Organisationsverordnung zum Humanforschungsgesetz (Organisationsverordnung HFG, OV-HFG)
(Organisationsverordnung HFG, OV-HFG) vom 20. September 2013 (Stand am 1. September 2023)
Der Schweizerische Bundesrat,
gestützt auf die Artikel 49 Absätze 1 und 2, 53 Absatz 3, 59 Absatz 6, 60 Absatz 2 und 65 des Humanforschungsgesetzes vom 30. September 2011¹ (HFG),
verordnet:
¹ SR 810.30
1. Kapitel: Ethikkommission für die Forschung
Art. 1 Zusammensetzung
¹ Die Ethikkommission für die Forschung (Ethikkommission) setzt sich mindestens zusammen aus Personen, die über ausgewiesene Fachkenntnisse in folgenden Bereichen verfügen:
a. Medizin;
b. Psychologie;
c. Pflege;
d. Pharmazie oder Pharmazeutische Medizin;
e. Biologie;
f. Biostatistik;
g. Ethik; und
h. Recht, einschliesslich Datenschutz.
² Sie ist nach Geschlecht und Berufsgruppen ausgewogen zusammenzusetzen.
³ In der Ethikkommission müssen Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten im jeweiligen Zuständigkeitsbereich vorhanden sein.
⁴ Fehlen die notwendigen Fachkenntnisse für die Beurteilung eines Forschungsprojekts, so muss die Ethikkommission externe Fachpersonen beiziehen.
Art. 2 Anforderungen an die Mitglieder
¹ Die Mitglieder der Ethikkommission müssen zu Beginn ihrer Tätigkeit eine Ausbildung betreffend die Aufgaben der Ethikkommission und die Grundlagen der Beurteilung von Forschungsprojekten besuchen und sich diesbezüglich regelmässig weiterbilden.
² Die Mitglieder nach Artikel 1 Absatz 1 Buchstaben a–c müssen über Erfahrung in der Durchführung von Forschungsprojekten verfügen.
Art. 3 Wissenschaftliches Sekretariat
¹ Personen, die im wissenschaftlichen Sekretariat tätig sind, müssen verfügen über:
a. ein abgeschlossenes Hochschulstudium in Medizin, Pharmazie, Naturwissenschaften, Psychologie oder Recht;
b. eine hinreichende Ausbildung in der Guten Klinischen Praxis;
c. Kenntnisse über die wissenschaftliche Methodik von Forschungsprojekten am Menschen; und
d. Kenntnisse der gesetzlichen Voraussetzungen der Forschung am Menschen.
² Die personellen Ressourcen des wissenschaftlichen Sekretariats sind so zu bemessen, dass:
a. dessen Verfügbarkeit für die Kommission und die Gesuchsteller sichergestellt; und
b. die Einhaltung der Verfahrensfristen gewährleistet ist.
Art. 4 Ausstand
¹ Die Mitglieder der Ethikkommission treten in den Ausstand, wenn:
a. sie selber am Forschungsprojekt mitwirken oder aus anderen Gründen ein persönliches Interesse haben;
b. Personen am Forschungsprojekt mitwirken, denen gegenüber sie weisungsbefugt, weisungsunterworfen oder mit denen sie persönlich verbunden sind; oder
c. sie aus anderen Gründen in der Sache befangen sind.
² Befangene Mitglieder dürfen nicht an der Beratung und an der Entscheidfindung über den betreffenden Gegenstand teilnehmen.
Art. 5 Ordentliches Verfahren
¹ Die Ethikkommission entscheidet im ordentlichen Verfahren in einer Besetzung von mindestens sieben Mitgliedern. Sie ist so zusammenzusetzen, dass eine kompetente und interdisziplinäre Beurteilung des Gesuchs gewährleistet ist.
² Der Entscheid erfolgt nach mündlicher Beratung. In begründeten Ausnahmefällen ist die Durchführung eines schriftlichen Verfahrens zulässig; ein Mitglied kann jederzeit eine mündliche Beratung verlangen.
³ Die Ethikkommission entscheidet mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Bei Stimmengleichheit trifft die Präsidentin oder der Präsident beziehungsweise die Vizepräsidentin oder der Vizepräsident den Stichentscheid.
⁴ Vorbehalten bleiben die Artikel 6 und 7.
Art. 6 Vereinfachtes Verfahren
¹ Die Ethikkommission entscheidet in einer Besetzung von drei Mitgliedern über:
a.²
klinische Versuche der Kategorie A nach den Artikeln 19 Absatz 1, 20 Absatz 1, 49 Absatz 1 und 61 Absatz 1 der Verordnung vom 20. September 2013³ über klinische Versuche (KlinV), wenn der Versuch nicht mit besonderen Fragen in ethischer, wissenschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht verbunden ist;
abis.⁴
klinische Versuche der Unterkategorie A1 nach Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a und Artikel 6 a Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung vom 1. Juli 2020⁵ über klinische Versuche mit Medizinprodukten, wenn der Versuch nicht mit besonderen Fragen in ethischer, wissenschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht verbunden ist;
b. Forschungsprojekte mit Personen der Kategorie A nach Artikel 7 Absatz 1 der Humanforschungsverordnung vom 20. September 2013⁶;
c. die Weiterverwendung von biologischem Material und gesundheitsbezogenen Personendaten für die Forschung bei fehlender Einwilligung oder Information nach Artikel 34 HFG, die nicht mit besonderen Fragen in ethischer, wissenschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht verbunden ist;
d. Forschungsprojekte an verstorbenen Personen, mit Ausnahme der Forschungsprojekte an künstlich beatmeten verstorbenen Personen nach Artikel 37 Absatz 2 HFG;
e. wesentliche Änderungen an bewilligten Forschungsprojekten, die mit besonderen Fragen in ethischer, wissenschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht verbunden sind.
² Der Dreierbesetzung müssen Mitglieder verschiedener Bereiche nach Artikel 1 angehören.⁷
³ Ein schriftliches Verfahren ist zulässig, wenn kein Mitglied eine mündliche Beratung verlangt.
⁴ Das ordentliche Verfahren wird durchgeführt, wenn:
a. sich keine Einstimmigkeit ergibt; oder
b. ein Mitglied der Dreierbesetzung dies verlangt.
² Fassung gemäss Anhang Ziff. 3 der V vom 19. Mai 2021, in Kraft seit 26. Mai 2021 ( AS 2021 281 ).
³ SR 810.305
⁴ Eingefügt durch Anhang 2 Ziff. 3 der V vom 1. Juli 2020 über klinische Versuche mit Medizinprodukten ( AS 2020 3033 ). Fassung gemäss Anhang 2 Ziff. 3 der V vom 4. Mai 2022, in Kraft seit 26. Mai 2022 ( AS 2022 294 ).
⁵ SR 810.306
⁶ SR 810.301
⁷ Fassung gemäss Anhang 2 Ziff. 3 der V vom 1. Juli 2020 über klinische Versuche mit Medizinprodukten, in Kraft seit 26. Mai 2021 ( AS 2020 3033 ).
Art. 7 Präsidialentscheid
¹ Die Präsidentin oder der Präsident beziehungsweise die Vizepräsidentin oder der Vizepräsident der Ethikkommission entscheidet:
a. über Forschungsprojekte mit bereits vorhandenem biologischem Material und bereits vorhandenen gesundheitsbezogenen Personendaten, mit Ausnahme der Weiterverwendung nach Artikel 34 HFG;
b. über wesentliche Änderungen an bewilligten Forschungsprojekten, die nicht mit besonderen Fragen in ethischer, wissenschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht verbunden sind;
c. ob die Anforderungen an die lokalen Gegebenheiten bei multizentrischen Forschungsprojekten erfüllt sind;
d. über Nichteintreten auf unvollständige Gesuche;
e. über Abschreiben von Gesuchen infolge Gegenstandslosigkeit oder Rückzug;
f. über die Erfüllung von Auflagen;
g. die Anordnung behördlicher Massnahmen nach Artikel 48 HFG.
² Sie oder er kann jederzeit die Durchführung des vereinfachten oder ordentlichen Verfahrens anordnen.
Art. 8 Aufbewahrungspflicht und Einsichtsrecht
¹ Die Ethikkommission muss die ihr vorgelegten Gesuchsunterlagen, die Sitzungsprotokolle und die Korrespondenz während zehn Jahren nach Abschluss oder nach Abbruch eines Forschungsprojekts aufbewahren.
² Die kantonale Aufsichtsbehörde kann diese Dokumente einsehen.
Art. 9 Meldepflicht
Die kantonale Aufsichtsbehörde meldet der Koordinationsstelle nach Artikel 10 die zuständige Ethikkommission.
2. Kapitel: Koordinationsstelle
Art. 10
¹ Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) führt die Koordinationsstelle nach Artikel 55 HFG.
² Die Koordinationsstelle hat insbesondere folgende Aufgaben:
a. Sie stellt einen regelmässigen Austausch zwischen den beteiligten Prüfbehörden sicher.
b. Sie stellt einen regelmässigen Austausch mit Vertretungen und Institutionen der Forschung sicher.
c. Sie stellt in Zusammenarbeit mit den Ethikkommissionen und allenfalls weiteren betroffenen Prüfbehörden Empfehlungen zum Bewilligungs- und zum Meldeverfahren und zu einzelnen Aspekten der Entscheidpraxis bereit.
d. Sie wirkt bei der Konzeption und Durchführung von Aus- und Weiterbildungsinhalten für Mitglieder der Ethikkommissionen mit.
e. Sie informiert die Öffentlichkeit, namentlich erstellt sie eine Zusammenfassung der Jahresberichte der Ethikkommissionen und eine statistische Übersicht über die bewilligten Forschungsprojekte.
³ Sie kann im Rahmen des Betriebs des Portals und der ergänzenden Datenbank des Bundes nach Artikel 67 KlinV⁸ den elektronischen Austausch von Dokumenten des Bewilligungs- und Meldeverfahrens zwischen Gesuchsteller und Bewilligungsbehörden ermöglichen.
⁴ Sie erlässt Richtlinien über den Inhalt der Berichterstattung der Ethikkommissionen nach Artikel 55 Absatz 2 HFG.
⁸ SR 810.305
3. Kapitel: Datenschutz
Art. 11 Bekanntgabe von Personendaten
¹ Bevor die Vollzugsbehörde Personendaten an die zuständigen Stellen nach Artikel 59 Absätze 1 und 2 HFG bekannt gibt, lädt sie die betroffene Person zur Stellungnahme ein und informiert sie gleichzeitig über:
a. den Zweck der Datenbekanntgabe;
b. den Umfang der Daten, die bekannt gegeben werden sollen; und
c. den Datenempfänger.
² Die Pflichten gemäss Absatz 1 entfallen, wenn:
a.⁹
die betroffene Person bereits über die entsprechenden Informationen verfügt;
b.¹⁰
...
c. die unmittelbare Gefahr besteht, dass Rechtsansprüche oder wichtige Interessen Dritter beeinträchtigt oder die Erfüllung gesetzlicher Aufgaben vereitelt werden; oder
d. die betroffene Person unauffindbar ist.
³ Sollen Daten in Anwendung von Artikel 59 Absatz 3 HFG veröffentlicht werden, so müssen alle Angaben, die in ihrer Kombination die Wiederherstellung des Bezugs zur betroffenen Person ohne unverhältnismässigen Aufwand erlauben, unkenntlich gemacht oder gelöscht werden. Hierzu gehören insbesondere der Name, die Adresse, das Geburtsdatum und eindeutig kennzeichnende Identifikationsnummern.
⁹ Fassung gemäss Anhang 2 Ziff. II 96 der Datenschutzverordnung vom 31. Aug. 2022, in Kraft seit 1. Sept. 2023 ( AS 2022 568 ).
¹⁰ Aufgehoben durch Anhang 2 Ziff. II 96 der Datenschutzverordnung vom 31. Aug. 2022, mit Wirkung seit 1. Sept. 2023 ( AS 2022 568 ).
Art. 12 ¹¹ Austausch von Daten mit ausländischen Behörden und Institutionen
¹ Zum Austausch vertraulicher Daten mit ausländischen Behörden und Institutionen sowie internationalen Organen sind befugt:
a. die zuständige Ethikkommission;
b. die kantonale Aufsichtsbehörde;
c. das Schweizerische Heilmittelinstitut; und
d. das BAG.
² Personendaten dürfen ins Ausland bekanntgegeben werden, wenn der Bundesrat festgestellt hat, dass die Gesetzgebung des betreffenden Staates oder das internationale Organ einen angemessenen Schutz nach Artikel 16 Absatz 1 des Datenschutzgesetzes vom 25. September 2020¹² (DSG) gewährleistet. Liegt keine Beurteilung des Bundesrates vor, so dürfen Personendaten ins Ausland bekanntgegeben werden, wenn hinreichende Garantien, insbesondere durch Vertrag, einen geeigneten Schutz im Ausland gewährleisten.
³ Abweichend von Artikel 16 Absätze 1 und 2 DSG dürfen in den folgenden Fällen Personendaten ins Ausland bekanntgegeben werden:
a. Die Bekanntgabe ist notwendig, um das Leben oder die körperliche Unversehrtheit der betroffenen Person oder eines Dritten zu schützen, und es ist nicht möglich, innerhalb einer angemessenen Frist die Einwilligung der betroffenen Person einzuholen.
b. Die Bekanntgabe ist zur Abwendung einer unmittelbar drohenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit unerlässlich.
c. Die betroffene Person hat ausdrücklich in die Bekanntgabe eingewilligt.
⁴ Werden die Personendaten ins Ausland bekanntgegeben, so teilt die Vollzugsbehörde der betroffenen Person den Staat oder das internationale Organ und gegebenenfalls die Garantien nach Artikel 16 Absatz 2 DSG oder die Anwendung einer Ausnahme nach Artikel 17 DSG mit.
¹¹ Fassung gemäss Anhang 2 Ziff. II 96 der Datenschutzverordnung vom 31. Aug. 2022, in Kraft seit 1. Sept. 2023 ( AS 2022 568 ).
¹² SR 235.1
4. Kapitel: Inkrafttreten
Art. 13
Diese Verordnung tritt am 1. Januar 2014 in Kraft.
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