Vereinbarung über Notifizierungen, Konsultationen, Streitbeilegung und Überwachung
Von der Bundesversammlung genehmigt am 12. Dezember 1979³ ¹ AS 1979 2574 , BBl 1979 III 1 ² Der französische Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der französischen Ausgabe dieser Sammlung. ³ Abs. 1 Bst. m des BB vom 12. Dez. 1979 ( AS 1979 2149 )
Anhang
Vereinbarte Beschreibung der üblichen GATT-Praxis auf dem Gebiet der Streitbeilegung
(Artikel XXIII Absatz 2)
1. Streitfälle, die nicht auf bilateraler Ebene im Rahmen der einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen Abkommens beigelegt worden sind, können den Vertrag s parteien ¹¹ vorgelegt werden, die nach Artikel XXIII Absatz 2 verpflichtet sind, die ihnen vorgelegten Angelegenheiten zu untersuchen und geeignete Empfehlungen oder Weisungen auszusprechen. Artikel XXIII Absatz 2 sagt nichts darüber aus, ob Streitfälle von einer Arbeitsgruppe oder von einer Sondergruppe zu behandeln sind.¹²
2. Die Vertragsparteien haben 1966 einen Beschluss gefasst, der das Verfahren für Konsultationen nach Artikel XXIII zwischen entwickelten und weniger entwickelten Vertragsparteien regelt (BISD, Ergänzung Nr. 14, Seite 18). Dieses Verfahren sieht unter anderem vor, dass der Generaldirektor zwecks Erleichterung einer Lösung seine guten Dienste zur Verfügung stellt, dass ferner Sondergruppen eingesetzt werden, die die Probleme zwecks Empfehlung geeigneter Lösungen zu prüfen haben, und dass Fristen für die Durchführung der verschiedenen Teile des Verfahrens festgesetzt werden.
3. Eine Sondergruppe hat normalerweise die Aufgabe, den Sachverhalt eines Falles und die Anwendbarkeit von GATT-Bestimmungen zu prüfen und zu einer objektiven Beurteilung dieser Fragen zu gelangen. In diesem Zusammenhang führen die Sondergruppen mit den Streitparteien regelmässig Konsultationen und räumen den Parteien angemessene Möglichkeiten ein, zu einer allseits zufriedenstellenden Lösung zu gelangen. Die Sondergruppen berücksichtigen die besonderen Interessen der Entwicklungsländer in angemessener Weise. Können die Parteien nicht zu einer allseits zufriedenstellenden Regelung gelangen, so unterstützen die Sondergruppen die Vertragsparteien normalerweise dabei, gemäss Artikel XXIII Absatz 2 Empfehlungen oder Weisungen auszusprechen.
4. Die Vertragsparteien wägen zunächst sorgfältig ab, ob zur Lösung eines Falles ein Vorgehen nach Artikel XXIII Absatz 2 Erfolg verspricht. Die den Vertragspa r teien nach dieser Bestimmung vorgetragenen Fälle sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zufriedenstellend geregelt worden.
Ziel der Vertragsparteien ist es stets gewesen, für einen Streitfall eine positive Lösung zu finden. Eindeutig vorzuziehen ist eine Lösung, die für alle Streitparteien annehmbar ist. Kommt es nicht zu einer allseits annehmbaren Lösung, so besteht das vorrangige Ziel der Vertragsparteien gewöhnlich darin, die Aufhebung der betreffenden Massnahmen zu erwirken, wenn festgestellt wird, dass sie mit dem Allgemeinen Abkommen unvereinbar sind. Von der Möglichkeit eines Ausgleichs sollte erst Gebrauch gemacht werden, wenn die sofortige Aufhebung der betreffenden Massnahme undurchführbar ist, und auch nur als Übergangsmassnahme bis die mit dem Allgemeinen Abkommen nicht zu vereinbarenden Massnahmen aufgehoben worden sind. Die letzte Möglichkeit, die Artikel XXIII dem Land einräumt, das sich auf dieses Verfahren beruft, besteht darin, die Erfüllung von Zugeständnissen oder sonstigen Verpflichtungen auf einer diskriminierenden Grundlage gegenüber der anderen Vertragspartei auszusetzen, sofern die Vertragsparteien solche Massnahmen genehmigen. Ein derartiges Vorgehen ist nur selten in Erwägung gezogen worden, und unter den gemäss Artikel XXIII Absatz 2 vorgelegten Fällen kam es nur in einem Fall dazu.
5. In der Praxis haben sich die Vertragsparteien nur dann auf Artikel XXIII berufen, wenn nach ihrer Auffassung ein ihnen aus dem Allgemeinen Abkommen erwachsender Vorteil zunichte gemacht oder geschmälert wurde. In den Fällen in denen eine Verletzung der Verpflichtungen aus dem Allgemeinen Abkommen vorliegt, wird vermutet, dass ein Vorteil zunichte gemacht oder geschmälert wurde. Jede Vermutung, dass ein Vorteil zunichte gemacht oder geschmälert wurde, würde ipso facto die Prüfung der Frage erfordern, ob die Umstände schwerwiegend genug sind, um die Aussetzung von Zugeständnissen oder Verpflichtungen zu rechtfertigen, wenn die beschwerdeführende Vertragspartei dies verlangt. Mit anderen Worten, es wird normalerweise vermutet, dass ein Verstoss gegen die Regeln sich für andere Vertragsparteien nachteilig auswirkt, und es ist dann Sache der Vertragsparteien, gegen die Beschwerde geführt worden ist, die Beschwerdepunkte zu widerlegen. Absatz 1 b) ermöglicht es, auf Artikel XXIII zurückzugreifen, falls die Zunichtemachung oder die Schmälerung der Vorteile von Massnahmen herrührt, die von anderen Vertragsparteien getroffen werden, auch wenn diese Massnahmen nicht gegen das Allgemeine Abkommen verstossen, Absatz 1 c) gestattet dies auch für den Fall, dass irgendeine andere Sachlage gegeben ist. Behauptet eine Vertragspartei, die eine Angelegenheit nach Artikel XXIII vorgetragen hat, dass Massnahmen, die zu den Bestimmungen des Allgemeinen Abkommens nicht im Widerspruch stehen, die ihr aus dem Allgemeinen Abkommen erwachsenden Vorteile zunichte gemacht oder geschmälert haben, so müsste sie dies im einzelnen nachweisen.
6. Zu den üblichen Verfahrenseinzelheiten der Arbeitsgruppen und Sondergruppen ist folgendes zu bemerken:
i) Arbeitsgruppen werden vom Rat auf Antrag einer oder mehrerer Vertragsparteien eingesetzt. Sie haben im Allgemeinen die Aufgabe, «die Angelegenheit im Lichte der einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen Abkommens zu prüfen und dem Rat darüber zu berichten». Die Arbeitsgruppen geben sich ihre eigenen Verfahrensregeln. Nach bisheriger Praxis halten sie eine oder zwei Sitzungen ab, um die Angelegenheit zu prüfen, sowie eine Schlusssitzung in der die Schlussfolgerungen erörtert werden. An den Sitzungen der Arbeitsgruppen kann jede Vertragspartei, die an der Angelegenheit interessiert ist, teilnehmen. In der Regel setzen sich die Arbeitsgruppen je nach Bedeutung der Frage und der berührten Interessen aus etwa fünf bis zwanzig Delegationen zusammen. Die Länder, die Streitparteien sind, gehören der Arbeitsgruppe stets als Mitglieder an und haben denselben Status wie andere Delegationen. Der Bericht der Arbeitsgruppe enthält die Auffassungen aller ihrer Mitglieder und gibt daher gegebenenfalls unterschiedliche Meinungen wieder. Da generell ein Konsens angestrebt wird, kommt es bei der Ausarbeitung des Berichts der Arbeitsgruppe in der Regel zu einem gewissen Mass von Verhandlungen und Kompromissen. Der Rat nimmt den Bericht an. Die Berichte der Arbeitsgruppen sind Stellungnahmen, auf deren Grundlage die Vertragsparteien eine endgültige Entscheidung treffen können.
ii) Bei Streitfällen setzen die Vertragsparteien Sondergruppen (unter verschiedenen Bezeichnungen) oder Arbeitsgruppen ein, die sie bei der Prüfung der nach Artikel XXIII Absatz 2 aufgeworfenen Fragen unterstützen sollen. Seit 1952 stellen die Sondergruppen das übliche Verfahren dar. Der Rat fasst jedoch solche Beschlüsse erst, nachdem die betreffende Partei Gelegenheit gehabt hat, die Beschwerde zu prüfen und ihre Erwiderung vor dem Rat vorzubereiten. Das Mandat der Gruppen wird vom Rat erörtert und genehmigt. Normalerweise lautet ihr Mandat «die Angelegenheit zu prüfen und Feststellungen zu treffen, die es den Vertragsparteien erleichtern, nach Artikel XXIII Absatz 2 Empfehlungen oder Entscheidungen auszusprechen». Hat eine Vertragspartei die sich auf Artikel XXIII Absatz 2 beruft, Fragen im Zusammenhang mit der Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen aufgeworfen, so haben die Gruppen das Mandat, die Angelegenheit nach Artikel XXIII Absatz 2 zu prüfen. Die Mitglieder der Sondergruppen werden gewöhnlich aus den ständigen Delegationen oder – seltener – aus den nationalen Verwaltungen der Hauptstädte unter den Delegierten ausgewählt, die regelmässig an den Tätigkeiten des GATT teilnehmen. Es ist üblich, ein oder mehrere Mitglieder aus Entwicklungsländern zu ernennen, wenn es sich um einen Streitfall zwischen einem Entwicklungs- und einem Industrieland handelt.
iii) Von den Mitgliedern der Ausschüsse wird erwartet, dass sie unparteiisch und ohne Weisungen ihrer Regierungen handeln. In einigen wenigen Fällen sind die Parteien angesichts der Art und der Vielschichtigkeit der Angelegenheit übereingekommen, Nicht-Regierungssachverständige zu ernennen. Die Ernennungsvorschläge werden den betroffenen Parteien vom GATT-Sekretariat unterbreitet. Die Zusammensetzung der Sondergruppen (drei bzw. fünf Mitglieder je nach Fall) wird von den betroffenen Parteien einvernehmlich geregelt und vom GATT-Rat genehmigt. Es hat sich gezeigt, dass in schwierigen Fällen ein breites Spektrum an Meinungen von Vorteil ist, dass jedoch die Zahl der Mitglieder der Sondergruppen gelegentlich die Bildung der Sondergruppen und mithin das Streitbeilegungsverfahren verzögert.
iv) Die Sondergruppen geben sich ihre eigenen Verfahrensregeln. Nach bisheriger Praxis halten sie zwei oder drei formelle Sitzungen mit den betroffenen Parteien ab. Sie fordern die Parteien auf, ihren Standpunkt entweder schriftlich und/oder mündlich in Anwesenheit der anderen Partei darzulegen. Die Sondergruppe kann beiden Parteien zu jeder Angelegenheit, die sie für den Streitfall als erheblich ansieht, Fragen stellen. Gelegentlich nehmen Sondergruppen auch die Auffassungen von Vertragsparteien entgegen, die ein wesentliches Interesse an der Angelegenheit haben, ohne an dem Streitfall direkt beteiligt zu sein, die aber im Rat den Wunsch äussern, ihre Auffassungen darzulegen. Die den Sondergruppen vorgelegten Aufzeichnungen gelten als vertraulich, werden den Streitparteien Jedoch zur Verfügung gestellt. Die Sondergruppen holen oft bei Quellen, die sie für geeignet halten, Auskünfte ein; sie konsultieren gelegentlich Sachverständige, um deren fachlichen Rat zu bestimmten Aspekten der Angelegenheit einzuholen. Die Sondergruppen können Gutachten anfordern oder das Sekretariat als Hüter des Allgemeinen Abkommens um Unterstützung ersuchen, insbesondere in historischen oder verfahrenstechnischen Fragen. Das Sekretariat stellt die technischen und Sekretariatsdienste für die Sondergruppen.
v) Gelangen die Parteien nicht zu einer allseits zufriedenstellenden Lösung, so legt die Sondergruppe schriftlich dar, zu welchen Feststellungen sie gelangt ist. Der Bericht der Sondergruppen legt normalerweise den Sachverhalt, die Anwendbarkeit der einschlägigen Bestimmungen sowie die grundsätzliche Rechtfertigung der Feststellungen und Empfehlungen dar. Ist für die Angelegenheit eine bilaterale Regelung gefunden worden, so begnügt sich die Sondergruppe in ihrem Bericht damit, den Fall kurz zu beschreiben und darauf hinzuweisen, dass eine Lösung gefunden worden ist.
vi) Die Berichte der Sondergruppen werden in Abwesenheit der Parteien und im Lichte der eingeholten Auskünfte und abgegebenen Erklärungen erstellt.
vii) Um zwischen den Parteien das Zustandekommen einer allseits zufriedenstellenden Lösung zu fördern und um Stellungnahmen der Parteien einholen zu können, unterbreitet jede Sondergruppe normalerweise zunächst den betroffenen Parteien den beschreibenden Teil ihres Berichts sowie ihre Schlussfolgerungen oder eine Zusammenfassung davon, wobei sie eine angemessene Frist vorsieht, bevor sie die Mitteilung den Vertragsparteien zuleitet.
viii) Gemäss dem von den Vertragsparteien erteilten Mandat äussern sich die Sondergruppen zu der Frage, ob die geprüfte Massnahme gegen bestimmte Regeln des Allgemeinen Abkommens verstösst. Auf Ersuchen der Vertrag s parteien fertigen die Sondergruppen auch Entwürfe von Empfehlungen an die Parteien. In anderen Fällen wiederum wurden die Sondergruppen aufgefordert, ihren fachlichen Rat zu bestimmten Aspekten der Angelegenheit zu erteilen (beispielsweise zu den Modalitäten der Zurücknahme oder Aussetzung im Zusammenhang mit dem betreffenden Handelsvolumen). Die von den Mitgliedern der Sondergruppen geäusserten Meinungen sind nicht namentlich; die Beratungen der Sondergruppen sind geheim.
ix) Obgleich die Vertragsparteien niemals genaue Fristen für die einzelnen Verfahrensphasen festgelegt haben – wahrscheinlich weil die den Sondergruppen unterbreiteten Fragen unterschiedlich komplex und dringlich sind – wurden die Arbeiten der Ausschüsse in den meisten Fällen innerhalb eines vertretbaren Zeitraumes von normalerweise drei bis neun Monaten abgeschlossen.
Der in Absatz 2 genannte Beschluss der Vertragsparteien von 1966 bestimmt in seinem Absatz 7, dass die Sondergruppe binnen sechzig Tagen, nachdem ihr die Frage vorgelegt worden ist, darüber berichtet.
¹¹ Der Rat ist befugt, entsprechend der normalen GATT-Praxis für die Vertragsparteien zu handeln.
¹² Auf der Revisionstagung (1955) wurde der Vorschlag zur Institutionalisierung der Verfahren der Sondergruppen von den Vertragsparteien in erster Linie deswegen verworfen, weil sie die bestehende Situation beizubehalten und keine Rechtsprechungsverfahren, die eine übermässige Belastung des GATT bedeuten könnten, einzuführen wünschten.
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