Übereinkommen zwischen der Schweiz und Frankreich über die Verleihung der Wasserkräfte des Doubs bei Châtelot
Abgeschlossen am 19. November 1930 Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 12. Juli 1932 In Kraft getreten am 12. Juli 1932 ¹ Der Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der französischen Ausgabe dieser Sammlung.
Der Schweizerische Bundesrat und der Präsident der Französischen Republik,
auf Grund eines schweizerischerseits von der Schweizerischen Eisenbahnbank, nunmehr Schweizerische Elektrizitäts‑ und Verkehrsgesellschaft, in Basel, und französischerseits von der Compagnie générale d’électricité, in Paris, gleichzeitig namens und im Auftrage einer internationalen Gruppe eingereichten Verleihungsgesuches für die Ausnutzung der verfügbaren Wasserkraft des Doubs auf der Flussstrecke zwischen dem Saut du Doubs und Les Graviers,
haben anerkannt, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft und der Französische Staat gleiche Rechte über das Wasser und das Gefälle dieser Flussstrecke besitzen, dass aber Ausbau und Ausnutzung dieser Wasserkraft, die nur in einer einzigen Kraftanlage erfolgen können, Gegenstand eines die Unterschiede in der Gesetzgebung der beiden Staaten berücksichtigenden internationalen Übereinkommens bilden sollen.
Sie haben infolgedessen vereinbart, dass beide Regierungen dafür besorgt sein sollen, gemeinsam die zum Ausbau der Wasserkraft nötigen Bauten auszuführen oder sie durch einen einzigen Beliehenen ausführen zu lassen und die verfügbare Energie unter sich zu verteilen, wobei es nachher jedem Teil freistehen solle, die ihm zufallende Energie nach seinem Ermessen und nach den Grundsätzen seiner eigenen Gesetzgebung zu verwenden.
Zu diesem Zwecke sind sie übereingekommen, einen Vertrag abzuschliessen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
Diese haben nach Mitteilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten folgendes vereinbart:
Art. 1
Der von den beiden Regierungen Beliehene wird im Doubs ein Wehr errichten, das es ermöglicht, das Wasser auf Kote 716.00 (R. P. N. = 373,600 m) und Kote 715.98 (N. G. F.) aufzustauen und dessen Rückstau bis zum Fuss des Saut du Doubs reichen wird.
Art. 2
Das Wehr wird in der sogenannten «Grande Beuge» errichtet. Es soll so gebaut werden, dass die Durchflussöffnung hinreichend ist, um den Abfluss der grössten Hochwasser zu ermöglichen, ohne die im vorhergehenden Artikel festgesetzte Kote zu überschreiten.
Das Maschinenhaus ist in der Nähe der Mühle Delachaux zu erstellen, und das gesamte Wasser soll ungefähr auf Kote 618.40 dem natürlichen Flussbett wieder zugeführt werden.
Art. 3
Das Ausführungsprojekt der Kraftanlage ist durch den Beliehenen aufzustellen. Es ist mit allen erforderlichen Unterlagen den beiden Regierungen zu unterbreiten und darf erst zur Ausführung gelangen, wenn sich beide Regierungen über seine Genehmigung verständigt haben.
Beide Regierungen behalten sich ausdrücklich die gemeinsame Aufsicht über die Bauarbeiten sowie das Recht vor, im gegenseitigen Einverständnis alle den Umständen nach gebotenen Abänderungen an dem schon genehmigten Projekte zu bewilligen oder vorzuschreiben.
Art. 4
Alle Bauten sind vom Beliehenen zu unterhalten und zu bedienen.
Die Bedienung der Ein‑ und Auslaufvorrichtungen hat nach einem von den beiden Regierungen vereinbarten Reglement in der Weise zu erfolgen, dass einerseits oberhalb des Wehres die im ersten Absatz des Artikels 2 aufgestellten Bedingungen erfüllt werden, und dass anderseits durch die Regelung des Wasserabflusses unterhalb des Wehres die Abflussschwankungen nach Möglichkeit abgeschwächt und in jedem Falle die allgemeinen Interessen und insbesondere der normale Betrieb der unterhalb liegenden Kraftwerke nicht beeinträchtigt werden.
Art. 5
Jeder Uferstaat hat Anrecht auf die Hälfte der im Kraftwerk erzeugten Energie. Er kann darüber in Jeder ihm nützlich erscheinenden Form und unter beliebigen Bedingungen verfügen, sei es, indem er sie selber verwendet oder dass er sie einem Dritten verleiht oder verpachtet.
Die dem einen der beiden Staaten zukommende Energie, die auf dem Gebiete des anderen Staates erzeugt wird, geniesst von seiten dieses Staates Freiheit von allen Gebühren, Abgaben oder öffentlich‑rechtlichen Beschränkungen irgendwelcher Art, so dass diese Energie frei in das erste Land hinübergeleitet werden kann und in jeder Beziehung gleichgestellt ist, wie wenn sie auf dessen eigenem Gebiete erzeugt worden wäre.
Die jedem der beiden Staaten zugeteilte Energie kann nach dem andern Staate ausgeführt werden gemäss den im verfügungsberechtigten Staate geltenden Vorschriften über die Ausfuhr elektrischer Energie. Es wird vereinbart, dass derjenige Staat, der für die ihm zukommende Energie auf seinem Gebiete keine Verwendung hat, der Ausfuhr der aus diesem Grunde verfügbaren Energie in das andere Staatsgebiet keine Hindernisse in den Weg legt.
Art. 6
Die beiden Regierungen werden einander von ihren Entschliessungen in bezug auf die Verleihungsurkunden in Kenntnis setzen, und diese werden nur dann Rechtswirksamkeit erlangen, wenn die beiden Länder ihr Einverständnis mit den aufgestellten Bedingungen erklärt haben.
Die Verleihungsurkunden werden insbesondere Vorschriften hinsichtlich der Fristen für den Baubeginn und die Inbetriebsetzung des Kraftwerkes enthalten. Die Verleihungen werden am 31. Dezember des fünfundsiebzigsten Jahres nach dem Zeitpunkte ablaufen, der in den Verleihungsurkunden für die Betriebseröffnung des Kraftwerkes festgesetzt wird.
Art. 7
Bei Nichtvollendung des Kraftwerkes, bei Betriebsunterbrechung oder bei Vorliegen eines andern in den Verleihungen erwähnten Verwirkungsgrundes werden die beidseitigen Regierungen im gegenseitigen Einverständnis diejenigen Massnahmen treffen, die sie als für die Sachlage und gegebenenfalls für die Erteilung einer neuen Verleihung am zweckmässigsten erachten.
Art. 8
Fünfzehn Jahre vor Ablauf der Verleihungen werden die beiden Regierungen Verhandlungen aufnehmen, um die neuen Betriebsbedingungen festzusetzen.
Die Anteile beider Staaten an der erzeugten Energie sollen alsdann die gleichen bleiben, und die Bedingungen für die neue Ordnung sind derart zu gestalten, dass sie beiden Staaten gleiche Vorteile bieten.
Art. 9
Die beiden Regierungen können sich auch über einen Rückkauf, dessen Bedingungen in den Verleihungsurkunden geregelt werden, verständigen.
Art. 10
Die zwei vertragschliessenden Staaten behalten sich vor, für die Bauzeit eine Aufsichtskommission von vier Mitgliedern einzusetzen, für welche zwei Mitglieder durch die schweizerische und zwei durch die französische Regierung bezeichnet werden sollen.
Diese Kommission hat die Ausführung der Bauarbeiten zu überwachen und ihre Wahrnehmungen in Form von Berichten den zuständigen schweizerischen und französischen Behörden zu unterbreiten.
Die beiden Regierungen verpflichten sich, die Beschlüsse gegenüber dem Beliehenen, welche die Kommission im Rahmen der Verleihungsurkunden einstimmig gefasst hat, auf ihrem Staatsgebiete zur Durchführung zu bringen.
Art. 11
Während der Betriebszeit wird die Aufsicht nach Massgabe der Verleihungsurkunden ausgeübt. Jede Regierung wird den mit der Aufsicht betrauten Beamten des andern Staates alle Erleichterungen zur Erfüllung ihrer Aufgabe gewähren. Die Namen dieser Beamten sind gegenseitig bekanntzugeben.
Art. 12
Allfällige Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden vertragschliessenden Staaten über die Auslegung oder Anwendung des vorliegenden Übereinkommens oder einer der beiden in diesem Übereinkommen genannten Verleihungen sind, sofern sie nicht innert einer angemessenen Frist auf diplomatischem Wege oder auf andere gütliche Art erledigt werden können, der Kammer des Ständigen Internationalen Gerichtshofes² zu unterbreiten, welche nach Artikel 29 des Statuts dieses Gerichtshofes³ zur Entscheidung im summarischen Verfahren zuständig ist. Auf Verlangen einer der beiden Vertragsparteien ist jedoch der Streitfall dem in Vollversammlung tagenden Ständigen Internationalen Gerichtshof zu überweisen.
Die Parteien können ferner vereinbaren, es sei die Streitigkeit einem nach Massgabe von Artikel 45 des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907⁴ zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle zu bildenden Schiedsgericht zu unterbreiten.
² Heute: dem Internationalen Gerichtshof (Art. 37 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs – SR 0.193.501 ).
³ Diesem Artikel entspricht heute Art. 29 des Statuts des neuen Internationalen Gerichtshofs vom 26. Juni 1945 ( SR 0.193.501 ).
⁴ SR 0.193.212
Art. 13
Das vorliegende Übereinkommen tritt mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.
In zwei Exemplaren ausgefertigt, in Bern, den neunzehnten November eintausendneunhundertdreissig.
Dr. A. Im Hof | Armand |
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