Verordnung über die Rechtsstellung der Patientinnen und Patienten (321.12)
CH - SG

Verordnung über die Rechtsstellung der Patientinnen und Patienten

Verordnung über die Rechtsstellung der Patientinnen und Patienten vom 13. Dezember 2016 (Stand 1. Juni 2017) Die Regierung des Kantons St.Gallen erlässt in Ausführung von Art. 32 bis des Gesundheitsgesetzes vom 28. Juni 1979
1 als Verordnung: 2 I. Allgemeine Bestimmungen (1.)

Art. 1 Geltungsbereich

1 Dieser Erlass regelt die Rechtsstellung der Patientinnen und Patienten in Einrich - tungen: a) der Spitalverbunde; b) der Psychiatrieverbunde; c) von privaten Spitälern im Rahmen der Erfüllung von Leistungsaufträgen nach

Art. 10 ff. des Gesetzes über die Spitalplanung und -finanzierung vom 31. Ja -

nuar 2012 3 .

Art. 2 Vorbehaltenes Recht

1 Vorbehalten bleiben insbesondere die Bestimmungen betreffend Rechtsstellung von Patientinnen und Patienten: a) des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 10. Dezember 1907 4 und des Ein - führungsgesetzes zur Bundesgesetzgebung über das Kindes- und Er - wachsenenschutzrecht vom 24. April 2012 5 ;
1 sGS 311.1 .
2 Abgekürzt PatV. In Vollzug ab 1. Juni 2017.
3 sGS 320.1 .
4 SR 210 ; abgekürzt ZGB.
5 sGS 912.5 .
b) des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937 6 einschliess - lich des Nebenstrafrechts sowie des eidgenössischen und kantonalen Strafpro - zessrechts 7 ; c) der Bundesgesetzgebung über Fortpflanzungsmedizin 8 , Transplantationsme - dizin 9 , Humanforschung 10 , Strahlenschutz 11 und übertragbare Krankheiten 12 ; d) des eidgenössischen und kantonalen Datenschutzrechts 13 ; e) des Verantwortlichkeitsgesetzes vom 7. Dezember 1959 14 . II. Aufnahme, Austritt und Entlassung (2.)

Art. 3 Aufnahmepriorität

1 Die ärztliche Leitung des betroffenen Fachbereichs entscheidet über Reihenfolge und Zeitpunkt der Aufnahme von Patientinnen und Patienten. Sie berücksichtigt in erster Linie die medizinische Dringlichkeit und dann die vorhandenen Kapazi - täten.

Art. 4 Eintrittsorientierung

1 Die Patientinnen und Patienten oder die vertretungsberechtigte Person werden vor oder bei Antritt eines stationären Aufenthalts orientiert über: a) ihre Rechtsstellung; b) Organisation, Abläufe und Hausordnung der Einrichtung; c) Namen und Funktionen der sie behandelnden und betreuenden Personen.
2 Die Eintrittsorientierung kann unterbleiben, wenn ein dringlicher Fall nach

Art. 379 ZGB vorliegt. Sie wird nachgeholt, sobald die Umstände es zulassen.

Art. 5 Austritt

a) ordentliche Entlassung und Verlegung
1 Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt entscheidet im Einverneh - men mit der ärztlichen Leitung über die ordentliche Entlassung aus der Einrich - tung oder die medizinisch notwendige Verlegung auf eine andere Abteilung oder in eine andere Einrichtung.
6 SR 311.0 .
7 SR 312; sGS 962.1 .
8 SR 810.1.
9 SR 810.2.
10 SR 810.3.
11 SR 814.5.
12 SR 818.1.
13 SR 235; sGS 142.1 .
14 sGS 161.1 .
2 Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt nimmt vor der Entscheidung Rücksprache mit der betroffenen oder vertretungsberechtigten Person und orien - tiert sie nach der Entscheidung frühzeitig über die Entlassung oder Verlegung.

Art. 6 b) vorzeitiger Austritt

1 Urteilsfähige Patientinnen und Patienten können die Einrichtung jederzeit ver - lassen.
2 Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt verlangt von der Patientin oder dem Patienten eine schriftliche Bestätigung, dass der Austritt auf eigene Ver - antwortung erfolgt. Eine Verweigerung der schriftlichen Bestätigung wird in der Patientendokumentation festgehalten.
3 Vertretungsberechtigte Personen können die Entlassung von urteilsunfähigen Patientinnen und Patienten veranlassen, wenn sie von der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt über mögliche Risiken und Folgen des Austritts auf - geklärt wurden und ihren Entscheid schriftlich bestätigen. Erscheinen die Interes - sen der urteilsunfähigen Person gefährdet, kann die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde anrufen.

Art. 7 Vorzeitige Entlassung

1 Patientinnen und Patienten können von der ärztlichen Leitung des entsprechen - den Fachbereichs gegen ihren Willen oder gegen den Willen der vertretungsbe - rechtigten Person vorzeitig entlassen oder verlegt werden, wenn sie: a) die Anordnungen der sie behandelnden Personen wiederholt grob missach - ten; b) den Betrieb vorsätzlich in schwerwiegender Weise stören; c) schwerwiegende körperliche oder verbale Übergriffe gegenüber behandelnden Personen oder Dritten begehen.
2 Die vorzeitige Entlassung oder Verlegung muss medizinisch vertretbar sein. Der Entscheid wird auf Antrag schriftlich eröffnet und begründet. III. Rechtsstellung (3.)
1. Behandlungs- und Betreuungsanspruch (3.1.)

Art. 8 Grundsatz

1 Patientinnen und Patienten haben Anspruch auf Behandlung und Betreuung nach den anerkannten Grundsätzen und Regeln der Fachkunde sowie der Ethik des jeweiligen Berufs des Gesundheitswesens.

Art. 9 Ablehnung der Behandlung

1 Jede mit der Behandlung von Patientinnen oder Patienten betraute Person kann die Durchführung einer von der Patientin oder dem Patienten verlangten Behand - lung ablehnen, wenn sie diese aus fachlicher oder berufsethischer Sicht nicht ver - antworten kann.
2. Aufklärung und Einwilligung (3.2.)

Art. 10 Aufklärung

a) Inhalt
1 Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt ist verantwortlich, dass die Patientin oder der Patient fachkundig über alle Umstände, die im Hinblick auf die vorgesehene Behandlung wesentlich sind, insbesondere über deren Gründe, Zweck, Art, Modalitäten, Risiken, Nebenwirkungen, Kosten und deren Über - nahme, über Folgen eines Unterlassens der Behandlung sowie über allfällige alter - native Behandlungsmöglichkeiten, informiert wird.

Art. 11 b) Form und Zeitpunkt

1 Die Aufklärung wird in verständlicher Form und mit Rücksicht auf die Situation und den Zustand der Patientin oder des Patienten vorgenommen. Der Inhalt der mündlichen Aufklärung wird in Grundzügen in der Patientendokumentation fest - gehalten.
2 Die Aufklärung erfolgt vor der vorgesehenen Behandlung unter Einräumung ei - ner angemessenen Bedenkzeit. Über Veränderungen wesentlicher aufklärungs - pflichtiger Inhalte wird laufend aufgeklärt.

Art. 12 c) Verzicht und Einschränkung

1 Die Patientin oder der Patient kann schriftlich oder mündlich auf eine umfas - sende Aufklärung verzichten. Der Verzicht wird in der Patientendokumentation festgehalten.
2 Die Aufklärung kann unterbleiben, wenn ein dringlicher Fall nach Art. 379 ZGB vorliegt. Sie wird nachgeholt, sobald die Umstände es zulassen.

Art. 13 Einwilligungserfordernis

a) handlungsfähige Patientinnen und Patienten
1 Behandlung und Betreuung von handlungsfähigen Patientinnen oder Patienten bedürfen der Einwilligung der Patientin oder des Patienten.
2 Die Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden.

Art. 14 b) urteilsfähige handlungsunfähige Patientinnen und Patienten

1 Behandlung und Betreuung von urteilsfähigen handlungsunfähigen Patientinnen oder Patienten, die mit erheblichen Risiken oder erheblichen Kosten verbunden ist, bedürfen der Einwilligung der Patientin oder des Patienten sowie der Zustim - mung ihrer gesetzlichen Vertretung.

Art. 15 c) urteilsunfähige Patientinnen und Patienten

1 Medizinische Massnahmen an urteilsunfähigen Patientinnen oder Patienten kön - nen durchgeführt werden, wenn: a) die Massnahme in einer Patientenverfügung nach Art. 370 ff. ZGB vorgesehen ist; b) die vertretungsberechtigte Person zugestimmt hat. Die urteilsunfähige Person wird soweit möglich in die Entscheidfindung einbezogen; c) ein dringlicher Fall nach Art. 379 ZGB vorliegt.
2 Die Behandlung einer psychischen Störung einer urteilsunfähigen Person in ei - ner psychiatrischen Klinik richtet sich nach den Bestimmungen über die fürsorge - rische Unterbringung nach Art. 426 ff. ZGB.

Art. 16 d) Form

1 Der Schriftform bedürfen: a) die Einwilligung der Patientin oder des Patienten in medizinische Massnah - men, die für sie oder ihn mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden sind; b) die Zustimmung der vertretungsberechtigten Person.
3. Besuchsrecht (3.3.)

Art. 17 Ausübung und Einschränkung

1 Patientinnen und Patienten können während ihres Aufenthalts Besuche empfan - gen. Die Hausordnung regelt das Besuchsrecht.
2 Das Besuchsrecht kann von der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt aus medizinischen oder organisatorischen Gründen eingeschränkt werden. IV. Patientendokumentation (4.)

Art. 18 Grundsatz

1 Die behandelnden und betreuenden Personen führen eine fortlaufende Patien - tendokumentation.
2 Die Patientendokumentation kann elektronisch oder in Papierform angelegt wer - den.
3 Sie enthält Angaben über die Urheberschaft der Eintragungen, der Berichtigun - gen und der Ergänzungen.

Art. 19 Inhalt

1 Die Patientendokumentation enthält sämtliche die Behandlung und Betreuung betreffenden Aufzeichnungen und Unterlagen, insbesondere Anamnese, Diagnose und Krankheitsverlauf sowie Angaben über die angeordneten und durchgeführten Behandlungen.

Art. 20 Aufbewahrungsfrist

1 Die Patientendokumentation verbleibt während zehn Jahren seit der letzten Ein - tragung bei der Einrichtung, an der die letzte Behandlung durchgeführt wurde. Längere Aufbewahrungsfristen nach Bundesrecht bleiben vorbehalten.
2 Die Patientin oder der Patient oder die vertretungsberechtigte Person kann schriftlich bei der Einrichtung verlangen, dass ihr oder ihm nach Ablauf der Auf - bewahrungsfrist die Patientendokumentation im Original herausgegeben wird.
3 Nicht herausgegebene Patientendokumentationen werden vernichtet. Vorbehal - ten bleiben: a) eine Weiterverwendung zur Sicherstellung einer angemessenen Behandlung und Betreuung; b) eine Weiterverwendung zu Forschungszwecken. Diese richtet sich nach dem Bundesgesetz über die Forschung am Menschen (Humanforschungsgesetz) vom 30. September 2011 15 .

Art. 21 Auskunft und Einsicht

1 Das Recht der Patientin oder des Patienten auf Auskunft und Einsicht in die Pati - entendokumentation richtet sich nach dem Datenschutzgesetz vom 20. Januar
2009 16 .
2 Für die Auskunfts- und Einsichtsgewährung ist die Leitung des betroffenen Fach - bereichs zuständig.
3 Lehnt die Leitung des betroffenen Fachbereichs die Auskunft oder Einsicht ab, stellt sie Antrag an die Geschäftsleitung der Einrichtung. Diese eröffnet eine Ver - weigerung der Auskunft oder Einsicht schriftlich und begründet.
15 SR 810.30 .
16 sGS 142.1 .

Art. 22 Bekanntgabe gegenüber Dritten

a) Grundsatz
1 Das Recht Dritter auf Bekanntgabe von Informationen aus der Patientendoku - mentation richtet sich nach dem Datenschutzgesetz vom 20. Januar 2009 17 .
2 Für die Bekanntgabe ist die Leitung des betroffenen Fachbereichs zuständig.
3 Lehnt die Leitung des betroffenen Fachbereichs die Bekanntgabe ab, stellt sie An - trag an die Geschäftsleitung der Einrichtung. Diese eröffnet eine Verweigerung der Bekanntgabe schriftlich und begründet.
4 Befürwortet die Leitung des betroffenen Fachbereichs die Bekanntgabe, stellt sie Antrag an das Gesundheitsdepartement auf Entbindung vom Berufsgeheimnis.
5 Abs. 3 und 4 dieser Bestimmung werden nicht angewendet, wenn eine Einwilli - gung der Patientin oder des Patienten für die Bekanntgabe vorliegt.

Art. 23 b) Einsichtsrecht vertretungsberechtigter Personen

1 Der vertretungsberechtigten Person wird Einsicht in die Patientendokumenta - tion gewährt, soweit die Einsicht zur Wahrnehmung ihrer Vertretungsbefugnisse notwendig ist.
2 Art. 22 Abs. 1 bis 3 dieses Erlasses werden sachgemäss angewendet.

Art. 24 c) Einsichtsrecht bei Verstorbenen

1 Nächste Angehörige können in den Schlussbericht einer Obduktion Verstorbe - ner Einsicht nehmen. Art. 22 Abs. 1 bis 3 dieses Erlasses werden sachgemäss ange - wendet.
2 Dritte können in die Patientendokumentation Verstorbener Einsicht nehmen, wenn ein schutzwürdiges Interesse geltend gemacht wird und keine überwiegen - den öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen. Art. 22 dieses Erlasses wird sachgemäss angewendet. V. Rechtsschutz (5.)

Art. 25 Verletzung von Patientenrechten

a) Vermittlung und Entscheid Geschäftsleitung
1 Die betroffene Person oder ihre Vertretung kann eine Verletzung ihrer Rechte, die durch Angestellte einer Einrichtung in Ausübung der dienstlichen Verrichtun - gen erfolgt ist, bei der Geschäftsleitung der Einrichtung geltend machen.
17 sGS 142.1 .
2 Die Geschäftsleitung der Einrichtung sucht eine gütliche Einigung.
3 Kommt keine Einigung zustande, erlässt die Geschäftsleitung eine Verfügung.

Art. 26 b) Rekurs

1 Verfügungen der Geschäftsleitung eines Spitalverbundes oder eines Psychiatrie - verbundes können beim Verwaltungsrat der Einrichtung mit Rekurs angefochten werden.
2 Verfügungen der Geschäftsleitung privater Einrichtungen und Entscheide des Verwaltungsrates der Spitalverbunde oder der Psychiatrieverbunde können mit Rekurs beim Gesundheitsdepartement angefochten werden.
3 Das Verfahren richtet sich im Übrigen nach dem Gesetz über die Verwaltungs - rechtspflege vom 16. Mai 1965 18 .

Art. 27 Entschädigungsansprüche

1 Entschädigungsansprüche sind nach Art. 72 ff. des Gesetzes über die Verwal - tungsrechtspflege vom 16. Mai 1965 19 mit öffentlich-rechtlicher Klage beim Zivil - richter geltend zu machen.
18 sGS 951.1 .
19 sGS 951.1 .
* Änderungstabelle - Nach Bestimmung Bestimmung Änderungstyp nGS-Fundstelle Erlassdatum Vollzugsbeginn Erlass Grunderlass 2017-017 13.12.2016 01.06.2017 * Änderungstabelle - Nach Erlassdatum Erlassdatum Vollzugsbeginn Bestimmung Änderungstyp nGS-Fundstelle
13.12.2016 01.06.2017 Erlass Grunderlass 2017-017
Markierungen
Leseansicht