Interkantonale Vereinbarung über die computergestützte Zusammenarbeit der Kantone bei ... (522.2)
CH - AR

Interkantonale Vereinbarung über die computergestützte Zusammenarbeit der Kantone bei der Aufklärung von Gewaltdelikten

Interkantonale Vereinbarung über die computergestützte Zusammenarbeit der Kantone bei der Aufklärung von Gewalt- delikten (ViCLAS-Konkordat) vom 2. April 2009 Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidir ektorinnen und -direktoren (KKJPD) verabschiedet in Ausführung von Art. 56 sowie Art. 57 der Bundesverfassung
1) folgende interkantonale Vereinbarung:
1. Allgemeine Bestimmungen

Art. 1 Gegenstand und Zweck

1 Die interkantonale Vereinbarung (bzw. das Konkordat ; nachstehend: Ver- einbarung) bezweckt die effiziente Bekämpfung der ( seriellen) Gewalt- und Sexualkriminalität durch interkantonale Zusammenarb eit, indem insbesonde- re: a) die rechtliche Grundlage für den kantonsübergrei fenden Einsatz des Ana- lyseinstruments ViCLAS zur Verhinderung und Aufklär ung von Delikten gegen die physische und sexuelle Integrität geschaf fen und b) die überkantonale Zusammenführung und Auswertung kantonaler Ermitt- lungsergebnisse und Strafverfahren ermöglicht wird.
2 Diese Vereinbarung regelt, unter welchen Voraussetz ungen ViCLAS durch die der Vereinbarung angeschlossenen Kantone sowie dem Fürstentum Liechtenstein eingesetzt wird.
1) BV (SR 101)
1190

Art. 2 Begriff

1 ViCLAS (Violent Crime Linkage Analysis System) ist ein auf bestehenden Ermittlungsergebnissen basierendes Analysesystem fü r Gewalt- und Sexu- aldelikte, das die Grundlage für neue Ermittlungsan sätze (Tat-Täter- Zusammenhänge beziehungsweise Tat-Tat-Zusammenhänge ) bildet. Es dient dazu, deliktsspezifische Informationen sprach unabhängig auswertbar zu machen.

Art. 3 Anwendungsbereich

1 ViCLAS kommt zur Anwendung in Verfahren gegen eine bekannte oder unbekannte Täterschaft mit lokalen, regionalen, nat ionalen oder internatio- nalen Ermittlungen.
2 Mit ViCLAS werden Verhaltensweisen und/oder Umständ e erfasst, welche in Zusammenhang mit Delikten gegen die physische bz w. sexuelle Integrität stehen bzw. darauf hindeuten oder sexuell motiviert sind und sich für eine Analyse und Recherche in ViCLAS eignen. Dies beinha ltet insbesondere: a) Tötungsdelikte (inkl. Versuche), b) Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ( inkl. Versuche und An- tragsdelikte), c) Vermisstenfälle, wenn die Gesamtumstände auf ein Verbrechen hindeu- ten, d) verdächtiges Ansprechen von Kindern und Jugendli chen, wenn auf Grund der Gesamtumstände von einem Gewalt- oder Sexualmot iv auszugehen ist, e) Entführungen (ohne elterliche Kindesentführung u nd ohne Entziehen von Unmündigen durch Inhaber der elterlichen Gewalt), f) Tierquälerei im Sinn von Art. 26 Abs. 1 lit. a und b des Tierschutzgeset- zes
1) , wenn auf Grund der Gesamtumstände von einem Gewal t- oder Se- xualmotiv auszugehen ist.
1) TSchG (SR 455; Stand 1. September 2008)
2. Organisation, Zuständigkeiten

Art. 4 Grundsatz

1 Mit dem Betrieb von ViCLAS werden ausschliesslich b estehende Ermitt- lungsdaten aus kommunalen beziehungsweise kantonale n polizeilichen Un- tersuchungen kantonsübergreifend verarbeitet und an alysiert.
2 In ViCLAS werden standardmässig alle verfügbaren er mittlungsrelevanten Informationen zu den nachfolgenden Bereichen aufgen ommen: a) Angaben über die Täterschaft und ihre Lebenssitu ation, b) Angaben über die Opfer und deren Lebenssituation , c) Angaben über Täter-Opferbeziehung, d) Angaben zur Tat und zur Vorgehensweise der Täter schaft, e) Angaben zu Verletzungen und Todesursachen, f) Angaben über die Tatorte, g) Art der verwendeten Waffen und Gegenstände, h) Angaben zu Fahrzeugen, die in einem Zusammenhang mit der Tat und/oder der Täterschaft stehen.
3 Abs. 2 ist ebenso anwendbar auf polizeilich ermitt elte, jedoch nicht oder noch nicht gerichtlich beurteilte Daten.

Art. 5 Organisation

1 Der Betrieb des Analysesystems ViCLAS wird durch d ie Kantonspolizei Bern als Zentralstelle und als verantwortliche Lize nznehmerin der Royal Canadian Mounted Police (RCMP) gewährleistet.
2 Die Zentralstelle ViCLAS wird im Betrieb durch fün f regionale Aussenstel- len unterstützt. Diese Aussenstellen werden durch j e einen Vertreterkanton der bestehenden vier Polizeikonkordate sowie die Ka ntons- oder Stadtpoli- zei Zürich besetzt. Die Aussenstellen sind für die Bearbeitung und Analyse der Fälle der Kantone ihres Konkordates zuständig.
3 Jeder Kanton bezeichnet zwei Koordinatoren, welche für den Informations- austausch mit den Aussenstellen beziehungsweise der Zentralstelle zustän- dig sind.
4 Die strategische Leitung von ViCLAS wird durch den Lenkungsausschuss ViCLAS wahrgenommen. Diesem gehören der Chef bzw. d ie Chefin Krimi- nalabteilung der Zentralstelle (Vorsitz) und die Ch efs bzw. Chefinnen der Kriminalpolizeien der fünf Aussenstellen an. Der Le nkungsausschuss ist der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS ) rechenschafts- pflichtig. Diese übt die Aufsicht über die Einhaltu ng der Vereinbarung aus.
3. Betrieb und Datenschutz

Art. 6 Informationsaustausch

1 Die beteiligten Kantone sind ermächtigt, die unter Art. 3 und 4 bezeichne- ten Daten gemäss den Grundsätzen von Art. 8 gegense itig auszutauschen, in einem zentralen System zu speichern sowie elektr onisch auszuwerten.
2 Die Vereinbarungspartner haben sämtliche ViCLAS-rel evanten Daten der gemäss Art. 5 zuständigen Aussenstelle mitzuteilen.

Art. 7 Betriebsbewilligung

1 Das Datenbearbeitungssystem wird von der Kantonspo lizei Bern für die ganze Schweiz betrieben. Der Betrieb des Analysesys tems ViCLAS wird mit der Betriebsbewilligung des Regierungsrates des Kan tons Bern gemäss

Art. 52 Abs. 5 des Polizeigesetzes des Kantons Bern vom 8. Juni 1997

1) geregelt.

Art. 8 Speicherung und Datenpflege

1 Die physische Speicherung der ViCLAS-Daten erfolgt ausschliesslich bei der Zentralstelle.
2 Bezüglich der Datenpflege in ViCLAS gelten die fol genden Grundsätze: a) Die Aussenstellen können ihre eigenen Daten muti eren und haben ein Leserecht für die Daten der anderen Aussenstellen s owie der Zentralstel- le. b) Das Recht, den ganzen Datensatz, d.h. auch die D aten der fünf ViCLAS- Aussenstellen zu mutieren, kommt ausschliesslich de r Zentralstelle zu. c) Die Löschung erfolgt durch die Zentralstelle.
1) PolG (BSG 551.5)

Art. 9 Verantwortlichkeit

1 Die Verantwortung für die Einhaltung des Datenschu tzes und die Gewähr- leistung der Datensicherheit liegt beim Polizeikomm andanten beziehungs- weise bei der Polizeikommandantin des Kantons Bern. Die ViCLAS- Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen der Zentralstelle sowie der Aussenstellen sind daneben auch persönlich für die Einhaltung der Anliegen und Vorgaben des Datenschutzes verantwortlich.

Art. 10 Akteneinsichtsrecht

1 Verlangt eine Person nach Massgabe des anwendbaren kantonalen Da- tenschutzrechts Auskunft oder Einsicht in die von d er Polizei über sie bear- beiteten Daten, ist die zuständige kantonale Polize ibehörde zur Weiterlei- tung des Gesuchs als Teilgesuch an die zuständige A ussenstelle verpflich- tet, wenn a) sich aus den bearbeiteten Daten Anhaltspunkte fü r einen ViCLAS-Eintrag ergeben oder b) der Gesuchsteller oder die Gesuchstellerin dies verlangt.
2 Es ist zulässig, Gesuche um Auskunft und Einsicht unmittelbar an die Aus- senstelle oder die Zentralstelle zu richten.
3 Die Aussenstelle hat das Gesuch stets an die Zentr alstelle weiterzuleiten.
4 Die Zentralstelle behandelt das Gesuch und gibt de m Gesuchsteller oder der Gesuchstellerin Auskunft oder Einsicht. Bestehe n für das Auskunfts- und Einsichtsrecht vor der zuständigen kantonalen Poliz eibehörde Einschrän- kungen, hat die Zentralstelle diese zu beachten.

Art. 11 Berichtigung von Daten

1 Jede Person hat Anspruch darauf, dass Personendate n, die über sie in ViCLAS unrichtig erfasst worden sind oder nicht not wendig sind, berichtigt oder vernichtet werden.
2 Zur Vornahme der Berichtigung zuständig ist die Zen tralstelle.

Art. 12 Verfahren und Rechtsschutz

1 Die im Zusammenhang mit ViCLAS stehenden Auskunfts - und Berichti- gungsgesuche sowie alle anderen im Zusammenhang mit der vorliegenden Vereinbarung stehenden datenschutzrechtlichen Anspr üche richten sich – soweit diese Vereinbarung keine abweichenden Regelu ngen enthält – nach dem Datenschutzgesetz des Kantons Bern vom 19. Febr uar 1986
1)
.
2 Zuständige Datenaufsichtsstelle ist die Datenaufsi chtsstelle des Kantons Bern.

Art. 13 Löschung von Daten

1 Die in ViCLAS erfassten Datensätze werden gemäss d en nachfolgenden Fristen gelöscht: a) Die Datensätze werden im Analysesystem grundsätz lich 40 Jahre ab Ein- gabe gespeichert. Die Daten werden nach dieser Fris t oder nach Ableben der Tatbeteiligten gelöscht. b) Die Frist kann in Fällen erheblicher Wiederholun gsgefahr und in Abspra- che mit der betroffenen Polizei auf Antrag der Zent ralstelle durch die zu- ständige richterliche Behörde des betreffenden Kant ons um jeweils fünf Jahre verlängert werden. c) Bei Wiederholungstätern ist für den Beginn des F ristenlaufs das letzte im Analysesystem erfasste Delikt massgebend. d) Der Fristenlauf steht still während dem Vollzug einer Freiheitsstrafe oder einer stationären Massnahme. e) Die gespeicherten Datensätze über die (mutmassli che) Täterschaft sind von Amtes wegen zu löschen: - unter Vorbehalt von lit. f nach einem Freispruch bezüglich der Daten, welche diesen Freispruch betreffen, oder - sobald gegen einen (mutmasslich) Tatbeteiligten e in Verdacht defini- tiv ausgeräumt ist. f) Erfolgte ein Freispruch oder die Verfahrenseinst ellung wegen Schuldun- fähigkeit des Täters, so wird bezüglich der Datenlö schung gemäss den Grundsätzen von lit. a bis d vorgegangen.
1) KDSG (BSG 152.04)
2 Für Daten von Opfern und bei Registrierungen nach Art. 3 Abs. 2 lit. d überprüft die Zentralstelle auf Gesuch hin unabhäng ig von den festgelegten Fristen, ob die vorhandenen Daten noch benötigt wer den. Alle nicht mehr benötigten Daten werden im Analysesystem gelöscht. Daten von Opfern können auf Gesuch anonymisiert werden.
3 Die Behörden, die für die Meldung der löschungspfl ichtigen Daten bezie- hungsweise des Friststillstands während des Vollzug s einer Freiheitsstrafe oder einer Massnahme zuständig sind, werden durch d as kantonale Recht bestimmt.
4. Finanzierung

Art. 14 Kostenregelung

1 Die Kantonspolizei Bern trägt sämtliche aus dem Be trieb der Zentralstelle resultierenden Personal- und Infrastrukturkosten.
2 Die Betriebs- und Investitionskosten der Aussenste llen werden durch die an der jeweiligen Aussenstelle angeschlossenen Kant one oder durch das Polizeikonkordat des entsprechenden Aussenstellenst andorts getragen.
3 Anfallende Lizenzkosten sowie vom Lenkungsausschus s beschlossene Ausgaben für systembedingte Erneuerungen und Anscha ffungen werden auf die Vereinbarungspartner proportional zur Einwohner zahl aufgeteilt.
5. Schlussbestimmungen

Art. 15 Beitritt und Kündigung

1 Jeder Kanton kann der Vereinbarung jederzeit beitr eten. Der Beitritt wird sofort wirksam.
2 Jeder Vertragspartner kann seine Mitgliedschaft un ter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten auf das Ende eines Kalender jahres kündigen. Ein Austritt hat keinen Einfluss auf den bis dahin eing egebenen Datenbestand.
3 Das Beitrittsgesuch sowie die Kündigung sind an di e KKJPD zu richten.

Art. 16 Vollzug

1 Die Kantone erlassen die zum Vollzug dieser Verein barung erforderlichen Bestimmungen.
2 Die Polizeikonkordate bestimmen die für sie zustän dige Aussenstelle ge- mäss Art. 5 Abs. 2.

Art. 17 Inkrafttreten

1 Die Vereinbarung tritt in Kraft, sobald ihm der Ka nton Bern sowie mindes- tens zwei weitere Kantone beigetreten sind.
2 Änderungen der Vereinbarung bedürfen der Zustimmun g aller Vertrags- partner.

Art. 18 Notifikation an den Bund

1 Das Generalsekretariat der Konferenz der Kantonale n Justiz- und Polizeidi- rektorinnen und -direktoren (KKJPD) informiert die Bundeskanzlei über die vorliegende Vereinbarung. Das Verfahren richtet sic h nach Art. 27o der Re- gierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung
1)
.

Art. 19 Fürstentum Liechtenstein

1 Dieser Vereinbarung kann das Fürstentum Liechtenst ein auf der Grundlage seiner eigenen Gesetzgebung beitreten. Ihm stehen a lle Rechte und Pflich- ten der anderen Vereinbarungspartner zu.

Art. 20 Rechtspflege

1 Für allfällige, sich aus der Anwendung und Auslegu ng dieser Vereinbarung ergebende Streitigkeiten zwischen den Vereinbarungs kantonen wird ein Schiedsgericht eingesetzt.
2 Schiedsgerichtsinstanz ist der Vorstand der KKJPD.
3 Die Bestimmungen des Konkordats über die Schiedsge richtsbarkeit vom
27. März 1969
2 finden Anwendung.
1) RVOV (SR 172.010.1)
2) bGS 234.3
4 Das Schiedsgericht entscheidet endgültig.
5 Für besondere Fälle kann es ein unabhängiges Schie dsgericht einsetzen.

Art. 21 Übergangsbestimmungen

1 Auf die seit der operativen Inbetriebnahme von ViC LAS per Mai 2003 im Analysesystem erfassten Daten findet die vorliegend e Vereinbarung sinn- gemässe Anwendung. Die entsprechenden Daten bleiben gespeichert und dürfen unter Einhaltung der in dieser Vereinbarung aufgestellten Grundsätze verwendet werden.
2 Eine Neuerfassung von Daten für Vorkommnisse nach Art. 3, welche sich vor Inkrafttreten der vorliegenden Vereinbarung ere ignet haben, ist für Tö- tungsdelikte bis 1978 und für Sexualdelikte bis 199 3 möglich, sofern eine ViCLAS-Relevanz gegeben ist und die Daten in einer verwertbaren Qualität vorliegen.
3 Daten, welche nach dem massgeblichen kantonalen Re cht bereits gelöscht sein müssten, dürfen in ViCLAS nicht erfasst werden .
4 Vor Inkrafttreten dieser Vereinbarung bereits erfa sste Daten sind zu lö- schen, wenn sie gemäss den in dieser Vereinbarung a ufgestellten Grundsät- zen nicht neu erfasst werden dürfen.
5 Daten von Vorkommnissen nach Art. 3, welche sich v or Inkrafttreten dieser Vereinbarung ereignet haben, dürften nur dann neu e rfasst werden, sofern diese den in dieser Vereinbarung aufgestellten Grun dsätzen nicht wider- sprechen.
Markierungen
Leseansicht