Schieds‑ und Vergleichsvertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Ungarn
Abgeschlossen am 17. Dezember 1992 Von der Bundesversammlung genehmigt am 6. Dezember 1993³ Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 24. April 1995 In Kraft getreten am 24. April 1995 ¹ AS 1995 3968 ; BBl 1993 II 1153 ² Der französische Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der entsprechenden ³ Art. 3 Abs. 1 des BB vom 6. Dez. 1993 ( AS 1994 1044 )
Die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Republik Ungarn,
vom Wunsche geleitet, die zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Ungarn bestehenden Bande der Freundschaft zu festigen und im Dienste des Friedens und der Sicherheit in Europa und in der Welt die Schaffung von Verfahren zur friedlichen und gerechten Beilegung ihrer Streitigkeiten zu fördern,
haben den folgenden Vertrag geschlossen:
A. Verhandlungen
Art. 1
Die Vertragsparteien bemühen sich, ihre Streitigkeiten durch Verhandlungen beizulegen. Falls diese innerhalb eines Jahres nach ihrem Beginn keinen erfolgreichen Abschluss finden, kann jede Partei die Streitigkeit dem entsprechenden, nachfolgend beschriebenen Verfahren unterwerfen.
B. Schiedsverfahren
Art. 2
Jede Streitigkeit, in der sich die Parteien gegenseitig ein Recht streitig machen und die durch Verhandlungen innerhalb der in Artikel 1 festgelegten Frist nicht beigelegt werden konnte, kann von jeder Partei mittels schriftlicher Mitteilung an die andere Partei einem Schiedsverfahren unterworfen werden.
Art. 3
Das Schiedsgericht wird wie folgt bestellt:
a) In der schriftlichen Mitteilung nach Artikel 2 ernennt die das Schiedsverfahren einleitende Partei ein Mitglied des Gerichts, das einer ihrer Staatsangehörigen sein kann.
b) Die andere Partei ernennt innerhalb von 60 Tagen nach Erhalt dieser Mitteilung ein zweites Mitglied, das einer ihrer Staatsangehörigen sein kann.
c) Innerhalb von 90 Tagen nach der unter b) vorgesehenen Ernennung ernennen die Parteien einvernehmlich ein drittes Mitglied, das dem Gericht vorstehen wird.
d) Jede Ernennung, die nicht innerhalb einer Frist von 150 Tagen nach Erhalt der in Artikel 2 vorgesehenen schriftlichen Mitteilung erfolgt ist, wird vom Präsidenten des Internationalen Gerichtshofs vorgenommen, wobei nur Angehörige von Drittstaaten zur Wahl stehen. Ist der Präsident verhindert, diese Aufgabe zu erfüllen, oder besitzt er die Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei, werden die nötigen Ernennungen vom Vizepräsidenten des Gerichtshofs vorgenommen. Wenn der Vizepräsident aus denselben Gründen die erforderlichen Ernennungen nicht vornehmen kann, werden diese vom amtsältesten Mitglied des Gerichtshofs vorgenommen, das Staatsangehöriger weder der einen noch der andern Partei ist.
Art. 4
Ist das Schiedsgericht bestellt, kann es auf Ersuchen einer Partei oder aus eigenem Antrieb die vorsorglichen Massnahmen vorschreiben, die es für angebracht hält, um die Rechte der Parteien zu wahren. Letztere führen diese Massnahmen aus.
Art. 5
Das Schiedsgericht legt seinen Tagungsort sowie sein Verfahren nach Anhörung der Parteienvertreter selbst fest. Dabei hält es sich an die Grundsätze der Gleichheit der Parteien, des kontradiktorischen Charakters des Verfahrens und der Aufteilung des letzteren in eine schriftliche und eine mündliche Phase.
Art. 6
1. Die Parteien nehmen am gesamten Schiedsverfahren teil. Die Abwesenheit einer Partei oder die Tatsache, dass diese es unterlässt, ihre Mittel geltend zu machen, hindert den weiteren Ablauf des Verfahrens nicht.
2. Die Parteien lassen dem Gericht die von ihm geforderten Aktenstücke und Auskünfte zukommen.
Art. 7
1. Das Schiedsgericht fällt seinen Schiedsspruch innerhalb von neun Monaten nach Abschluss des Schiedsverfahrens.
2. Der Schiedsspruch, der begründet sein muss, stützt sich auf die Regeln des Völkerrechts. Auf Verlangen beider Parteien kann das Gericht ex aequo et bono entscheiden.
3. Der Schiedsspruch wird den Parteien umgehend bekanntgegeben. Er ist für diese verbindlich und endgültig und muss nach Treu und Glauben angewandt werden.
4. Beim Vorliegen einer Meinungsverschiedenheit oder von Zweifeln über den Sinn und die Tragweite des Schiedsspruchs kann jede Partei innerhalb von 90 Tagen nach dessen Bekanntgabe vom Gericht eine Auslegung dieses Spruchs verlangen.
C. Vergleichsverfahren
Art. 8
Eine Streitigkeit, die durch Verhandlungen innerhalb der in Artikel 1 festgelegten Frist nicht beigelegt werden konnte und nicht zur in Artikel 2 genannten Kategorie gehört, kann von jeder Partei mittels schriftlicher Mitteilung an die andere Partei einem Vergleichsverfahren unterworfen werden.
Art. 9
Die Vergleichskommission wird auf die gleiche Weise wie das Schiedsgericht, nach Artikel 3, bestellt, ausser dass die Ernennungen, die nicht innerhalb der in Artikel 3 Buchstabe d festgelegten Frist erfolgt sind, vom Generalsekretär des Europarats vorzunehmen sind.
Art. 10
Ist die Vergleichskommission bestellt, kann sie den Parteien die ihr angebracht erscheinenden vorsorglichen Massnahmen empfehlen. Die Parteien unterrichten die Kommission von den Vorkehrungen, die sie zur Ausführung dieser Massnahmen getroffen haben.
Art. 11
1. Die Vergleichskommission legt ihren Tagungsort sowie ihr Verfahren nach Anhörung der Parteienvertreter selbst fest. Dabei hält sie sich an die Grundsätze der Gleichheit der Parteien und des kontradiktorischen Charakters des Verfahrens.
2. Die Kommission kann das Vergleichsverfahren jederzeit aussetzen und die Parteien einladen, die Verhandlungen wieder aufzunehmen und dabei gegebenenfalls ihren Empfehlungen Rechnung zu tragen.
Art. 12
Die Parteien nehmen am gesamten Vergleichsverfahren teil und lassen der Vergleichskommission die von ihr geforderten Aktenstücke und Auskünfte zukommen.
Art. 13
1. Innerhalb von neun Monaten nach Abschluss des Verfahrens erstellt die Vergleichskommission einen mit Empfehlungen versehenen vertraulichen Bericht, den sie unverzüglich den Parteien übergibt.
2. Die Parteien teilen der Kommission innerhalb von sechs Monaten nach Übergabe des Berichts schriftlich mit, ob sie ihre Empfehlungen annehmen. Die Annahme der Empfehlungen der Kommission durch die Parteien gilt als die Streitigkeit beilegende Vereinbarung.
Art. 14
Ein Fehlschlag des Vergleichsverfahrens enthebt die Parteien nicht der Pflicht, ihre Anstrengungen im Hinblick auf eine friedliche Beilegung ihrer Streitigkeit fortzusetzen.
D. Allgemeine Bestimmungen
Art. 15
Solange die Streitigkeit nicht beigelegt worden ist, enthalten sich die Parteien jeden Verhaltens, das die Situation verschlimmern und die Streitbeilegung durch die im vorliegenden Vertrag vorgesehenen Mittel schwieriger gestalten oder verhindern könnte.
Art. 16
1. Die Parteien können jederzeit gemeinsam beschliessen, eine Streitigkeit mit andern als den im vorliegenden Vertrag vorgesehenen Mitteln beizulegen.
2. Die Parteien können jederzeit gemeinsam beschliessen, bei der Beilegung einer Streitigkeit im Rahmen des vorliegenden Vertrags Bestimmungen des letzteren auszusetzen.
Art. 17
Das Schiedsgericht und die Vergleichskommission, die im vorliegenden Vertrag vorgesehen sind, entscheiden über ihre eigene Zuständigkeit.
Art. 18
1. Die Mitglieder des Schiedsgerichts und der Vergleichskommission beziehen eine von den Parteien festgelegte Entschädigung, für welche die Parteien zu gleichen Teilen aufkommen.
2. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten sowie die Hälfte der dem Schiedsgericht oder der Vergleichskommission erwachsenen Kosten.
Art. 19
1. Der vorliegende Vertrag bedarf der Ratifizierung. Die Ratifikationsurkunden sollen so bald wie möglich in Bern ausgetauscht werden.
2. Der Vertrag tritt mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft. Er ist von seinem Inkrafttreten an auf fünf Jahre abgeschlossen. Wird er nicht sechs Monate vor Ablauf dieser Frist gekündigt, so gilt er als für weitere fünf Jahre erneuert, und so weiter.
3. Der am 18. Juni 1924⁴ in Budapest unterzeichnete Vergleichs‑ und Schiedsvertrag zwischen der Schweiz und Ungarn wird mit dem Inkrafttreten des vorliegenden Vertrags aufgehoben.
4. Ist bei Erlöschen des Vertrags ein Schieds‑ oder Vergleichsverfahren hängig, nimmt dieses seinen Fortgang gemäss den Bestimmungen des Vertrags oder jedes Abkommens, das von den Parteien an dessen Stelle abgeschlossen wird.
⁴ [BS 11 376]
Unterschriften
Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten den vorliegenden Vertrag unterzeichnet.
Geschehen in zwei Urschriften, in französischer und in ungarischer Sprache, in Budapest am 17. Dezember 1992, wobei die beiden Texte gleichermassen verbindlich sind.
Für die | Für die |
Jakob Kellenberger | János Martonyi |
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