Übereinkommen Nr. 154 über die Förderung von Kollektivverhandlungen (0.822.725.4)
CH - Schweizer Bundesrecht

Übereinkommen Nr. 154 über die Förderung von Kollektivverhandlungen

Abgeschlossen in Genf am 19. Juni 1981 Von der Bundesversammlung genehmigt am 19. September 1983² Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 16. November 1983 In Kraft getreten für die Schweiz am 16. November 1984 (Stand am 15. Juli 2020) ¹ AS 1984 1279 ; BBl 1983 I 25 ² AS 1984 1278
Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,
die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 3. Juni 1981 zu ihrer siebenundsechzigsten Tagung zusammengetre­ten ist,
bekräftigt die Bestimmung der Erklärung von Philadelphia, in der «die feierliche Verpflichtung der internationalen Arbeitsorganisation» anerkannt wird, «bei den einzelnen Nationen der Welt Programme zur Erreichung» bestimmter Ziele zu fördern, darunter die «tatsächliche Anerkennung des Rechts zu Kollektivverhand­lungen», und stellt fest, dass dieser Grundsatz «für alle Völker der Welt volle Gel­tung» hat;
berücksichtigt die entscheidende Bedeutung der internationalen Normen, die im Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungs­rechts, 1948³, im Übereinkommen über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen, 1949⁴, in der Empfehlung betreffend die Gesamtarbeits­verträge, 1951, in der Empfehlung betreffend das freiwillige Einigungs‑ und Schiedsverfahren, 1951, im Übereinkommen und in der Empfehlung über Arbeits­beziehungen (öffentlicher Dienst), 1978⁵ sowie im Übereinkommen und in der Empfehlung über die Arbeitsverwaltung, 1978⁶ enthalten sind;
hält es für wünschenswert, grössere Anstrengungen zur Verwirklichung der Ziele dieser Normen und insbesondere der allgemeinen Grundsätze zu unternehmen, die in Artikel 4 des Übereinkommens über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kol­lektivverhandlungen, 1949, und in Absatz 1 der Empfehlung betreffend die Gesamtarbeitsverträge, 1951, enthalten sind;
ist infolgedessen der Ansicht, dass diese Normen durch geeignete Massnahmen ergänzt werden sollten, die auf den genannten Normen beruhen und zur Förderung freier und freiwilliger Kollektivverhandlungen bestimmt sind;
hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Förderung von Kollektivverhandlungen, eine Frage, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und
dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.
Die Konferenz nimmt heute, am 19. Juni 1981, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über Kollektivverhandlungen, 1981, bezeichnet wird.
³ SR 0.822.719.7 ⁴ SR 0.822.719.9 ⁵ SR 0.822.725.1 ⁶ SR 0.822.725.0

Teil I. Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art. 1
1. Dieses Übereinkommen gilt für alle Wirtschaftszweige.
2. Durch die innerstaatliche Gesetzgebung oder Praxis kann bestimmt werden, inwieweit die in diesem Übereinkommen vorgesehenen Rechte für das Heer und die Polizei gelten.
3. Für den öffentlichen Dienst können durch die innerstaatliche Gesetzgebung oder Praxis besondere Regelungen für die Durchführung dieses Übereinkommens fest­gelegt werden.
Art. 2
Im Sinne dieses Übereinkommens umfasst der Ausdruck «Kollektivverhandlungen» alle Verhandlungen, die zwischen einem Arbeitgeber, einer Gruppe von Arbeit­gebern oder einem oder mehreren Arbeitgeberverbänden einerseits und einem oder mehreren Arbeitnehmerverbänden andererseits stattfinden, um
a) die Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen festzulegen; und/oder
b) die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu regeln; und/oder
c) die Beziehungen zwischen Arbeitgebern oder ihren Verbänden und einem oder mehreren Arbeitnehmerverbänden zu regeln.
Art. 3
1. Wo die innerstaatliche Gesetzgebung oder Praxis das Vorhandensein von Arbeit­nehmervertretern im Sinne von Artikel 3 Buchstabe b) des Übereinkommens über Arbeitnehmervertreter, 1971, anerkennt, kann durch die innerstaatliche Gesetz­gebung oder Praxis bestimmt werden, inwieweit der Ausdruck «Kollektivverhand­lungen» im Sinne dieses Übereinkommens auch Verhandlungen mit diesen Ver­tretern einschliesst.
2. Schliesst der Ausdruck «Kollektivverhandlungen» gemäss Absatz 1 dieses Arti­kels auch Verhandlungen mit den darin erwähnten Arbeitnehmervertretern ein, so sind nötigenfalls geeignete Massnahmen zu treffen, um zu gewährleisten, dass das Vorhandensein solcher Vertreter nicht dazu benutzt wird, die Stellung der beteiligten Arbeitnehmerverbände zu untergraben.

Teil II. Durchführungsmethoden

Art. 4
Die Bestimmungen dieses Übereinkommens sind, soweit sie nicht durch Gesamtar­beitsverträge, Schiedssprüche oder auf eine andere den innerstaatlichen Gepflogen­heiten entsprechende Art und Weise durchgeführt werden, durch die innerstaatliche Gesetzgebung durchzuführen.

Teil III. Förderung von Kollektivverhandlungen

Art. 5
1. Es sind den innerstaatlichen Verhältnissen angepasste Massnahmen zur Förde­rung von Kollektivverhandlungen zu treffen.
2. Die in Absatz 1 dieses Artikels genannten Massnahmen haben folgendes zum Ziel:
a) Kollektivverhandlungen sollen für alle Arbeitgeber und alle Arbeitnehmer­gruppen der von diesem Übereinkommen erfassten Wirtschaftszweige er­möglicht werden;
b) Kollektivverhandlungen sollen schrittweise auf alle durch die Buchstaben a), b) und c) des Artikels 2 dieses Übereinkommens erfassten Gegenstände aus­gedehnt werden;
c) die Festlegung von Verfahrensregeln, die zwischen den Verbänden der Arbeit­geber und der Arbeitnehmer vereinbart werden, soll gefördert werden;
d) Kollektivverhandlungen sollen nicht dadurch behindert werden, dass keine Regeln für die dabei anzuwendenden Verfahren vorhanden sind oder dass solche Regeln unzureichend oder ungeeignet sind;
e) die Organe und Verfahren für die Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten sollen so beschaffen sein, dass sie zur Förderung von Kollektivverhandlungen bei­tragen.
Art. 6
Die Bestimmungen dieses Übereinkommens schliessen die Anwendung von Systemen der Arbeitsbeziehungen, bei denen Kollektivverhandlungen im Rahmen von Schlichtungs‑ und/oder Schiedsverfahren oder ‑einrichtungen stattfinden, an denen die Kollektivverhandlungsparteien freiwillig teilnehmen, nicht aus.
Art. 7
Massnahmen, die von öffentlichen Stellen zur Ermutigung und Förderung der Ent­wicklung von Kollektivverhandlungen getroffen werden, müssen vorher Gegenstand von Beratungen und, wann immer möglich, von Vereinbarungen zwischen den öffentlichen Stellen und den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sein.
Art. 8
Die zur Förderung von Kollektivverhandlungen getroffenen Massnahmen dürfen nicht so beschaffen sein oder angewendet werden, dass dadurch die Freiheit der Kollektivverhandlungen behindert wird.

Teil IV. Schlussbestimmungen

Art. 9
Dieses Übereinkommen gilt nicht als Neufassung irgendeines bestehenden Überein­kommens oder einer bestehenden Empfehlung.
Art. 10
Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.
Art. 11
1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.
2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.
3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.
Art. 12
1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum ersten Mal in Kraft getre­ten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.
2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.
Art. 13
1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.
2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.
Art. 14
Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsek­retär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen⁷ vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen und Kündigungen.
⁷ SR 0.120
Art. 15
Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.
Art. 16
1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen:
a) Die Ratifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Überein­kommens in sich ohne Rücksicht auf Artikel 12, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.
b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr rati­fiziert werden.
2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.
Art. 17
Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in glei­cher Weise massgebend.

Geltungsbereich am 15. Juli 2020 ⁸

⁸ AS 1984 1279 , 1987 1459 , 1991 626 , 2005 1777 , 2008 4213 , 2013 1089 , 2017 4087 , 2020 3495 . Eine aktualisierte Fassung des Geltungsbereiches findet sich auf der Internetseite des EDA (www.eda.admin.ch/vertraege).

Vertragsstaaten

Ratifikation

Inkrafttreten

Albanien

24. Juli

2002

24. Juli

2003

Antigua und Barbuda

16. September

2002

16. September

2003

Argentinien

29. Januar

1993

29. Januar

1994

Armenien

29. April

2005

29. April

2006

Aserbaidschan

12. August

1993

12. August

1994

Belarus

  8. September

1997

  8. September

1998

Belgien

29. März

1988

29. März

1989

Belize

22. Juni

1999

22. Juni

2000

Benin

10. Januar

2012

10. Januar

2013

Bosnien und Herzegowina

26. September

2014

26. September

2015

Brasilien

10. Juli

1992

10. Juli

1993

Finnland

  9. Februar

1983

  9. Februar

1984

Gabun

  6. Dezember

1988

  6. Dezember

1989

Griechenland

17. September

1996

17. September

1997

Guatemala

29. Oktober

1996

29. Oktober

1997

Kirgisistan

22. Dezember

2003

22. Dezember

2004

Kolumbien

  8. Dezember

2000

  8. Dezember

2001

Lettland

25. Juli

1994

25. Juli

1995

Litauen

26. September

1994

26. September

1995

Madagaskar

11. Juni

2019

11. Juni

2020

Marokko

  3. April

2009

  3. April

2010

Mauritius

23. November

2011

23. Dezember

2011

Moldau

14. Februar

1997

14. Februar

1998

Niederlande

22. Dezember

1993

22. Dezember

1994

Niger

  5. Juni

1985

  5. Juni

1986

Nordmazedonien

22. Juli

2013

22. Juli

2014

Norwegen

22. Juni

1982

11. August

1983

Ruanda

29. Juni

2018

29. Juni

2019

Rumänien

15. Dezember

1992

15. Dezember

1993

Russland

  6. September

2010

  6. September

2011

Sambia

  4. Februar

1986

  4. Februar

1987

San Marino

  1. Februar

1995

  1. Februar

1996

São Tomé und Príncipe

  4. Mai

2005

  4. Mai

2006

Schweden

11. August

1982

11. August

1983

Schweiz

16. November

1983

16. November

1984

Slowakei

17. September

2009

17. September

2010

Slowenien

  2. Februar

2006

  2. Februar

2007

Spanien

11. September

1985

11. September

1986

St. Lucia

  6. Dezember

2000

  6. Dezember

2001

Suriname

  5. Juni

1996

  5. Juni

1997

Tansania

14. August

1998

14. August

1999

Tschechische Republik

  6. Dezember

2017

  6. Dezember

2018

Tunesien

11. Februar

2014

11. Februar

2015

Uganda

27. März

1990

27. März

1991

Ukraine

16. Mai

1994

16. Mai

1995

Ungarn

  4. Januar

1994

  4. Januar

1995

Uruguay

19. Juni

1989

19. Juni

1990

Usbekistan

15. Dezember

1997

15. Dezember

1998

Zypern

16. Januar

1989

16. Januar

1990

Markierungen
Leseansicht