Abkommen (0.732.321.63)
CH - Schweizer Bundesrecht

Abkommen («Nuklearinformationsabkommen» Schweiz – Österreich)

zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Republik Österreich über den frühzeitigen Austausch von Informationen aus dem Bereich der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes («Nuklearinformationsabkommen» Schweiz – Österreich) Abgeschlossen am 19. März 1999 In Kraft getreten durch Notenaustausch am 1. Januar 2001 (Stand am 29. Juli 2003)
Der Schweizerische Bundesrat, und die Regierung der Republik Österreich
(im folgenden «Vertragsparteien» genannt),
geleitet von dem Wunsche, die gutnachbarlichen Beziehungen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich weiterzuentwi­ckeln,
in dem Bestreben, die anerkannten Grundsätze der Zusammenarbeit im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu erfüllen,
in der Überzeugung, dass zwischen den beiden Vertragsparteien der Austausch von wichtigen Informationen über radiologische Gefahren gewährleistet werden soll, um die allfälligen grenzüberschreitenden Folgen gering zu halten,
in der Überzeugung, dass ein frühzeitiger Austausch von wichtigen Informationen und Erfahrungen über nukleare Sicherheit und Strahlenschutz in bedeutendem Masse zur Sicherheit der Bevölkerung beider Vertragsparteien beitragen kann,
in Betracht ziehend das Übereinkommen vom 26. September 1986¹ über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen sowie die anerkannten Grundsätze der Zusammenarbeit im Rahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation,
unter Verweis auf das Abkommen in Form eines Schriftwechsels zwischen der Schweiz und der Europäischen Atomgemeinschaft Euratom über den Anschluss der Schweiz an das ECURIE-System (European Community Urgent Radiological Information System) vom 21. Juni/2. Oktober 1995², welches durch die Ratsentscheidung 87/600/Euratom über Gemeinschaftsvereinbarungen für den beschleunigten Informationsaustausch im Fall einer radiologischen Notstandssituation errichtet wurde,
sind wie folgt übereingekommen:
¹ SR 0.732.321.1 ² In der AS nicht veröffentlicht.
Art. 1 Begriffsbestimmungen
1.  Vorkommnisse im Sinne dieses Abkommens sind:
a) Ereignisse, die mit den in Absatz 2 genannten Anlagen oder Tätigkeiten zusammenhängen, in deren Folge es zu einer Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Umwelt kommt oder kommen kann;
b) die Registrierung abnormaler Radioaktivitätswerte auf dem Hoheitsgebiet oder ausserhalb des Hoheitsgebietes einer Vertragspartei, die für die Gesundheit der Bevölkerung einer Vertragspartei schädliche Folgen haben könnten;
c) Ereignisse, die Auswirkungen auf die Sicherheit von Anlagen oder Tätigkeiten gemäss Absatz 2 haben können, sofern die Öffentlichkeit von zuständigen Organen der Vertragspartei, auf deren Gebiet sie eintreten, informiert wird.
2.  Anlagen oder Tätigkeiten im Sinne des Abkommens sind:
a) Kernreaktoren,
b) Anlagen des Kernbrennstoffkreislaufes,
c) Anlagen zur Behandlung und Beseitigung radioaktiver Abfälle,
d) die Beförderung und Lagerung von Kernbrennstoffen oder radioaktiven Abfällen,
e) die Herstellung, Verwendung und Lagerung, Endlagerung und Beförderung von Radioisotopen für landwirtschaftliche, industrielle, medizinische sowie damit zusammenhängende wissenschaftliche und Forschungszwecke,
f) die Verwendung von Radioisotopen zur Erzeugung elektrischer Energie in Weltraumanlagen.
Art. 2 Erstinformationen
1.  Bei Eintritt eines Vorkommnisses hat die Vertragspartei, auf deren Gebiet das Vorkommnis eingetreten ist, sobald als möglich folgende Informationen zu übermitteln:
– Datum, Zeitpunkt und Ort des Vorkommnisses,
– Art des Vorkommnisses,
– mögliche Konsequenzen und Massnahmen.
2.  Auf Ersuchen einer Vertragspartei wird die andere Vertragspartei nach Möglichkeit Informationen von dritter Seite erläutern, die sich tatsächlich oder vermeintlich auf Vorkommnisse, Anlagen oder Tätigkeiten im Sinne des Artikels 1 beziehen.
Art. 3 Ergänzende Informationen
1.  Informationen gemäss Artikel 2 sind ständig mit allen späteren verfügbaren Informationen zu ergänzen, damit die Sachlage beurteilt und die Risiken abgeschätzt werden können, insbesondere:
– vermutete oder festgestellte Ursachen und voraussichtliche Entwicklung des Vorkommnisses,
– Merkmale einer allfälligen Emission (Art, physikalische und chemische Form und, soweit möglich, Menge der abgegebenen radioaktiven Stoffe),
– voraussichtliche zeitliche Entwicklung der Emission,
– Art des Verfrachtungsmediums (Luft, Wasser),
– meteorologische und hydrologische Angaben, die die Voraussage der Verfrachtung erlauben,
– Angaben über die Radioaktivität in der Umwelt, einschliesslich der Nahrungs- und Futtermittel,
– die ergriffenen oder geplanten Schutzmassnahmen,
– die Massnahmen zur Benachrichtigung der Öffentlichkeit.
2.  Weiters werden von der benachrichtigenden Vertragspartei der anderen Vertragspartei auf deren Ersuchen nach Möglichkeit Erläuterungen zu den gemäss Absatz 1 übermittelten Angaben erteilt.
Art. 4 Kontaktstellen und Zusammenarbeit
1.  Die Vertragsparteien informieren einander unmittelbar nach Inkrafttreten dieses Abkommens auf diplomatischem Wege über ihre zuständigen Behörden und Kontaktstellen, die mit der Erteilung und Entgegennahme von Informationen gemäss Artikel 2 und 3 beauftragt sind. Solche Kontaktstellen werden ständig zur Verfügung stehen.
2.  Die Vertragsparteien informieren einander unverzüglich über jede allfällige Änderung, die die Information gemäss Absatz 1 betrifft.
3.  Unmittelbar nachdem sie gemäss Absatz 1 notifiziert worden sind, stellen die Kontaktstellen das Einvernehmen über die genaue Art der Übermittlung von Informationen her. Die Funktionsüberprüfung dieses Übermittlungssystems findet min­des­tens einmal jährlich statt.
4.  Bei Vorkommnissen pflegen die Vertragsparteien die bestmögliche Zusammenarbeit zur Vermeidung von Schäden an Gesundheit, Umwelt und Sachgütern. Jede der Vertragsparteien kann, wenn beide es als angezeigt erachten, einen Vertreter in das Gebiet der anderen Vertragspartei entsenden. Die Vertragsparteien bemühen sich, die Aufgabe des Vertreters zu erleichtern.
Art. 5 Weitere Informationen
1.  Die Vertragsparteien informieren einander einmal jährlich über die eigenen Nuklearprogramme, über die aus dem Betrieb von Kernanlagen gewonnenen Erfahrungen und über ihre Rechtsvorschriften aus dem Bereich der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes.
2.  Die Vertragsparteien informieren einander auch über ihre bestehenden, in Bau befindlichen oder geplanten Anlagen im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 Buchstaben a–c und übermitteln die im Anhang enthaltenen Angaben. Über die voraussichtliche Inbetriebnahme der in Bau befindlichen Anlagen informieren die Vertragsparteien einander sechs Monate im voraus.
3.  Die Vertragsparteien unterrichten einander weiters über wesentliche Änderungen, die Stilllegung und den Abbruch von Anlagen im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 Buchstaben a–c und machen einander die geeigneten Unterlagen zugänglich.
Art. 6 Informationen bei atomrechtlichen Bewilligungsverfahren
Bei atomrechtlichen Bewilligungsverfahren für Kernanlagen macht jede Vertragspartei die Gesuchsunterlagen nach denselben Kriterien der anderen Vertragspartei zugänglich, die sie dem bestgestellten Drittstaat gegenüber anwendet. Die Unterrichtung erfolgt zu einem Zeitpunkt, der es der anderen Vertragspartei ermöglicht, sich rechtzeitig zum Projekt zu äussern. Stellungnahmen der anderen Vertragspartei werden in die in diesem Verfahren vorgenommenen Prüfungen einbezogen.
Art. 7 Programm der Messungen
Jede Vertragspartei führt auf ihrem Hoheitsgebiet ein Programm zur Messung der ionisierenden Strahlung und der Radionuklide in der Umwelt durch. Die Messergebnisse werden der anderen Vertragspartei einmal jährlich übermittelt.
Art. 8 Strahlenfrühwarnsysteme
Die Vertragsparteien beabsichtigen, ein System zum Austausch der Daten ihrer Strahlenfrühwarnsysteme einzurichten.
Art. 9 Expertentreffen
Zur Durchführung dieses Abkommens sowie zur Behandlung anderer, beide Vertragsparteien interessierender Fragen führen die Vertragsparteien jährliche Exper­ten­treffen zu gemeinsam abgesprochenen Schwerpunktthemen durch. Falls beide Vertragsparteien es für angezeigt erachten, können ergänzend Expertentagungen durchgeführt werden.
Art. 10 Koordinatoren
1.  Zur Durchführung dieses Abkommens wird von jeder Vertragspartei ein Koordinator bestimmt und der anderen Vertragspartei auf diplomatischem Wege mitgeteilt.
2.  Die Koordinatoren tragen insbesondere Sorge für
a) den Austausch aller Unterlagen und Informationen, die im Rahmen der Zusammenarbeit gemäss Artikel 5 und 7 zu übermitteln sind, soweit in Einzelfällen nicht ein besonderer Informationsweg in Betracht kommt;
b) die Durchführung der Expertentreffen bzw. Expertentagungen gemäss Artikel 9.
Art. 11 Vertraulichkeit der Informationen
1.  Der Inhalt der übermittelten Informationen kann ohne Einschränkung genutzt werden, es sei denn, er werde von einer Seite als vertraulich erklärt.
2.  Die Weitergabe von vertraulichen Informationen darf nur in gegenseitigem Einverständnis erfolgen.
Art. 12 Kosten
Der Informationsaustausch gemäss diesem Abkommen erfolgt kostenlos. Ist die Beschaffung von ergänzenden Informationen mit erheblichen Auslagen verbunden, so werden diese Auslagen von der Vertragspartei, welche die ergänzenden Informationen beantragt hat, ersetzt.
Art. 13 Völkerrechtliche Verpflichtungen
Aus dem Völkerrecht sich ergebende weitergehende Rechte und Pflichten der Vertragsparteien werden durch dieses Abkommen nicht berührt.
Art. 14 Inkrafttreten, Dauer und Kündigung des Abkommens
1.  Dieses Abkommen tritt mit dem ersten Tage des dritten Monats in Kraft, der auf den Monat folgt, in dem die beiden Vertragsparteien einander auf diplomatischem Wege mitgeteilt haben, dass die entsprechenden innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind.
2.  Dieses Abkommen wird auf unbeschränkte Zeit geschlossen.
3.  Dieses Abkommen kann jederzeit von einer Vertragspartei gekündigt werden. Die Kündigung hat schriftlich auf diplomatischem Wege zu erfolgen. Sie wird sechs Monate nach Übergabe an die andere Vertragspartei wirksam.
Geschehen zu Bern, am 19. März 1999 in zwei Urschriften in deutscher Sprache.

Für den
Schweizerischen Bundesrat:

Für die
Regierung der Republik Österreich:

Flavio Cotti

Wolfgang Schüssel

Anhang

Die der jeweils anderen Vertragspartei gemäss Artikel 5, Absatz 2 zu übermittelnden Angaben bestehen in:
– Name der Anlage,
– Ort und Adresse der Anlage,
– Betreiber,
– Zweck und grundlegende technische Daten der Anlage,
– gegenwärtiger Status,
– Betriebsdaten,
– grundlegende Beschreibung des Ortes der Anlage.
Zu Kernreaktoren werden noch folgende Angaben angeführt:
– Reaktortyp,
– Leistung,
– wesentliche Charakteristika der Spaltzone,
– Reaktorgefäss,
– Kühlmittel und Kühlkreisläufe (primär und sekundär) des Reaktors,
– Dampferzeuger,
– Grenzwerte und Bedingungen für die Abgabe radioaktiver Stoffe in die Umwelt,
– Grenzwerte und Bedingungen für die Lagerung radioaktiver Abfälle und Bedingungen für die Manipulation mit abgebranntem Kernbrennstoff,
– Systeme zur Gewährleistung der nuklearen Sicherheit mit Ausnahme der Systeme des physischen Schutzes.
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