Gesetz über häusliche Gewalt (550.6)
CH - VS

Gesetz über häusliche Gewalt

Gesetz über häusliche Gewalt (GhG) vom 18.12.2015 (Stand 01.01.2017) Der Grosse Rat des Kantons Wallis eingesehen die Artikel 13a, 31 Absatz 1 Buchstabe a und 42 Absatz 1 der Kantonsverfassung; auf Antrag des Staatsrates, verordnet: 1 )
1 Allgemeine Bestimmungen

Art. 1 Zweck

1 Das vorliegende Gesetz bezweckt die Verstärkung und Koordination der Massnahmen zur Verhinderung und Bekämpfung von häuslicher Gewalt.
2 Es zielt darauf ab, Personen, die Opfer von häuslicher Gewalt sind, zu schützen sowie begleitende Massnahmen für die Urheber zu unterstützen.

Art. 2 Definitionen

1 Man versteht unter: a) häusliche Gewalt: jede Verletzung oder Androhung einer Verletzung der körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Integri - tät einer Person, die ihrer Gesundheit, ihrem Überleben, ihrer Ent - wicklung oder ihrer Würde tatsächlich oder potenziell schadet, ausge - übt durch eine andere Person, mit der diese durch Familie, Ehe, ein - getragene Partnerschaft oder freie Beziehung verbunden ist, während des Zusammenlebens oder innerhalb des Jahres, das auf die Schei - dung, die gerichtliche Auflösung oder die Trennung folgt;
1) Im vorliegenden Gesetz gilt jede Bezeichnung der Person, des Statuts oder der Funk - tion in gleicher Weise für Mann oder Frau. * Änderungstabellen am Schluss des Erlasses
b) von häuslicher Gewalt betroffene Personen: die Opfer und die Urhe - ber von häuslicher Gewalt sowie die Kinder und Verwandten aus der häuslichen Umgebung.
2 Organisation und Behörden

Art. 3 Staatsrat

1 Der Staatsrat: a) gibt die Leitlinien im Kampf gegen häusliche Gewalt vor; b) gewährt im Rahmen seiner ordentlichen Finanzkompetenzen finanzi - elle Hilfen; c) erlässt die Ausführungsbestimmungen.

Art. 4 Departement

1 Das Departement, dem das kantonale Amt für Gleichstellung und Familie angegliedert ist, wird mit der häuslichen Gewalt betraut (nachstehend: De - partement).
2 Es hat zur Aufgabe: a) Massnahmen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt zu koordinieren und umzusetzen; b) im Rahmen seiner ordentlichen Finanzkompetenzen finanzielle Hilfen zu gewähren.

Art. 5 Kantonales Amt für Gleichstellung und Familie

1 Das kantonale Amt für Gleichstellung und Familie (nachstehend: Amt) ist das Koordinationsorgan im Sinne des vorliegenden Gesetzes und hat ins - besondere zur Aufgabe: a) die vom Staatsrat und vom Departement anvertrauten Aufgaben zur Bekämpfung häuslicher Gewalt auszuführen; b) vernetztes Arbeiten zu fördern und die effiziente Zusammenarbeit zwi - schen den verschiedenen Behörden und öffentlichen oder privaten Einrichtungen, welche häusliche Gewalt bekämpfen, zu unterstützen; c) bei der Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen und bei wichtigen Ent - scheiden in Sachen Bekämpfung häuslicher Gewalt mitzuarbeiten;
e) im Rahmen seiner ordentlichen Finanzkompetenzen finanzielle Hilfen zu gewähren; f) den Fachleuten mit Hilfe und Informationen zur Verfügung zu stehen und sie an die spezialisierten Organisationen weiterzuleiten.
2 Der Staatsrat legt seine Aufgaben und Kompetenzen auf dem Verord - nungsweg fest.

Art. 6 Kantonale Konsultativkommission gegen häusliche Gewalt

1 Der Staatsrat ernennt eine kantonale Konsultativkommission gegen häus - liche Gewalt (nachstehend: Kommission), welche sich aus 9 bis 15 Mitglie - dern aus den von der Thematik betroffenen Berufsgruppen zusammen - setzt.
2 Die Kommission hat zur Aufgabe, das Amt zu unterstützen, insbesondere indem sie eine Vormeinung zu Projekten abgibt und Empfehlungen ausar - beitet.
3 Der Staatsrat legt die Zusammensetzung, die Zuständigkeiten und die Funktionsweise der Kommission auf dem Verordnungsweg fest.

Art. 7 Regionale Gruppen gegen häusliche Gewalt

1 Der Staatsrat ernennt auf Vorschlag der Kommission die Mitglieder von drei regionalen Gruppen gegen häusliche Gewalt (nachstehend: regionale Gruppen), welche sich aus Fachpersonen zusammensetzen, die beruflich mit von häuslicher Gewalt betroffenen Personen arbeiten. Er kann seine Zuständigkeit an das Amt delegieren.
2 Sie haben insbesondere zur Aufgabe, koordinierte Interventionsstrategien zu entwickeln und die Fachpersonen multidisziplinär zu unterstützen.
3 Der Staatsrat legt die Zusammensetzung, die Zuständigkeiten und die Funktionsweise der regionalen Gruppen auf dem Verordnungsweg fest.

Art. 8 Gemeinden

1 Die Gemeinden arbeiten am Vollzug des vorliegenden Gesetzes mit, na - mentlich im Bereich der Information und Prävention.
2 Sie sind in den regionalen Gruppen vertreten.
3 Zusammenarbeit zwischen Behörden

Art. 9 Risikoeinschätzung und koordiniertes Bedrohungsmanagement

1 Das Departement achtet darauf, dass eine Risikoeinschätzung und ein ko - ordiniertes Bedrohungsmanagement gewährleistet sind.
2 Wer in der Ausübung seiner amtlichen Funktion ein erhöhtes Risiko zum Begehen einer Tat von häuslicher Gewalt, die eine Person gefährdet, fest - stellt, muss dies der zuständigen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (nachstehend: KESB) melden, die unverzüglich das Amt informiert. Diese Personen sind vom Amtsgeheimnis entbunden.
3 Wer in der Ausübung seines Berufs ein solches Risiko feststellt, kann dies der zuständigen KESB melden, die unverzüglich das Amt informiert. Diese Personen sind vom Berufsgeheimnis entbunden.
4 Besteht ein erhöhtes Risiko, dass eine Tat von häuslicher Gewalt began - gen wird, die eine Person gefährdet, kann das Amt im Einvernehmen mit der zuständigen KESB: a) von der zuständigen KESB und den betroffenen Stellen alle nützli - chen Informationen für das koordinierte Management des Falles ver - langen; b) eine Fallbesprechung einberufen, indem die zuständige KESB sowie die vom besagten Fall betroffenen Stellen und Fachpersonen eingela - den werden, um die Risiken einzuschätzen und sich zu vergewissern, dass koordinierte Massnahmen ergriffen werden.
5 Die Personen, die an der Besprechung eines Falls teilnehmen, sind vom Amts- oder Berufsgeheimnis entbunden, um die nötigen Informationen für die Risikoeinschätzung bekannt zu geben.
6 Die für die Risikoeinschätzung und das koordinierte Management des Fal - les gesammelten Personendaten und besonders schützenswerten Daten werden vom Amt gemäss der eidgenössischen und kantonalen Daten - schutzgesetzgebung behandelt.
7 Die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten sind vorbehalten.
8 Der Staatsrat legt das anwendbare Verfahren auf dem Verordnungsweg fest.

Art. 10 Auskunftsrecht

1 Die Angestellten der Dienststellen des Staates und die zur Erfüllung von Aufgaben von öffentlichem Nutzen beauftragten Organisationen, die sich in Ausübung ihrer Funktion mit Situationen von häuslicher Gewalt befassen, können auf Anfrage hin den Justiz- und Strafbehörden und den zuständigen Dienststellen des Staates nützliche Auskünfte erteilen, wenn es das Inter - esse der betroffenen Personen erfordert.
2 Die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten sind vorbehalten.

Art. 11 Gemeinde- und Kantonspolizei

1 Wenn die Gemeindepolizei in Situationen von häuslicher Gewalt eingreift, welche von Amtes wegen verfolgt werden, verständigt sie unverzüglich die Kantonspolizei.
2 Bei Interventionen, die auf Antrag hin verfolgt werden, lässt sie der Kantonspolizei eine Kopie des Interventionsberichts zukommen.
4 Massnahmen

Art. 12 Unterstützung von Projekten und Organisationen zur Bekämp -

fung häuslicher Gewalt
1 Der Staat unterstützt die Projekte und Organisationen, die häusliche Gewalt bekämpfen.
2 Er kann im Rahmen der gewährten Kredite per Entscheid finanzielle Hilfen für Projekte zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt in Form von A-fonds- perdu-Beiträgen gewähren.
3 Der Staatsrat legt das Verfahren und die Voraussetzungen für die Ausrich - tung von finanziellen Hilfen auf dem Verordnungsweg fest.
4 Die Bedingungen für die Anerkennung und Finanzierung von spezialisier - ten Institutionen werden durch die Spezialgesetzgebung geregelt.

Art. 13 Information und Prävention

1 Das Amt führt Informations- und Präventionskampagnen zu häuslicher Gewalt bei der Bevölkerung und bei Fachpersonen durch, die mit von häus - licher Gewalt betroffenen Personen in Kontakt sind.

Art. 14 Ausbildung

1 Das Amt unterstützt die Aus- und Weiterbildung der Fachpersonen, die mit von häuslicher Gewalt betroffenen Personen in Kontakt sind.

Art. 15 Betreuung der Opfer

1 Die für häusliche Gewalt, für das Sozialwesen und für die Jugend zustän - digen Departemente achten darauf, dass das zur Verfügung stehende Angebot an notfallmässigen Aufnahme- und Betreuungseinrichtungen für Opfer und deren Kinder dem Bedarf entspricht.
2 Zu diesem Zweck können sie öffentlichen oder privaten Organisationen Leistungsaufträge erteilen.
3 Das für die Gesundheit zuständige Departement achtet darauf, dass eine spezifische Betreuung im Spitalbereich gewährleistet ist.

Art. 16 Schutz des Kindes

1 Das für die Jugend zuständige Departement ergreift die notwendigen Massnahmen zum Schutz von Kindern, die in Situationen von häuslicher Gewalt involviert sind, im Einklang mit dem Jugendgesetz.
1 Der diensthabende Beamte der Kantonspolizei ist die zuständige Behörde im Sinne von Artikel 28b des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB), um die sofortige Ausweisung des Urhebers aus der gemeinsamen Wohnung anzuordnen.
2 Lebt ein Kind im Familienkreis, informiert die Kantonspolizei die kantonale Dienststelle für die Jugend, wenn es das Interesse des Kindes erfordert.
3 Der Staatsrat legt das anwendbare Verfahren auf dem Verordnungsweg fest.

Art. 18 Sozialtherapeutisches Gespräch

1 Die im Sinne von Artikel 28b ZGB ausgewiesene Person ist verpflichtet, innerhalb von drei Werktagen seit Zustellung des Ausweisungsentscheids mit einer zur Betreuung von Urhebern häuslicher Gewalt befugten Organi - sation oder Fachperson Kontakt aufzunehmen und ein Gespräch zu verein - baren.
2 Sie ist verpflichtet, zu diesem Gespräch zu erscheinen. Diese Pflicht wird im Ausweisungsentscheid unter Androhung der in Artikel 292 des Schweize - rischen Strafgesetzbuches vorgesehenen Strafe erwähnt.
3 Das Gespräch zielt darauf ab, der ausgewiesenen Person bei der Einschätzung ihrer Situation behilflich zu sein. Sie erhält bei dieser Gele - genheit sozialtherapeutische Informationen.
4 Die Kosten des sozialtherapeutischen Gesprächs gehen zulasten des Ur - hebers, mit Ausnahme von Fällen, die in der Verordnung festgelegt sind. Subsidiär kann das Departement die Leistung finanzieren.
5 Das Departement kann öffentlichen oder privaten Organisationen Leis - tungsaufträge erteilen.
6 Der Staatsrat erstellt die Liste der Organisationen und Fachpersonen, die zur Betreuung von Urhebern häuslicher Gewalt befugt sind und legt das an - wendbare Verfahren auf dem Verordnungsweg fest.

Art. 19 Betreuung der Urheber

1 Die für häusliche Gewalt, für die Gesundheit und für das Sozialwesen zu - ständigen Departemente achten darauf, dass die notwendigen Massnah - men zur Betreuung von Urhebern häuslicher Gewalt ergriffen werden.
2 Sie achten insbesondere darauf, dass das Angebot an Notunterkünften für ausgewiesene Personen im Sinne von Artikel 28b ZGB und therapeutischer Betreuung dem Bedarf entspricht.

Art. 20 Betreuung bei innerfamiliärer Gewalt

1 Um eine spezialisierte Betreuung der Familien zu gewährleisten, achten die für häusliche Gewalt, für die Gesundheit und für die Jugend zuständi - gen Departemente darauf, dass das Angebot an Familientherapien dem Bedarf entspricht.

Art. 21 Finanzierung der Betreuung der Urheber und der spezialisier -

ten Betreuung der Familien
1 Alle Kosten der Massnahmen, die in den Artikeln 19 und 20 vorgesehen sind, und die nicht durch das eidgenössische Krankenversicherungsgesetz (KVG) gedeckt werden, gehen zulasten der Begünstigten.
2 Der Staat kann diese Massnahmen unterstützen.
3 Hierzu können die für häusliche Gewalt, für die Gesundheit, das Sozialwe - sen und die Jugend zuständigen Departemente öffentlichen oder privaten Organisationen Leistungsaufträge erteilen.
4 Der Staatsrat legt das anwendbare Verfahren auf dem Verordnungsweg fest.

Art. 22 Ereignisregister

1 Zur Ermöglichung der Identifizierung und zur Umsetzung von nützlichen und effizienten Massnahmen führt das Amt ein zentralisiertes und anony - mes Register der Ereignisse von häuslicher Gewalt. Es koordiniert die Er - hebung und Bearbeitung der Daten.
2 Die öffentlichen oder privaten Institutionen, die Kontakt zu Personen ha - ben, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, müssen die notwendigen Da - ten an das Ereignisregister übermitteln.
3 Der Staatsrat legt die Liste der betroffenen öffentlichen oder privaten In - stitutionen auf dem Verordnungsweg fest.
5 Schlussbestimmungen

Art. 23 Evaluierung des Gesetzes

1 Innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes legt der Staatsrat dem Grossen Rat einen Evaluierungsbericht über die Umsetzung des Gesetzes vor.

Art. 24 Anwendungsbestimmungen

1 Der Staatsrat erlässt die Anwendungsbestimmungen des vorliegenden Gesetzes.

Art. 25 Abänderung geltenden Rechts

1 Das Gesetz über die Akten der gerichtlichen Polizei vom 28. Juni 1984 wird abgeändert.
2 Das Gesetz über die Kantonspolizei vom 20. Januar 1953 wird abgeän - dert.

Art. 26 Referendum und Inkrafttreten

1 Der vorliegende Rechtserlass untersteht dem fakultativen Referendum.
2 Der Staatsrat legt das Inkrafttreten fest.
Änderungstabelle - Nach Beschluss Beschluss Inkrafttreten Element Änderung Quelle Publikation
18.12.2015 01.01.2017 Erlass Erstfassung BO/Abl. 4/2016,
39/2016
Änderungstabelle - Nach Artikel Element Beschluss Inkrafttreten Änderung Quelle Publikation Erlass 18.12.2015 01.01.2017 Erstfassung BO/Abl. 4/2016,
39/2016
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