Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Brasilien (0.353.919.8)
CH - Schweizer Bundesrecht

Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Brasilien

Abgeschlossen am 23. Juli 1932 Von der Bundesversammlung genehmigt am 7. Dezember 1933² Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 24. Januar 1934 In Kraft getreten am 24. Februar 1934 (Stand am 27. Juli 2009) ¹ Der französische Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der französischen Ausgabe dieser Sammlung. ² AS 50 161
Der Schweizerische Bundesrat und der Chef der provisorischen Regierung der Republik der Vereinigten Staaten von Brasilien
haben sich, vom Wunsche geleitet, der internationalen Rechtshilfe zur Verbrechens­bekämpfung zu dienen, zum Abschluss eines Auslieferungsvertrages entschlossen und hiefür als ihre Bevollmächtigten ernannt:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
welche nach Überreichung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Voll­machten nachstehende Bestimmungen vereinbart haben:
Art. I
Die vertragschliessenden Parteien verpflichten sich, gegenseitig auf Antrag, entspre­chend den in jedem Land in Kraft bestehenden Gesetzen und gemäss den Regeln dieses Vertrages die Personen auszuliefern, die von den zuständigen Behörden des einen der beiden Staaten verfolgt oder verurteilt sind und die auf dem Gebiet des andern Landes wohnen oder sich vorübergehend aufhalten.
Art. II
Die Auslieferung findet für folgende Straftaten statt, sofern die Handlung nach dem Recht des ersuchten Staates mit einer Gefängnisstrafe von einem Jahr oder mehr bedroht ist:
1. Tötung, umfassend Mord, Totschlag, Elternmord, Kindesmord, Vergiftung und vorsätzliche Abtreibung;
2. absichtliche Körperverletzung, welche den Tod oder einen bleibenden Nach­teil, dauernde Arbeitsunfähigkeit oder eine schwere Verstümmelung eines Gliedes oder Organes des Körpers verursacht hat;
3. Notzucht, gewalttätiger Angriff auf die Schamhaftigkeit, Kuppelei, Frauen- und Kinderhandel;
4. mit oder ohne Gewalt verübter Angriff auf die Schamhaftigkeit von Kindern beider Geschlechter unter 14 Jahren;
5. Doppelehe;
6. Menschenraub und widerrechtliche Gefangenhaltung von Personen, Unterdrü­ckung des Personenstandes, Unterschiebung von Kindern;
7. Aussetzung und bösliches Verlassen von Kindern oder hilflosen Personen, Entführung von Minderjährigen;
8. Fälschung oder Verfälschung von Münzen oder Papiergeld, von Banknoten oder andern Kreditpapieren mit gesetzlichem Kurs, von Aktien und andern Wertpapieren, die der Staat, Körperschaften, Gesellschaften oder Einzelper­sonen ausgegeben haben; Fälschung oder Verfälschung von Postwertzei­chen, Stempeln, Marken oder Siegeln des Staates oder öffentlicher Stellen; betrügerischer Gebrauch der gefälschten oder verfälschten Gegenstände der genannten Art, Einführung, Ausgabe oder Inverkehrbringung derselben in betrügerischer Absicht; betrügerischer Gebrauch oder Missbrauch von Sie­geln, Stempeln und Marken;
9. Fälschung von öffentlichen oder privaten Urkunden, Verfälschung von amtli­chen Urkunden oder aller Art Handelspapieren; betrügerischer Gebrauch solcher gefälschter oder verfälschter Urkunden; Unterschlagung von Urkunden;
10. falsches Zeugnis, Verleitung von Zeugen zu falscher Aussage, Meineid in Zivil- und Strafsachen;
11. Bestechung von öffentlichen Beamten;
12. Veruntreuung im Amte oder Unterschlagung öffentlicher Gelder; Gebühren­überforderung³, verübt durch Beamte oder Verwalter;
13. vorsätzliche Brandstiftung; Missbrauch von Sprengstoffen;
14. vorsätzliche Handlungen, welche die Zerstörung oder Beschädigung von Eisenbahnen, Dampfschiffen, Postwagen, elektrischen Apparaten oder Lei­tungen (Telegrafen und Telefone) und die Gefährdung ihres Betriebes bewirken können;
15. Raub, Erpressung, Diebstahl, Hehlerei;
16. Seeräuberei, vorsätzliche Handlungen, welche das Sinken, die Strandung, die Zerstörung, Unbrauchbarmachung oder Beschädigung eines Schiffes bewir­ken, sofern dabei eine Gefahr für andere Menschen entstehen kann;
17. Betrug;
18. Veruntreuung und Unterschlagung;
19. betrügerischer Bankerott;
20. vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen die gesetzlichen Bestimmungen betref­fend die Betäubungsmittel.
Die vorstehenden Bezeichnungen umfassen die Tat, den Versuch, die Teilnahme sowie Anstiftung und Begünstigung.
Die Aufzählung der in diesem Artikel bezeichneten Handlungen schliesst nicht aus, dass eine der vertragschliessenden Parteien, unter dem Vorbehalt der Gegenseitig­keit, die Auslieferung verfolgter oder verurteilter Personen wegen anderer Handlun­gen beim andern Teil beantragt oder die Auslieferung an diesen bewilligt, sofern die Gesetzgebung des ersuchten Staates dem nicht entgegensteht.
³ Berichtigung der in der AS veröffentlichten Übersetzung gemäss Originaltext.
Art. III
Die Auslieferung findet nicht statt:
a. wenn die Straftat auf dem Gebiet des ersuchten Staates begangen worden ist;
b. wenn die Person, deren Auslieferung verlangt worden war, wegen der nämli­chen Straftat im ersuchten Land bereits verurteilt oder freigesprochen wor­den ist;
c. wenn die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung nach dem Recht des ersuchten oder des ersuchenden Landes verjährt ist, bevor das Verhafts‑ oder Auslieferungsbegehren der Regierung des ersuchten Staates zugekommen ist;
d. wenn die beanspruchte Person im ersuchenden Staat vor ein Ausnahme­ge­richt oder einen Ausnahmerichter gestellt werden soll;
e. wenn die Straftat politischer oder rein militärischer Natur ist oder ein Religi­ons‑ oder Pressvergehen darstellt.
Das Vorschützen eines politischen Zweckes oder Beweggrundes genügt aber nicht, um die Auslieferung zu verhindern, wenn die Straftat vorwiegend gemeinrechtlicher Natur ist.
In diesem Fall und wenn die Auslieferung bewilligt wird, hängt ihre Vollziehung von einer Zusicherung des ersuchenden Staates ab, dass wegen des politischen Zwecks oder Beweggrundes keine Verschärfung der Strafe erfolgen werde. Die Behörden des ersuchten Staates sind allein befugt, im Einzelfall den Charakter der Straftat zu würdigen.
Art. IV
Die vertragschliessenden Parteien sind zur Auslieferung der eigenen Staatsangehöri­gen nicht verpflichtet.
Wird die Auslieferung eines eigenen Angehörigen nicht bewilligt, so können die Behörden des Landes, wo die Straftat begangen wurde, seine Verfolgung unter Vorlage der Beweisakten bei den Behörden des Zufluchtsstaates beantragen, welche die verfolgte Person, sofern die Gesetzgebung es zulässt, vor die eigenen Gerichte stellen werden.
Eine nochmalige Verfolgung findet im Staat, in dem die Straftat begangen wurde, nicht statt, wenn die verfolgte Person im Heimatstaat freigesprochen oder endgültig verurteilt wurde, und im Fall der Verurteilung, wenn sie die Strafe erstanden hat oder wenn Verjährung eingetreten ist.
Art. V
Die ausgelieferte Person kann wegen einer vor der Auslieferung begangenen Straf­tat, für welche die Auslieferung nicht beantragt worden ist, nur verfolgt und bestraft werden, nachdem der ersuchte Staat sein Einverständnis zur weitern Verfolgung gegeben hat.
Diese Beschränkung ist nicht anwendbar, wenn der Angeschuldigte sich ausdrück­lich und freiwillig mit der Verfolgung wegen anderer Straftaten einverstanden erklärt, oder wenn er nicht innert dreissig Tagen nach seiner Freilassung das Land, an das er ausgeliefert wurde, verlässt und auch, wenn er in dessen Gebiet zurück­kehrt, nachdem er es verlassen hatte.
Die vorerwähnte Einverständniserklärung wird dem andern Staat in Urschrift oder beglaubigter Abschrift übermittelt.
Die nämlichen Vorschriften gelten auch im Fall der Weiterlieferung an einen dritten Staat.
Art. VI
Die vertragschliessenden Parteien sind darüber einig, dass, wenn der Person, deren Auslieferung beantragt ist, eine Körperstrafe oder die Todesstrafe angedroht wird, die Auslieferung nur bewilligt wird, wenn der ersuchende Staat sich verpflichtet, diese Strafe in eine Freiheitsstrafe umzuwandeln.
Art. VII
Das Auslieferungsbegehren wird auf diplomatischem Weg gestellt.
Dem Auslieferungsbegehren wird beigegeben die Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift des ergangenen Urteils, des Beschlusses über Versetzung in den Anklage­zustand oder des vom zuständigen Richter oder Staatsanwalt erlassenen Haftbefehls, woraus sich ergeben muss, dass das Strafverfahren gegen den Angeschuldigten eröffnet und die vorläufige Verhaftung nach den geltenden Gesetzen angeordnet ist.
Das in Anwendung des vorhergehenden Absatzes vorgelegte Schriftstück hat eine genaue Darstellung der strafbaren Handlung mit Angabe von Ort und Zeit ihrer Begehung sowie eine Wiedergabe der angewendeten oder anwendbaren Strafbe­stimmungen des ersuchenden Staates und derjenigen über die Verjährung der Strafe oder der Verfolgung zu enthalten.
Dem Auslieferungsbegehren sind ausserdem alle für die Identifizierung der bean­spruchten Person nötigen Auskünfte und Schriftstücke beizugeben.
Handelt es sich darum, die Auslieferung entwichener Strafgefangener zu erwirken, so genügt die Vorlage eines von der zuständigen Verwaltungs‑ oder Gerichtsbehörde erlassenen Schriftstückes, das eine Wiedergabe des Urteils und der angewendeten Strafbestimmungen und Angaben über die Dauer des noch zu verbüssenden Straf­restes, über Zeit und Umstände der Flucht, sowie die erforderlichen Mitteilungen über die Identität der beanspruchten Person enthält.
Es wird als zweckmässig bezeichnet, dass das Auslieferungsbegehren und die Aus­lieferungsbelege von französischen Übersetzungen begleitet werden, wenn sie nicht in dieser Sprache abgefasst sind.
Die Übergabe der Auslieferungsbegehren im diplomatischen Weg gilt als genügen­der Nachweis für die Echtheit der vorgelegten Schriftstücke, die dadurch als beglau­bigt zu gelten haben.
Art. VIII
Bei Dringlichkeit kann eine der vertragschliessenden Parteien bei der andern unmit­telbar durch die Post oder den Telegrafen oder durch ihre diplomatischen oder kon­sularischen Agenten die vorläufige Festnahme des Angeschuldigten sowie die Beschlagnahme der auf die Straftat bezüglichen Gegenstände beantragen.
Das Begehren soll auf das Vorhandensein eines der in Absatz 2 des vorstehenden Artikels erwähnten Schriftstücke Bezug nehmen und die im Vertrag vorgesehene Straftat angeben.
Die vorläufige Festnahme findet in den Formen und nach den Regeln der Gesetz­gebung des ersuchten Staates statt; sie wird, ausser wenn andere Gründe bestimmend sind, nicht aufrechterhalten, wenn der ersuchte Staat nicht innert sechzig Tagen, vom Zeitpunkt der Verhaftung an gerechnet, das Auslieferungsbegehren, begleitet von den in Artikel VII Absatz 2 erwähnten Schriftstücken, erhalten hat.
Art. IX
Wenn die beanspruchte Person wegen einer andern, im ersuchten Staat begangenen Straftat verfolgt wird oder eine Strafe zu erstehen hat, so kann die Auslieferung bewilligt werden. Die beanspruchte Person wird aber erst übergeben, nachdem sie der Strafrechtspflege im ersuchten Staat Genüge geleistet hat.
Art. X
Wenn die Person, deren Auslieferung auf Grund dieses Vertrages begehrt ist, gleich­zeitig von einer oder mehreren andern Regierungen zur Auslieferung verlangt wird, so greift folgendes Verfahren Platz:
a. handelt es sich um die gleiche Straftat, so erhält das Begehren desjenigen Staates den Vorzug, auf dessen Gebiet die Straftat begangen worden ist;
b. handelt es sich um verschiedene Straftaten, so erhält dasjenige Begehren den Vorzug, das nach dem Dafürhalten des ersuchten Staates die mit der schwers­ten Strafe bedrohte Straftat anführt;
c. handelt es sich um Straftaten, die der ersuchte Staat als gleich schwer erach­tet, so erhält das zuerst gestellte Begehren den Vorzug.
In den Fällen der Buchstaben b und c kann der ersuchte Staat bei Bewilligung der Auslieferung die Bedingung aufstellen, dass die beanspruchte Person später weiter­geliefert wird.
Art. XI
Ist die Auslieferung bewilligt, so wird die beanspruchte Person zur Übergabe an den ersuchenden Staat dessen Vertreter zur Verfügung gestellt.
Wenn innert zwanzig Tagen, vom Datum der entsprechenden Mitteilung an gerech­net, der erwähnte Vertreter für die Ausführung des Transportes nicht gesorgt hat, so wird die beanspruchte Person in Freiheit gesetzt und kann wegen der Straftat, die das Auslieferungsbegehren verursacht hat, nicht wieder verhaftet werden.
Art. XII
Die Übergabe des Angeschuldigten kann ohne Nachteil für die Auslieferung ver­schoben werden, wenn aus zwingenden Gründen der Transport nicht innerhalb der in Absatz 2 des vorhergehenden Artikels erwähnten Frist ausgeführt werden konnte.
Art. XIII
Alle Gegenstände, Wertsachen oder Schriftstücke, die mit der das Auslieferungs­begehren begründenden Straftat im Zusammenhang stehen und die im Zeitpunkt der Verhaftung bei der verfolgten Person, in ihrem Gepäck oder in ihrer Wohnung vorgefunden wurden, werden beschlagnahmt und mit dem Verfolgten dem Vertreter des ersuchenden Staates übergeben.
Das nämliche trifft auf alle nachträglich vorgefundenen Gegenstände dieser Art zu.
Die im Besitze Dritter vorgefundenen Gegenstände und Wertsachen der bezeichne­ten Art werden ebenfalls beschlagnahmt; sie werden dem ersuchenden Staat über­geben, wenn der ersuchte Staat dies seiner innern Gesetzgebung gemäss verfügen kann.
Die Rechte Dritter bleiben jedenfalls vorbehalten.
Die Gegenstände und Wertsachen werden selbst dann übergeben, wenn die Ausliefe­rung durch die Flucht oder den Tod des Verfolgten oder infolge eines andern, die Ausführung der Auslieferung hindernden Umstandes nicht vollzogen werden kann.
Art. XIV
Die Person, der es nach ihrer Übergabe an den ersuchenden Staat gelungen ist, sich der Strafverfolgung zu entziehen und sich neuerdings in das Gebiet des ersuchten Landes zu flüchten oder durch dieses hindurchzureisen, wird auf diplomatisches oder konsularisches Ersuchen hin verhaftet und ohne andere Förmlichkeiten von neuem übergeben.
Art. XV
Die Durchlieferung einer von einem dritten Staat an den andern Vertragsstaat ausge­lieferten Person über das Gebiet einer der beiden Vertragsparteien wird auf die einfache, in Original oder beglaubigter Abschrift erfolgte Vorlage eines der in Arti­kel VII Absatz 2 dieses Vertrages bezeichneten Schriftstücke gewährt, sofern der Verfolgte nicht Angehöriger des Transitlandes ist, die das Auslieferungsbegehren begründende Straftat im gegenwärtigen Vertrag vorgesehen ist und nicht unter die in Artikel III vorgesehenen Ausnahmen fällt.
Die Durchlieferung des Verfolgten findet unter Aufsicht der Behörden des Transit­staates und auf Kosten des ersuchenden Staates statt.
Art. XVI
Die durch die Haft, den Unterhalt und den Transport der beanspruchten Person verursachten Kosten sowie die Kosten der Aufbewahrung und des Transportes der herauszugebenden Gegenstände und Wertsachen fallen den beiden Staaten zur Last, soweit sie auf ihrem Gebiet entstanden sind.
Die aus einer Durchlieferung über zwischenliegende Staaten entstandenen Trans­port‑ oder andern Kosten fallen zu Lasten des ersuchenden Staates.
Die aus dem Auslieferungsprozess allenfalls sich ergebenden Kosten hat der er­suchte Staat zu tragen.
Art. XVII ⁴
⁴ Aufgehoben durch Art. 32 Ziff. 2 des Vertrags vom 12. Mai 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Föderativen Republik Brasilien über Rechtshilfe in Strafsachen, mit Wirkung seit 27. Juli 2009 ( SR 0.351.919.81 ).
Art. XVIII
Der gegenwärtige Vertrag wird ratifiziert, und die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich in Bern ausgetauscht werden.
Der Vertrag tritt einen Monat nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft und bleibt wirksam bis sechs Monate nach der jederzeit möglichen Kündigung.
Der Vertrag wird in französischer und portugiesischer Sprache abgefasst; beide Texte sind gleichbedeutend.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die oben aufgeführten Bevollmächtigten den gegenwärti­gen Akt unterzeichnet und ihn mit ihren Siegeln versehen.
Also geschehen in Rio de Janeiro, den dreiundzwanzigsten Juli eintausendneunhun­dertzweiunddreissig.

Albert Gertsch

Afranio de Mello Franco

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