Rahmenabkommen
zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich Abgeschlossen am 27. September 2016 Von der Bundesversammlung genehmigt am 15. Dezember 2017¹ In Kraft getreten durch Notenaustausch am 1. Oktober 2019 (Stand am 1. Oktober 2019) ¹ AS 2019 2917
Der Schweizerische Bundesrat einerseits und
die Regierung der Französischen Republik andererseits,
nachstehend als Vertragsparteien bezeichnet,
in Anbetracht des Europäischen Rahmenübereinkommens vom 21. Mai 1980² über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften, des Zusatzprotokolls vom 9. November 1995³, des Protokolls Nr. 2 vom 5. Mai 1998⁴ betreffend die interterritoriale Zusammenarbeit und des Protokolls Nr. 3 vom 16. November 2009⁵ betreffend Verbünde für euroregionale Zusammenarbeit (VEZ),
in Anbetracht der relevanten Bestimmungen des Abkommens vom 21. Juni 1999⁶ zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA),
im Bewusstsein um die traditionelle Mobilität der Menschen zwischen Frankreich und der Schweiz sowie um die verschiedenen Projekte, die zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aufgebaut wurden,
im Bewusstsein um die Bedeutung einer ständigen Verbesserung der Versorgungsqualität und der Organisation der Gesundheitsversorgungssysteme,
im Wunsch, die Grundlagen für eine vertiefte grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich zwischen Frankreich und der Schweiz zu schaffen, um den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu verbessern und deren Kontinuität für die Bewohnerinnen und Bewohner des betroffenen Grenzgebiets zu gewährleisten,
im Wunsch, den Zugang zu den mobilen Rettungsdiensten für die Bewohnerinnen und Bewohner des Grenzgebiets zu erleichtern,
im Wunsch, die verwaltungs- und finanztechnischen Verfahren zu vereinfachen unter Berücksichtigung des innerstaatlichen Rechts der Vertragsparteien, der internationalen Abkommen sowie des Rechts und der Rechtsprechung der Europäischen Union, die einschlägig sind aufgrund der bestehenden Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union,
entschlossen, diese Zusammenarbeit durch den Abschluss von grenzüberschreitenden Kooperationsvereinbarungen im Gesundheitsbereich, einschliesslich der notfallmedizinischen Versorgung, unter Berücksichtigung des innerstaatlichen Rechts und der internationalen Verpflichtungen der Vertragsparteien zu erleichtern und zu fördern,
eingedenk dessen, dass spezifische Aspekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Frankreich und der Schweiz geregelt sind im Abkommen vom 14. Januar 1987⁷ zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen und dem Abkommen zwischen und dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik zum Informationsaustausch zur Grippepandemie und anderen Gesundheitsrisiken, unterzeichnet in Bern am 28. Juni 2010⁸,
und schliesslich eingedenk der am 29. Mai 1889⁹ geschlossenen Übereinkunft zwischen der Schweiz und Frankreich betreffend die gegenseitige Zulassung der an der Grenze wohnenden Medizinalpersonen zur Berufsausübung,
sind wie folgt übereingekommen:
² SR 0.131.1 ³ SR 0.131.11 ⁴ SR 0.131.12 ⁵ SR 0.131.13 ⁶ SR 0.142.112.681 ⁷ SR 0.131.334.9 ⁸ Nicht veröffentlicht. Vgl. jedoch BBl 2011 4983 , hier 5290. Das Abkommen ist am 3. Aug. 2011 in Kraft getreten. ⁹ SR 0.811.119.349
Art. 1 Zweck
1. Zweck des vorliegenden Rahmenabkommens ist die Festlegung des rechtlichen Rahmens für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich, einschliesslich des Rettungsdienstes, zwischen Frankreich und der Schweiz mit dem Ziel:
– einen besseren Zugang zu einer Gesundheitsversorgung von hoher Qualität für die Bewohnerinnen und Bewohner des betroffenen Grenzgebiets sicherzustellen;
– diesen Bewohnerinnen und Bewohnern die Kontinuität der Gesundheitsversorgung zu gewährleisten;
– die schnellstmögliche notfallmedizinische Versorgung zu gewährleisten;
– den gegenseitigen Wissens- und Praxisaustausch zu fördern;
– die Organisation des Gesundheitsversorgungsangebots zu optimieren, indem der Einsatz oder die gemeinsame Nutzung der personellen und materiellen Ressourcen erleichtert wird;
– den Informationsaustausch im Bereich der Beurteilung und des Managements von Gesundheitsrisiken zu erleichtern.
2. Die konkrete Umsetzung der mit dem vorliegenden Rahmenabkommen angestrebten Zusammenarbeit erfolgt mittels Kooperationsvereinbarungen im Gesundheitsbereich gemäss Artikel 3, deren Abschluss Sache der in Artikel 1 des Durchführungsprotokolls bezeichneten zuständigen Stellen ist.
3. Das vorliegende Rahmenabkommen steht der Umsetzung der Bestimmungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005)¹⁰ nicht entgegen.
¹⁰ Totalrevision des Internationales Sanitätsreglements vom 25. Juli 1969 der Weltgesundheitsorganisation, angenommen an der 58. Weltgesundheitsversammlung am 23. Mai 2005 ( SR 0.818.103 ).
Art. 2 Geltungsbereich
1. Das vorliegende Rahmenabkommen gilt für folgendes Grenzgebiet:
a. in der Französischen Republik für die Region Grand Est, die Region Bourgogne-Franche-Comté und die Region Auvergne-Rhône-Alpes;
b. in der Schweiz für die Kantone Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Bern, Genf, Jura, Neuenburg, Solothurn, Wallis und Waadt.
2. Das vorliegende Rahmenabkommen wird auf alle Personen angewendet, die Anspruch auf die Leistungen der Krankenversicherung einer der beiden Vertragsparteien und ihren gewöhnlichen Wohnsitz oder vorübergehenden Aufenthalt im Grenzgebiet gemäss Artikel 2 haben.
3. Im von den Kooperationsvereinbarungen nach Artikel 3 vorgesehenen Rahmen wird das vorliegende Rahmenabkommen auf alle Personen angewendet, die einem Sozialversicherungssystem angeschlossen sind, das in den Anwendungsbereich der für die Vertragsparteien gültigen Verordnungen der Europäischen Union zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit fällt, die ihren gewöhnlichen Wohnsitz oder vorübergehenden Aufenthalt im Grenzgebiet gemäss Artikel 2 haben und die eine notfallmedizinische Versorgung benötigen.
4. Das vorliegende Rahmenabkommen gilt für angestellte und selbstständige Gesundheitsfachpersonen wie sie von den jeweiligen innerstaatlichen Regelwerken der beiden Vertragsparteien definiert sind, die im Grenzgebiet gemäss Artikel 2 tätig sind.
Art. 3 Kooperationsvereinbarung im Gesundheitsbereich
1. Zur Umsetzung des vorliegenden Rahmenabkommens können die im Durchführungsprotokoll aufgeführten zuständigen Stellen im Rahmen dieses Abkommens und gemäss ihren innerstaatlichen Zuständigkeiten Kooperationsvereinbarungen im Gesundheitsbereich schliessen.
2. Diese Vereinbarungen organisieren die Zusammenarbeit zwischen im betroffenen Grenzgebiet befindlichen Strukturen und Ressourcen des Gesundheitswesens, die dort angesiedelt oder Teil eines in diesem Gebiet tätigen Netzwerks sind. Dazu können sie eine gegenseitige Ergänzung der bestehenden Strukturen und Ressourcen im Gesundheitswesen vorsehen sowie Kooperationsträger oder gemeinsame Strukturen schaffen, insbesondere aufgrund der festgestellten Defizite und Bedürfnisse bezüglich des Versorgungsangebots.
3. Die Kooperationsvereinbarungen können namentlich folgende Bereiche betreffen:
– grenzüberschreitender Einsatz der Gesundheitsfachpersonen;
– Organisation der notfallmedizinischen Versorgung und des Krankentransports der Patientinnen und Patienten;
– Zusammenarbeit im Spitalbereich;
– Gewährleistung einer durchgehenden Gesundheitsversorgung, vor allem hinsichtlich Patientenaufnahme und -information;
– Evaluations- und Kontrollkriterien für die Qualität und Sicherheit der Gesundheitsversorgung;
– Zusammenarbeit im Bereich der Bewältigung von Gesundheitskrisen in Ergänzung zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005)¹¹.
4. Diese Vereinbarungen sehen die obligatorischen Voraussetzungen und Modalitäten für den Einsatz der Versorgungseinrichtungen und der Gesundheitsfachpersonen vor. Diese Voraussetzungen und Modalitäten sind im Durchführungsprotokoll, das diesem Rahmenabkommen angehängt ist, entsprechend ihrem sachlichen Geltungsbereich aufgeführt.
In jedem Fall präzisieren die Kooperationsvereinbarungen Folgendes:
– sachlicher, räumlicher und persönlicher Geltungsbereich, auf den die Vereinbarung angewendet wird;
– Dauer und Kündigungsbedingungen der Kooperationsvereinbarung;
– Kostenübernahmemechanismen, Tarife und Rückerstattung der Leistungen, die Gegenstand der betreffenden Kooperationsvereinbarung sind, unter Einhaltung des innerstaatlichen Rechts der Vertragsparteien.
5. Die zuständigen Gebietskörperschaften, die eine Kooperationsvereinbarung im Sinne des vorliegenden Rahmenabkommens abschliessen, sind verpflichtet, die Genehmigungs-, Informations- und Kontrollverfahren gemäss dem geltenden innerstaatlichen Recht zu beachten.
¹¹ SR 0.818.103
Art. 4 Grenzübertritt
Zusammen mit den zuständigen Behörden treffen die Vertragsparteien alle gegebenenfalls notwendigen Massnahmen, um den Übertritt über die gemeinsame Grenze zur Durchführung dieses Rahmenabkommens zu erleichtern.
Art. 5 Kostenübernahme durch ein Sozialversicherungssystem
1. Die Vereinbarungen nach Artikel 3 des vorliegenden Rahmenabkommens und deren Umsetzung entsprechen den Bestimmungen der für die Vertragsparteien gültigen Verordnungen der Europäischen Union zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.
2. Ist eine vorherige Genehmigung erforderlich, um die in den Kooperationsvereinbarungen abschliessend aufgeführten spezifischen Behandlungen im betroffenen Grenzgebiet in Anspruch zu nehmen, so können diese Vereinbarungen vorsehen, dass diese Genehmigung automatisch vom zuständigen Sozialversicherungsträger ausgestellt wird. Eine solche Genehmigung wird nur erteilt, wenn die betreffenden Behandlungen zu den Leistungen gehören, die von der Gesetzgebung der Vertragspartei, wo die betroffene Person versichert ist, vorgesehen sind.
3. Wenn die Kooperationsvereinbarungen bei der erhaltenen spezifischen Behandlung eine direkte Kostenübernahme durch den zuständigen Träger vorsehen, kann bei Bedarf eine spezifische Tarifgestaltung gemäss den im Durchführungsprotokoll nach Artikel 9 definierten Modalitäten ausgehandelt werden, wobei gegebenenfalls je nach geltendem innerstaatlichen Recht eine Bestätigung der zuständigen Behörden erforderlich ist.
4. Die Kooperationsvereinbarungen können für die darin genannten Leistungen der Gesundheitsversorgung spezifische Bestimmungen für Personen vorsehen, die rechtmässig in der Schweiz oder in Frankreich wohnen und für welche die in Absatz 1 genannten europäischen Verordnungen nicht gelten.
Art. 6 Haftung
1. Es gilt das ärztliche Haftungsrecht des Staates, auf dessen Gebiet die Behandlung erfolgt ist.
2. Gesundheitsfachpersonen sowie Einrichtungen und Dienste des Gesundheitswesens, die im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung Behandlungen vornehmen, sind verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung für allfällige Schäden abzuschliessen, die durch ihre Tätigkeit im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit entstehen könnten.
3. Die im Durchführungsprotokoll genannten zuständigen Behörden sorgen dafür, dass die an der Zusammenarbeit beteiligten Einrichtungen und Dienste des Gesundheitswesens sowie Gesundheitsfachpersonen über eine ausreichende Haftpflichtversicherung im Sinne von Absatz 2 oder eine gleichwertige Haftungsdeckung verfügen. Die Sanitätsdienste unterliegen ebenfalls der Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung.
Art. 7 Gemischte Kommission
1. Eine gemischte Kommission, zusammengesetzt aus Vertreterinnen und Vertretern der zuständigen Behörden beider Vertragsparteien, wird beauftragt, die Anwendung des vorliegenden Rahmenabkommens zu verfolgen und allfällige Änderungen vorzuschlagen. Sie tagt mindestens alle zwei Jahre und bei Bedarf auf Antrag einer der beiden Vertragsparteien.
2. Schwierigkeiten bei der Anwendung oder Auslegung des vorliegenden Rahmenabkommens werden von der Gemischten Kommission oder auf diplomatischem Weg geregelt.
3. Alternativ erstellen die im Durchführungsprotokoll genannten zuständigen Stellen auf der Grundlage des Austauschs in der Gemischten Kommission alle vier Jahre einen Evaluationsbericht zur Umsetzung des Kooperationsdispositivs.
Art. 8 Umsetzung
Die für die Organisation des Versorgungszugangs, die soziale Sicherheit und die öffentliche Gesundheit zuständigen Behörden setzen das vorliegende Rahmenabkommen um. Das sind folgende Stellen:
1. für Frankreich: – regionale Gesundheitsagenturen Grand Est, Bourgogne-Franche-Comté und Auvergne-Rhône-Alpes im Auftrag des für das Gesundheitswesen zuständigen Ministeriums,
– Krankenkasse Haute-Savoie im Auftrag der französischen Sozialversicherungseinrichtungen;
2. für die Schweiz: – Bundesamt für Gesundheit,
– zuständige Behörden der in Artikel 2 aufgeführten Kantone.
Die oben genannten Stellen treffen alle erforderlichen Vorkehrungen, um die Umsetzung des vorliegenden Rahmenabkommens sicherzustellen.
Art. 9 Durchführungsprotokoll
Ein von den zuständigen Behörden der Vertragsparteien abgeschlossenes Durchführungsprotokoll legt die Modalitäten zur Umsetzung des vorliegenden Rahmenabkommens fest.
Art. 10 Übergangsbestimmungen
1. Kooperationsvereinbarungen im Gesundheitsbereich, die vor dem Inkrafttreten des Rahmenabkommens geschlossen wurden, werden bei Bedarf möglichst rasch, spätestens aber innert zwei Jahren nach dem Inkrafttreten des Rahmenabkommens angeglichen.
2. Nach Ablauf dieser Frist kann die Gemische Kommission nicht konforme Bestimmungen in einer vor dem Rahmenabkommen abgeschlossenen Kooperationsvereinbarung für ungültig erklären.
Art. 11 Inkrafttreten
Jede Vertragspartei meldet der anderen die Erfüllung der für das Inkrafttreten des vorliegenden Rahmenabkommens erforderlichen innerstaatlichen Voraussetzungen. Das Abkommen tritt am ersten Tag des zweiten Monats in Kraft, der auf den Eingang der letzten dieser Meldungen folgt.
Art. 12 Geltungsdauer und Kündigung
1. Das vorliegende Rahmenabkommen wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen.
2. Jede Partei des vorliegenden Rahmenabkommens kann dieses jederzeit durch schriftliche Mitteilung an die andere Vertragspartei auf diplomatischem Weg kündigen. Die Kündigung wird zwölf Monate nach Eingang der betreffenden Mitteilung wirksam.
3. Die Kündigung des vorliegenden Rahmenabkommens berührt nicht den Fortbestand der Kooperationsvereinbarungen im Gesundheitsbereich.
Geschehen zu Paris am 27. September 2016 in zwei Ausfertigungen in französischer Sprache.
Für den Alain Berset | Für die Marisol Touraine |
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