sie davon auszu- schliessen sind zuständig: 39
1. in der Ermittlung und in der Untersuchung das Verhöramt, 40
2. nach Überweisung an das Gericht die Instanz, bei welcher der Prozess hängig ist.
2. Abschnitt: Notwendige Verteidigung
Artikel 54 41 Voraussetzungen
1 Die beschuldigte Person muss verteidigt sein, wenn:
1. berechtigte Zweifel bestehen, dass sie infolge geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung im Stande ist, sich selber zu verteidigen, und auch die gesetzliche Vertretung sie nicht ausreichend verbeiständen kann, 42
2. eine freiheitsentziehende Massnahme oder eine Strafe von einem Jahr oder mehr zu erwarten ist,
3. die freiwillige Verteidigung gemäss Artikel 52 ausgeschlossen wird,
4. sie sich in Untersuchungshaft befindet. In diesem Fall muss innert 10 Tagen seit Antritt der Untersuchungshaft eine notwendige Verteidigung bestellt sein. Wird die beschuldigte Person aus der Untersuchungshaft ___________
39 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
40 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
41 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
42 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006). 15
entlassen, wird die notwendige Verteidigung aufgehoben, es sei denn, sie müsse aus einem anderen Grund nach dieser Vorschrift angeordnet werden, oder wenn
5. besondere Gründe vorliegen, namentlich wenn die Untersuchung oder Beurteilung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erhebliche Schwierigkeiten bereitet oder die beschuldigte Person sich selber nicht genügend verteidigen kann.
2 Die notwendige Verteidigung ist anzuordnen, wenn deren Voraussetzun- gen gegeben erscheinen und die beschuldigte Person auch nach Fristan- setzung keinen freiwilligen Verteidiger beizieht.
3. Abschnitt: Amtliche Verteidigung
Artikel 55 43 Voraussetzungen
Der beschuldigten Person, die ihre Verteidigung nicht bezahlen kann, ist ein amtlicher Verteidiger beizugeben, sofern die Voraussetzungen der notwen- digen Verteidigung erfüllt sind.
4. Abschnitt Bestellung und Entschädigung
Artikel 56 Bezeichnung, Dauer des Mandats
1 Der notwendige oder der amtliche Verteidiger wird vom Präsidenten des zuständigen Landgerichts, im Rechtsmittelverfahren durch den Präsidenten des Obergerichts aus der Zahl der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bezeichnet, die zur Übernahme des Mandats verpflichtet sind. Begründeten Wünschen des Beschuldigten ist möglichst Rechnung zu tragen. 44 1a Neben der beschuldigten Person und ihrer gesetzlichen Vertretung sind das Verhöramt und die Staatsanwaltschaft befugt, das Gericht zu ersuchen, eine notwendige Verteidigung zu bestellen. 45
2 ... 46
3 Das Mandat dauert so lange, als dies für das Verfahren nötig ist; es wird widerrufen, wenn die Voraussetzungen dahinfallen. ___________
43 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
44 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
45 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
46 Aufgehoben durch LRB vom 13. Juni 2001, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 2002 (AB vom 22. Juni 2001).
16
Artikel 57 Entschädigung des notwendigen Verteidigers
1 Der notwendige Verteidiger wird durch den Beschuldigten entschädigt. Nicht einbringliche, berechtigte Forderungen werden durch die Staatskasse beglichen; diese tritt in die Rechte des Verteidigers ein.
2 Über die Entschädigung befindet jene Amtsstelle oder Behörde, die den Straffall instanzabschliessend erledigt. 47
Artikel 58 Entschädigung des amtlichen Verteidigers, Rückgriff
1 Der amtliche Verteidiger wird für seine Bemühungen vom Kanton ent- schädigt und darf über die zugesprochene Entschädigung hinaus kein Ho- norar verlangen. Die Entschädigung richtet sich nach den Bestimmungen der Verordnung über die Gebühren und Entschädigungen vor Gerichtsbe- hörden 48 . 49
2 Über die Entschädigung befindet jene Amtsstelle oder Behörde, die den Straffall instanzabschliessend erledigt.
3 Kommt der Beschuldigte nachträglich zu Vermögen, soll der Staat auf ihn Rückgriff nehmen, längstens jedoch zehn Jahre nach rechtskräftiger Erledi- gung bzw. nach Einstellung des Verfahrens.
5. Kapitel: KOSTEN UND ENTSCHÄDIGUNG
1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen
Artikel 59 Begriffe
1 Die Kosten des Strafverfahrens bestehen aus den Gebühren und Kosten der polizeilichen Ermittlung, der Untersuchung, der Anklage des Gerichts- verfahrens und der Entschädigung für die amtliche Verteidigung. 50
2 Die Kosten des Aufenthaltes des Beschuldigten in einer psychiatrischen Klinik während der Untersuchung gelten als Untersuchungskosten, diejeni- gen für die Untersuchungshaft, für weitere Sicherheitshaft und vorzeitig an- getretene Strafen und Massnahmen als Vollzugskosten.
3 Die Entschädigung ist die Vergütung an die Verfahrensbeteiligten für we- sentliche Auslagen und erhebliche vermögensrechtliche Einbussen im Zu- sammenhang mit dem Strafverfahren. ___________
47 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
48 RB 2.3231
49 Fassung gemäss LRB vom 16. Dezember 1987, in Kraft gesetzt auf den 1. September 1988 (AB vom 8. Januar 1988).
50 Fassung gemäss LRB vom 16. Dezember 1987, in Kraft gesetzt auf den 1. September 1988 (AB vom 8. Januar 1988). 17
Artikel 60 Kosten- und Entschädigungsentscheid
1 Die Behörde oder Amtsstelle, welche ei nen Entscheid fällt, ordnet auch die Kosten- und Entschädigungsfolgen.
2 In einem Zwischenverfahren kann die Kostenverlegung dem Endentscheid vorbehalten bleiben.
Artikel 61 Solidarische Haftung
1 Mehrere Kostenpflichtige können solidarisch zur Bezahlung von Kosten verpflichtet werden, die sie gemeinsam betreffen, wenn die Straftat oder die Straftaten in engem Zusammenhang stehen und keine unbillige Belastung einzelner Pflichtiger entsteht.
2 Die vorstehenden Bestimmungen gelten sinngemäss auch für die Ent- schädigungspflicht.
Artikel 62 Kosten- und Entschädigungspflicht des Zurechnungsunfähi-
gen und des Nachlasses Die Behörde befindet nach freiem und billigem Ermessen, ob und in wel- chem Umfange einem Zurechnungsunfähigen und dem Nachlass des Pflich- tigen die Kosten und die Entschädigung aufzuerlegen sind.
Artikel 63 51
2. Abschnitt: Kosten
Artikel 64 Kostenpflicht des Beschuldigten
1 Der Beschuldigte hat die Prozesskosten ganz oder teilweise zu tragen:
1. wenn er einer strafbaren Handlung schuldig erklärt wird,
2. wenn und soweit er durch vorwerfbares Verhalten das Verfahren verur- sacht oder erschwert hat.
2 Die Kosten des Dolmetschers dürfen dem Beschuldigten nicht auferlegt werden.
3 Für die Kosten der amtlichen Verteidigung gilt Artikel 58. ___________
51 Aufgehoben durch LRB vom 16. Dezember 1987, in Kraft gesetzt auf den
1. September 1988 (AB vom 8. Januar 1988).
52 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
18
Artikel 65 Kostenpflicht des Anzeigers
Dem Anzeiger können die Kosten ganz oder teilweise überbunden werden, wenn er das Verfahren arglistig veranlasst oder erschwert hat.
Artikel 66 Kostenpflicht des Zivilklägers
Der Zivilkläger hat die durch die Behandlung des Zivilpunktes entstandenen Kosten zu tragen, wenn die Zivilklage abgewiesen wird.
Artikel 67 Kostenpflicht beim Strafantrag
53
1 Wird der Strafantrag zurückgezogen, entscheidet die Behörde oder Amts- stelle, die das Verfahren zu erledigen hat, je nach Beweislage über die Tra- gung der aufgelaufenen Kosten, es sei denn, dass zwischen den Parteien die Kostentragung vergleichsweise geregelt worden ist.
2 Die Kosten können dem Antragsteller überbunden werden, wenn er vor- sätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Angaben gemacht hat.
Artikel 68 54 Kostenpflicht im Einsprache- und Rechtsmittelverfahren
Die Kosten des Einsprache- und Rechtsmittelverfahrens sind der Person zu überbinden, welche die Einsprache oder das Rechtsmittel eingelegt hat,
1. wenn und soweit sie mit ihrem Begehren unterlegen ist,
2. wenn sie zwar obsiegt, aber die Voraussetzungen des Obsiegens schuldhaft erst im Einsprache- oder Rechtsmittelverfahren geschaffen hat, oder
3. wenn sie die Einsprache oder das Rechtsmittel zurückgezogen hat.
Artikel 69 Kostenpflicht des Staates
Wenn Artikel 64 bis 68 nicht anwendbar sind, trägt der Staat die Verfah- renskosten.
Artikel 70 Kostenpflicht bei besonderen Verfahren
Die vorstehenden Bestimmungen über die Kostentragungspflicht gelten sinngemäss auch bei besonderen Verfahren, namentlich bei Verfahren um Anordnung einer Friedensbürgschaft oder bei nachträglichen richterlichen Anordnungen. ___________
53 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
54 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004). 19
3. Abschnitt: Entschädigung
Artikel 71 Entschädigung an den Beschuldigten
1 Der beschuldigten Person, gegen die das Verfahren endgültig eingestellt oder die freigesprochen wird, ist auf Verlangen eine Entschädigung im Sin- ne von Artikel 59 Absatz 3 zuzusprechen. Das Entschädigungsgesuch ist möglichst zu beziffern, zu belegen und vor Abschluss des Verfahrens beim urteilenden Gericht oder bei der einstellenden Instanz einzureichen. Dieses oder diese entscheidet nach pflichtgemässem Ermessen. 55
2 Sind die Voraussetzungen gemäss Artikel 64 Absatz 1 Ziffer 2 erfüllt, kann die Entschädigung ganz oder teilweise verweigert werden.
3 Ansprüche aus Artikel 4 Absatz 2 der Kantonsverfassung bleiben vorbe- halten. Sie sind in einem besonderen Verfahren geltend zu machen. 56
Artikel 72 An den Zivilkläger
Die Entschädigung an den Zivilkläger richtet sich nach den entsprechenden Bestimmungen der Zivilprozessordnung.
Artikel 73 Bezahlung durch den Anzeiger
Wird der Anzeiger bzw. der Anstragsteller kostenpflichtig, kann er verhalten werden, die dem Beschuldigten zugesprochene Entschädigung ganz oder teilweise zu bezahlen.
Artikel 74 Entschädigung im Rechtsmittelverfahren
Im Rechtsmittelverfahren gelten die vorstehenden Bestimmungen sinnge- mäss.
6. Kapitel: DIE BEWEISMITTEL
1. Abschnitt: Die Einvernahme des Beschuldigten
Artikel 74a 57 Hinweise bei der ersten Einvernahme
1 Die Polizei oder das Verhöramt eröffnen den Beschuldigten zu Beginn der ersten Einvernahme, dass: ___________
55 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
56 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
57 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
20
a) gegen sie ein Strafverfahren eröffnet worden ist und welche Straftaten Gegenstand des Verfahrens bilden;
b) sie die Aussagen verweigern können;
c) sie berechtigt sind, eine Verteidigung zu bestellen und sie, wenn nötig, eine amtliche Verteidigung sowie eine Übersetzerin oder einen Überset- zer verlangen können.
2 Einvernahmen ohne diese Hinweise sind nicht verwertbar.
Artikel 75 Zahl der Einvernahmen
Ist mit einer Verurteilung des Beschuldigten zu rechnen, so muss er mindes- tens einmal, in der Regel zu Protokoll, angehört werden. In der ersten Abhö- rung ist ihm bekannt zu geben, welche strafbare Handlung ihm vorgeworfen wird.
Artikel 76 Befragung zur Person
Der Beschuldigte wird über seine Personalien und, je nach Bedeutung des Falles, über sein Vorleben, seine persönlichen Verhältnisse und den Be- weggrund der ihm vorgeworfenen Straftat befragt.
Artikel 77 Einvernahme zur Sache
1 Der Beschuldigte wird aufgefordert, sich zu der ihm vorgeworfenen Straftat zu äussern.
2 Es wird ihm Gelegenheit geboten, zu den Aussagen von Mitbeschuldigten, Auskunftspersonen, Zeugen und Sachverständigen sowie zu den andern Beweiserhebungen Stellung zu nehmen. Er kann andern Personen gegen- übergestellt werden.
Artikel 78 Einvernahme bei Geständnis und Bestreitung
1 Legt der Beschuldigte ein Geständnis ab, so ist er über den Tathergang und die Beweggründe einlässlich zu befragen.
2 Bestreitet er die Tat, so sind ihm die belastenden Tatsachen vorzuhalten. Es ist ihm Gelegenheit zu bieten, sie zu entkräften und Beweismittel zu sei- ner Entlastung anzuführen.
Artikel 79 Verbotene Methoden
Zwang, Drohung, Versprechungen, unwahre Angaben und verfängliche Fragen sind untersagt. 21
Artikel 80 Verwertungsverbot
Aussagen, die durch verbotene Einwirkungen zustandekommen, dürfen nicht berücksichtigt werden. Sie sind aus den Akten zu entfernen.
2. Abschnitt: Die Auskunftsperson
Artikel 81 Voraussetzungen
1 Als Auskunftspersonen werden einvernommen:
1. Personen, die als Täter, Teilnehmer oder Begünstigter in Frage kommen können,
2. Personen, die in besonders naher Beziehung zum Prozessgegenstand stehen, sofern nicht der Untersuchungszweck ihre Einvernahme als Zeuge erfordert,
3. der Zivilkläger oder die Zivilklägerin, 58
4. Personen, die in einem gegen ein Unternehmen gerichteten Strafverfah- ren als Vertreterin oder als Vertreter des Unternehmens bezeichnet wor- den sind oder bezeichnet werden könnten, sowie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 59
2 Jugendliche unter 15 Jahren dürfen in jedem Fall nur als Auskunftsperson befragt werden. Sie sollen jedoch nur befragt werden, wenn dies unerläss- lich ist und ihnen aus der Befragung kein Nachteil droht. Zur Befragung können geeignete Personen beigezogen werden; diesen kann auch die Be- fragung übertragen werden. 60
Artikel 82 Stellung der Auskunftsperson
1 Die Auskunftsperson ist zum Erscheinen verpflichtet.
2 Vor Beginn der Einvernahme ist ihr bekanntzugeben, dass sie als Aus- kunftsperson befragt wird; die Rechtsstellung ist ihr zu erläutern.
3 Sie kann die Aussage ohne Angabe eines Grundes verweigern.
4 Sie wird zu wahrheitsgemässer Aussage ermahnt.
5 Die Durchführung der Einvernahme richtet sich sinngemäss nach den Be- stimmungen über die Einvernahme des Beschuldigten. ___________
58 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
59 Eingefügt durch LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
60 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
22
Artikel 82a Begutachtung
Ist in schwerwiegender Sache die Glaubwürdigkeit einer Auskunftsperson und ihrer Aussagen zweifelhaft und kommt ihr eine entscheidende Bedeu- tung zu, so kann die Auskunftsperson von einer sachverständigen Person ambulant untersucht und begutachtet werden.
Artikel 83 Entschädigung
Der Auskunftsperson kann eine Zeugenentschädigung ausgerichtet werden.
3. Abschnitt: Andere Prozessbeteiligte
Artikel 84 Zivilkläger und Dritteigentümer
Der Zivilkläger und der Dritteigentümer gemäss Artikel 40 Ziffer 4 sind auf ihr Verlangen anzuhören.
4. Abschnitt: Der Zeuge
Artikel 85 Zeugnispflicht
Jedermann ist verpflichtet, vor dem Verhörrichter oder dem Gericht als Zeu- ge zu erscheinen und unter Vorbehalt der nachfolgenden Bestimmungen Zeugnis abzulegen.
Artikel 86 Recht zur Zeugnisverweigerung und seine Ausnahmen
Von der Zeugnispflicht sind ausgenommen:
1. Der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner, die Verwandten in gerader Linie, die Geschwister, der Schwager und die Schwägerin des Beschuldigten. Besteht die Ehe oder die eingetragene Partnerschaft nicht mehr, so gilt das Recht zur Zeugnisverweigerung nur für Tatsachen, welche sich vor der Ehe- oder Partnerschaftsauflösung zugetragen haben. 62
2. Mitglieder von Behörden und Angestellte über Tatsachen, die unter das Amtsgeheimnis fallen, solange sie von der zuständigen Behörde nicht zur Aussage ermächtigt werden. 63 ___________
61 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
62 Fassung gemäss LRB vom 20. September 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 6. Oktober 2006).
63 Fassung gemäss LRB vom 15. Dezember 1999, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2001 (AB vom 24. Dezember 1999). 23
3. Geistliche, Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen, Verteidiger und Ver- teidigerinnen, Notare und Notarinnen, Ärzte und Ärztinnen, Zahnärzte und Zahnärztinnen, Apotheker und Apothekerinnen, Hebammen sowie ihre Hilfspersonen für Geheimnisse, die ihnen infolge ihres Berufes an- vertraut worden sind oder die sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben. 64
4. Personen, die sich beruflich mit der Veröffentlichung von Informationen im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums befas- sen und ihre Hilfspersonen, unter den Voraussetzungen von Artikel 28a StGB. 65
5. Staatlich anerkannte Psychologen, Sozialarbeiter und Fürsorger.
Artikel 87 Recht zur Antwortverweigerung
1 Der Zeuge oder die Zeugin darf die Antwort auf Fragen verweigern, wenn er oder sie versichert, der Inhalt der Aussage könnte ihn oder sie oder eine der in Artikel 86 Ziffer 1 genannten Personen der strafrechtlichen Verfolgung aussetzen. 66
2 Das Opfer im Sinne des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten 67 kann die Aussage zu Fragen verweigern, die seine Intimsphäre betreffen (Art. 7 OHG). 68
Artikel 88 Ausübung des Rechts zur
Zeugnis- oder Antwortverweigerung
1 Das Recht zur Zeugnis- oder Antwortverweigerung kann jederzeit geltend gemacht werden.
2 Aussagen, welche nach Belehrung über das Recht zur Zeugnis- oder Ant- wortverweigerung gemacht wurden, sind trotz nachträglicher Verweigerung verwertbar.
Artikel 89 Ermahnung und Belehrung des Zeugen
1 Zu Beginn der Einvernahme wird der Zeuge zur Wahrheit ermahnt und auf die Straffolgen falscher Zeugenaussagen hingewiesen.
2 Er wird über die Voraussetzungen zur Zeugnis- und Antwortverweigerung belehrt. ___________
64 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
65 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
66 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
67 SR 312.5
68 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
24
3 Wird die Ermahnung oder Belehrung unterlassen, so ist die Einvernahme auf Verlangen zu wiederholen.
Artikel 90 Gegenstand der Einvernahme
Der Zeuge wird befragt über:
1. seine Personalien,
2. seine persönlichen Beziehungen zum Beschuldigten und Geschädigten sowie über andere Umstände, die seine Glaubwürdigkeit beeinflussen können, und über
3. die Sache.
Artikel 91 Durchführung der Einvernahme
1 Die Zeugen werden in der Regel getrennt einvernommen.
2 Sie dürfen nicht durch die Art der Fragestellung beeinflusst werden.
3 Der Zeuge kann dem Beschuldigten, Auskunftspersonen, anderen Zeugen oder Sachverständigen gegenübergestellt werden.
4 Müssen dem Zeugen zum Zwecke der Erkennung Personen vorgestellt oder Sachen vorgelegt werden, so ist er vorher aufzufordern, sie so gut als möglich zu beschreiben.
Artikel 92 Begutachtung
Ist in schwerwiegender Sache die Glaubwürdigkeit eines Zeugen und seiner Aussagen zweifelhaft und kommt ihr eine entscheidende Bedeutung zu, so kann der Zeuge von einem Sachverständigen ambulant untersucht und be- gutachtet werden.
Artikel 93 Unberechtigte Zeugnisverweigerung
1 Verweigert ein Zeuge ohne gesetzlichen Grund die Aussage oder bleibt er unentschuldigt aus, so kann er von der einvernehmenden Amtsstelle bzw. Behörde mit einer Ordnungsbusse bis zu Fr. 500.– bestraft werden. Er kann überdies vorgeführt werden.
2 Der Zeuge hat die Kosten der erfolglosen Vorladung bzw. Tagfahrt zu be- zahlen.
Artikel 94 Zeugenentschädigung
Der Zeuge hat Anspruch auf eine angemessene Entschädigung.
Artikel 95 Schriftliche Berichte
Der Verhörrichter oder das Gericht können von Amtsstellen oder aus- nahmsweise von vertrauenswürdigen Personen schriftliche Auskünfte ein- 25
fordern oder entgegennehmen. Nach Eingang dieser Berichte wird ent- schieden, ob sie zum Beweis tauglich sind oder der Bekräftigung durch eine Zeugeneinvernahme bedürfen.
5. Abschnitt: Der Sachverständige
Artikel 96 Anwendungsbereich
Sachverständige sind beizuziehen, wenn
1. dies gesetzlich vorgeschrieben ist, oder
2. zur Feststellung oder Beurteilung von Tatsachen besondere Fachkennt- nisse oder Fertigkeiten erforderlich sind.
Artikel 97 Pflicht zur Annahme des Auftrages
1 Der Verhörrichter oder im gerichtlichen Verfahren das Gericht können ei- nen Sachverständigen zur Annahme des Auftrages verpflichten, wenn be- sondere Umstände es erfordern. Zeugnisverweigerungsgründe berechtigen zur Ablehnung des Auftrages.
2 Wer die Annahme oder die Erledigung eines Auftrages pflichtwidrig ver- weigert oder verzögert, kann mit Ordnungsbusse bis zu Fr. 500.– bestraft werden.
3 Der Umstand, dass der zu ernennende Sachverständige als Zeuge ein- vernommen worden ist, steht seiner Ernennung nicht im Weg.
Artikel 98 Ernennung
1 Der Verhörrichter oder im gerichtlichen Verfahren das Gericht ernennen einen oder mehrere Sachverständige. Diese werden auf die Straffolgen fal- scher Begutachtung aufmerksam gemacht. Wird diese Belehrung unterlas- sen, so ist die Begutachtung auf Verlangen zu wiederholen.
2 Der Name des Sachverständigen ist den Verfahrensbeteiligten mitzuteilen. Wenn begründete sachliche oder persönliche Einwände erhoben werden, ist eine neue Wahl zu treffen.
Artikel 99 Durchführung
1 Dem Sachverständigen sind die Fragen zu stellen, die er zu beurteilen hat. Den Verfahrensbeteiligten kann Gelegenheit gegeben werden, sich zu äus- sern und Anträge einzureichen.
2 Die Instruktion und die Erstattung des Gutachtens erfolgen schriftlich oder mündlich zu Protokoll.
3 Der Sachverständige kann zu Prozesshandlungen zugezogen werden.
26
4 Hält er Ergänzungen des Verfahrens für notwendig, so stellt er Antrag. In einfachen Fällen kann er direkt mit der Vornahme der Ergänzung betraut werden.
Artikel 100 Ergänzung des Gutachtens
Der Verhörrichter und das Gericht können von sich aus oder auf Antrag des Beschuldigten das Gutachten erläutern oder ergänzen lassen oder einen neuen Sachverständigen bestimmen.
Artikel 101 Entschädigung
Der Sachverständige erhält eine angemessene Entschädigung.
6. Abschnitt: Andere Beweismittel
Artikel 102 Augenschein
1 Ein Augenschein ist vorzunehmen, wenn er zur Abklärung des Sachver- haltes dienen kann.
2 Insbesondere ist der Tatort von der ermittelnden Polizei und in wichtigen Fällen auch vom Verhörrichter unverzüglich zu besichtigen, und es sind die dort vorhandenen Spuren festzustellen und womöglich sicherzustellen.
3 Jedermann ist verpflichtet, Zutritt für einen Augenschein zu gewähren.
Artikel 103 Verbindung von Augenschein und Einvernahmen
Die Einvernahme des Beschuldigten, der Auskunftspersonen, Zeugen oder Sachverständigen kann an den Ort des Augenscheins verlegt werden.
Artikel 104 Weitere Beweismittel
1 Weitere Beweismittel sind solche, welche die Straftat direkt belegen oder auf sie hinweisen.
2 Als Beweismittel gelten auch Strafregisterauszüge, Führungsberichte und Akten anderer behördlicher Verfahren.
3 Werden die in den Führungsberichten angegebenen Tatsachen bestritten und sind sie für die Beurteilung wesentlich, so sind sie näher abzuklären.
Artikel 105 Sicherstellung
1 Die Beweismittel sind nach Möglichkeit vollständig und im Original bzw. in Kopie unter Angabe der Fundstelle für das Verfahren sicherzustellen.
2 Auf berechtigte private oder geschäftliche Interessen ist angemessen Rücksicht zu nehmen. 27
7. Kapitel: ZWANGSMASSNAHMEN
1. Abschnitt: Allgemeines
Artikel 106 Grundsatz
1 Zwangsmassnahmen sind möglichst schonend und unter Vermeidung un- angemessener Strenge zu vollziehen.
2 Soweit nichts anderes bestimmt wird, schliesst das Zeugnisverweige- rungsrecht nach Artikel 86 Ziffern 2 bis 5 Zwangsmassnahmen aus.
3 Mit deren Durchführung kann die Kantonspolizei beauftragt werden.
4 Bei Verhaftungen ist die beschuldigte Person unverzüglich auf ihre Rechte nach Artikel 74a aufmerksam zu machen. 69
2. Abschnitt: Verhaftung und ergänzende Zwangsmassnahmen
1. Unterabschnitt: Verhaftung mit Haftbefehl
Artikel 107 Haftvoraussetzung und Haftgründe
1 Gegen einen Beschuldigten darf ein Haftbefehl erlassen werden, wenn er eines Verbrechens oder schweren Vergehens dringend verdächtig ist und bestimmte Anhaltspunkte für einen der folgenden Umstände gegeben sind:
1. Fluchtgefahr,
2. Verdunkelungsgefahr,
3. ernstliche Gefährdung anderer durch Begehung einer neuen schweren Straftat oder Ausführung einer angedrohten schweren Straftat.
2 Der Haftbefehl ist ferner zulässig zur Sicherung des Strafvollzuges und der Ausschaffung. 70
Artikel 108 Haftbefehl
1 Die Verhaftung der beschuldigten Person erfolgt aufgrund eines Haftbe- fehls des Verhöramts oder im gerichtlichen Verfahren durch einen solchen des zuständigen Gerichtspräsidiums. Im Vollzugs- und Ausschaffungsver- fahren erlässt die zuständige Direktion 71 den Haftbefehl. Zur Verlängerung, ___________
69 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
70 Fassung gemäss LRB vom 27. Februar 1985, in Kraft gesetzt auf den 1. März 1985 (AB vom 8. März 1985).
71 Justizdirektion; siehe Organi sationsreglement (RB 2.3322).
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Erneuerung oder Änderung des Haftbefehls ist jene Instanz oder Behörde zuständig, bei der der Straffall hängig ist. 72 1a Hat die Staatsanwaltschaft gegen eine verhaftete Person Anklage erho- ben, stellt sie gleichzeitig beim nach Artikel 117 zuständigen Gericht das Gesuch, für die Dauer des Gerichtsverfahrens eine Sicherheitshaft anzu- ordnen. Der oder die Angeklagte in Sicherheitshaft kann jederzeit beim Obergerichtspräsidium ein Gesuch um Haftentlassung stellen. 73
2 Der Haftbefehl wird schriftlich ausgestellt und enthält:
1. die genaue Bezeichnung der Person, gegen die er sich richtet,
2. die Angabe der Tat und des Haftgrundes,
3. die Aufforderung, den Betroffenen zu verhaften,
4. das Datum und die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers.
3 Ist der zu Verhaftende flüchtig, so wird er polizeilich ausgeschrieben; in besonderen Fällen kann die Öffentlichkeit durch geeignete Mittel zur Mitwir- kung an der Ermittlung des Gesuchten aufgefordert werden. Die zuständige Direktion kann eine Belohnung aussetzen.
Artikel 109 Vollzug des Haftbefehls
1 Der Beschuldigte oder Verurteilte ist unter Vorweisung des Haftbefehls aufzufordern, dem Befehl Folge zu leisten.
2 Der die Verhaftung Vollziehende kann nötigenfalls Private zur Mitwirkung anhalten. Der Kanton haftet diesen für einen allfälligen, anderweitig nicht gedeckten Schaden.
3 Die Angehörigen des Verhafteten, allenfalls die zuständige Fürsorgestelle und mit Zustimmung des Verhafteten der Arbeitgeber, sind umgehend, in der Regel durch die Polizei, zu benachrichtigen, sofern es nicht berechtigte Interessen des Verhafteten oder der Untersuchungszweck verbieten. ___________
72 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
73 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004). 29
2. Unterabschnitt: Festnahme ohne Haftbefehl
Artikel 110 - 112 74
3. Unterabschnitt: Die Untersuchungshaft
Artikel 113 Zuführung
Die verhaftete bzw. festgenommene Person ist so rasch als möglich dem Verhörrichter zuzuführen.
Artikel 114 Verhör mit dem Zugeführten
Der Zugeführte ist unverzüglich, spätestens am ersten Werktag, nachdem er dem Verhörrichter zugeführt wurde, über den Gegenstand der Beschuldi- gung einzuvernehmen und auf sein Recht, jederzeit ein Haftentlassungsge- such einzureichen, aufmerksam zu machen.
Artikel 115 Entscheid über Freilassung oder Untersuchungshaft
1 Nach dem Verhör und der ersten Abklärung wird die zugeführte Person: 75
1. freigelassen, allenfalls mit Weisungen und Auflagen oder gegen eine Si- cherheitsleistung, 76
2. in Untersuchungshaft gesetzt, oder
3. freiheitsbeschränkenden Massnahmen wie Pass- und Schriftensperre, Aufenthaltsbeschränkung, allenfalls verbunden mit einer Sicherheitsleis- tung, unterworfen.
2 Der Entscheid über die Untersuchungshaft, die Sicherheitsleistung oder die freiheitsbeschränkende Massnahme muss den Erfordernissen von Arti- dem Hinweis auf die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung ist dem Ver- hafteten auszuhändigen.
Artikel 116 Dauer der Untersuchungshaft
1 Die Untersuchungshaft darf nicht länger dauern, als Anlass dazu besteht.
2 Die Untersuchungshaft darf nicht länger als dreissig Tage dauern. Der Haftrichter nach Artikel 117 kann auf begründetes Gesuch eine oder mehre- ___________
74 Aufgehoben durch LRB vom 3. September 2008, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2009 (AB vom 19. September 2008).
75 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
76 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
30
re zeitlich begrenzte Haftverlängerungen bewilligen. Sein Entscheid ist end- gültig. 77
Artikel 117 78 Gerichtliche Überprüfung der Untersuchungshaft
1 Der Beschuldigte kann beim Haftrichter ein schriftliches Gesuch um Haft- entlassung stellen.
2 Haftrichter ist:
1. im Gerichtsbezirk Uri der Vorsteher der zivilrechtlichen Abteilung und im Gerichtsbezirk Ursern der Stellvertreter des Landgerichtspräsidenten, wenn der Verhörrichter die Untersuchungshaft oder die zuständige Di- rektion die Haft nach Artikel 108 Absatz 1 angeordnet hat,
2. der Präsident des Obergerichtes, wenn der Präsident des Landgerichts die Untersuchungshaft angeordnet hat,
3. ein Mitglied des Obergerichtes, das sich mit dem Straffall bisher noch nicht beschäftigt hat, wenn der Präsident des Obergerichtes die Unter- suchungshaft angeordnet hat.
3 Im Überprüfungsverfahren können Massnahmen nach Artikel 115 Absatz 1 getroffen werden.
4 Vor seinem Entscheid hört der Haftrichter die Instanz an, die die Haft an- geordnet hat. Er gibt dem Gesuchsteller Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Der Haftrichter entscheidet spätestens am fünften Werktag, nach- dem das Haftprüfungsgesuch eingegangen ist. Sein Entscheid ist endgültig.
Artikel 118 Vollzug der Untersuchungshaft
Dem Untersuchungsgefangenen dürfen nur Beschränkungen auferlegt wer- den, welche der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der An- stalt erfordern.
Artikel 119 Vorzeitiger Vollzug, Hospitalisierung
1 Wenn der Verhaftete eine längere unbedingte Freiheitsstrafe oder frei- heitsentziehende Massnahme zu erwarten hat und sein ausdrückliches Ein- verständnis vorliegt, kann die zuständige Direktion auf Antrag des Verhör- richters oder des Gerichtspräsidenten den vorzeitigen Vollzug verfügen, so- fern der Stand des Verfahrens dies erlaubt.
2 Der Verhörrichter oder der Gerichtspräsident kann nach Anhörung eines Arztes den Verhafteten zur Pflege in ein Spital oder in eine psychiatrische ___________
77 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
78 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994). 31
Klinik bringen lassen. Die Einweisung ist dem Kantonsarzt zu melden. Arti- kel 116 und 117 sind sinngemäss anwendbar. 79
4. Unterabschnitt: Die Sicherheitsleistung
Artikel 120 Freilassung gegen Sicherheitsleistung
1 Der Beschuldigte oder Verurteilte, der wegen Fluchtgefahr zu verhaften wäre oder verhaftet ist, kann gegen die Leistung einer Sicherheit entlassen werden, wenn er die schriftliche Erklärung abgibt, dass er jeder Vorladung Folge leisten und sich zum Strafvollzug stellen werde.
2 Die Art und der Betrag der Sicherheit bestimmen sich nach Massgabe der Schwere der Anschuldigung, der Höhe des mutmasslichen Schadens und der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen.
3 Wenn neue Tatsachen es rechtfertigen, kann die Verhaftung des Freige- lassenen verfügt werden.
Artikel 121 Verfall der Sicherheit
1 Die Sicherheit verfällt, wenn der Beschuldigte oder Verurteilte flieht oder sich verborgen hält.
2 Die verfallene Sicherheit wird in der von der Behörde zu bestimmenden Reihenfolge für die Bezahlung der Verfahrens- und Vollzugskosten, der Geldstrafe oder der Busse und zur Deckung der gerichtlich zugesprochenen Schadenersatzbegehren verwendet. Der Rest fällt in die Staatskasse, kann aber zurückerstattet werden, wenn die flüchtige Person sich vor Ablauf der Verjährungsfrist stellt. 80
Artikel 122 Freigabe der Sicherheit
1 Die Sicherheit wird frei bei Wegfall des Haftgrundes, neuer Verhaftung, Einstellung des Verfahrens, Freispruch oder Antritt des Straf- oder Mass- nahmenvollzuges.
2 Die freizugebende Sicherheit kann zur Deckung der Verfahrens und Voll- zugskosten sowie der Geldstrafe oder der Busse verwendet werden, wenn sie nach Artikel 125 beschlagnahmt wird. 81 ___________
79 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
80 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
81 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
32
Artikel 123 Entscheidende Instanz
Über die Freigabe oder den Verfall, die Verwendung und die allfällige Rück- erstattung entscheidet die Behörde, bei der die Sache anhängig ist oder zu- letzt anhängig war.
3. Abschnitt: Die Beschlagnahme
Artikel 124 82 Beschlagnahme von Beweisstücken,
Gegenständen und Vermögenswerten Wer Gegenstände oder Vermögenswerte, die voraussichtlich als Beweismit- tel oder der Durchsetzung einer Ersatzforderung dienen oder nach den Be- stimmungen des Strafrechtes eingezogen oder verfallen erklärt werden können, in seinem Gewahrsam hat, ist verpflichtet, diese auf Verlangen he- rauszugeben. Weigert er oder sie sich, kann das Verhöramt die Gegenstän- de oder Vermögenswerte zwangsweise beschaffen oder einer Verfügungs- beschränkung unterwerfen.
Artikel 125 83 Beschlagnahme von anderen Vermögenswerten
Das Verhöramt kann darüber hinaus andere Vermögenswerte der beschul- digten Person beschlagnahmen, soweit es zur Sicherung der Verfahrens- und Vollzugskosten sowie der Geldstrafe oder der Busse notwendig er- scheint.
Artikel 126 Vorläufige Beschlagnahme
1 Wenn Gefahr in Verzug ist, darf die Polizei Gegenstände und Vermö- genswerte, die der Beschlagnahme nach Artikel 124 und 125 unterliegen, von sich aus in Verwahrung nehmen. 84
2 Die erhobenen Gegenstände und Vermögenswerte sind unverzüglich dem Verhörrichter bekannt zu geben, der sofort die Voraussetzungen der Be- schlagnahme prüft und Vorkehrungen nach Artikel 127 trifft. Die Gegen- stände sind der Polizei zur Verwahrung abzugeben.
Artikel 127 Durchführung der Beschlagnahme
1 Die Beschlagnahme ist in der Regel schriftlich anzuordnen. Über die in Verwahrung genommenen Gegenstände ist ein Verzeichnis zu erstellen. Der Inhaber erhält ein Doppel. ___________
82 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
83 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
84 Fassung gemäss LRB vom 14. Februar 1990, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 1990 (AB vom 23. Februar 1990). 33
2 Bei Grundstücken kann eine Grundbuchsperre angeordnet werden. Sie ist im Grundbuch anzumerken. 85
Artikel 128 Entscheid über die beschlagnahmten Gegenstände
und Vermögenswerte
1 Beschlagnahmte Gegenstände und Vermögenswerte, die für das Strafver- fahren nicht mehr benötigt werden und weder der Einziehung unterliegen noch dem Staat verfallen, sind dem Berechtigten zurückzugeben.
2 Über die Rückgabe oder Verwendung und die Verwertung der anderen Gegenstände und Vermögenswerte ist spätestens bei Abschluss des Ver- fahrens zu befinden.
3 Erheben mehrere Personen Anspruch auf den zurückzugebenden Ge- genstand bzw. auf die Vermögenswerte, so fällt die Behörde oder Instanz, bei der das Verfahren hängig ist oder zuletzt hängig war, den Entscheid und setzt jedem abgewiesenen Ansprecher eine Frist zur zivilrechtlichen Klage an. Benützen sie diese Frist nicht, so wird der Gegenstand bzw. Vermö- genswert dem durch den Entscheid bezeichneten Ansprecher ausgehän- digt.
4 Ist die zur Entgegennahme berechtigte Person nicht bekannt, so kann eine öffentliche Aufforderung zur Anmeldung des Anspruches erfolgen. Meldet sich die berechtigte Person nicht innerhalb von fünf Jahren, so verfällt der Gegenstand bzw. der Vermögenswert dem Staat (Art. 70 Abs. 4 StGB). 86
5 Gegenstände, die schneller Wertverminderung ausgesetzt sind oder einen kostspieligen Unterhalt erfordern, können vorzeitig freihändig veräussert oder vernichtet werden. 87
4. Abschnitt: Die Hausdurchsuchung
Artikel 129 Voraussetzungen
1 Ohne die Einwilligung des Berechtigten dürfen Gebäude und umschlosse- ne Räume nur durchsucht werden, wenn anzunehmen ist, dass auf diese Weise ermöglicht wird:
1. das Auffinden von Gegenständen oder Vermögenswerten, die nach Arti- kel 124 zu beschlagnahmen sind,
2. die Feststellung der Spuren der Straftat oder des Täters, oder
3. die Festnahme oder Verhaftung des Beschuldigten oder Verurteilten. ___________
85 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
86 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
87 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
34
2 Die Hausdurchsuchung wird aufgrund eines Hausdurchsuchungsbefehls des Verhörrichters vorgenommen. Er muss die zu durchsuchenden Gebäu- de oder Räumlichkeiten sowie den Zweck der Hausdurchsuchung bezeich- nen sowie Datum und die Unterschrift des Ausstellers tragen.
3 In dringenden Fällen, wie der Festnahme eines Flüchtenden, ist die Polizei berechtigt, eine Hausdurchsuchung ohne Befehl vorzunehmen.
Artikel 130 Durchführung
1 Die Hausdurchsuchung wird vom Verhöramt oder von der Polizei ausge- führt; in wichtigen Fällen soll das Verhöramt zugegen sein. Die Hausdurch- suchung ist zu dokumentieren. 88
2 An Sonn- und Feiertagen sowie zur Nachtzeit sollen Hausdurchsuchungen nur in ganz dringenden Fällen vorgenommen werden.
3 Der Inhaber der Räumlichkeiten oder, wenn er nicht erreichbar ist, eine Vertrauensperson sollen zur Hausdurchsuchung zugezogen werden.
5. Abschnitt Durchsuchung von Papieren, Personen und Effekten
Artikel 131 Durchsuchung von Papieren
1 Das Verhöramt kann gegen den Willen der berechtigten Person eine Durchsuchung von Papieren anordnen, wenn anzunehmen ist, dass sich darunter Unterlagen befinden, die nach Artikel 124 oder 125 beschlagnahmt werden können. 89
2 In dringenden Fällen kann die Polizei die Durchsuchung von sich aus vor- nehmen.
3 Dem Inhaber ist wenn möglich Gelegenheit zu geben, sich vor der Durch- suchung über ihre Zulässigkeit und den Inhalt der Papiere auszusprechen. Erhebt er Einsprache, so sind sie zu versiegeln und zu verwahren, bis ent- schieden wird, ob sie durchsucht werden dürfen oder zurückgegeben wer- den müssen. Über solche Einsprachen entscheidet der Präsident des zu- ständigen Landgerichts endgültig.
Artikel 132 Durchsuchung von Personen und Effekten
1 Auf Anordnung des Verhöramts dürfen die beschuldigte Person und ihre Effekten zur Auffindung von Gegenständen, die nach Artikel 124 oder 125 zu beschlagnahmen sind, durchsucht werden. 90 ___________
88 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
89 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
90 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004). 35
2 Die Durchsuchung einer nicht beschuldigten Person darf gegen deren Wil- len nur stattfinden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schliessen ist, dass sie Gegenstände aufbewahrt, die nach Artikel 124 oder 125 beschlag- nahmt werden können. 91
3 In dringenden Fällen kann die Polizei solche Durchsuchungen von sich aus vornehmen.
4 Die körperliche Durchsuchung soll von einer Person gleichen Geschlechts oder einem Arzt vorgenommen werden.
6. Abschnitt: Überwachungsmassnahmen
Artikel 133 92 Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs
1 Die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs richtet sich nach dem Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldever- kehrs (BÜPF) 93 .
2 Anordnende Behörde nach diesem Gesetz ist das Verhöramt, Genehmi- gungsbehörde das nach Artikel 117 zuständige Gericht. Dieses hat auch die Triage nach Artikel 4 Absatz 6 BÜPF 94 vorzunehmen.
3 Beschwerden nach Artikel 10 BÜPF 95 beurteilt das Obergerichtspräsidium. Die Bestimmungen über den Rekurs sind sinngemäss anzuwenden.
4 Der Verhörrichter kann Telegramme, Postsendungen, angewiesene Be- träge und Guthaben von Rechnungsinhabern sowie Aufzeichnungen über- wachter Gespräche beschlagnahmen und von den Post-, Telefon- und Te- legrafenbetrieben herausverlangen. Sie werden dem Adressaten überge- ben, sobald es der Zweck der Massnahme gestattet. Soweit der Inhalt von zurückbehaltenen Briefen und Telegrammen ohne Gefahr mitgeteilt werden kann, erhält der Adressat eine Abschrift.
Artikel 134 96 Andere technische Überwachungsgeräte
Unter den Voraussetzungen nach Artikel 133 können für die Zwecke des Strafverfahrens Abhör-, Ton- und Bildaufnahmegeräte eingesetzt werden. ___________
91 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
92 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
93 SR 780.1
94 SR 780.1
95 SR 780.1
96 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
36
Artikel 134a 6a. Abschnitt: Verdeckte Ermittlung
98
Artikel 135 99
7. Abschnitt: Psychiatrische Begutachtung, Blutprobe und andere körperliche Untersuchungen
Artikel 136 100 Erkennungsdienstliche Behandlung
1 Die Polizei ist befugt, soweit dies zur Beweiserhebung notwendig ist, ver- dächtige Personen erkennungsdienstlich zu behandeln; sie kann namentlich daktyloskopische und fotografische Aufnahmen erstellen sowie DNA-Daten erheben und diese auswerten lassen. 101
2 Die Voraussetzungen zur Entnahme einer Probe zum Zwecke der DNA- Analyse richten sich nach dem Bundesgesetz über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen (DNA-Profil-Gesetz) 102 .
3 Richterliche Behörde im Sinne des DNA-Profil-Gesetzes 103 ist das nach
Artikel 117 Absatz 2 Ziffer 1 zuständige Gericht.
Artikel 137 Körperliche Untersuchung, Eingriffe und
psychiatrische Begutachtung
1 Der Beschuldigte kann, soweit es zur Feststellung des Sachverhalts oder zur Überprüfung der Zurechnungs-, Vernehmungs- und Verhandlungsfähig- keit erforderlich ist:
1. körperlich untersucht werden, namentlich zur Entdeckung von Tatspu- ren,
2. körperlichen Eingriffen, namentlich der Entnahme von Blut oder Magen- inhalt, unterzogen werden, ___________
97 Aufgehoben durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
98 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
99 Aufgehoben durch LRB vom 3. September 2008, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2009 (AB vom 19. September 2008).
100 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
101 Fassung gemäss LRB vom 3. September 2008, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2009 (AB vom 19. September 2008).
102 SR 363
103 SR 363 37
3. stationär oder ambulant psychiatrisch begutachtet werden.
2 Nicht beschuldigte Personen müssen nur körperliche Untersuchungen und diese nur dulden, wenn der Beweis im Strafverfahren nicht anders geführt werden kann. Zeugnisverweigerung schliesst die Vornahme einer Untersu- chung nicht aus. Für die psychiatrische Begutachtung bleibt Artikel 92 vor- behalten.
3 Das Verhöramt ist zuständig, solche Zwangsmassnahmen zu verfügen. Solange keine Untersuchung eingeleitet ist, kann auch der Polizeikomman- dant Blut- und Urinproben anordnen und deren Auswertung veranlassen. 104
4 Bei stationärer Begutachtung sind die Vorschriften des Haftrechts über Dauer und gerichtliche Überprüfung der Untersuchungshaft zu beachten. 105
Artikel 138 Durchführung der körperlichen Untersuchung usw.
Medizinische Untersuchungen und Eingriffe sowie psychiatrische Begutach- tungen sind von einem Arzt oder einer andern fachkundigen Person vorzu- nehmen. Frauen dürfen in der Regel nur vom Arzt oder von einer Frau un- tersucht werden.
8. Abschnitt: Verfügung über den Leichnam
Artikel 139 Autopsie, Exhumierung
Aus zwingenden Gründen, namentlich zur Abklärung eines Verbrechens oder schweren Vergehens, kann der Verhörrichter die Autopsie, den Auf- schub der Bestattung, die Ausgrabung des Leichnams oder die Öffnung der Aschenurne anordnen.
9. Abschnitt: Die Schriftprobe
Artikel 140 Schriftprobe und Herausgabe von Vergleichsschriften
1 Der Verhörrichter kann den Beschuldigten und zur Zeugnisverweigerung nicht berechtigte Personen verpflichten, zum Zwecke von Schriftvergleichen Schriftproben zu erstellen und Schriftstücke herauszugeben.
2
Artikel 93 Absatz 1 findet sinngemäss Anwendung. ___________
104 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
105 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
38
8. Kapitel: DAS ERMITTLUNGSVERFAHREN
UND DIE UNTERSUCHUNG
1. Abschnitt: Einleitung des Verfahrens
Artikel 141 106 Strafanzeigen
Jedermann, der von einer Straftat Kenntnis erhält, ist berechtigt, bei der Po- lizei oder beim Verhörrichter Anzeige zu erstatten.
Artikel 142 Strafanzeigepflicht
1 Behördemitglieder und Angestellte, denen im Amte ein Verbrechen oder Vergehen bekannt wird, sind zur Anzeige verpflichtet, die Angehörigen des Polizeikorps überdies auch hinsichtlich der Übertretungen. 107
2 Weitergehende Anzeigepflichten aufgrund anderer Erlasse bleiben vorbe- halten.
3 Die Anzeigepflicht entfällt, wenn dem Pflichtigen gegen den Tatverdächti- gen das Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.
Artikel 143 Inhalt der Strafanzeige
1 Der Empfänger der Strafanzeige hat dafür zu sorgen, dass diese alles enthält, was der Anzeiger über die Tat, den Täter, allfällige Zeugen usw. selbst beobachtet oder von andern vernommen hat. 108
2 Mündliche Strafanzeigen sind zu protokollieren.
Artikel 144 Antragsdelikte
1 Bei Antragsdelikten sind die Strafanträge schriftlich oder zu Protokoll bei der Polizei oder beim Verhörrichter einzureichen. 109
2 Bei Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Artikel 217 StGB) steht das Antragsrecht auch den Vormundschaftsbehörden zu. 110 ___________
106 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
107 Fassung gemäss LRB vom 15. Dezember 1999, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2001 (AB vom 24. Dezember 1999).
108 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
109 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
110 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004). 39
2. Abschnitt: Das Ermittlungsverfahren
Artikel 145 Ermittlung durch die Polizei
1 Ergeben sich durch Anzeige, Strafantrag oder auf anderem Wege An- haltspunkte für strafbare Handlungen, sind die notwendigen und unauf- schiebbaren polizeilichen Massnahmen zur Ermittlung der Täterschaft und zur Sicherung der Beweise durchzuführen.
2 Die Verteidigung hat keinen Anspruch, diesen polizeilichen Massnahmen beizuwohnen. Artikel 145a bleibt vorbehalten. 111
3 Bei schweren Delikten und komplizierten Sachumständen ist der Verhör- richter unverzüglich zu benachrichtigen.
Artikel 145a 112 Polizeiliche Einvernahmen
Die Verteidigung hat das Recht, polizeilichen Einvernahmen beizuwohnen und Anträge zu stellen. Ist sie verhindert, muss die Einvernahme deswegen nicht verschoben werden.
Artikel 146 Rapporterstattung
Über ihre Erhebungen und Massnahmen erstattet die Polizei so rasch als möglich Bericht, wenn Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen, und zwar:
1. dem Staatsanwalt, wenn der Sachverhalt keiner weiteren Abklärung be- darf,
2. dem Verhörrichter, wenn weitere Abklärungen erforderlich sind,
3. der zuständigen Verwaltungsbehörde, wenn es sich um Delikte handelt, die in erster Instanz durch diese beurteilt werden.
3. Abschnitt: Die Untersuchung
Artikel 147 113 Prüfungspflicht, erste Massnahmen
1 Der Verhörrichter prüft nach Empfang der Anzeige, des Polizeirapportes gemäss Artikel 146 oder nach Zuführung des Festgenommenen gemäss
Artikel 113, ob das zur Anzeige gebrachte Verhalten mit Strafe bedroht ist, ob ein ausreichender Tatverdacht gegeben ist und ob die Prozessvoraus- setzungen erfüllt sind. ___________
111 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
112 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
113 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
40
2 Sind die Voraussetzungen von Absatz 1 erfüllt, eröffnet der Verhörrichter die Untersuchung gegen eine bestimmte oder unbekannte Täterschaft we- gen bestimmter Taten. Er führt sofort die notwendigen Untersuchungshand- lungen durch. Dazu kann er sich der Hilfe der Polizeiorgane bedienen.
3 Liegt kein Grund für eine Untersuchung vor, gibt der Verhörrichter der An- zeige keine Folge.
4 Der Entscheid über Eröffnung oder Nichteröffnung einer Untersuchung ist in den Akten zu vermerken und umgehend der Staatsanwaltschaft mitzutei- len.
Artikel 148 Zweck der Untersuchung
1 Die Untersuchung hat den Zweck, alle sachlichen und persönlichen Um- stände abzuklären, welche für die Einstellung des Verfahrens oder die An- klageerhebung und für die gerichtliche Beurteilung von Bedeutung sind.
2 Der Verhörrichter dehnt durch Beschluss das Verfahren aus auf weitere Taten des Beschuldigten oder auf an den verfolgten Taten Beteiligte, von denen das Verfahren Kenntnis bringt, wenn die Voraussetzungen der Straf- verfolgung vorliegen.
Artikel 149 Antragsrecht der Verfahrensbeteiligten
1 Der Angeschuldigte kann Untersuchungshandlungen beantragen. Über deren Zulassung entscheidet der Verhörrichter.
2 Dem Zivilkläger bzw. dem Dritteigentümer gemäss Artikel 40 Ziffer 4 ste- hen nur Beweisanträge zu, die sich auf den Zivilpunkt bzw. die Einziehung beziehen. Der Verhörrichter entscheidet darüber endgültig. Er darf ihnen nur entsprechen, soweit dadurch das Strafverfahren nicht wesentlich erweitert oder verzögert wird.
Artikel 150 Teilnahme der Verfahrensbeteiligten
1 Der Verhörrichter hat den Verfahrensbeteiligten die Anwesenheit bei Be- weiserhebungen zu gestatten, sofern der Untersuchungszweck dadurch nicht gefährdet wird.
2 Eine Verhandlung braucht nicht verschoben zu werden, weil die Verfah- rensbeteiligten an der Teilnahme verhindert sind.
3 Die Anwesenden können durch den Verhörrichter ergänzende Fragen stel- len lassen, über deren Zulässigkeit er nach freiem Ermessen entscheidet.
Artikel 151 Akteneinsicht, Beweisergänzungsbegehren
1 Sobald der Verhörrichter die Untersuchung als vollständig erachtet, setzt er den Verfahrensbeteiligten eine angemessene Frist, innert welcher sie die Akten einsehen und Beweisergänzungen beantragen können. Hat der Be- schuldigte einen im Kanton Uri zugelassenen Rechtsanwalt als Verteidiger, 41
so sind diesem die Akten zur Einsichtnahme zuzustellen; der Verhörrichter setzt eine angemessene Frist zur Stellung von Ergänzungsbegehren.
2 Der Verhörrichter hat auf Verlangen eines Verfahrensbeteiligten schon vor Abschluss des Beweisverfahrens Akteneinsicht zu gewähren, wenn der Stand der Untersuchung es erlaubt.
Artikel 152 Beschränkung der Akteneinsicht
1 Die Einsicht in einzelne Aktenstücke kann in dem Umfange verweigert werden, als wichtige öffentliche oder private Interessen eine Geheimhaltung erfordern.
2 Wird einem Verfahrensbeteiligten die Einsicht in Aktenstücke verweigert, so darf auf diese zum Nachteil des Betroffenen nur abgestellt werden, wenn ihm der Verhörrichter vom wesentlichen Inhalt Kenntnis gegeben und aus- serdem Gelegenheit geboten hat, sich dazu zu äussern sowie Gegenbewei- se zu bezeichnen.
Artikel 153 Verkehr des inhaftierten Angeschuldigten mit dem Verteidiger
Der inhaftierte Angeschuldigte kann mit seinem Verteidiger nach der ersten einlässlichen Einvernahme uneingeschränkt mündlich oder schriftlich ver- kehren. Vorbehalten bleibt Artikel 52 betreffend die Einschränkung und den Ausschluss des Verteidigers.
Artikel 154 Schlussbericht
1 Der Verhörrichter hat über jede angehobene Untersuchung einen Schlussbericht zu verfassen.
2 Der Schlussbericht enthält den Sachverhalt, das Ergebnis der Untersu- chung sowie den Straftatbestand. Ihm ist ein Kostenverzeichnis beizugeben.
9. Kapitel: DAS ZWISCHENVERFAHREN
1. Abschnitt: Allgemeines
Artikel 155 Überweisungsverfügung
Sind die Beweisergänzungsbegehren erledigt oder keine solchen einge- reicht worden, übersendet der Verhörrichter die Akten mit seinem Schluss- bericht dem Staatsanwalt.
Artikel 156 Weiterbehandlung
1 Der Staatsanwalt trifft, je nach Sach- und Rechtslage, folgende Vorkeh- rungen oder Verfügungen:
42
1. Er weist die Sache an den Verhörrichter zurück zur Vervollständigung der Untersuchung. In einfachen Fällen kann er die Polizei mit weiteren Abklärungen beauftragen. 114
2. Er stellt das Verfahren ein.
3. Er erlässt einen Strafbefehl.
4. Er überweist die Sache dem zuständigen Landgericht, indem er Anklage erhebt.
2 In gleicher Weise behandelt der Staatsanwalt jene Fälle, die ihm die Poli- zei nach Artikel 146 Ziffer 1 direkt überweist. 115
2. Abschnitt: Die Einstellungsverfügung
Artikel 157 Endgültige Einstellung
1 Der Staatsanwalt erlässt eine Einstellungsverfügung, wenn er findet, die vorgeworfene Handlung sei strafrechtlich nicht zu ahnden oder eine einge- leitete Strafverfolgung sei nicht weiterzuführen.
2 Die Einstellungsverfügung wird erlassen, wenn:
1. eine Prozessvoraussetzung fehlt und nicht beigebracht werden kann,
2. kein strafrechtliches Verhalten vorliegt,
3. die Unschuld des Beschuldigten feststeht,
4. der Angeschuldigte zur Zeit der Verübung der Straftat zurechnungsunfä- hig war,
5. die Belastungstatsachen für eine Überweisung an das Gericht nicht aus- reichen, oder
6. die Voraussetzungen von Artikel 9 erfüllt sind; vorbehalten bleibt Artikel 55a StGB. 116
3 Müssen Massnahmen nach Artikel 59 ff. oder 64 StGB angeordnet wer- den, so entscheidet darüber auf Antrag der Staatsanwaltschaft das zustän- dige Landgericht. 117
Artikel 158 Vorläufige Einstellung
1 Die Untersuchung kann einstweilen eingestellt werden, namentlich wenn: ___________
114 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
115 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
116 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
117 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006). 43
1. vorübergehende Prozesshindernisse bestehen, wie Abwesenheit, Ver- handlungsunfähigkeit des Angeschuldigten,
2. die Täterschaft unbekannt ist,
3. der Ausgang eines andern Verfahrens abgewartet werden muss, oder
4. künftige Ereignisse Einfluss auf den Entscheid der Strafsache ausüben können.
2 Vor der Einstellung sind alle Beweise, deren Verlust zu befürchten ist, zu erheben.
Artikel 159 Form und Mitteilung der Einstellungsverfügung
1 Die Einstellungsverfügung bezeichnet den Angeschuldigten und enthält die Begründung sowie die nötigen Anordnungen. Sie bestimmt, wer die Kos- ten zu tragen hat.
2 Die Einstellungsverfügung ist dem Angeschuldigten, dem Zivilkläger, dem Kostenpflichtigen und allfälligen weiteren Empfangsberechtigten mitzuteilen.
Artikel 160 Wiederaufnahme
1 Eine endgültig eingestellte Untersuchung ist wieder aufzunehmen, wenn sich neue Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten oder die Täterschaft ergeben.
2 Vorläufig eingestellte Strafuntersuchungen sind weiterzuführen, sobald der Grund der Einstellung entfällt. Besteht im Falle von Artikel 158 Absatz 1 Zif- fer 3 und 4 die Gefahr der Verjährung, so kann das Verfahren weitergeführt werden.
3. Abschnitt: Der Strafbefehl
Artikel 161 118 Voraussetzungen
1 Die Staatsanwaltschaft erlässt einen Strafbefehl, wenn als Sanktion für das strafbare Handeln lediglich eine der folgenden Strafen in Betracht fällt: – eine Freiheitsstrafe von höchstens sechs Monaten – die Verbindung einer bedingten Freiheitsstrafe von höchstens sechs Monaten mit einer Geldstrafe von höchstens 180 Tagessätzen oder mit einer Busse – eine Geldstrafe von höchstens 180 Tagessätzen – die Verbindung einer bedingten Geldstrafe von höchstens 180 Tages- sätzen mit einer weiteren Geldstrafe von 180 Tagessätzen oder mit einer Busse ___________
118 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
44
– eine Busse, oder – gemeinnützige Arbeit Sie trifft den Entscheid nach ihrer freien, aus dem ganzen Verfahren ge- schöpften Überzeugung.
2 Durch Strafbefehle können auch andere Massnahmen (Art. 66 ff. StGB) angeordnet und Zivilklagen beurteilt werden. Stationäre therapeutische Massnahmen (Art. 59 ff. StGB) und die Verwahrung (Art. 64 StGB) dürfen nicht angeordnet werden.
3 Das Strafbefehlsverfahren steht nicht zur Verfügung, wenn auf Grund ei- ner Straftat während der Probezeit, die neu auszusprechende Strafe und die zu widerrufende Strafe zusammen einem zu verbüssenden Freiheitsentzug von mehr als sechs Monaten oder mehr als 180 Tagessätzen Geldstrafe entsprechen.
Artikel 162 Inhalt
1 Der Strafbefehl enthält:
1. die Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten,
2. das Verhalten des Angeschuldigten nach seinen tatsächlichen und recht- lichen Merkmalen,
3. die anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen,
4. die Angabe der Beweismittel,
5. die Strafe, Zahl und Höhe allfälliger Tagessätze, gegebenenfalls die Gewährung des bedingten Strafvollzuges sowie die allfälligen weiteren Sanktionen, 119
6. den Entscheid über Kosten- und Entschädigungsfolgen, die Einziehung und den Verfall,
7. den Entscheid über die Zivilforderung oder deren Verweisung an den Zi- vilrichter,
8. die Bezeichnung der Personen und Amtsstellen, denen der Strafbefehl zugestellt wird,
9. die Belehrung über die Einsprachemöglichkeit und den Hinweis auf die Folgen einer unterlassenen Einsprache, und
10. die Unterschrift des Staatsanwaltes und das Datum.
2 Der Strafbefehl wird den davon Betroffenen und berechtigten Amtsstellen oder Behörden zugestellt. ___________
119 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006). 45
Artikel 163 Einsprache
1 Die angeschuldigte Person kann innert 20 Tagen seit dem Empfang des Strafbefehls bei der Staatsanwaltschaft schriftlich Einsprache erheben. 120
2 Innert gleicher Frist kann der Zivilkläger gegen die volle oder teilweise Abweisung der Zivilforderung sowie gegen den Kostenspruch, nicht aber gegen die Verweisung der Forderung an den Zivilrichter, beim Staatsanwalt schriftlich Einsprache erheben.
3 Innert gleicher Frist kann der Dritteigentümer gemäss Artikel 40 Ziffer 4 gegen die Einziehung oder den Verfall schriftlich Einsprache erheben.
4 Die Einsprache soll kurz enthalten, in welchen Punkten der Strafbefehl abgeändert werden soll.
Artikel 164 Folgen der Einsprache
1 Wird Einsprache erhoben, so erfolgt die gerichtliche Beurteilung im ordent- lichen Verfahren.
2 Stattdessen kann die Staatsanwaltschaft eine verhöramtliche Untersu- chung anordnen oder eine bereits durchgeführte Untersuchung durch das Verhöramt ergänzen lassen. Je nach dem Ergebnis hat sie das Verfahren einzustellen, einen neuen Strafbefehl zu erlassen oder beim zuständigen Gericht Anklage zu erheben. 121
3 Bei wesentlichen neuen Tatsachen kann die Staatsanwaltschaft auch oh- ne vorgängige verhöramtliche Untersuchung das Verfahren einstellen oder einen neuen Strafbefehl erlassen. 122
Artikel 165 Rückzug der Einsprache
Die Einsprache gegen den Strafbefehl kann bis zur Urteilsberatung zurück- gezogen werden.
Artikel 166 Rechtskraft und Registrierung
1 Wurde keine rechtzeitige Einsprache erhoben oder diese zurückgezogen, so erlangt der Strafbefehl die Wirkung eines gerichtlichen Urteils.
2 Der Staatsanwalt bedient die Polizei, die Finanzverwaltung und die Voll- zugsbehörde mit einer Kopie der Strafbefehle. ___________
120 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
121 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
122 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
46
10. Kapitel: DAS GERICHTSVERFAHREN
1. Abschnitt: Die Anklage
Artikel 167 123 Erhebung der Anklage
1 Wird das Verfahren nicht eingestellt, erlässt der Staatsanwalt keinen Strafbefehl oder wird gegen einen Strafbefehl Einsprache erhoben, so er- hebt er beim zuständigen Gericht Anklage. Damit versetzt er den Ange- schuldigten in den Anklagezustand.
2 Bezieht sich die Einsprache gegen einen Strafbefehl nur auf die Kosten, die Entschädigung oder die Zivilforderung, überweist der Staatsanwalt die Akten dem Gericht formlos zur Beurteilung.
Artikel 168 Inhalt der Anklageschrift
Die Anklageschrift enthält:
1. die Bezeichnung des Angeklagten,
2. eine kurze Zusammenfassung des Sachverhalts,
3. den Hinweis auf Vorstrafen und persönliche Verhältnisse des Angeklag- ten,
4. den Vermerk, ob sich der Angeklagte in Freiheit oder in Haft befindet,
5. die anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen und allenfalls summari- sche rechtliche Erwägungen,
6. die beantragten Strafen und Massnahmen,
7. den Antrag betreffend die Kosten- und Entschädigungsfolgen,
8. die Beweisanträge,
9. die Unterschrift des Staatsanwaltes und das Datum.
Artikel 169 Rückzug der Anklage
Der Staatsanwalt kann die Anklage bis zum Beginn der Hauptverhandlung zurückziehen. Will er die Strafverfolgung endgültig fallen lassen, so erlässt er eine Einstellungsverfügung. ___________
123 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994). 47
2. Abschnitt: Die Vorbereitung der Gerichtsverhandlung
Artikel 170 Prozesshängigkeit
Mit dem Eingang der Anklageschrift wird die Strafsache beim Gericht an- hängig.
Artikel 171 Anordnungen des Präsidenten
Der Präsident des Gerichts trifft die zur Vorbereitung der Verhandlung nöti- gen Anordnungen. Er stellt dem Angeklagten und seinem Verteidiger die Anklageschrift zu und teilt ihnen mit, ab welchem Zeitpunkt sie die Akten beim Gericht einsehen können; diese Anordnungen können mit der Zustel- lung der Vorladung nach Artikel 172 verbunden werden.
Artikel 172 Ansetzung der Verhandlung; Vorladungen
1 Der Gerichtspräsident setzt den Tag der Verhandlung fest und erlässt die Vorladungen.
2 Die Vorladung der Parteien und eventueller Zeugen zur Gerichtsverhand- lung erfolgt mindestens 14 Tage vorher. Mit Zustimmung der Parteien kann diese Frist abgekürzt werden.
Artikel 173 Zeugen und weitere Beweise
1 In wichtigen Straffällen kann der Gerichtspräsident von sich aus oder auf rechtzeitigen Antrag der Parteien entscheidende Zeugen und Sachverstän- dige oder Auskunftspersonen zur erneuten Einvernahme vor das Gericht vorladen.
2 Hält der Präsident dafür, dass an der Verhandlung selbst weitere Beweise zu erheben seien, so trifft er die nötigen Anordnungen.
3 In gleicher Weise kann das Gericht solche Einvernahmen und Beweiser- hebungen für eine weitere Gerichtsverhandlung beschliessen.
4 Das Gericht kann den Landgerichtspräsidenten oder einen Ausschuss des Landgerichts mit der Beweisabnahme beauftragen. 124
Artikel 174 Vorladung der übrigen Parteien
1 Der Gerichtspräsident lädt den Zivilkläger und den Dritteigentümer im Sinn von Artikel 40 Ziffer 4 ebenfalls vor, sofern diese nicht ausdrücklich darauf verzichten.
2 Beantragt der Staatsanwalt, dem Strafanzeiger Kosten aufzuerlegen, so ist auch dieser vorzuladen. ___________
124 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
48
3. Abschnitt: Die Hauptverhandlung
Artikel 175 Ort der Verhandlung
1 Die Gerichtsverhandlung findet ordentlicherweise am Amtssitz des betref- fenden Gerichts statt.
2 Ausnahmsweise kann der Präsident einen anderen Ort dafür bezeichnen.
Artikel 176 Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung
1 Das Verfahren vor Gericht ist mündlich, sofern nicht schriftliche Eingaben vorgesehen oder zugelassen sind.
2 Die Verhandlungen vor Gericht und die Urteilsverkündigung sind öffentlich. Die Beratung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Verfahrens- beteiligten statt.
3 Bild- und Tonaufnahmen sind verboten. Vorbehalten bleibt Artikel 36 Ab- satz 1.
4 Sofern übergeordnetes Recht es nicht verbietet, kann das Gericht die Öf- fentlichkeit oder einzelne Personen aus wichtigen Gründen ganz oder zum Teil ausschliessen.
5 Die Öffentlichkeit muss ausgeschlossen werden, wenn überwiegende Inte- ressen des Opfers im Sinne des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten 125 es erfordern. Bei Straftaten gegen die sexuelle Integrität wird die Öffentlichkeit auf Antrag des Opfers ausgeschlossen. 126
Artikel 177 Erscheinungspflicht
a) des Angeklagten
1 Der Angeklagte hat persönlich vor Gericht zu erscheinen, es sei denn, das Gericht entbinde ihn auf sein Ersuchen von dieser Pflicht.
2 Bei Übertretungen ist ihm das Erscheinen freigestellt. Das Gericht kann ihn jedoch auch in diesen Fällen verpflichten, zu erscheinen.
3 Verhaftete werden durch die Polizei zugeführt.
4 Angeklagte auf freiem Fuss, die ohne Erlaubnis und unentschuldbar nicht zur Hauptverhandlung erscheinen, sind zu einer zweiten Verhandlung poli- zeilich vorzuführen. Artikel 27 Absatz 2 ist anzuwenden.
Artikel 178 b) des Staatsanwaltes
In Fällen, die im Strafbefehlsverfahren beurteilt wurden, kann der Staatsan- walt anstelle der mündlichen Anklagebegründung eine schriftliche Begrün- dung einreichen, sofern er die Anklageschrift nicht als genügend erachtet. In ___________
125 SR 312.5
126 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994). 49
diesen Fällen ist die Anklageschrift bzw. die schriftliche Begründung in An- wesenheit des Angeklagten zu verlesen.
Artikel 179 c) des Zivilklägers und des Dritteigentümers
Dem Zivilkläger und dem Dritteigentümer gemäss Artikel 40 Ziffer 4 ist das Erscheinen vor Gericht freigestellt. Erscheinen sie nicht, entscheidet das Gericht aufgrund der Akten und allfälliger schriftlicher Anträge.
Artikel 180 Vorfragen und Beweisanträge
1 Vor dem Eintreten in die Hauptsache können Vorfragen über die Zustän- digkeit, die Besetzung des Gerichts, den Ausstand, den Ausschluss der Öf- fentlichkeit sowie Begehren um Ergänzung der Untersuchung, um Zulas- sung neuer Beweisurkunden, um gerichtliche Einvernahme bisheriger oder neuer Zeugen und Sachverständigen und um Durchführung eines gerichtli- chen Augenscheins gestellt werden.
2 Das Gericht gibt den anwesenden Verfahrensbeteiligten Gelegenheit, sich zu den Vorfragen zu äussern, dem Zivilkläger nur, soweit die Vorfrage für den Zivilpunkt, dem Dritteigentümer gemäss Artikel 40 Ziffer 4 nur, soweit diese für die Einziehung von Bedeutung ist. Über die Vorfragen entscheidet es sofort oder nach den Parteivorträgen.
3 Wird einem Begehren um Ergänzung der verhöramtlichen Untersuchung entsprochen, so gehen die Akten an den Verhörrichter. Dieser ergänzt die Untersuchung, gewährt Akteneinsicht im Sinne von Artikel 151, verfasst ei- nen ergänzenden Schlussbericht und überweist diesen dem Staatsanwalt, der das Zwischenverfahren durchführt.
Artikel 181 Befragung des Angeklagten
1 Der Angeklagte kann zum Gegenstand der Anklage und zu seinen persön- lichen Verhältnissen befragt werden.
2 Bei Verbrechen ist er immer zur Person und zur Sache zu befragen.
Artikel 182 Beweiserhebungen
Nach Erledigung allfälliger Vorfragen und Ergänzungsbegehren erhebt das Gericht gegebenenfalls weitere Beweise.
Artikel 183 Rückweisung der Akten
Sind die Akten unvollständig oder bestehen wesentliche Verfahrensmängel, so kann das Gericht die Akten von sich aus an den Verhörrichter bzw. den Staatsanwalt zurückweisen. Artikel 180 Absatz 3 findet Anwendung.
50
Artikel 184 Unterbrechung oder Verschiebung der Hauptverhandlung
1 Das Gericht kann von sich aus oder auf Antrag einer Partei die Hauptver- handlung für die Änderung oder Ergänzung der Anklage oder aus anderen wichtigen Gründen sowie für die dadurch notwendige Vorbereitung der Par- teivorträge unterbrechen oder verschieben.
2 Änderungen und Ergänzungen der Anklage sind nur bis zum Abschluss der gerichtlichen Beweiserhebungen und insoweit zulässig, als sie sich auf- grund der Gerichtsverhandlung ergeben. In solchen Fällen muss die Haupt- verhandlung auf Verlangen des Angeklagten oder seines Verteidigers un- terbrochen werden.
3 Bei längerer Unterbrechung kann der Vorsitzende die Wiederholung der Hauptverhandlung anordnen.
Artikel 185 Vorträge der Verfahrensbeteiligten
1 Nach Abschluss der Beweiserhebungen halten der Staatsanwalt, der Zivil- kläger bzw. dessen Vertreter, der Dritteigentümer gemäss Artikel 40 Ziffer 4 sowie der Angeklagte bzw. dessen Verteidiger in dieser Reihenfolge ihre Vorträge.
2 Der Zivilkläger darf sich nur zum Zivilpunkt, der Dritteigentümer nur zu den Voraussetzungen der Einziehung oder des Verfalls äussern.
3 Der Präsident kann allen Beteiligten einen zweiten Vortrag gestatten.
Artikel 186 Das Recht des letzten Wortes
Der anwesende Angeklagte persönlich hat das Recht des letzten Wortes.
Artikel 187 Mehrere Angeklagte
Kommen mehrere Straftaten verschiedener Angeklagter, die untereinander im Zusammenhang stehen, am gleichen Gerichtstag zur Behandlung, so kommen die Angeklagten für die Verteidigung in der Reihenfolge zum Wort, dass der weniger schwer Angeklagte immer vor dem schwerer Angeklagten spricht.
4. Abschnitt: Das Urteilsverfahren
Artikel 188 Erledigungsformen
1 Das Gericht erlässt ein Urteil oder einen Beschluss. Das Urteil lautet auf Freispruch oder Verurteilung. 127 ___________
127 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006). 51
2 Ist die Schuld nicht zweifelsfrei erwiesen, so ist der Angeklagte freizuspre- chen.
3 Liegen im Zeitpunkt der Beurteilung die Voraussetzungen für eine Straf- verfolgung nicht vor, so ist das Verfahren durch Beschluss einzustellen.
Artikel 189 Grundlagen des Entscheides
1 Gegenstand des Urteils ist die in der Anklageschrift bezeichnete Tat.
2 Eine Verurteilung kann nur Personen oder strafbare Handlungen erfassen, auf die sich die Anklage bezieht. Werden andere Tatumstände oder weitere Straftaten festgestellt, so ist die Sache zur Umarbeitung oder Ergänzung an den Staatsanwalt zurückzuweisen. Artikel 9 bleibt vorbehalten.
3 Eine Verurteilung aufgrund von Strafbestimmungen, die nicht in der An- klageschrift aufgeführt sind, darf nur erfolgen, wenn der Angeklagte zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
4 In gleicher Weise ist vorzugehen, wenn Umstände festgestellt werden, welche die Strafbarkeit erhöhen.
Artikel 190 Beratung und Beschlussfassung
1 Die Beratung und Beschlussfassung hat nach Möglichkeit unmittelbar nach der Verhandlung zu erfolgen.
2 Bei der Beratung und Beschlussfassung dürfen nur Richter mitwirken, die der ganzen Hauptverhandlung beiwohnten.
Artikel 191 128 Urteilsverkündung
1 Das Gericht verkündet den Entscheid in der Regel im Anschluss an die Beratung öffentlich. Andernfalls stellt es sicher, dass der Entscheid auf an- dere Weise öffentlich zugänglich ist.
2 Die öffentliche Urteilsverkündung und die öffentliche Zugänglichkeit des Entscheides nach Absatz 1 können unterbleiben, wenn wichtige Gründe vorliegen und nicht übergeordnetes Recht entgegensteht.
Artikel 192 Urteil
a) Inhalt
1 Das schriftliche Urteil enthält:
1. die Bezeichnung des Gerichtes und seiner Zusammensetzung sowie das Datum der Urteilsfällung,
2. die Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten, ___________
128 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
52
3. die Anträge der Verfahrensbeteiligten,
4. die Erwägungen des Gerichts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht,
5. das Dispositiv, namentlich über 129 – Schuldspruch, Freispruch – die angewendeten Gesetzesbestimmungen – Strafen und Massnahmen, Strafbefreiung, Verhaftung oder Freilas- sung des Angeklagten – Herausgabe von beschlagnahmten Gegenständen – Verwendung der Sicherheitsleistung – Aufhebung von Pass- und Schriftensperre – Zivilansprüche – Kosten und Entschädigung
6. die Rechtsmittelbelehrung,
7. die Bezeichnung der Personen und Amtsstellen, denen das Urteil zuge- stellt wird, und
8. die Unterschriften des Präsidenten und des Gerichtsschreibers mit dem Amtsstempel.
2 Wird kein Sachurteil gefällt, so ist der Entscheid als Beschluss zu fassen und zu begründen.
Artikel 193 b) Eröffnung im Dispositiv
Das Urteil wird den von ihm Betroffenen innert 20 Tagen seit der Urteilsfäl- lung im Dispositiv zugestellt. Das Dispositiv hat denselben Inhalt wie das schriftliche Urteil gemäss Artikel 192, ausgenommen die Erwägungen des Gerichts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Es hat auf das Recht, eine vollständige Urteilsausfertigung zu verlangen, ausdrücklich hinzuweisen.
Artikel 194 c) Vollständige Ausfertigung, Rechtskraft
1 Innert 20 Tagen seit der Zustellung bzw. innert 30 Tagen seit der Veröf- fentlichung (Artikel 31) des Dispositivs können die Verfahrensbeteiligten die vollständige Ausfertigung des Urteils verlangen. Diese ist ihnen beförderlich zuzustellen. Der Zivilkläger oder die Zivilklägerin kann sein oder ihr Begeh- ren um vollständige Ausfertigung des Urteils auf den Zivilpunkt beschrän- ken. 130
2 Wird die Möglichkeit, eine vollständige Ausfertigung zu verlangen, nicht benützt, erwächst das Urteil in Rechtskraft. ___________
129 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
130 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004). 53
Artikel 195 Rechtsmittelfrist
Die Rechtsmittelfrist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Ausferti- gung des Urteils.
5. Abschnitt: Haftentlassung nach dem Urteilsspruch
Artikel 196 Aufhebung der Haft
1 Wird ein verhafteter Angeklagter freigesprochen, ist er sofort in Freiheit zu setzen.
2 Gefährdet er jedoch die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder erfordert sein Zustand die Behandlung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, so hat der Gerichtspräsident bis zum Entscheid der zuständigen Instanz für den Voll- zug einstweilen besorgt zu sein.
6. Abschnitt: Das Verfahren gegen Abwesende
Artikel 197 Voraussetzungen
1 Erscheint der Angeklagte ohne hinreichende Entschuldigung nicht zur Hauptverhandlung, so fällt das Gericht aufgrund der Akten und Parteivorträ- ge ein Abwesenheitsurteil, wenn folgende Voraussetzungen gleichzeitig er- füllt sind:
1. der Angeklagte ist einvernommen worden,
2. er kann nicht vorgeführt werden,
3. er ist verpflichtet, vor Gericht zu erscheinen,
4. er ist gehörig vorgeladen worden.
2 Ein Rechtsmittel gegen das Abwesenheitsurteil ist nicht zulässig.
Artikel 198 Wiederaufnahme
1 Auf Verlangen des Verurteilten wird das ordentliche Verfahren durchge- führt. Das Begehren hat er innert 30 Tagen zu stellen, nachdem er von dem gegen ihn ausgefällten Urteil Kenntnis erhalten hat. Es ist zulässig, sofern die Strafe noch nicht verjährt ist.
2 Erscheint der Verurteilte ohne hinreichende Entschuldigung nicht zur neu- en Hauptverhandlung, so wird das Wiederaufnahmebegehren als erledigt abgeschrieben.
3 Das Abwesenheitsurteil bleibt rechtskräftig, bis das neue Urteil in Rechts- kraft erwächst.
54
11. Kapitel: BESONDERE VERFAHREN
1. Abschnitt: Das Verfahren bei Friedensbürgschaft
Artikel 199 Gesuch
Das Gesuch um Verhängung der Friedensbürgschaft als selbständige Massnahme ist beim Präsidenten des zuständigen Landgerichts anzubrin- gen.
Artikel 200 Verfahren und Entscheid
1 Der Richter lädt den Gesuchsteller und den Gesuchsgegner vor und er- lässt in Form einer Verfügung die in Artikel 66 StGB vorgesehenen Mass- nahmen. 131
2 Zur Abklärung des Sachverhaltes oder der Täterschaft kann er die Polizei oder den Verhörrichter beiziehen.
3 Für die Dauer des Verfahrens kann der Richter Massnahmen zum Schutz des Gesuchstellers anordnen. 1a. Abschnitt: Das Verfahren bei Antragsdelikten 132
Artikel 200a 133 Vergleichsversuch
1 Bei Verfahren, die ausschliesslich Antragsdelikte zum Gegenstand haben, sind die Parteien, sofern sie bekannt sind, zu einer Verhandlung einzuladen mit dem Ziel, eine gütliche Einigung zu erreichen. Zuständig hiefür ist das Verhöramt, wenn ein verhöramtlicher Untersuch durchgeführt worden ist, andernfalls die Staatsanwaltschaft.
2 Bleiben die Antragstellenden unentschuldigt aus, gilt der Strafantrag als zurückgezogen. Die Kostenpflicht richtet sich nach Artikel 67.
3 Bleiben die Beschuldigten aus oder wird kein Vergleich erzielt, wird das ordentliche Verfahren fortgesetzt.
4 Nach einem Vergleich, der im Protokoll festzuhalten und von den Parteien zu unterzeichnen ist, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein.
5 Liegt ein schriftlicher, gegenseitig unterzeichneter Vergleich vor, entfällt die mündliche Vermittlungsverhandlung. Das Verfahren ist nach Absatz 4 einzustellen. ___________
131 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
132 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
133 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004). 55
2. Abschnitt: Das Verfahren bei nachträglichen richterlichen Anordnungen
Artikel 201 Zuständigkeit
1 Für nachträgliche richterliche Anordnungen ist unter Vorbehalt abwei- chender Bestimmungen des Bundesrechts das Gericht zuständig, welches das rechtskräftige Urteil gefällt hat.
2 Ist der Fall durch einen Strafbefehl erledigt worden (Artikel 161), so ist der Staatsanwalt zuständig. Gegen diesen Entscheid ist Einsprache nach Artikel 163 zulässig.
Artikel 201a 134 Notwendige Rechtsverbeiständung
Drohen der betroffenen Person schwere Eingriffe in ihre Rechte, ist eine notwendige Rechtsverbeiständung anzuordnen. Im Übrigen sind die Be- stimmungen über die notwendige Verteidigung anwendbar.
Artikel 202 Erhebungen
Die zuständige Instanz stellt Erhebungen über die Tatsachen an, die für die nachträgliche richterliche Anordnung von Bedeutung sind. Sie kann den Verhörrichter oder die Polizei damit betrauen. Die Betroffenen sind anzuhö- ren.
Artikel 203 Entscheid
Der Entscheid ergeht nach Anhörung der Betroffenen aufgrund der Akten und wird schriftlich mitgeteilt.
3. Abschnitt: Vollstreckungsrichter
Artikel 204 135 Zuständigkeit
Über die Vollstreckbarkeit ausländischer Strafurteile entscheidet das nach
Artikel 342 StGB zuständige Präsidium des Landgerichts. ___________
134 Eingefügt durch LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
135 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
56
4. Abschnitt: Ordnungsbussen 136
Artikel 204a 137 Zulässigkeit
1 Die Kantonspolizei kann bei geringfügigen Übertretungen eine feste Busse auf der Stelle erheben, wenn die fehlbare Person damit einverstanden ist.
2 Der Regierungsrat kann für bestimmte Sachbereiche weitere Personen ermächtigen, Ordnungsbussen zu erheben. Die Bestimmungen dieses Ab- schnitts gelten auch dort.
3 Das Ordnungsbussenverfahren ist ausgeschlossen:
a) bei Widerhandlungen, durch die ein Schaden verursacht oder Personen verletzt oder gefährdet wurden;
b) bei Widerhandlungen durch Jugendliche, die das 15. Altersjahr nicht er- füllt haben;
c) wenn der fehlbaren Person zusätzlich eine Widerhandlung vorgeworfen wird, die nicht im Bussenkatalog aufgeführt ist;
d) wenn Gründe für eine Strafbefreiung bestehen (Art. 52 ff. StGB).
Artikel 204b 138 Grundsätze und Verfahren
1 Der Regierungsrat bestimmt jene geringfügigen Übertretungen, die im Ordnungsbussenverfahren geahndet werden können.
2 Die Höchstbusse im Ordnungsbussenverfahren beträgt Fr. 300.–. Der Re- gierungsrat erlässt eine abschliessende Bussenliste, die die einzelnen Straf- tatbestände und die damit verbundene Ordnungsbusse enthält.
3 Erfüllt die fehlbare Person durch eine oder mehrere Widerhandlungen mehrere Ordnungsbussentatbestände, so werden die Bussen zusammen- gezählt und es wird eine Gesamtbusse auferlegt.
4 Lehnt die fehlbare Person das Ordnungsbussenverfahren für eine von mehreren ihr vorgeworfenen Übertretungen ab oder übersteigt die Summe mehrerer Bussenbeträge das Doppelte der Höchstgrenze nach Absatz 2, so werden alle Übertretungen im ordentlichen Verfahren beurteilt.
5 Eine Ordnungsbusse darf nur verhängt werden, wenn die fehlbare Person damit einverstanden ist; dazu ist ihr eine Bedenkfrist von dreissig Tagen einzuräumen. Sie ist unzulässig, wenn eine höhere Busse in Betracht kommt oder wenn der Fall rechtlich oder tatsächlich nicht klar ist.
6 Die Ordnungsbusse wird mit der Bezahlung rechtskräftig. ___________
136 Eingefügt durch LRB vom 3. September 2008, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2009 (AB vom 19. September 2008).
137 Eingefügt durch LRB vom 3. September 2008, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2009 (AB vom 19. September 2008).
138 Eingefügt durch LRB vom 3. September 2008, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2009 (AB vom 19. September 2008). 57
7 Die Ordnungsbussen fallen demjenigen Gemeinwesen zu, dessen Polizei- organe sie erhoben haben. Wird das ordentliche Strafverfahren durchge- führt, so fallen die Bussen dem Kanton zu.
Artikel 204c 139 Dienstuniform
Die Polizeiorgane und die weiteren Personen, die befugt sind, Ordnungs- bussen zu erheben, müssen keine Dienstuniform tragen; sie müssen sich jedoch auf Verlangen als Polizeiorgan oder als ermächtigte Person auswei- sen.
12. Kapitel: DIE RECHTSMITTEL
1. Abschnitt: Allgemeines
Artikel 205 Legitimation
Die Rechtsmittel stehen zu:
1. dem Beschuldigten und Verurteilten sowie dem gesetzlichen Vertreter,
2. beim Tod der beschuldigten oder verurteilten Person den Angehörigen gemäss Artikel 110 Absatz 1 StGB, 140
3. dem Staatsanwalt,
4. dem Zivilkläger gegen – die Einstellungsverfügung, sofern und soweit sie ihm Kosten auferlegt – den Strafbefehl, sofern und soweit dieser die Zivilforderung ganz oder teilweise abweist oder den Zivilkläger kosten- oder entschädigungs- pflichtig erklärt – Urteile des Landgerichtes, wenn die Voraussetzungen der Berufung nach der Zivilprozessordnung erfüllt sind
5. dem Gesuchsteller und Gesuchsgegner im Verfahren betreffend Frie- densbürgschaft,
6. dem Dritteigentümer gemäss Artikel 40 Ziffer 4, wenn Einziehung oder Verfall ausgesprochen worden sind,
7. Dritten, die durch das Urteil auf andere Weise unmittelbar betroffen wer- den, ___________
139 Eingefügt durch LRB vom 3. September 2008, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2009 (AB vom 19. September 2008).
140 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
58
8. Opfern im Sinne des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straf- taten 141 , falls die Voraussetzungen dieses Bundesgesetzes erfüllt sind. 142
Artikel 206 Ausdehnung des Rechtsmittelverfahrens
Haben von mehreren Beschuldigten oder Verurteilten nur einzelne ein Rechtsmittel ergriffen oder hat der Staatsanwalt nur zugunsten eines Ein- zelnen ein Rechtsmittel eingelegt, so kann die Rechtsmittelinstanz den Ent- scheid auch zugunsten der andern Mitbeteiligten aufheben oder abändern, wenn hiefür die Voraussetzungen gegeben sind.
Artikel 207 Form der Rechtsmittel
Die Rechtsmittel sind schriftlich einzulegen. Die irrtümliche Bezeichnung ei- nes Rechtsmittels schadet nichts.
Artikel 208 Verfahrensbestimmung
Auf das Rechtsmittelverfahren finden die Bestimmungen über die Hauptver- handlung Anwendung, soweit sie nicht durch die Bestimmungen dieses Ka- pitels abgeändert werden.
Artikel 209 Endgültige Entscheide
Die von dieser Verordnung als endgültig bezeichneten Entscheide sind nicht anfechtbar.
2. Abschnitt: Der Rekurs
Artikel 210 Zulässigkeit
1 Soweit nichts anderes bestimmt wird, ist der Rekurs zulässig gegen Ver- fügungen betreffend:
1. Rechtshilfesachen (Artikel 18), 143
2. Ordnungsbussen (Artikel 19, 24, Absatz 3, 93 Absatz 1, 97 Absatz 2),
3. die Wiederherstellung einer versäumten Frist (Artikel 22 Absatz 3),
4. die Verweigerung der Aktenherausgabe (Artikel 39 Absatz 3),
5. die Ablehnung des Gesuchs, Beweiserhebungen zu wiederholen (Arti- kel 51 Absatz 1, 89 Absatz 3), ___________
141 SR 312.5
142 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
143 Fassung gemäss LRB vom 27. Februar 1985, in Kraft gesetzt auf den 1. März 1985 (AB vom 8. März 1985). Dabei wurden die nachfolgenden Ziffern um eine Zahl verschoben. 59
6. die Einschränkung oder den Ausschluss des Verteidigers (Artikel 52),
7. die Verweigerung der notwendigen oder amtlichen Verteidigung (Arti- kel 54, 55), 7a. Kostenentscheide nach Artikel 65, 66 und 67, 144
8. die Begutachtung eines Zeugen (Artikel 92),
9. die Ernennung von Sachverständigen (Artikel 98),
10. die Anordnung, Freigabe oder den Verfall von Sicherheitsleistungen (Artikel 120 bis 123),
11. die Beschlagnahme (Artikel 124,125),
12. die stationäre psychiatrische Begutachtung des Beschuldigten (Artikel 137 Absatz 1 Ziffer 3),
13. Ausgrabung des Leichnams oder Öffnung der Aschenurne (Artikel 139),
14. das Teilnahmerecht bei Beweiserhebungen (Artikel 150 Absatz 1),
15. die Ablehnung beantragter Untersuchungshandlungen, soweit sie für die Ermittlung der Tatumstände von Bedeutung sind und die spätere Durchführung einen für den Beschuldigten nicht wieder gutzumachen- den Nachteil bewirken könnte (Artikel 149 Absatz 1, 151 Absatz 1),
16. die Beschränkung des Akteneinsichtsrechts nach abgeschlossener Untersuchung (Artikel 152),
17. den Verkehr des inhaftierten Beschuldigten mit seinem Verteidiger (Ar- tikel 153),
18. den Kostenentscheid des Verhörrichters nach Artikel 60 in Verbindung mit Artikel 9 oder des Staatsanwaltes nach Artikel 60 in Verbindung mit Artikel 157 ff., 145 18a. Einstellungsverfügungen (Art. 157 f.), 146
19. die Verweigerung der Haftentlassung (Artikel 196 Absatz 2),
20. die Friedensbürgschaft (Artikel 200),
21. nachträgliche richterliche Anordnungen (Artikel 203),
22. Vollstreckungsverfügungen (Artikel 204).
2 Das Opfer im Sinne des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten 147 kann ausserdem Rekurs erheben, wenn das Verfahren nicht eingeleitet oder wenn es eingestellt wird. 148 ___________
144 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
145 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
146 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
147 SR 312.5
148 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
60
Artikel 211 Zuständigkeit
Richtet sich der Rekurs gegen eine Verfügung des Verhöramts oder der Staatsanwaltschaft, entscheidet im Gerichtsbezirk Uri das Präsidium der zi- vilrechtlichen Abteilung des Landgerichts, im Gerichtsbezirk Ursern die Stellvertretung des Landgerichtspräsidiums. In den übrigen Fällen entschei- det das Präsidium des Obergerichtes.
Artikel 212 Rekursgründe
Mit dem Rekurs können Rechtswidrigkeit oder Unangemessenheit der an- gefochtenen Verfügung gerügt werden.
Artikel 213 Rekursfrist
1 Der Rekurs ist innert 10 Tagen seit der Zustellung der Verfügung bei der Rekursinstanz einzureichen.
2 In dringenden Fällen kann die Rekursfrist von der verfügenden Amtsstelle bis auf zwei Tage, Samstage, Sonntage und staatlich anerkannte Feiertage nicht eingerechnet, herabgesetzt werden.
Artikel 214 Rekursschrift
Die Rekursschrift muss einen Antrag mit einer kurzen Begründung enthal- ten.
Artikel 215 Wirkung
1 Der Rekurs hemmt den Vollzug nur, wenn die Rekursinstanz es verfügt. Diese kann vorsorgliche Massnahmen treffen.
2 Über die aufschiebende Wirkung ist ohne Verzug zu entscheiden.
Artikel 216 Verfahren
1 Sofern der Rekurs nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet er- scheint, ist der Vorinstanz und der Gegenpartei Gelegenheit zur Vernehm- lassung zu geben.
2 Ein Anschlussrekurs ist nicht zulässig.
Artikel 217 Entscheid
1 Der Entscheid ergeht auf Grund der Akten und allfälliger eigener Erhebun- gen. ___________
149 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004). 61
2 Hält die Rekursinstanz den Rekurs für begründet, trifft sie die erforderli- chen Anordnungen.
Artikel 218 Endgültigkeit
Der Rekursentscheid ist endgültig.
3. Abschnitt: Die Berufung
Artikel 219 Zulässigkeit und Zuständigkeit
Die Berufung an das Obergericht ist zulässig gegen Urteile des Landgerich- tes und Beschlüsse nach Artikel 157 Absatz 3 und Artikel 192 Absatz 2.
Artikel 220 Berufungsgründe
Mit der Berufung können alle Mängel des Verfahrens und des Urteils ange- fochten werden.
Artikel 221 Berufungserklärung
1 Die Berufung ist innert 20 Tagen nach der Zustellung der vollständigen Ur- teilsausfertigung schriftlich und unter Beilage des angefochtenen Rechts- spruches beim Obergericht einzureichen. 150
2 Die Berufungserklärung muss die Rechtsbegehren nennen und eine kurze Begründung enthalten. Genügt sie diesen Anforderungen nicht, wird sie zur Nachbesserung innert Frist zurückgewiesen. 151
3 ... 152
4 Werden Beweisergänzungen beantragt, so sind sie ebenfalls schriftlich zu begründen.
Artikel 222 153 Mitteilung
Das Obergericht teilt die Berufung der Vorinstanz, der Gegenpartei, dem Zivilkläger und dem Dritteigentümer gemäss Artikel 40 Ziffer 4 mit zur Stel- lungnahme innert 10 Tagen. ___________
150 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
151 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
152 Aufgehoben durch VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
153 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
62
Artikel 223 Anschlussberufung
1 Die Gegenpartei kann sich innert 10 Tagen seit der Mitteilung gemäss Ar- tikel 222 der Berufung anschliessen und selbständige Anträge stellen.
2 In der schriftlichen Eingabe soll erklärt werden, welche Anträge gestellt und welche Beweisergänzungen beantragt werden.
3 Von der Anschlussberufung ist dem Berufungskläger sofort Kenntnis zu geben.
4 Die Anschlussberufung fällt dahin, wenn die Berufung zurückgezogen oder als unzulässig erklärt wird.
Artikel 224 Wirkung der Berufung
Die Berufung hemmt die Rechtskraft und die Vollstreckbarkeit des ange- fochtenen Entscheides.
Artikel 225 Mündliche Verhandlung
1 Wenn nicht die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt sind, findet vor Obergericht eine mündliche Verhandlung statt.
2 Keine mündliche Verhandlung findet statt, wenn die Berufung
1. sich nur auf den Kosten- und Entschädigungsentscheid bezieht, oder
2. aus prozessualen Gründen nicht zulässig ist.
Artikel 226 Erscheinen
1 Bleibt der Berufungskläger der mündlichen Verhandlung ohne Einver- ständnis des Gerichts fern, so gilt die Berufung als zurückgezogen. Das Ausbleiben der Gegenpartei hindert die Durchführung der Verhandlung nicht.
2 Erscheint derjenige, der Anschlussberufung erklärt hat, ohne Einverständ- nis des Gerichts nicht, so gilt die Anschlussberufung als zurückgezogen.
3 Der Staatsanwalt und der Zivilkläger können sich auf schriftliche Anträge und Begründungen beschränken.
4
Artikel 177 ist sinngemäss anwendbar.
Artikel 227 Gang der mündlichen Berufungsverhandlung
1 Der Angeklagte kann persönlich befragt werden. Ein weiteres Beweisver- fahren findet nur statt, soweit es zur Ergänzung oder Beurteilung erforder- lich ist.
2 Dem Berufungskläger steht der erste, den Gegenparteien stehen die fol- genden Vorträge zu. Der Präsident kann jedem Beteiligten einen weitern Vortrag bewilligen. 63
Artikel 228 Umfang der Prüfung
Das Obergericht ist ausser im Zivilpunkt an die Anträge der Verfahrensbe- teiligten nicht gebunden. Es kann auch von sich aus neue Beweiserhebun- gen anordnen.
Artikel 229 Entscheid
1 Das Obergericht erlässt ein neues Urteil, das gemäss Artikel 192 abzufas- sen ist.
2 Ausnahmsweise, namentlich wenn die Akten unvollständig sind oder we- sentliche Verfahrensmängel bestehen, weist das Obergericht die Akten zur neuen Behandlung an die Vorinstanz oder den Staatsanwalt bzw. Verhör- richter zurück.
3 Hat nur der Verurteilte oder zu seinen Gunsten der Staatsanwalt Berufung eingelegt, so kann die Entscheidung nicht zu seinen Ungunsten aufgehoben oder abgeändert werden.
4. Abschnitt: Die Revision
Artikel 230 Voraussetzung
1 Ein durch Urteil, Strafbefehl, gerichtlichen Einstellungsbeschluss oder nachträgliche richterliche Anordnung rechtskräftig erledigtes Strafverfahren kann jederzeit wieder aufgenommen werden, wenn
1. erhebliche Tatsachen oder Beweismittel glaubhaft gemacht werden, die zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren, und die allein oder in Verbindung mit einer früher festgestellten Tatsache geeignet sind, ei- nen Freispruch, eine wesentlich mildere Beurteilung oder die Verurtei- lung eines Freigesprochenen herbeizuführen,
2. durch eine Straftat auf das Ergebnis des Strafverfahrens eingewirkt wur- de, oder
3. der Entscheid einer internationalen Behörde es erfordert.
2 Nach Ablauf der Verjährungsfrist ist die Revision zu Ungunsten des Beur- teilten ausgeschlossen.
3 Für die Revision des Entscheides über den Zivilpunkt gilt die Zivilprozess- ordnung.
Artikel 231 Zuständigkeit
Über die Zulassung der Revision entscheidet das Obergericht.
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Artikel 232 Gesuch
1 Das Gesuch ist schriftlich mit einem Antrag und einer Begründung sowie mit den erforderlichen Beweismitteln einzureichen.
2 Der Eingabe ist der angefochtene Entscheid beizulegen.
Artikel 233 Wirkungen des Gesuches
1 Das Gesuch hemmt den Vollzug nur auf Verfügung des Obergerichtes.
2 Dieses zieht die Akten des bisherigen Verfahrens bei und kann vorsorgli- che Massnahmen, wie vorläufige Freilassung oder Verhaftung, anordnen. In der Regel gibt es dem Gesuchsgegner Gelegenheit, sich hiezu zu äussern, sofern sich das Gesuch nicht sofort als unzulässig oder aussichtslos er- weist.
Artikel 234 Prüfung des Gesuches
1 Das Obergericht führt die nötigen Erhebungen durch oder lässt sie durch den Verhörrichter vornehmen.
2 Den Verfahrensbeteiligten kann es Gelegenheit zur Teilnahme oder Stel- lungnahme bieten.
Artikel 235 Entscheid über die Revision
1 Das Obergericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung, ob die Vor- aussetzungen für eine Revision erfüllt sind.
2 Bewilligt das Obergericht die Revision, so bestimmt es, welche Teile des Verfahrens neu aufgenommen und beurteilt werden müssen.
3 Das Obergericht kann anordnen, dass das neue Verfahren auch auf Teil- nehmer des Verurteilten oder Freigesprochenen auszudehnen ist.
Artikel 236 Neue materielle Beurteilung
1 Im neuen Verfahren fällt die Instanz, die den angefochtenen Entscheid er- lassen hat, in dem vom Revisionsbeschluss bezeichneten Umfang eine neue Entscheidung.
2 Sie würdigt die neuen Tatsachen frei und unabhängig vom Entscheid über die Zulassung der Revision.
Artikel 237 Wiedereinsetzung
1 Wird die verurteilte Person im wieder aufgenommenen Verfahren freige- sprochen oder erheblich milder beurteilt, so wird sie in ihre Rechte nach dem neuen Urteil wieder eingesetzt. Geldstrafen, Bussen und Kosten wer- 65
den entsprechend zurückerstattet. Über eine Entschädigung wird im Verfah- ren gemäss Artikel 71 Absatz 3 entschieden. 154
2 Das Urteil wird auf Antrag des Freigesprochenen auf Kosten des Staates publiziert werden.
Artikel 238 Erneuerung des Gesuches
Ist ein Gesuch abgewiesen worden, so darf es auf Grund der gleichen Tat- sachen nicht wieder gestellt werden.
5. Abschnitt: Die Aufsichtsbeschwerde
Artikel 239 Anwendbares Recht
Die Aufsichtsbeschwerde richtet sich nach den Bestimmungen des Ge- richtsorganisationsgesetzes (Artikel 78).
13. Kapitel: DIE BEGNADIGUNG
Artikel 240 Umfang
Durch den Gnadenerlass können alle von einer kantonalen Behörde durch Urteil oder Strafbefehl auferlegten Strafen ganz oder teilweise erlassen oder in mildere Strafen umgewandelt werden.
Artikel 241 155 Begnadigungsinstanz
Zuständig für die Begnadigung ist unter Vorbehalt von Artikel 381 StGB:
a) der Regierungsrat bei Busse, Geldstrafe von höchstens 180 Tagessät- zen, Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten und bei gemeinnütziger Arbeit;
b) der Landrat bei Geldstrafen von mehr als 180 Tagessätzen und Frei- heitsentzug von mehr als sechs Monaten.
Artikel 242 Begnadigungsgesuch und dessen Behandlung
1 Das Begnadigungsgesuch ist dem Regierungsrat schriftlich einzureichen. Es muss mit einer kurzen Begründung und geeigneten Unterlagen versehen sein.
2 Der Regierungsrat führt in allen Fällen die nötigen Erhebungen durch. Er kann damit den Verhörrichter oder die Polizei betrauen. ___________
154 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
155 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
66
3 Ist er nicht zuständig, das Gesuch selber zu entscheiden, überweist er es dem Landrat samt seinem Bericht und Antrag.
Artikel 243 Wirkung des Gesuches
Das Begnadigungsgesuch hemmt den Vollzug nur, wenn der Regierungsrat es verfügt.
Artikel 244 Entscheid
1 Der Gnadenerlass bestimmt den Umfang der Begnadigung. Er muss nicht begründet werden.
2 Die Bestimmungen des Urteils oder des Strafbefehls über die Zivilansprü- che, die Kosten und die Entschädigungen werden von der Begnadigung nicht berührt.
14. Kapitel: DER STRAF- UND MASSNAHMENVOLLZUG
Artikel 245 - 249 156
Artikel 250 Eingezogene und verfallene Sachen
Eingezogene und verfallen erklärte Gegenstände und Vermögenswerte fal- len der Staatskasse zu, wenn sie nicht zu vernichten oder dem Geschädig- ten auszuhändigen sind.
Artikel 251 Vernichtung und Verwertung von Gegenständen
Gegenstände, die nicht mehr aufzubewahren sind, dem Berechtigten nicht mehr zurückerstattet werden können, und über deren Verwendung oder Vernichtung nicht gerichtlich entschieden wurde, werden nach den Weisun- gen des Polizeikommandanten aufbewahrt, verwertet oder vernichtet. ___________
156 Aufgehoben durch LRB vom 20. Dezember 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Mai 2007 (AB vom 5. Januar 2007). 67
Artikel 252
Artikel 253 158
Artikel 254 Veröffentlichung des Strafurteils
Die vom Richter angeordnete Veröffentlichung des Strafurteils erfolgt im Amtsblatt, ausnahmsweise zudem in anderen geeigneten Blättern.
Artikel 255 - 257 159
Artikel 258 Urteil über Zivilansprüche
Urteile über Ansprüche des Zivilklägers werden nach den Bestimmungen der Zivilprozessordnung vollstreckt. 14a. Kapitel: WEGWEISUNG UND BETRETUNGSVERBOT BEI HÄUSLICHER GEWALT 160
Artikel 258a - 258d 161
15. Kapitel: DAS JUGENDSTRAFVERFAHREN
1. Abschnitt: Grundsätze und Geltungsbereich
Artikel 259 Ziel der Jugendstrafrechtspflege
1 Das Ziel der Jugendstrafrechtspflege ist der Schutz und die Erziehung des Jugendlichen. Für die Wahl der Massnahmen und Strafen sind das Wohl des Jugendlichen massgebend und der Besserungsgedanke wegleitend. Den Lebens- und Familienverhältnissen des Jugendlichen sowie der Ent- wicklung seiner Persönlichkeit ist besondere Beachtung zu schenken. 162 ___________
157 Aufgehoben durch LRB vom 9. Februar 2000, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2000 (AB vom 18. Februar 2000).
158 Aufgehoben durch LRB vom 20. Dezember 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Mai 2007 (AB vom 5. Januar 2007).
159 Aufgehoben durch LRB vom 20. Dezember 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Mai 2007 (AB vom 5. Januar 2007).
160 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
161 Aufgehoben durch LRB vom 3. September 2008, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2009 (AB vom 19. September 2008).
162 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
68
2 Dem Fehlbaren ist die Unrechtsmässigkeit seiner Handlung und die Not- wendigkeit der Rechtsfolgen verständlich zu machen.
Artikel 260 163 Geltungsbereich
1 Dieser Abschnitt findet Anwendung auf Jugendliche im Sinne des Bun- desgesetzes über das Jugendstrafrecht, wenn sie eine Handlung begehen, die nach den Bestimmungen des eidgenössischen oder kantonalen Rechts mit Strafe bedroht ist, und die der Urner Gerichtsbarkeit untersteht.
2 Vorbehalten bleiben in Bezug auf Jugendliche, die das 15. Altersjahr noch nicht vollendet haben, die Ordnungsbussenverfahren nach eidgenössi- schem und kantonalem Recht.
2. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen über das Verfahren
Artikel 261 164 Verweis auf das ordentliche Strafverfahren
Soweit die nachfolgenden Bestimmungen und die Artikel 38 ff. JStG keine abweichende Regelung enthalten, finden die Vorschriften über das ordentli- che Strafverfahren sinngemäss Anwendung, aber unter Berücksichtigung der Grundsätze von Schutz und Erziehung, die für das Jugendstrafverfahren wegleitend sind.
Artikel 262 165 Trennung des Verfahrens
Das Verfahren gegen Jugendliche ist vom Strafverfahren gegen Erwachse- ne getrennt zu führen.
Artikel 263 166 Abklärung der persönlichen Verhältnisse,
Beobachtung und Begutachtung
1 Soweit dies für den Entscheid über die Anordnung einer Schutzmassnah- me oder Strafe erforderlich ist, klärt die Jugendanwaltschaft die persönli- chen Verhältnisse des Jugendlichen ab, namentlich in Bezug auf Familie, Erziehung, Schule und Beruf. Zu diesem Zweck kann sie auch eine ambu- lante oder stationäre Beobachtung anordnen.
2 Mit der Abklärung kann eine Person oder Stelle beauftragt werden, die ei- ne fachgerechte Durchführung gewährleistet. ___________
163 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
164 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
165 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
166 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006). 69
3 Besteht ernsthafter Anlass, an der physischen oder psychischen Gesund- heit des Jugendlichen zu zweifeln, oder erscheint die Unterbringung zur Be- handlung einer psychischen Störung in einer offenen Einrichtung oder die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung angezeigt, so ordnet die Jugendanwaltschaft eine medizinische oder psychologische Begutachtung an.
Artikel 264 Gesetzlicher Vertreter
1 Der gesetzliche Vertreter ist über die Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen Jugendliche sowie über die im Laufe des Verfahrens getroffenen wichtigen Verfügungen zu unterrichten. Ausnahmsweise kann die Orientie- rung hinausgeschoben werden, bis der Stand der Untersuchung sie zu- lässt. 167
2 Der gesetzliche Vertreter hat das Recht, angehört zu werden.
3 Die Organe der Jugendstrafrechtspflege sind verpflichtet, den Kontakt mit dem gesetzlichen Vertreter des angeschuldigten oder angeklagten Jugend- lichen zu suchen und diesen zur Unterstützung ihrer Bestrebungen zu be- wegen. 168
Artikel 265 169 Ausschluss der Öffentlichkeit
1 Verhandlungen und Urteilsverkündung in Strafverfahren gegen Jugendli- che sind nicht öffentlich. Vorbehalten ist Artikel 39 Absatz 2 JStG. Das Prä- sidium kann Behörden oder Personen, die einen wichtigen Grund nachwei- sen, den Zutritt gestatten.
2 Presseberichterstattungen oder andere Veröffentlichungen über die von den Jugendstrafbehörden behandelten Fälle sind nur mit Zustimmung des Präsidiums der betreffenden Behörde zulässig. Widerhandlungen werden mit Busse bis zu Fr. 5 000.– bestraft. Solche Disziplinarmassnahmen kön- nen innert zehn Tagen beim Obergericht angefochten werden.
Artikel 266 Verteidigung
1 Der gesetzliche Vertreter und der Jugendliche können einen geeigneten Beistand bezeichnen, der nicht Rechtsanwalt zu sein braucht, aber genü- gende Kenntnisse in Recht und Jugendfürsorge besitzen muss.
2 Unter den Voraussetzungen von Artikel 40 Absatz 2 JStG bestellt das Präsidium des Jugendgerichts einen amtlichen Verteidiger. 170 ___________
167 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
168 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
169 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
170 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
70
Artikel 267 Zeugnisverweigerungsrecht
Das Recht der Zeugnisverweigerung besteht bei der Feststellung der per- sönlichen Verhältnisse eines beschuldigten oder angeklagten Jugendlichen nur soweit, als der Zeuge Amts- oder Berufsgeheimnisse zu wahren hat oder sich selbst eines strafbaren Verhaltens bezichtigen müsste.
Artikel 267a 172 Zusammenarbeit in der Jugendhilfe
Ergibt das Strafverfahren, dass Kindesschutzmassnahmen angezeigt er- scheinen, melden die Organe der Jugendstrafrechtspflege den Sachverhalt der zuständigen Vormundschaftsbehörde.
Artikel 267b 173 Akteneinsicht
1 Die Beteiligten haben Anspruch auf Akteneinsicht, soweit nicht überwie- gende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen.
2 Als Beteiligte gelten der Jugendliche selbst, sein gesetzlicher oder freiwil- liger Vertreter sowie die für den betroffenen Jugendlichen zuständige Vor- mundschaftsbehörde.
3 Verweigert die Behörde die Einsichtnahmen, muss sie das in den Akten vermerken. Der wesentliche Inhalt des Aktenstücks, in das die Einsicht ver- weigert wird, muss soweit mitgeteilt werden, als das ohne Verletzung der zu schützenden Interessen möglich ist.
3. Abschnitt: Die Untersuchung
Artikel 268 174 Leitung Hilfskräfte
1 Die Jugendanwaltschaft leitet die Untersuchung gegen Jugendliche nach den Vorschriften, die für das ordentliche Untersuchungsverfahren gelten, jedoch unter Berücksichtigung, dass das Ziel des Verfahrens vorwiegend Schutz und Erziehung sein soll.
1 Sie kann weitere Personen oder Amtsstellen zur Abklärung des Sachver- haltes und der persönlichen Verhältnisse des Jugendlichen beiziehen. Das Amtsgeheimnis muss gewahrt bleiben. ___________
171 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
172 Fassung gemäss VA vom 4. Juni 1989, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 1990 (AB vom 3. März 1989).
173 Eingefügt durch LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
174 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006). 71
Artikel 269 Orientierung durch die Polizei
Die Polizei orientiert den Jugendanwalt unverzüglich über eingegangene Strafanzeigen und über Ermittlungen, die gegen Jugendliche geführt wer- den.
Artikel 270 Polizeiliche Ermittlung
1 Die polizeiliche Ermittlung beschränkt sich auf jene Massnahmen, die nö- tig sind, um die Spuren und Merkmale begangener strafbarer Handlungen zu sichern, und die ohne offensichtliche Nachteile für das Verfahren nicht verschoben werden. Weitere Ermittlungen werden nur im Auftrag des Ju- gendanwaltes vorgenommen.
2 Für Amtshandlungen gegen Jugendliche sind Polizeibeamte oder –beam- tinnen einzusetzen, die über genügende rechtliche und psychologische Kenntnisse verfügen. Sie tragen in der Regel in Ausübung dieses Dienstes keine Uniform. 176
Artikel 271 Einvernahme Protokoll
1 Eltern, Vormund oder Beistand können zum Verhör beigezogen oder zu- gelassen werden, soweit dies der Untersuchung nicht abträglich ist.
2 Die Jugendanwaltschaft hat die beschuldigte Person persönlich einzuver- nehmen. 177
Artikel 272 178 Untersuchungshaft
1 Die Anordnung der Untersuchungshaft gegenüber Jugendlichen ist nur un- ter den Voraussetzungen von Artikel 6 JStG zulässig.
2 Sie wird von der Jugendanwaltschaft verfügt.
3
Artikel 117 ist sinngemäss anzuwenden. Haftrichter ist das Vizepräsidium des Jugendgerichts. ___________
175 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
176 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
177 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
178 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
72
Artikel 273 Vorsorgliche Schutzmassnahmen
1 Verlangt das Wohl des Jugendlichen die unverzügliche Entfernung aus der bisherigen Umgebung, so kann die Jugendanwaltschaft vorsorglich Schutzmassnahmen nach den Artikeln 12 bis 15 JStG anordnen.
2 Der gesetzliche Vertreter ist vor der vorsorglichen Anordnung einer Schutzmassnahme anzuhören. Die Verfügung ist zu begründen, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und der angeschuldigten Person und ihrem gesetzlichen Vertreter schriftlich zu eröffnen.
3 Innert zehn Tagen seit der Zustellung kann die vorsorgliche Verfügung mit Beschwerde an das Jugendgericht weitergezogen werden, das endgültig entscheidet. Die Beschwerde hemmt den Vollzug der vorsorglichen Schutzmassnahme nur, wenn das Präsidium es verfügt.
4 Die Kosten der vorsorglichen Schutzmassnahme werden wie Vollzugskos- ten behandelt.
4. Abschnitt: Abschluss der Untersuchung
Artikel 274 180 Entscheid der Jugendanwaltschaft
1 Die Jugendanwaltschaft beurteilt als Einzelgericht nach durchgeführter Untersuchung mittels Strafverfügung die von Jugendlichen begangenen strafbaren Handlungen:
1. wenn sie einen Verweis mit oder ohne Probezeit und damit verbundenen Weisungen, eine persönliche Leistung, eine Busse oder einen Freiheits- entzug bis drei Monate für angemessen hält,
2. wenn sie eine Schutzmassnahme treffen will, oder gemäss Artikel 10 Absatz 2 JStG von der Anordnung einer Schutzmassnahme absehen will,
3. wenn sie gemäss Artikel 21 JStG von einer Bestrafung absehen will.
2
Artikel 162 findet sinngemäss Anwendung.
3 Dem beurteilten Jugendlichen ist die Strafverfügung von der Jugendan- waltschaft in der Regel mündlich zu erklären.
4 Die Jugendanwaltschaft stellt das Verfahren ein, wenn die Voraussetzun- gen von Artikel 7 oder 8 Absatz 2 JStG erfüllt sind. Unter den Vorausset- zungen von Artikel 8 Absatz 1 JStG kann sie das Verfahren vorläufig ein- stellen. Artikel 159 ist sinngemäss anwendbar. ___________
179 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
180 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006). 73
Artikel 274a Einsprache
1 Innert 20 Tagen seit der schriftlichen Zustellung kann gegen die Strafver- fügung der Jugendanwaltschaft bei dieser Einsprache erhoben werden. 182
2 Das Verfahren bei Einsprachen gegen den Strafbefehl (Art. 163 bis 166) findet sinngemäss Anwendung.
Artikel 274b 183 Mediation
Der Regierungsrat ordnet das Mediationsverfahren nach Artikel 8 Absatz 3 JStG vorläufig in einem Reglement.
Artikel 275 184 Anklageerhebung
1 Ist die Jugendanwaltschaft nicht zuständig, einen Entscheid zu treffen, oder hat der Verurteilte gegen die Strafverfügung Einsprache erhoben, so überweist die Jugendanwaltschaft die Akten mit der Anklageschrift dem Ju- gendgericht.
1 Die Anklageschrift hat sich insbesondere auch über die persönlichen Ver- hältnisse des angeklagten Jugendlichen auszusprechen.
5. Abschnitt: Gerichtliches Verfahren
Artikel 276 Anwesenheitspflicht des Angeklagten
Der Angeklagte hat zur Verhandlung persönlich zu erscheinen. Er ist vom Gericht zu befragen. Ausnahmsweise und wenn es sich mit dem Zweck der beantragten Massnahme vereinbaren lässt, kann der Präsident ihn auf be- gründetes Gesuch hin vom persönlichen Erscheinen dispensieren.
Artikel 277 185 Anwesenheit des gesetzlichen Vertreters
Dem gesetzlichen Vertreter des angeklagten Jugendlichen ist der Zeitpunkt der Hauptverhandlung mitzuteilen. Erscheint er vor Gericht, ist er anzuhö- ren. ___________
181 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
182 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
183 Eingefügt durch LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
184 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
185 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
74
Artikel 278 Ausschluss
1 Der Angeklagte und seine Angehörigen können nach Ermessen des Ju- gendgerichts von der Teilnahme an der Beweisaufnahme, der Erörterung bestimmter Fragen oder den Parteivorträgen ausgeschlossen werden.
2 Werden sie ausgeschlossen, so ist ihnen vom Ergebnis der in ihrer Abwe- senheit erfolgten Verhandlungen in geeigneter Form Kenntnis zu geben.
Artikel 279 Urteil
1 Das Urteil stellt fest, welche mit Strafe bedrohte Handlung der Angeklagte begangen hat und welche Rechtsfolge ihm auferlegt wird. Es erkennt, ob trotz nachgewiesener Tat der Entscheid über die Rechtsfolge aufgeschoben oder von der Anordnung einer solchen abgesehen wird.
2 Das Urteil wird dem Jugendlichen mündlich erklärt. 186
3 Es ist dem Beurteilten und seinem gesetzlichen oder gewillkürten Vertre- ter, versehen mit einer Rechtsmittelbelehrung, schriftlich mitzuteilen. Artikel 192 bis 195 sind anwendbar.
6. Abschnitt Die Rechtsmittel
Artikel 280 187
Artikel 281 Anfechtung
1 Innert 20 Tagen seit der Zustellung des begründeten Urteils des Jugend- gerichts kann dieses bei der Jugendgerichtskommission des Obergerichts angefochten werden. 188
2 Die Anfechtung soll kurz enthalten, in welchen Punkten das vorinstanzli- che Urteil abgeändert werden soll.
3 ... 189
4 Im übrigen finden die Bestimmungen über das Verfahren vor dem Ju- gendgericht und jene über die Berufung sinngemäss Anwendung (Artikel 219 bis 229 und 276 bis 279).
5 ... 190 ___________
186 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
187 Aufgehoben durch VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
188 Fassung gemäss LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
189 Aufgehoben durch VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
190 Aufgehoben durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004). 75
Artikel 281a Anfechtungsgründe
Mit der Anfechtung kann geltend gemacht werden,
a) das angefochtene Urteil sei aktenwidrig, gesetzeswidrig oder willkürlich;
b) wesentliche Verfahrensvorschriften seien zum Nachteil des Beschwerde- führers verletzt worden.
Artikel 281b 192 Revision
Die obergerichtliche Jugendgerichtskommission ist Revisionsinstanz bei al- len Entscheiden gegen Jugendliche.
Artikel 281c 193 Rekurs
1 Die Bestimmungen über den Rekurs im Erwachsenenstrafverfahren sind sinngemäss anzuwenden.
2 Das Präsidium des Jugendgerichts beurteilt die Rekurse.
7. Abschnitt: Vollzug und Kosten
Artikel 282 194 Straf- und Massnahmenvollzug
1 Die Jugendanwaltschaft vollzieht die Massnahmen und Strafen und über- wacht die Erziehung und Betreuung der Jugendlichen im Straf- und Mass- nahmenvollzug. Sie sorgt für die richtige Durchführung der erteilten Wei- sungen. Für den Bussenvollzug gelten Artikel 26 Absatz 1, 2 und 4 der Ver- ordnung über den Straf- und Massnahmenvollzug 195 . 196
2 Sie kann dabei die Mitwirkung der Polizei, geeigneter Personen oder Insti- tutionen in Anspruch nehmen.
3 Für den Freiheitsentzug sind besondere Räume zu benützen. Der Regie- rungsrat kann mit privaten Anstalten entsprechende Vereinbarungen treffen. ___________
191 Fassung gemäss VA vom 4. Dezember 1994, in Kraft gesetzt auf den 1. Juni 1995 (AB vom 4. November 1994).
192 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
193 Eingefügt durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
194 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
195 RB 3.9321
196 Fassung gemäss LRB vom 20. Dezember 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Mai 2007 (AB vom 5. Januar 2007).
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Artikel 283 Zuständigkeit im Vollzugsverfahren
Der Jugendanwalt ist zuständig für Verfügungen im Vollzugsverfahren, ins- besondere zur bedingten Entlassung Jugendlicher
Artikel 284 198 Kosten des Straf- und Massnahmenvollzuges
Die Kostentragung des Vollzugs richtet sich nach Artikel 43 JStG.
Artikel 285 199
Artikel 285a 200 Aktenaufbewahrung
Die im Zusammenhang mit einer Straftat erstellten Polizei-, Untersuchungs-, Gerichts- und Vollzugsakten sind während 15 Jahren aufzubewahren.
16. Kapitel: ERGÄNZENDE ÜBERGANGS-
UND SCHLUSSBESTIMMUNGEN
Artikel 286 201
Artikel 287 202 Zulassung von Privatanstalten
Die zuständige Direktion 203 bewilligt und beaufsichtigt privat geführte Anstal- ten und Einrichtungen gemäss Artikel 379 StGB.
Artikel 288 Übergangsbestimmungen
1 Steht eine Strafverfolgung im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verord- nung in der Untersuchung, ist die Untersuchung nach bisherigem Recht wei- ___________
197 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
198 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
199 Aufgehoben durch LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
200 Eingefügt durch LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
201 Aufgehoben durch LRB vom 31. März 2004, in Kraft gesetzt auf den 1. Juli 2004 (AB vom 16. April 2004).
202 Fassung gemäss LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
203 Justizdirektion; siehe Org anisationsreglement (RB 2.3322). 77
2 Steht eine Strafverfolgung in diesem Zeitpunkt im Hauptverfahren, ist es nach bisherigem Recht weiterzuführen; Rechtsmittel und das Rechtsmittel- verfahren richten sich nach neuem Recht.
3 Für alle anderen Verfahren gilt das neue Recht.
Artikel 289 Aufhebung bisherigen Rechts
Alle mit dieser Verordnung in Widerspruch stehenden Bestimmungen sind aufgehoben, insbesondere die Strafprozessordnung für den Kanton Uri vom
8. Juni 1959 und 15. Oktober 1969 sowie Artikel 6, 7 und 8 der Vollzie- hungsverordnung vom 27. Mai 1963 zum Bundesgesetz über den Strassen- verkehr 204 .
Artikel 290 Änderung bisherigen Rechts
...
205
Artikel 290a 206 Weitere Änderung bisherigen Rechts
...
207
Artikel 291 Referendum und Inkrafttreten
1 Diese Verordnung untersteht dem fakultativen Referendum.
2 Nach Ablauf der Referendumsfrist bestimmt der Regierungsrat das Inkraft- treten 208 . Im Namen des Landrates des Kantons Uri Der Präsident: Josef Baumann Der Kanzleidirektor: Dr. Hans Muheim ___________
204 RB 50.1311
205 Die Änderungen wurden in den entsprechenden Erlass eingefügt.
206 Eingefügt durch LRB vom 14. Juni 2006, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2007 (AB vom 7. Juli 2006).
207 Die Änderungen wurden in den entsprechenden Erlass eingefügt.
208 Art. 1 bis 258 und 286 bis 291 vom Regierungsrat in Kraft gesetzt auf den 1. September 1980 (AB vom 8. August 1980); Art. 259 bis 285 vom Regierungsrat in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 1981 (AB vom 23. Januar 1981).
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