Vollziehungsverordnung zum Gesetz über die Einigungsämter
Vollziehungsverordnung zum Gesetz über die Einigungsämter Vom 15. September 1944 (Stand 1. September 2000) Der Regierungsrat des Kantons Aargau, gestützt auf § 19 des Gesetzes über die Einigungsämter vom 8. März 1944 1 ) , beschliesst:
§ 1 Zuständigkeit
a) Sachliche
1 Als Kollektivstreitigkeit im Sinne dieser Verordnung gelten Streitigkeiten über das Arbeitsverhältnis zwischen einem oder me hreren Arbeitgebern und mindestens dem vierten Teil der Arbeitnehmer eines Betr iebes bzw. einer Betriebsabteilung oder Berufsgruppe; auf alle Fälle müssen minde stens drei Arbeitnehmer am Streit beteiligt sein.
2 Dabei sind Kollektivstreitigkeiten im Sinne des Gesetzes nur solche Streitigkeiten, zu deren Beurteilung weder die ordentlichen Gerichte, noch die Arbeitsgerichte zuständig sind.
3 Hängen mit einem Kollektiv streit Streitigkeiten zusa mmen, für deren Beurteilung die ordentlichen Gerichte oder die Arbeits gerichte zuständig wären, so kann das Einigungsamt im Einverständnis mit den Beteiligten das Vermittlungs- und Schiedsverfahren auf diese Streitigkeiten ausdehnen.
§ 2 b) Örtliche
1 Die Zuständigkeit des kantonalen Einigungsamtes umfass t die Kollektiv- streitigkeiten sämtlicher Betriebe und Arbe itsstätten im Kantonsgebiet, sowie ihre im Kantonsgebiet beschäftigten Arbeitneh mer auch dann, wenn die Arbeitgeber im Kanton Aargau keine Geschä ftsniederlassung haben.
1) SAR 961.700
§ 2a
1 ) Funktions-, Berufs- und Personenbezeichnungen
1 Die in dieser Verordnung verwende ten Funktions-, Berufs- und Perso- nenbezeichnungen beziehen sich auf beide Geschlechter.
§ 3 Sitzungsräume
1 Der Regierungsrat stellt dem Einigungsamt an seinem Sitz in Aarau die für die Verhandlungen nötigen Räume zur Verfügung.
2 Verhandelt das Einigungsamt ausserhalb sein es Sitzes, so haben die betreffenden Gemeinden die nötigen Räumlichkeiten unentgeltlich bereitzustellen.
§ 4
2 ) Wählbarkeit
1 Als Mitglieder des Einigungsamtes sind Schweizerbürger wählbar.
§ 5 Anzeigepflicht
1 Recht und Pflicht, den Ausbruch von Kollektivstreitigkeiten dem Einigungsamt anzuzeigen, liegen bei den Arbeitgeber n und den Arbeitnehmern. Haben für diese oder jene Berufsverbände gehandelt, so liegt die Anzeigepflicht bei diesen.
§ 6 Inhalt der Anzeige
1 Die Anzeige ist im Doppel einzureich en und hat zu enthalten: die genaue Bezeichnung der Parteien und der Parteivertrete r, nebst deren Adressen, die Zahl der im betreffenden Betrieb, eventuell der Be triebsabteilung bzw. der Berufsgruppe Tätigen, die Anzahl der am Streite Beteiligten, die Umschreibung des Streitgegenstandes mit genauer Formulierung und Begründung der Forderungen, sowie allfällige Gegenforderungen und Anerbieten.
§ 7 Bekanntgabe an Gegenpartei
1 Die Gegenpartei ist vom Inhalt der Anzei ge sofort in Kenntnis zu setzen und vom Obmann aufzufordern, auf den Verhandlungs termin die nach seinem Ermessen für die Abklärung der Streitsache notwendigen Unterlagen und Ausweise bereitzuhalten.
§ 8 Parteivertreter und Auskunftspersonen
1 Als Parteivertreter sind alle handlungsfä higen Personen, die an der Streitsache unmittelbar beteiligt sind, sowie Verbandsf unktionäre zulässig. Die Parteivertreter müssen Schweizerbürger und in der Schweiz wohnhaft sein.
1) Eingefügt durch Verordnung vom 12. Juli 2000, in Kraft seit 1. September 2000 (AGS 2000 S. 145).
2) Fassung gemäss Verordnung vom 12. Juli 2000, in Kraft seit 1. September 2000 (AGS 2000 S. 145).
2 Den Arbeitgebern steht es zudem frei, Direktoren, Geschä ftsleiter und andere höhere Angestellte ihres Betrie bes beizuziehen oder sich durch solche vertreten zu lassen.
3 Die Arbeitnehmer haben in jedem Fall we nigstens einen Vertreter aus ihrer Mitte zu bezeichnen.
4 Um dem Einigungsamt alle wünschbaren Auskünfte erteilen zu können, müssen die Vertreter über die Streitsache hinrei chend orientiert sein. Dem Einigungsamt steht das Recht zu, weitere, an der Streitsache direkt Beteiligte als Auskunftspersonen vorzuladen. Insbesondere ist das Einigungsamt auch befugt, die Arbeitgeber und Mitglieder der Verwaltungs räte zum persönlichen Erscheinen zu verpflichten.
5 Die Kosten der Parteivertretung ha t jede Partei selbst zu tragen.
§ 9 Verfahren beim Fehlen von Parteivertretern
1 Wenn von einer Partei keine Vertreter bezeichnet werden, so sind diejenigen Personen verpflichtet, der Vorladung Folge zu leisten, welchen die Anzeigepflicht obliegt.
2 Parteivertreter, welche am Erscheinen verhindert sind, sollen rechtzeitig ersetzt werden.
§ 10 Einsprachen
1 Über Einsprachen gegen Parteivert reter entscheidet das Einigungsamt.
§ 11 Verfahren
a) Einleitung
1 Das Einigungsamt hat sich über die Ursach en und die Natur des Konfliktes genau zu unterrichten und in objektiver Würdi gung der Umstände und Verhältnisse eine Vermittlung anzustreben. Es ist dabei nicht an die Parteibegehren gebunden, sondern trifft von Amtes wegen diejenigen Massn ahmen, die geeignet erscheinen, die Streitigkeit zu vermitteln.
2 Es soll dabei nach Möglichkeit auf den Abschluss von Gesa mtarbeitsverträgen zwischen den Parteien hinarbeiten.
§ 12 b) Vermittlungsvorschlag
1 Nach Abschluss der Verhandlunge n wird vom Einigungsamt ein Ver- mittlungsvorschlag aufgestellt und in der Regel den Parteien mündlich eröffnet.
2 Wird der Vorschlag in der Sitzung nicht von beiden Parteien angenommen, erklären die Parteivertreter, ihm nicht sofort oder nicht von sich aus zustimmen zu können, oder kann er nicht mündlich eröffnet werden, so ist er den Parteien auf Verlangen mit Begründung schriftlich zuzust ellen, und zwar, soweit sie ihn nicht angenommen haben, unter Ei nräumung einer angemessenen Frist zur Abgabe einer Erklärung über Annahme oder Ablehnung.
3 Erfolgt die Ablehnung eines Vermittlungsvorschlages seitens einer oder beider Parteien, so ist dem Einigungs amt mitzuteilen, in welc hen Punkten und aus welchen Gründen der Vorschlag nicht angenommen worden ist.
§ 13 c) Bei Ablehnung des Vorschlages
1 Ist die Vermittl ungsverhandlung gescheitert und kommt ein Schiedsverfahren nicht zu Stande, so ist hievon dem Re gierungsrat Kenntnis zu geben.
2 In Fällen, welche die Öffe ntlichkeit berühren, kann übe rdies eine kurze Darstellung des Verlaufes der Verhandlung im kantona len Amtsblatt veröffentlicht werden.
§ 14 d) Wiederaufnahme des Verfahrens
1 Das Einigungsamt ist, solange ein Konflikt nach gescheitertem Vermitt- lungsversuch andauert, berechtigt und auf Anordnung des Regierungsrates verpflichtet, das Vermittlungsverfahre n jederzeit wieder aufzunehmen.
§ 15 e) Eröffnung des Schiedsspruchs
1 Der Schiedsspruch ist den Parteien, wenn möglich unmittelbar nach der Ausfällung, mündlich zu eröffnen und hernach schriftlich und begründet umgehend zuzustellen.
2 Auf Verlangen beider Parteien wird der Schiedsspruch im Amtsblatt veröffentlicht.
§ 16 f) Auslegung des Spruches
1 Können während der Dauer der Gültigkeit eines Vermittlungsvorschlages oder Schiedsspruches Streitigkeiten, welche über deren Auslegung entstehen, von den Parteien nicht beigelegt werden, so ents cheidet darüber das Einigungsamt endgültig.
2 Bei Zuwiderhandlung gegen einen ange nommenen Vermittlungsvorschlag oder Schiedsspruch stellt das Einigungsamt auf Ve rlangen den Tatbestand fest. Sofern die fehlbare Partei von ihrem Verhalten nicht ablässt, ist die Übertretung mit kurzer Darstellung des Sachverhaltes im Amtsblatt zu publizieren.
§ 17 g) Vorladungen
1 Die Vorladungen zu den Verhandlungen des Einigungsamtes erfolgen durch die Post.
§ 18 h) Verfahren bei Nichterscheinen einer Partei
1 Erscheinen die Parteien ohne hinreiche nde Entschuldigung nicht zur Verhandlung, so wird das Einigungsamt die Verhandl ung in der Regel mit kurzem Termin vertagen. Die dadurch dem Staate erwachsenen Kosten (Taggelder, Reiseentschädigungen, Vorladungsgebühren usw.) sind der nicht erschienenen Partei aufzuerlegen. Zudem hat diese der zur Verhandlung erschienenen Gegenpartei eine angemessene Entschädigung zu entr ichten, die vom Einigungsamt festgesetzt wird. Sind beide Parteien ohne genügenden Grund der Verhandlung ferngeblieben, so haben sie die Kosten je zur Hälfte zu tragen.
2 Das Einigungsamt ist indessen, je nach Lage der Verhältni sse, insbesondere wenn die nicht erschienene Partei an der Verha ndlung offensichtlich nicht teilnehmen will, befugt, nach Anhörung der anwesenden Partei auf Grundlage der Akten sofort einen Vermittlungsvorschlag zu formulieren und ihn den Parteien mit Fristansetzung zur schriftlichen Erklärung über An nahme oder Ablehnung zuzustellen.
3 Im Falle der Ablehnung durch die ni cht erschienene Partei ist der Vermittlungsvorschlag mit einer kurzen Darstellung über den Verlauf der Streitsache im Amtsblatt zu veröffentlichen. In gleicher Weise ist zu verfahren, wenn eine Partei sich weigert, vor dem Einigungsamt zu verhandeln oder Auskunft zu erteilen.
§ 19 i) Beweisaufnahme
1 Sowohl im Vermittlungs- als auch im Schiedsverfahren kann das Einigungsamt Zeugen einvernehmen, Gutachten einholen und Sachverständige abhören, Augenscheine vornehmen, Lohnlisten, Bu ssenverzeichnisse, Arbeitszeitkontrollen, Korrespondenzen und Vereinbarungen über das Arbeitsverhältnis einfordern. Jede Partei kann verlangen, dass nur der Vorsit zende in ihre Bücher und in die von ihr verurkundeten, vertraulich zu be handelnden Akten Einsicht nimmt.
2 Das Einigungsamt ist auch berechtigt, Vertreter der bete iligten Gemeinden anzuhören.
3 Für die Zeugeneinvernahme gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Zeugnispflicht und das Rech t der Ablehnung de s Zeugnisses.
§ 20 Ausschluss der Öffentlichkeit
1 Die Verhandlungen des Einigungsamtes fi nden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
2 Sonderbesprechungen des Einigungsam tes oder des Präsidenten mit Parteivertretern sind zulässig.
3 Das Einigungsamt ist befugt, einzelne Mitglieder oder den Aktuar mit besonderen Erhebungen zu betrauen.
§ 21 Inkrafttreten und Aufhebung geltenden Rechts
1 Diese Verordnung tritt am 1. Januar 1945 in Kraft; sie ist in die Gesetzessammlung aufzunehmen.
2 Es werden aufgehoben: a) der Regierungsbeschluss betreffend die Bestellung einer kantonalen Eini- gungsstelle für Vermittlung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vom 28. März 1919; b) die Vollziehungsverordnung betreffend das kantonale Einigungsamt vom
10. August 1923.
Aarau, den 15. September 1944 Im Namen des Regierungsrates Der Landammann K ELLER Der Staatsschreiber D R
. H EUBERGER
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