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Verordnung zum Inhalt des Bildungsprogramms „Bildung: elementar - Bildung von Anfang an“ Vom 7. April 2014

Verordnung zum Inhalt des Bildungsprogramms „Bildung: elementar - Bildung von Anfang an“
Vom 7. April 2014
Zum 12.06.2023 aktuellste verfügbare Fassung der Gesamtausgabe

Nichtamtliches Inhaltsverzeichnis

TitelGültig ab
Verordnung zum Inhalt des Bildungsprogramms „Bildung: elementar - Bildung von Anfang an“ vom 7. April 201416.04.2014
Eingangsformel16.04.2014
§ 116.04.2014
§ 216.04.2014
§ 316.04.2014
Anlage16.04.2014
Aufgrund des § 24 Abs. 2 Nr. 1 des Kinderförderungsgesetzes
vom 5. März 2003 (GVBl. LSA S. 48)
, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Januar 2013
(GVBl. LSA S. 38) , wird verordnet:

§ 1

Der Inhalt des Bildungsprogramms „Bildung: elementar - Bildung von Anfang an“ wird gemäß der
Anlage
festgelegt.

§ 2

(1) In Kapitel 1 wird die Basis des Bildungsprogramms in sieben Leitgedanken dargestellt. Jeder Leitgedanke enthält:
1.
allgemeine Aussagen über menschliches Handeln und Beziehungen unter den Handelnden,
2.
Aussagen zu deren Bedeutung für die Kinder in unserer Gesellschaft und
3.
Überlegungen, wie pädagogische Fachkräfte und die Tageseinrichtung insgesamt nach diesen Leitgedanken den Bildungsprozessen und den Handlungsbedürfnissen der Kinder gerecht werden können.
(2) Kapitel 2 beinhaltet den Orientierungsrahmen, wie eine Tageseinrichtung unter optimalen Bedingungen als Bildungsraum für Kinder gestaltet sein sollte. Es wird die Vision einer idealen Tageseinrichtung entwickelt und dargestellt.
(3) In Kapitel 3 sind mit den sieben Leitlinien Grundanforderungen formuliert, die jede Einrichtung bei der Umsetzung des Bildungsprogramms erfüllen sollte.
(4) Kapitel 4 beinhaltet Orientierungsrahmen zu den Bildungsbereichen Körper, Grundthemen des Lebens, Sprache, Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Musik, Mathematik, Natur und Technik. Die Art und der Umfang der Bearbeitung der einzelnen Bildungsbereiche richten sich nach den individuellen Bedürfnissen der Kinder und der spezifischen pädagogischen Konzeption der Tageseinrichtung.

§ 3

Diese Verordnung tritt am Tag nach ihrer Verkündung in Kraft.
Magdeburg, den 7. April 2014.
Der Minister für Arbeit und Soziales
des Landes Sachsen-Anhalt
Bischoff

Anlage

(zu § 1 )
Bildung: elementar - Bildung von Anfang an
Verzeichnis der Kapitel
1 Sieben Leitgedanken
Einführung
1.1 Bildung
1.2 Bindung und Neugier
1.3 Spiel und Arbeit
1.4 Selbstbestimmung und Teilhabe
1.5 Vertrauen und Verantwortung
1.6 Vielfalt und Inklusion
1.7 Nachhaltigkeit
2 Kindertageseinrichtung als Bildungsraum
Einführung
2.1 Voraussetzungen für Bildungsprozesse
2.1.1 Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern - Auftrag an Tageseinrichtungen
Bildung
Erziehung
Betreuung
2.1.2 Körper und Bildung
2.1.3 Räume und Bildung
Bildungsraum
Innenräume
Außenräume
Sozialräume
Material
Spuren der Kinder
2.1.4 Zeit und Bildung
2.2 Kinder als Individuen
2.2.1 Kinder unter drei Jahren
Neugierig sein
Beziehungen aufbauen
Sinnliche Erfahrungen sammeln
In Bewegung sein
Das eigene Ich entdecken
Kommunizieren
2.2.2 Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Beginn der Schulpflicht
Kommunizieren
Erfahrungen nutzen
Sich in Zeit und Raum orientieren
Individualität gestalten
Rollen spielen
Jungen und Mädchen - Mädchen und Jungen
Regeln finden
2.2.3 Kinder im Schulalter
Übergänge bewältigen
Kommunizieren
Selbst- und fremdbestimmte Zeit erleben
Aktionsradius vergrößern
Sich an Gleichaltrigen orientieren
Freundschaften gestalten
Identität hinterfragen
Werte prüfen
Verantwortung übernehmen
2.3 Kinder zusammen mit anderen Kindern
2.3.1 Kinder spielen gemeinsam
2.3.2 Kinder arbeiten gemeinsam
2.3.3 Geschwister
2.3.4 Kinder zusammen in der Tageseinrichtung
2.4 Eltern und Familien
2.4.1 Tageseinrichtung und Eltern als Partner in gemeinsamer Verantwortung
Eingewöhnung
Gespräche
2.5 Pädagogische Fachkraft
2.5.1 Mit Ungewissheit umgehen
2.5.2 Vorbild sein
2.5.3 Verantwortung tragen
2.5.4 Professionelle Haltung zeigen
2.5.5 Mit Kindern auf Augenhöhe sein
2.5.6 Beobachten und Dokumentieren
2.5.7 Bildungsmöglichkeiten gestalten - pädagogische Angebote
2.5.8 Beteiligt sein
2.5.9 Eltern als Partner
Eingewöhnung
Transparenz im Alltag und Teilhabe der Eltern
Professionelle Verantwortung pädagogischer Fachkräfte
Entwicklungsgespräche auf der Basis von Beobachtung und Dokumentation
Verschiedene Gespräche mit Eltern führen
Informationen über Kooperations- und Netzwerkpartner
2.5.10 Eigenes Wohlbefinden stärken
2.6 Pädagogisches Team
2.6.1 Zusammenarbeit im Team gestalten
2.6.2 Multiprofessionelle Teams bilden
2.6.3 Beobachtung und Dokumentation im Team reflektieren
2.6.4 Teamentwicklung und Qualität sichern
2.6.5 Team und Eltern
Konflikte und Gefährdungen
2.7 Pädagogische Leitung der Kindertageseinrichtung
2.7.1 Personal führen
2.7.2 Qualität sichern
2.7.3 Die pädagogische Konzeption erarbeiten
2.7.4 Arbeitsabläufe organisieren
2.7.5 Mit Eltern partnerschaftlich zusammenarbeiten
2.7.6 Kooperationen aufbauen
2.8 Träger der Kindertageseinrichtung
2.8.1 Verantwortung für Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder
2.8.2 Personalentwicklung
2.8.3 Qualitätsmanagement
2.8.4 Öffentlichkeitsarbeit
2.8.5 Leitung und Team
2.8.6 Eltern
2.9 Kooperation und Netzwerke
2.9.1 Angebote von Servicepartnern
2.9.2 Ressourcen anderer Akteure
2.9.3 Professionelle Kooperationspartner
3 Leitlinien für die Qualität von Bildungsprozessen in Kindertageseinrichtungen
Einführung
3.1 Leitlinie 1: Eingewöhnung
3.2 Leitlinie 2: Beobachtung und Dokumentation
3.3 Leitlinie 3: Eltern
3.4 Leitlinie 4: Gruppe und Raum
3.5 Leitlinie 5: Inklusion
3.6 Leitlinie 6: Übergänge
3.7 Leitlinie 7: Qualitätsentwicklung
4 Bildungsbereiche
Einführung
4.1 Körper
4.1.1 Interesse und Handeln der Kinder
Körper erkunden
Mit dem Körper erkunden
In Bewegung sein
Sich entspannen
Körperliche Nähe spüren
Mahlzeiten als körperliche, soziale und sinnliche Erfahrung
4.1.2 Pädagogisches Handeln
Achtsam und respektvoll sein
Raum und Zeit
Bewegung herausfordern
Entspannung und Schlaf ermöglichen
Material
4.1.3 Fragen zur Überprüfung
4.2 Grundthemen des Lebens
4.2.1 Interesse und Handeln der Kinder
4.2.2 Pädagogisches Handeln
Raum und Zeit
Material
4.2.3 Fragen zur Überprüfung
4.3 Sprache
4.3.1 Interesse und Handeln der Kinder
4.3.2 Pädagogisches Handeln
Sprache im Alltag leben
Sprachvorbild sein
Miteinander sprechen
Mehrsprachigkeit als Chance verstehen
Sprachbildung und Sprachförderung unterscheiden
Raum und Zeit
Material
4.3.3 Fragen zur Überprüfung
4.4 Bildende Kunst
4.4.1 Interesse und Handeln der Kinder
Material erkunden
Sich ausdrücken
Sich mit Kunst auseinandersetzen
Gemeinsames Tun
Angewandte Kunst
4.4.2 Pädagogisches Handeln
Prozesse begleiten und Werke wertschätzen
Werke präsentieren
Raum und Zeit
Material
Kunst anbieten
4.4.3 Fragen zur Überprüfung
4.5 Darstellende Kunst
4.5.1 Interesse und Handeln der Kinder
Rollen spielen
Tanzen
4.5.2 Pädagogisches Handeln
Darstellendes Spiel und Tanz begleiten
Rückmeldungen geben
Raum und Zeit
Material
Künstler einbinden
4.5.3 Fragen zur Überprüfung
4.6 Musik
4.6.1 Interesse und Handeln der Kinder
Geräusche wahrnehmen und erzeugen
Musik hören und erzeugen
4.6.2 Pädagogisches Handeln
Musik anbieten
Instrumente anbieten
Singen
Raum und Zeit
Material
4.6.3 Fragen zur Überprüfung
4.7 Mathematik
4.7.1 Interesse und Handeln der Kinder
Ordnen, Sortieren und Vergleichen
Dimensionen erkunden
Zahlen entdecken
Zeitverläufe wahrnehmen
4.7.2 Pädagogisches Handeln
Präsentation ermöglichen
In Austausch treten
Mathematik in Alltagssituationen entdecken
Raum und Zeit
Material
Erweiterung anbieten
4.7.3 Fragen zur Überprüfung
4.8 Natur
4.8.1 Interesse und Handeln der Kinder
Handeln und Denken
Forschen
Gemeinsam Forschen
Elemente erleben
Wasser
Luft
Erde
Feuer
Tiere und Pflanzen entdecken
Tiere
Pflanzen
Prozesse, Verläufe und Zusammenhänge erfahret
4.8.2 Pädagogisches Handeln
Mit Kindern nachdenken
Raum und Zeit
Material
4.8.3 Fragen zur Überprüfung
4.9 Technik
4.9.1 Interesse und Handeln der Kinder
4.9.2 Pädagogisches Handeln
Interessen von Mädchen und Jungen wahrnehmen
Technik sichtbar machen
Technik nach Nutzen auswählen
Ausprobieren zulassen
Material
Materialfülle anbieten
4.9.3 Fragen zur Überprüfung
1 Sieben Leitgedanken
Einführung
Die hier vorgestellten Leitgedanken stellen die Basis des Bildungsprogramms „Bildung: elementar“ für Kindertageseinrichtungen in Sachsen-Anhalt dar.
In jedem der Leitgedanken werden zunächst allgemeine Aussagen über menschliches Handeln und Beziehungen unter den Handelnden getroffen. Anschließend wird gefragt, welche Bedeutung diese grundlegenden Aussagen für Kinder in unserer Gesellschaft haben. In einem weiteren Schritt wird überlegt, wie die pädagogischen Fachkräfte und die Tageseinrichtung insgesamt nach diesen Leitgedanken den Bildungsprozessen und den Handlungsbedürfnissen der Kinder gerecht werden können.
1.1 Bildung
Menschen bilden sich von Anfang an und ihr Leben lang. Sie machen sich ihr eigenes Bild von der Welt aufgrund ihrer Erfahrungen und Erkenntnisse. Menschen bilden sich nicht nur als Einzelne, sondern zumeist in Gemeinschaft mit anderen. Sie bereichern dabei ihr eigenes Wissen im Austausch miteinander und entwickeln gemeinsam neue Erkenntnisse und Einsichten, neue Deutungen von der Welt. Unterschiedliche Kulturen, Lebenslagen und verschiedene Umwelten ermöglichen oder beschränken Bildungsprozesse in je spezifischer Weise.
Kinder bilden sich, indem sie sich der Welt mit Neugierde zuwenden - und zwar von Geburt an. Sie riechen und schmecken, sie tasten und fühlen, sie hören und sehen. Sie nehmen die Welt in ihrer Fülle mit allen Sinnen zugleich wahr. Dies ist nur möglich, wenn Kinder in Bewegung sind - sei es aktiv oder passiv.
Kinder erkennen und bewerten, vergleichen und ordnen ihre Sinneseindrücke in je individueller Weise, verbinden diese mit Gefühlen, versehen sie mit Bedeutungen und gewinnen so Erkenntnisse. Neue Eindrücke und Erfahrungen bestätigen diese oder stellen sie in Frage. Bildung ist so ein beständig fortlaufender Prozess. Je reichhaltiger die Umwelt des Kindes ist, desto vielfältiger sind die Eindrücke und komplexer die Bildungsprozesse.
Kinder treten von Anfang an mit anderen Menschen in Austausch. Sie teilen sich auf vielfältige Weise mit und fordern die anderen auf zu reagieren. Erfahren Kinder dabei wiederholt, dass andere Menschen ihre Signale und Äußerungen verstehen und angemessen handeln, entwickeln sich intensive und vertrauensvolle Beziehungen.
Kinder werden nicht gebildet, sie bilden sich selbst. Bildungsprozesse sind individuell und nicht vorhersehbar. Die Tageseinrichtung ist einer der wichtigen Orte von Bildung. Damit Bildungsprozesse hier gelingen, müssen Kinder Personen, Räume und Materialien vorfinden, die all ihre Sinne anregen und sie zur Bewegung herausfordern. Kinder brauchen Zeit, um sich in ihrem je eigenen Rhythmus ihren Bildungsthemen widmen zu können.
Kinder finden ihre Bildungsthemen in nahezu jeder alltäglichen Situation - beim Spielen und beim Träumen, beim Essen und beim Waschen, beim Anziehen und beim Rausgehen, beim Schlafen und beim Aufstehen, beim Kommen und beim Gehen.
Dabei begegnen Kinder anderen Kindern. Sie setzen sich mit deren Persönlichkeit und Eigenarten, mit deren Erkenntnissen und Sichtweisen auseinander und bilden sich dabei selbst. Miteinander finden Kinder Themen, entwickeln Interessen und Handlungsideen. Sie erarbeiten neue Erkenntnisse und teilen so ein gemeinsames Verständnis von der Welt. Solche Bildungsprozesse werden nur gelingen, wenn die beteiligten Kinder einen Weg finden, gleichwertig miteinander umzugehen - unabhängig von Unterschieden in Alter, Geschlecht, Herkunft oder körperlichen und geistigen Fähigkeiten.
Kinder verarbeiten Erfahrungen und Erkenntnisse, die sie in solchen Beziehungen gewonnen haben, auf ihre je eigene Art. Individuelle und gemeinsame Bildungsprozesse greifen so immer ineinander, regen sich gegenseitig an und sind nicht unabhängig voneinander zu denken.
Pädagogischen Fachkräften ist die Komplexität kindlicher Bildung bekannt. Es ist für sie eine große Herausforderung, solche Bildungsprozesse gerade auch in alltäglichen Situationen zu entdecken, dafür im Tagesablauf Zeit und Raum zu geben und diese - wenn nötig - zu unterstützen.
Kinder entwickeln Erkenntnisse und Deutungen von der Welt auch gemeinsam mit pädagogischen Fachkräften. Diese orientieren sich dabei an den Themen und Interessen, Bedürfnissen und Fähigkeiten der Kinder. Pädagogische Fachkräfte teilen ihr Wissen mit den Kindern und stellen ihnen ihre Kompetenzen zur Verfügung. Sie wählen dabei Worte und Gesten, die von den Kindern verstanden werden. Sie sind respektvoll und frei von Ironie gegenüber den Ideen, Gedanken und Erklärungen der Kinder. Pädagogische Fachkräfte unterlassen abwertende Belehrungen. So lernen Kinder, auf Erfahrungen und Erkenntnisse anderer Menschen zurückzugreifen.
Die Tageseinrichtung ist dann ein guter Ort für Bildung, wenn jedes Kind hier jederzeit Gelegenheiten vorfindet, Erkenntnisse zu gewinnen und Wissen zu vermehren, Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, mit anderen Beziehungen aufzubauen und zu gestalten und seine Persönlichkeit zu stärken - also grundlegende Kompetenzen auszubauen, sich derer zunehmend bewusst zu werden und diese als Schlüssel zur Weiterentwicklung seiner Potentiale und Ressourcen zu nutzen.
1.2 Bindung und Neugier
Menschen bauen von Geburt an Beziehungen zu anderen Menschen auf. Ohne Beziehungen können Menschen nicht leben und sich nicht entwickeln. Bindung ist eine besondere Beziehung zwischen Menschen, die sich durch Dauer und Stabilität auszeichnet. Eine sichere Bindung entsteht, wenn die Beteiligten sich füreinander interessieren, sich gegenseitig wertschätzen und liebevolle Zuneigung zueinander empfinden.
Alle Kinder streben danach, gesehen, gehört und verstanden zu werden, Nähe und Wärme zu spüren, getröstet zu werden und Freude zu teilen. Sie brauchen Sicherheit, Schutz, Aufmerksamkeit und Zuwendung. Kinder sind deshalb existenziell von Vertrauen, Verlässlichkeit und Verfügbarkeit abhängig, die sie in sicheren Bindungen zu anderen Menschen finden.
In Tageseinrichtungen gehen Kinder und pädagogische Fachkräfte Bindungen ein. So werden ihnen ihre Signale und deren Bedeutungen mehr und mehr vertraut. Im achtsamen Kontakt lernen pädagogische Fachkräfte, feinfühlig auf die Äußerungen der Kinder zu reagieren. Sie verstehen deren Verhalten und deren Bedürfnisse immer besser und bieten ihnen den Raum, den sie brauchen, um sich mit Neugierde der Welt zuzuwenden.
Neugierde ist Ausgangspunkt und Triebkraft aller Bildungsprozesse. Neugierde ist der innere Impuls für Kinder, sich in die Welt hinauszuwagen und sich diese zu erschließen. Die Erfahrungen, mutige Schritte der Erkundung selbst gemacht und mit der Unterstützung Anderer, Hürden und Bedrohungen überwunden zu haben, stärken Kinder ein Leben lang. Auf diese Weise entwickeln Kinder Selbstbewusstsein und Widerstandsfähigkeit für schwierige Lebenssituationen. Um die Welt mit Neugierde entdecken zu können, sind Kinder darauf angewiesen, auch in der Tageseinrichtung sichere Bindungen zu erleben, denn ohne Bindung ist Bildung nicht möglich.
Erwachsene Bindungspersonen sind dabei zuverlässige Begleiter jedes neugierigen Kindes auf seinen Entdeckungsreisen. Sie bieten ihm einerseits den sicheren Hafen zum Auftanken und andererseits Vertrauen, Ermutigung und Assistenz bei seinen Unternehmungen.
Kinder brauchen auch andere Kinder. In der Tageseinrichtung bauen sie zueinander stabile Beziehungen auf, die wesentliche Ressourcen für ihre gemeinsamen Bildungsprozesse sind. Solche Bindungen stärken Kinder auch als Person. Pädagogische Fachkräfte unterstützen Kinder dabei, miteinander Beziehungen und Bindungen einzugehen. Sie nehmen diese wahr, wertschätzen sie und bieten Kindern Raum, diese Beziehungen und Bindungen zu gestalten und zu leben.
Die Tageseinrichtung ist also dann ein guter Ort für neugierige Kinder und ihre Bildungsprozesse, wenn hier Raum ist für vielfältige und stabile Bindungen unter Kindern und zwischen Kindern und Erwachsenen.
1.3 Spiel und Arbeit
Menschen arbeiten für ihr Leben. Arbeit zielt letztlich immer auf diesen Zweck. Der Sinn des Spiels aber liegt im Spiel selbst. Spielen gehört unabdingbar zum Menschsein. Es gibt dem Leben Sinn über das Materielle hinaus. Wenn Menschen spielen, schaffen sie Gemeinschaft und Kultur.
Spiel ist freiwillig und frei gewählt, es braucht seine eigene Zeit, es bestimmt Anfang und Ende und es nimmt seinen eigenen Raum ein. Bei der Arbeit halten sich Menschen an Regeln, um ein Ziel zu erreichen. Regeln im Spiel aber sichern das Besondere des Spiels und seinen Fortgang. Die wichtigste Regel ist, dass alle wissen, dass sie spielen und nur so tun als ob. Spiel wird zerstört, wenn sich die Spielenden nicht an diese Regel halten, sie verderben das Spiel. Alle anderen Regeln sind jederzeit veränderbar.
Spielen ist eine spezifische Art und Weise zu handeln. Zum Spielen gehören auch Wettbewerb und Kampf, Bewegung und Tanz, Nachahmung und Darstellung.
Kinder spielen. Neugierig wenden sie sich ihrer Umwelt zu und sammeln mit all ihren Sinnen und in Bewegung neue Erfahrungen, die ihr Spiel ständig bereichern. Die Auseinandersetzung mit sich und der Welt geschieht fantasievoll und knüpft an den persönlichen Erfahrungen jedes einzelnen Kindes an. Im Spiel verbinden die Kinder Elemente ihrer Lebenswelt auf ihre eigene Weise. So nutzen sie ihren Körper und dessen Ausdrucksmöglichkeiten in Bewegung, Mimik, Gestik und Sprache. Sie beziehen Alltagsgegenstände, Werkzeuge, Naturmaterialien und auch Spielsachen in ihr Spiel ein. Lebensthemen der Kinder wie Vertrauen, Selbstbewusstsein, Aggression, Neugierde, Empathie, Liebe, Regeln, Sorgen und Ängste betten sie in Spielszenen ein und probieren so verschiedene Möglichkeiten aus, diese zu verstehen, ihren eigenen Bezug dazu zu finden und ihnen Sinn zu geben. Dadurch gelingt es ihnen, auf ihre eigenwillige Weise Fertigkeiten einzuüben, Verhalten zu erproben, Rollen - vor allem Geschlechterrollen - zu studieren, Regeln und die Folgen von Regelverstößen zu erfahren und Kommunikationsweisen auszuprobieren. Im Spiel gibt es dabei kein Richtig und kein Falsch, es gelten nur die vereinbarten Regeln des Spiels selbst. Spielen ist die wichtigste Tätigkeit der Kinder. Spielen ist die Form des Handelns, bei der sie sich in höchstem Maße selbst bilden.
Spiele der Kinder sind den Erwachsenen oft unverständlich. Sie erscheinen ihnen belanglos, langweilig, unlogisch, unangemessen oder gar grausam. Erwachsene müssen die Spiele der Kinder trotzdem respektieren und wenn nötig, schützen. In der Tageseinrichtung sorgen pädagogische Fachkräfte dafür, dass Räume und Zeiten für das Spiel gegeben sind. Sie lassen zu, dass Kinder an allen Orten und mit allen Dingen spielen - selbst dann, wenn sie diese gerade nicht für geeignet halten - solang die Kinder dadurch nicht gefährdet werden.
Kinder können zu jeder Zeit überall und mit Allem ins Spielen kommen. Sie bilden oft einen „unsichtbaren Raum“ um sich herum und versinken in ihr Spiel. Kinder gehen im Spiel ihrem eigenen Rhythmus nach, der nicht gestört oder zerrissen werden darf.
Kinder die nicht spielen, brauchen besondere Zuwendung. Pädagogische Fachkräfte müssen ihnen Sicherheit und Geborgenheit geben, damit sie sich mit Neugierde ihrer Umgebung und anderen Kindern zuwenden und spielen können.
Kommen Kinder in die Tageseinrichtung, bringen sie unterschiedliche Erfahrungen mit Spiel und Spielkameraden mit. Oft kommt es auch zu Zank und Streit. Kinder lernen dabei, Spielregeln auszuhandeln, sich daran zu halten und so wesentliche soziale Kompetenzen zu entwickeln.
Es ist eine große Herausforderung für pädagogische Fachkräfte, allen Kindern in der Tageseinrichtung das gemeinsame, selbstständige Spielen zu ermöglichen, ohne sich störend einzumischen. Kinder geraten in ihrem Spiel manchmal auch an Grenzen, die sie allein nicht bewältigen können. Beobachten pädagogische Fachkräfte Kinder genau und verfolgen das Spielgeschehen aufmerksam, wissen sie, ob, wann und wie sie sensibel das Spiel unterstützen können, ohne es zu zerstören. Pädagogische Fachkräfte bieten Kindern dann ihre Hilfe an, wenn diese sie wollen. Manchmal braucht es nur ein Stichwort und die Kinder können selbstständig weiter spielen. Nur wenn sie wirklich in Gefahr geraten - physisch oder emotional - greifen pädagogische Fachkräfte in das Spiel ein. Alle anderen Formen von Einmischung sind unangemessen.
Pädagogische Fachkräfte können sich auch als Spielpartner anbieten, sie begeben sich dann auf Augenhöhe mit den Kindern und ordnen sich deren Themen und Regeln unter. Zumeist bekommen sie von den Kindern lediglich die Rolle eines Statisten, einer Statistin oder eines Souffleurs, einer Souffleuse zugeteilt. Keineswegs bestimmen sie das Spiel oder leiten es gar an.
Nicht alles, was Kinder tun, ist Spiel. Kinder arbeiten auch. Es gibt Tätigkeiten, bei denen Kinder einen bestimmten Zweck verfolgen und ein Ziel anstreben. So üben sie beispielsweise, auf eine Leiter zu klettern, lernen Worte zu bilden, probieren eine Schleife zu binden, schreiben Zahlen, forschen und experimentieren oder bauen ein Vogelhaus. All diese Tätigkeiten führen Kinder mit großer Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit aus. Ihre Arbeit muss respektiert und geachtet werden.
Das Arbeiten der Kinder nehmen pädagogische Fachkräfte als Bildungstätigkeit wahr und garantieren ihnen Raum und Zeit. Die kindliche Arbeit braucht jedoch eine andere Form der Begleitung und Unterstützung durch pädagogische Fachkräfte als das Spiel. Beim Arbeiten stoßen Kinder manchmal an Grenzen ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten und suchen nach Hilfe und Unterstützung. Pädagogische Fachkräfte gehen dann gemeinsam mit ihnen auf die Suche nach Lösungen. Dabei stellen sie ihnen ihr Wissen und ihre Fertigkeiten zur Verfügung und machen sie wenn nötig auf Gefahren aufmerksam.
Oftmals vermischen sich im kindlichen Tun Elemente von Spiel und Arbeit. Die Grenzen zwischen beiden Tätigkeiten sind fließend. Aber die Arbeit der Kinder ist deshalb nicht „spielerisch“ und sie spielen auch nicht, dass sie arbeiten, vielmehr widmen sie sich beiden Tätigkeiten mit Ernsthaftigkeit und Engagement.
1.4 Selbstbestimmung und Teilhabe
Selbst zu bestimmen heißt, eigenständig zu denken, zu entscheiden und zu handeln. Der Mensch bindet sich als soziales Wesen an andere Menschen, strebt aber zugleich nach Selbstbestimmung. Diese ist für ihn innerer Antrieb und Voraussetzung, sich zu einer unverwechselbaren Persönlichkeit zu entwickeln.
Teil zu haben an Gemeinschaft bedeutet, sich dieser zugehörig zu fühlen und sich an deren Regeln zu halten. Sie aktiv mitzugestalten setzt voraus, eine eigene Position zu vertreten, aber auch Entscheidungen im Interesse und zum Wohle der Gemeinschaft zu treffen. Selbstbestimmung und Teilhabe bedingen sich also gegenseitig und können nicht voneinander getrennt betrachtet werden.
Kinder haben das Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Ihr Recht auf Teilhabe an Gesellschaft ist gesetzlich verankert und muss in allen Lebensbereichen umgesetzt werden. In der Tageseinrichtung tragen insbesondere pädagogische Fachkräfte Verantwortung dafür, dass Selbstbestimmung und Teilhabe der Kinder sichergestellt werden.
Jedes Kind findet in der Tageseinrichtung Raum, eigenständig zu denken, zu entscheiden, zu handeln und das Leben in selbstgewählten Gruppen zu gestalten. Gelegenheiten für Selbstbestimmung und Teilhabe bieten sich im Alltag in allen Situationen, die für Kinder von Bedeutung sind. Kinder erleben so, dass ihr Tun Wirkung zeigt. Kinder erwerben Fähigkeiten zu Selbstbestimmung und Teilhabe in komplexen Bildungsprozessen nur durch das eigenständige Tun, nie durch Belehrung.
In Tageseinrichtungen begegnen sich Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts, mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Kompetenzen, Interessen und Begabungen - kurz, es begegnen sich unverwechselbare Persönlichkeiten. Ihr Zusammenleben im Alltag stellt vor allem Kinder vor anspruchsvolle Herausforderungen. Kinder haben vielfältige Möglichkeiten, über Entscheidungen zu verhandeln und dabei ihre Interessen bei Erwachsenen und anderen Kindern zu vertreten. Sie gehen auf diese zu, sie teilen sich ihnen über Worte und Gesten mit, sie reden und sie streiten, sie argumentieren, sie motivieren und überzeugen, sie kämpfen miteinander und verbünden sich, und sie lernen, Kompromisse einzugehen. All das sind für Kinder große Aufgaben. Diese zu lösen ist Ausgangspunkt, Gegenstand und zugleich Ergebnis bedeutsamer Bildungsprozesse.
Pädagogische Fachkräfte bieten sich als Begleiter der Kinder bei solchen Bildungsprozessen an. Sie helfen ihnen, ihre eigenen Äußerungen und das Tun der anderen zu deuten, zu verstehen und emotional auszuhalten. Gemeinsam mit den Kindern entdecken sie Möglichkeiten, den Handlungsspielraum für die Selbstbestimmung der Kinder und ihrer Teilhabe zu erweitern.
Eine Gemeinschaft, in der Selbstbestimmung und Teilhabe gelebt werden, braucht Regeln. Diese müssen allen bekannt und von allen anerkannt werden. Stellen Kinder und Erwachsene in der Tageseinrichtung gemeinsam Regeln auf, schaffen sie auf diesem Weg eine Gemeinschaft, der sich alle zugehörig und verpflichtet fühlen. Deswegen werden die so entstandenen Regeln zumeist eingehalten. Für alle Kinder müssen diese Regeln überschaubar, verständlich, sichtbar, begründet, verhandelbar sein und sich an ihren Fähigkeiten orientieren.
Allen Kindern den Raum für Selbstbestimmung und Teilhabe zu eröffnen, ist eine hohe Anforderung an pädagogische Fachkräfte und setzt zwei grundlegende professionelle Kompetenzen voraus, nämlich die Fähigkeit, Macht an Kinder abzugeben und die Fähigkeit, Vertrauen in sie zu setzen.
Kinder haben im Allgemeinen weniger Macht als Erwachsene. Um Selbstbestimmung und Teilhabe in der Tageseinrichtung realisieren zu können, sind Kinder darauf angewiesen, dass pädagogische Fachkräfte ihren Machtüberhang wahrnehmen, anerkennen und reduzieren. In dem Maße, in welchem pädagogische Fachkräfte ihre Macht zurücknehmen, erweitern sie den Raum, in welchem Kinder Verantwortung für sich selbst und andere tragen können. Pädagogische Fachkräfte sind für Kinder Partner auf Augenhöhe. Dabei bemühen sie sich, in Dialogen und auch in Konflikten von ihrem Machtvorsprung abzusehen. Begrenzungen und Einschränkungen von Selbstbestimmung und Teilhabe müssen deshalb immer wieder im Sinne der Rechte der Kinder überprüft und begründet oder verworfen werden.
Kinder sind auf Vertrauen von Erwachsenen angewiesen. In der Tageseinrichtung brauchen sie pädagogische Fachkräfte, die davon ausgehen, dass Entscheidungen und Handlungen der Kinder für diese Sinn und Bedeutung haben. Wahrnehmungen, Gefühle und Äußerungen der Kinder werden von ihnen respektiert und akzeptiert. Pädagogische Fachkräfte wissen, dass das Maß und die Art der Verantwortung, welche Kinder für sich und andere tragen können, von Kind zu Kind verschieden ist, aber im Laufe der Zeit zunimmt.
Selbstbestimmung und Teilhabe gelingen nur, wenn sie strukturell und konzeptionell als Grundhaltung in der Tageseinrichtung verankert sind und für alle gelten. So werden das Selbstbewusstsein der Kinder, ihre Fähigkeit und ihr Mut, eigene Interessen und Emotionen zu äußern, gestärkt. Die Achtung vor anderen und das Gemeinschaftsgefühl steigen ebenso wie ihre Kompromiss- und Konfliktfähigkeit. Können Kinder im Alltag den für sie geschaffenen Lebensraum aktiv und entsprechend ihrer Bedürfnisse mitgestalten, entwickeln sie Wissen und Kompetenzen für ihr Handeln in einer demokratischen Gesellschaft.
1.5 Vertrauen und Verantwortung
Vertrauen Menschen anderen, so erwarten sie von ihnen, dass diese aus den vielen möglichen Handlungen diejenige auswählen werden, die ihren gemeinsam geteilten Vorstellungen von Richtig und Gut entspricht. Vertrauen zu schenken, ist demnach immer eine Art von riskanter Vorleistung, da man nicht sicher sein kann, dass der Andere diesem in ihn gesetzten Vertrauen gerecht werden wird. Wer vertraut, handelt also unter den Bedingungen von Ungewissheit so, als ob er sich sicher sein kann.
Vertrauen kann aber nur derjenige, der sich selbst für wert hält, dass der Andere ihn nicht schlecht behandeln, sein Vertrauen also nicht missachten wird. Vertrauen basiert so immer auf individueller Selbstachtung und auf Selbstvertrauen. Die Fähigkeit zu vertrauen, erwächst aus frühen und lebenslangen Erfahrungen in Interaktionen mit anderen Menschen.
Menschen, denen man vertraut, müssen glaubwürdig und verlässlich sein. In Familien, Freundesgruppen und anderen engen Beziehungen wird Vertrauen als gemeinsame Basis vorausgesetzt. In den heutigen, hochkomplexen Gesellschaften sind wir aber auch darauf angewiesen, Experten und Expertinnen, Organisationen und technischen Systemen zu vertrauen. Vertrauen wird so zur Basis von Interaktion und Kommunikation zwischen Menschen und verbindet sie sozial miteinander. Vertrauen kann immer wieder zerstört werden, wenn sich Menschen nicht an gemeinsame Regeln halten, Organisationen nicht effektiv funktionieren und technische Systeme versagen. Generalisiertes Misstrauen und Kontrolle aber zerstören die Basis menschlicher Gemeinschaft, reduzieren soziale Komplexität nicht, sondern erhöhen diese.
Kinder erwerben in frühen Jahren grundlegendes Vertrauen in die sie umgebenden Menschen, wenn diese eine sichere Bindung zu ihnen aufbauen und ihnen die Welt eröffnen. Als eine große Herausforderung für das professionelle Handeln pädagogischer Fachkräfte stellt sich die Forderung dar, Kindern und ihrem Handeln zu vertrauen. Kinder sind oft unberechenbar und nicht verlässlich, Kinder halten sich nur bedingt an Regeln oder kennen diese vielleicht noch gar nicht. Kinder tun auch oft etwas, was unverständlich ist. Zudem tragen pädagogische Fachkräfte die Verantwortung für Kinder und das Geschehen in der Einrichtung. Da mag Kontrolle als die bessere Variante der Verringerung von Ungewissheit in den alltäglichen Interaktionen und Kommunikationen mit Kindern erscheinen.
Bildungsprozesse werden von Kindern selbst vorangetrieben, „Treibstoff“ ist ihre Neugierde auf die Welt in all ihren Facetten. Vertrauen in die Neugierde der Kinder zu setzen bedeutet, abzuwarten, was geschieht, genau zu beobachten, Kinder zu ermutigen selbst zu entscheiden und sie zu unterstützen, auch Risiken einzugehen. Kindern zu vertrauen heißt auch und vor allem, sie zu ermutigen, etwas zu tun, auch wenn Erwachsene dies (noch) nicht verstehen. Vertrauen basiert auf Respekt, Distanz und Takt gegenüber Kindern. Kindern zu vertrauen, bedeutet also, davon überzeugt zu sein, dass Kinder ihre Bildungs- und Entwicklungsprozesse selbst gestalten können und dass sie, wenn sie Unterstützung benötigen, diese anfordern werden.
Die Verantwortung pädagogischer Fachkräfte liegt also darin, Voraussetzungen und Bedingungen für die Bildungsprozesse der Kinder zu schaffen. Vertrauen in die Kinder zu setzen, gehört zu diesen unabdingbaren Voraussetzungen.
Die professionelle Kompetenz, Kindern in diesem Sinne zu vertrauen, ist nicht leicht zu erwerben und ist im Alltag immer wieder bedroht. Vertrauen in sich selbst, Wertschätzung der eigenen pädagogischen Fähigkeiten, Vertrauen in die gemeinsame Konzeption des Teams und die Unterstützung durch Einrichtung und Träger sind grundlegende Voraussetzungen für die Entwicklung einer Vertrauenshaltung den Kindern gegenüber.
Vertrauen und Verantwortung sind also keineswegs sich gegenseitig ausschließende Haltungen von pädagogischen Fachkräften, vielmehr sind sie sich gegenseitig bedingende. Vertrauen ist die Basis für verantwortliches Handeln unter den Bedingungen von Ungewissheit und damit Grundlage allen pädagogischen Handelns und insgesamt der professionellen Haltung.
1.6 Vielfalt und Inklusion
Unterschiede machen Menschen einzigartig und unverwechselbar. Menschen sind alt oder jung, männlich oder weiblich, temperamentvoll oder zurückhaltend, dick oder dünn. Sie haben unterschiedliche Fähigkeiten, Interessen und Begabungen. Manche sind körperlich, geistig oder seelisch behindert, andere sind in spezifischen Bereichen überdurchschnittlich oder hochbegabt und einige zeigen andere Besonderheiten in ihrer Entwicklung. Menschen sind auch ungleich mit ökonomischen, sozialen und kulturellen Ressourcen ausgestattet, sie sprechen verschiedene Sprachen, haben verschiedene Hautfarben, kommen aus unterschiedlichen Ländern und gehören verschiedenen Glaubensgemeinschaften an. Menschsein ist also durch Vielfalt gekennzeichnet.
Unterschiede werden oft zum Anlass für ungleich verteilte Chancen. Manche Menschen haben mehr, andere weniger, manche sind ausgegrenzt, andere gehören dazu. Ungleichheit bedeutet, dass Menschen auf Dauer der Zugang zu lebensnotwendigen Gütern wie z. B. Gesundheitsversorgung, Bildung oder Teilhabe an Gemeinschaft versperrt ist, während andere diesen nutzen können.
Kinder erfahren Vielfalt, aber auch Auswirkungen von Ungleichheit bei sich und anderen. Kinder leben mit Vorurteilen und Diskriminierungen. In unterschiedlichen Lebenslagen werden ihre Potentiale gefördert oder beschränkt. So kommen sie mit ungleichen Voraussetzungen in die Tageseinrichtung. Diese ist aber ein wichtiger Ort für Kinder, um Wertschätzung und Förderung ihrer Einzigartigkeit zu erleben. Hierzu gehört auch, Benachteiligungen abzubauen und Kindern so Chancen auf Teilhabe zu eröffnen - in der Gegenwart und für die Zukunft.
Zu den wichtigsten Bildungsprozessen der Kinder gehört die Auseinandersetzung mit ihrer geschlechtlichen Identität. Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Kindern lassen sich in Ausprägungen des Verhaltens, der Fähigkeiten und vor allem der Interessen von Anfang an beobachten. Kinder können Menschen bereits im Alter von einem Jahr dem einen oder anderen Geschlecht zuordnen, spätestens mit zwei Jahren auch sich selbst. Kinder lernen, sich in der Kultur der Zweigeschlechtlichkeit zurechtzufinden. Im Spiel überbetonen sie oftmals geschlechtsspezifische Phänomene und sanktionieren bei anderen Kindern Uneindeutigkeiten.
Pädagogische Fachkräfte entdecken im Zusammensein mit Kindern deren vielfältige Ressourcen und individuellen Interessen, ihre Eigentümlichkeiten und ihren Eigensinn. Sie respektieren die vielfältigen Wege, die Kinder in ihrer eigenen Geschwindigkeit gehen. Aber sie nehmen auch Belastungen wahr, die Kinder aus ihren Lebenswelten mitbringen. Sie nehmen Kinder als Mädchen und Jungen wahr und respektieren deren Suche nach geschlechtlichen Rollenmustern. Pädagogische Fachkräfte weisen aber auch auf vielfältige Möglichkeiten hin, sich als Junge und als Mädchen zu verhalten und vermeiden Ungleichheiten in den Handlungsbedingungen für beide Geschlechter. Dabei ist es eine große Herausforderung für pädagogische Fachkräfte, jedem Kind in seiner Einzigartigkeit gerecht zu werden.
Pädagogische Fachkräfte erkunden Möglichkeiten und erproben Wege, Bildungsprozesse bei jedem einzelnen Kind anzuregen und herauszufordern. Dabei knüpfen sie an dessen Stärken, seinen Interessen und seiner Begeisterung für bestimmte Themen an. In der Tageseinrichtung stehen Kindern hierfür reichhaltige Materialien und Räumlichkeiten zur Verfügung, die an ihren unterschiedlichen Bedürfnissen ausgerichtet sind und ihren jeweiligen Interessen entsprechen.
Begegnungen mit anderen Kindern und Erwachsenen können Irritationen und Abwehr auslösen. Pädagogische Fachkräfte helfen Kindern dabei, mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen. So erweitert sich der Horizont der Kinder, ihre Themen werden bereichert, ihre Haltung verändert sich und ihre Persönlichkeit wird gestärkt.
Dabei widmen sich pädagogische Fachkräfte gerade Kindern mit Belastungen, Behinderungen, spezifischen Bedürfnissen oder besonderen Begabungen in angemessener Weise und sorgen für eine bestmögliche Förderung, so dass alle Kinder gleichberechtigt an Gemeinschaft teilhaben können.
Pädagogische Fachkräfte und Kinder erarbeiten gemeinsam Regeln, um die Vielfalt in der Tageseinrichtung zu schützen und Ungleichheit zu bekämpfen. Kein Kind wird bloßgestellt, beschämt, verurteilt und ausgegrenzt - weder durch Taten noch durch Worte.
1.7 Nachhaltigkeit
Menschen sind mit der Vergangenheit verbunden, handeln in der Gegenwart und richten ihr Denken und Tun in die Zukunft. Menschen können nur über das verfügen, was andere vor ihnen erhalten, geschützt und erschaffen haben. Aber ihre Möglichkeiten werden auch wesentlich dadurch bestimmt, was Generationen vor ihnen zerstört haben. Jedes Tun hat also nachhaltige Folgen im Jetzt und für die Zukunft. Menschen tragen somit Verantwortung für andere, die jetzt und nach ihnen geboren werden. So sind Menschen auf der ganzen Welt und über Generationen voneinander existenziell abhängig.
Menschen sind lebensnotwendig auf ihre natürliche Umwelt mit Wasser, Luft, Pflanzen, Lebewesen und Bodenschätzen angewiesen, deren Qualität die vorherigen Generationen erhalten hat. Menschen sind auch abhängig von gesellschaftlichen Ressourcen, von dem Wissen und der Kultur der Generationen vor ihnen. Jeder Mensch hat von Geburt an persönliche Ressourcen, also unverwechselbare Besonderheiten, die seine Entwicklung und Bildung auf bestimmte Weise beeinflussen und lenken. Individuelle Ressourcen bereichern das gesellschaftliche Zusammenleben und halten Kultur lebendig. Natürliche, gesellschaftliche und individuelle Ressourcen sind Voraussetzungen für das Leben in der Gegenwart und in der Zukunft.
Nachhaltiges Denken richtet die Aufmerksamkeit auf vorhandene Ressourcen im gesamten Lebensraum von Menschen und fragt danach, wie diese zu erhalten und zu stärken sind.
Wer Verantwortung für Kinder übernimmt, ist zu nachhaltigem Denken und Handeln verpflichtet. Pädagogische Fachkräfte denken und handeln nicht nur in der Gegenwart, sondern zugleich in besonderer Weise mit Blick auf die Zukunft. Nachhaltiges Denken und Handeln sind demnach grundlegend für die Gestaltung der Lebensbedingungen und Bildungsprozesse in Tageseinrichtungen.
Alles, was Kinder stärkt, aber auch was sie schwächt, hat nicht nur Auswirkungen auf ihre gegenwärtigen Lebenslagen, sondern immer auch auf ihre zukünftigen Chancen. In Tageseinrichtungen werden Bildungsprozesse von pädagogischen Fachkräften so gestaltet und ermöglicht, dass Kinder in ihrer Persönlichkeit gestärkt werden, dass ihr Wohlbefinden gepflegt wird und dass sie Erkenntnisse über die Welt gewinnen. So werden individuelle Ressourcen von Kindern erhalten und für die Zukunft weiterentwickelt.
Pädagogische Fachkräfte stellen die unmittelbare personale Umwelt für die Kinder in Tageseinrichtungen dar. Ihre persönlichen und professionellen Kompetenzen sind wichtige Ressourcen, eine Art „Rohstoff“ für die Bildungs- und Entwicklungsprozesse der Kinder. Diese Ressourcen werden deshalb gestärkt und weiterentwickelt. Dies geschieht durch Wertschätzung und gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen, aber auch durch Fort- und Weiterbildungen der pädagogischen Fachkräfte.
Tageseinrichtungen wirken sich auch als materielle Umwelt auf Kinder und pädagogische Fachkräfte aus. Räume und Materialien sind so beschaffen, dass sie weder kurzfristig noch langfristig Gesundheit und Wohlbefinden stören, sondern diese befördern. Die Speisen und Getränke von Kindern und pädagogischen Fachkräften entsprechen Erkenntnissen über gesunde Ernährung.
Tageseinrichtungen sind als Organisationen in der Gesellschaft zu Nachhaltigkeit verpflichtet. Hierzu gehört der verantwortliche Umgang mit Energie und Wasser, aber auch die Bevorzugung regionaler Produkte und sozial gerechter Serviceanbieter.
Die Bildungsprozesse der Kinder dürfen durch den verantwortlichen Umgang mit Ressourcen jedoch nicht eingeschränkt werden. Kinder gehen ihren Bedürfnissen - z.B. mit Wasser zu plantschen oder riesige Bilder zu malen - nach und haben entsprechende Materialien zur Verfügung. Hierfür beobachten pädagogische Fachkräfte bewusst den Verbrauch und bevorzugen wiederverwendbare Materialien oder abbaubare Stoffe.
Nachhaltiges Denken und Handeln ziehen sich so durch den gesamten Alltag der Tageseinrichtung, durch die pädagogische Arbeit und die Organisation. Insbesondere Leitung und Träger tragen hierfür Verantwortung.
Nachhaltiges Denken und Handeln sind aber auch Themen von Bildungs- und Forschungsprozessen von Kindern. Sie beschäftigen sich mit Fragen, die ihre Zukunft, die Zukunft der Menschen, der Natur, der Kultur und der Welt betreffen. Sie ergründen Zusammenhänge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, von Ursache und Wirkung, sie forschen danach, wie etwas entsteht, aber auch wie man es zerstört. Kinder wollen wissen, wie die Welt funktioniert. Sie kommen zu Fragen der Nachhaltigkeit insbesondere dann, wenn sie häufig unmittelbaren Kontakt zur Natur haben. Daraus entstehen Anlässe für Kinder und pädagogische Fachkräfte, sich gemeinsam Gedanken zu machen über die Verantwortung, die auch schon Kinder für den Schutz natürlicher Ressourcen tragen und über praktische Konsequenzen, die daraus erwachsen.
Pädagogische Fachkräfte haben Wissen über die grundlegenden Fragen von Nachhaltigkeit, über Konsequenzen für die Gestaltung des Alltages und darüber, wie sie mit Kindern diese Fragen bearbeiten, ohne dabei die Forderung nach Nachhaltigkeit gegenüber den Kindern wie einen „moralischen Zeigefinger“ einzusetzen.
Tageseinrichtungen öffnen sich so für Themen der Nachhaltigkeit, die im Sozialraum und der Region wichtig sind, aber auch für globale Themen und schaffen in vielfältiger Weise Raum für Nachdenken und für verantwortungsvolles Handeln im Sinne nachhaltiger Entwicklung.
2 Kindertageseinrichtung als Bildungsraum
Einführung
Die Tageseinrichtung ist ein guter Ort für Kinder. An der Realisierung dieses Anspruchs arbeiten Träger, Leitung, Teams und Eltern gemeinsam jeden Tag aufs Neue. So ist die Entwicklung der Tageseinrichtung, ihrer Organisation und ihrer Qualität nie abgeschlossen. Oft geht dieser Prozess in Riesenschritten voran. Hin und wieder aber gerät im Alltag die Verwirklichung dieses Anspruchs angesichts vielfältiger Belastungen und Routinen aus dem Blick. Deshalb ist es gut, wenn sich pädagogische Fachkräfte immer wieder im Team, mit der Leitung, mit dem Träger, mit den Eltern und nicht zuletzt mit den Kindern über die Herausforderung, ein guter Ort für Kinder zu sein, austauschen und dabei prüfen, wie sie dem Anspruch gerecht werden.
Im folgenden Kapitel wird eine Tageseinrichtung beschrieben, die ein guter Bildungsraum für Kinder ist. Ausgehend vom Handeln der Kinder, ihren Bedürfnissen und Interessen wird die Vision einer guten Tageseinrichtung entwickelt, in der sich Räume und Strukturen, das Handeln von pädagogischen Fachkräften in der Einrichtung und in der Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern konsequent an den Rechten der Kinder ausrichtet.
2.1 Voraussetzungen für Bildungsprozesse
2.1.1 Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern - Auftrag an Tageseinrichtungen
Bildung
In den fachlichen, wissenschaftlichen und politischen Debatten um die Funktion von Tageseinrichtungen ist im letzten Jahrzehnt der Bildungsauftrag weit in den Vordergrund gerückt worden. Bildungsprozesse von Kindern stehen im Zentrum des Interesses von Bildungsreformen, von neueren elementarpädagogischen Konzepten und zunehmend auch von empirischer Forschung. In politischen und ökonomischen Debatten werden hohe Erwartungen an die Leistungen der Tageseinrichtungen formuliert. Diese Fokussierung auf Bildungsprozesse führt nicht selten zu einer Verengung der Perspektive auf die Lernprozesse der Kinder - oftmals als (vor-) schulisches Lernen missverstanden.
Der gesetzliche Auftrag an Tageseinrichtungen umfasst weit mehr, nämlich Bildung und Erziehung und Betreuung. Er fordert ausdrücklich, dass Bildung, Erziehung und Betreuung so gestaltet sind, dass sie auf eine umfassende Entwicklung jedes Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zielen.
Bildungsprozesse der Kinder werden im vorliegenden Bildungsprogramm ausführlich beschrieben, sie stehen im Zentrum der Darstellung. Erzieherisches Handeln ist die Antwort der Erwachsenen auf die Bildungsprozesse der Kinder.
Erziehung
Erziehung ergibt sich aus der Tatsache, dass sich Menschen in einem lebenslangen Lern- und Entwicklungsprozess immer wieder mit Herausforderungen auseinandersetzen müssen, denen sie noch nicht gewachsen sind. Dazu gehören emotionale und kognitive, seelische und körperliche, soziale und individuelle Anforderungen. Oftmals benötigen sie zu deren Bewältigung die Unterstützung von anderen Menschen - Erwachsenen wie Kindern - die mehr Erfahrung und andere Kompetenzen haben.
Grundsätzlich zielt Erziehung darauf, dass der Erziehende sein erzieherisches Handeln überflüssig macht. Dieses Ziel ist erreicht, wenn der zu Erziehende selbsttätig und unabhängig handeln kann. Dieses grundlegende Prinzip der Erziehung zur Mündigkeit und Autonomie hat Maria Montessori für Kinder in aller Kürze so ausgedrückt: „Hilf mir, es selbst zu tun!“.
Die Bereitschaft des Erziehenden, seine Autorität jederzeit zurückzunehmen, ist eine Voraussetzung für das Gelingen einer pädagogischen Beziehung, in der das Ziel die Selbsttätigkeit und Mündigkeit des Kindes ist. Erzieherisches Handeln kann sein Ziel nur durch das Mittun des Kindes erreichen. Hierzu setzt der Erziehende Vertrauen in das Kind, dass es selbsttätig und autonom handeln will und sich selbst entsprechend bilden wird. In einer solchen Beziehung sind Autonomie und Mündigkeit des Kindes demnach nicht nur das Ziel, sondern auch der Weg von Erziehung.
Von vielen Seiten ergehen Anforderungen an die Erziehenden, wie und mit welchem Ziel Kinder erzogen werden sollten. Oftmals laufen diese Vorstellungen von Erziehung auf Verbote, Anweisungen, Grenzen und ähnliche Vorgaben für Kinder hinaus, die diese in ihren Entwicklungs-, Bildungs- und Teilhabechancen eher einschränken als diese zu eröffnen. Alle Vorstellungen und pädagogischen Ansätze werden von den Erziehenden deshalb immer wieder daraufhin überprüft, ob sie Kindern Raum bieten für Bildung und Teilhabe, ob sie die Entwicklung von Autonomie und Mündigkeit unterstützen oder ihr entgegenstehen. Gängige Vorstellungen von Erziehung und professionelles pädagogisches Handeln können dabei durchaus in Widerspruch geraten. Es gehört zur Kompetenz von Erziehenden, diese Unvereinbarkeit zu erkennen, zwischen den unterschiedlichen Positionen zu vermitteln und die entstehende Spannung auszuhalten. Immer aber wird sich der Erziehende eher zugunsten der Autonomie und Mündigkeit des Kindes und damit für dessen Bildungsmöglichkeiten und Entwicklungsprozesse entscheiden.
Es sind vor allem die gesetzlich gesicherten Rechte der Kinder auf Teilhabe, die pädagogischen Fachkräften in Tageseinrichtungen einen „demokratisch“ zu nennenden Erziehungsstil gegenüber den Kindern abverlangen. Hierbei geht es vor allem um die Beteiligung der Kinder an allen Entscheidungen, die sie selbst betreffen. Des Weiteren geht es um das gemeinsame Aushandeln von Regeln nach denen sich alle in der Einrichtung richten - auch die Erwachsenen. Kinder können an der Erstellung von nahezu allen Regeln kompetent und rational mitwirken.
Betreuung
Tageseinrichtungen für Kinder haben als familienergänzende Institutionen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe auch einen weiteren wichtigen Auftrag, nämlich den der fürsorgenden Betreuung der Kinder, der auch die Förderung von körperlichen und sozialen Entwicklungsmöglichkeiten einschließt.
Betreuung - in fachlichen Diskussionen oftmals mit Aufbewahrung gleichgesetzt und dabei abgewertet - steht nicht in Gegensatz zu Bildung und Erziehung, vielmehr wird die fürsorgende Betreuung der Kinder als Voraussetzung für erfolgreiche Bildungsprozesse verstanden. Dabei richtet sich ein besonderes Augenmerk der fürsorgenden Betreuung auf Kinder, die von Armut bedroht sind, die aus bildungsfernen Milieus stammen, die nicht die deutsche Sprache sprechen, die gesundheitliche Risiken tragen oder die aufgrund von Behinderungen oder von Begabungen spezifische Bedürfnisse haben. Auch Kinder aus anderen Milieus und solche, die keine speziellen Unterstützungsbedarfe zeigen, haben ein Recht auf Fürsorglichkeit und Zuwendung. Betreuung wird so zu einer wichtigen Voraussetzung für Bildungsprozesse von Kindern und zu einer wichtigen Dimension der Arbeit pädagogischer Fachkräfte.
Bildungsprozesse von Kindern werden in diesem Bildungsprogramm also nicht als voraussetzungslos gedacht. Vielmehr gehört es auch zu den Aufgaben von Betreuung in Tageseinrichtungen, Voraussetzungen zu schaffen, die Bildungsprozesse überhaupt erst ermöglichen, z.B. unterschiedliche soziale Lebensbedingungen und gesundheitliche Ressourcen von Kindern als Einschränkungen wahrzunehmen und nach Wegen zu suchen, diese abzubauen und ihre Folgen zu reduzieren.
Bildung, Erziehung und Betreuung sind so in einen gesellschaftlich umfassenden Zusammenhang eingebunden. Sie tragen zur gesellschaftlichen Integration und Inklusion und zur Prävention und Vermeidung sozialer Konflikte bei.
2.1.2 Körper und Bildung
Bildungsprozesse von Kindern sind nicht von ihrem Körper zu trennen.
Kinder nehmen durch ihren Körper unablässig Eindrücke und Empfindungen wahr. Sie hören, sehen und riechen, sie schmecken und tasten, und sie spüren ihren Körper. Sinnliche Wahrnehmungen beeinflussen Kinder intensiv und nachhaltig - wenn auch oft unbewusst. So folgt dem Schmecken vielleicht Appetit oder Ekel, dem Tasten eventuell Entspannung oder Abwehr, dem Hören möglicherweise Hinwendung oder Flucht. Sinneswahrnehmungen sind wesentliche Voraussetzungen und Triebkräfte für das Handeln, für Erfahrungen und für Erkenntnisse von Kindern. Kinder entwickeln so allmählich ein individuelles Bild von sich in ihrem Körper, sie lernen nach und nach ihre körperlichen Empfindungen zu unterscheiden und entdecken ihre körperlichen Fähigkeiten.
Kinder bewegen sich von Anfang an und nahezu fortwährend. Ihr Körper ist aktiv oder in Ruhe. Die Balance zwischen Bewegung und Entspannung wird von den Kindern individuell hergestellt und kann sich von Tag zu Tag und je nach Situation unterschiedlich darstellen. Kinder spüren in der Regel, wann sie Aktivität oder eine Auszeit brauchen. Unterforderung, aber auch andauernde einseitige Beanspruchung schwächen ihre Körper und beeinträchtigen ihr Wohlbefinden, ihr Denken, Fühlen und Handeln. Kinder sind auf Bewegungsmöglichkeiten angewiesen. Bewegung ist eine Voraussetzung für gelingende Bildungsprozesse von Kindern.
Es gibt nicht den „typischen“ kindlichen Körper. Körperformen, Körperhaltungen, Bewegungsweisen und Sinnesorgane sind spezifisch ausgeprägt. Die Körper der Kinder verändern sich kontinuierlich. Sie wachsen, passen sich den Anforderungen ihrer Umwelt an, leiden mitunter an Verletzungen und Krankheiten oder sind auf Dauer in ihren Fähigkeiten und Funktionen beeinträchtigt.
Nahrung und Gegenstände, alles, was den kindlichen Körper von innen und von außen berührt, hat Auswirkungen auf dessen Empfindungen und Funktionen. Dabei belasten besonders Gifte, künstliche Zusatzstoffe, aber auch einseitige Ernährung den kindlichen Körper - vor allem stören sie nachhaltig die Entwicklung des Gehirns. Auch eine gesunde Umwelt und eine gute Ernährung sind somit Voraussetzungen für gelingende Bildungsprozesse.
Kinder nehmen sich gegenseitig in ihren Körpern wahr. Ihre Körpersprache, ihre Umgangsweisen, die Balance zwischen Berührung, Nähe und Distanz werden von Gewohnheiten in ihren Familien, in den Einrichtungen und nach und nach auch von allgemein geltenden kulturellen Normen beeinflusst. Kinder haben Bedürfnisse nach körperlicher Zuwendung und daraus erwachsender emotionaler Sicherheit. Werden ihnen diese erfüllt, drücken sie Wohlbefinden durch ihren Körper aus. Kinder erfahren aber auch Zurückweisung und Gewalt und zeigen negative Emotionen, wie Aggression oder Traurigkeit auch über ihren Körper. Sich im eigenen Körper wohl zu fühlen und von Anderen akzeptiert zu werden, sind ebenfalls elementare Voraussetzungen für gelingende Bildungsprozesse von Kindern.
Sinnesanregungen, Bewegung, Entspannung, gesunde Ernährung und eine gesunde Umwelt sowie die Akzeptanz in ihrer Körperlichkeit sind grundlegend für das Wohlbefinden von Kindern. Körperliches und seelisches Wohlbefinden tragen dazu bei, dass Kinder phantasievoll spielen, kreativ arbeiten und sich so nachhaltig bilden.
2.1.3 Räume und Bildung
Bildungsraum
Räume stellen sich durch das Handeln der Menschen her, vor allem durch Handeln zwischen Menschen, durch Interaktion und Kommunikation. Wenn wir von Tageseinrichtungen als Bildungsraum sprechen, dann sind damit nicht nur Zimmer, Orte, Gelände oder Plätze gemeint. Bildungsräume sind - so verstanden - auch Situationen und Gegebenheiten, in denen Bildungsprozesse möglich und wahrscheinlich werden, weil diese so gestaltet sind, dass sie den Kindern Anregungen und Herausforderungen bieten, aber auch Schutz und Ruhe. In diesem Verständnis entsteht für Kinder Raum, in dem sie Gefühle zeigen, Interessen entdecken, Eindrücke aufnehmen, Anderen begegnen, sich ausprobieren, teilhaben und vertrauen können.
Bildungsräume für Kinder sind nie fertig, sondern fortwährend in einem Gestaltungsprozess, der im Wesentlichen durch die Kinder selbst, ihr Handeln und ihre Teilhabe an Entscheidungsprozessen bestimmt wird.
Innenräume
Bildungsräume sind auch konkrete Orte. Räume und ihre Beschaffenheit - ihre Lage im Haus, ihre Dimensionen und Proportionen, die Lichtverhältnisse, ihre Ausstattung und ihre Gestaltung beeinflussen Erleben und Handeln von Kindern und bestimmen so auch deren Bildungsprozesse. Damit Räume Bildungsprozesse von Kindern unterstützen und herausfordern, müssen sie besonders achtsam konzipiert sein. Die Gestaltung von Räumen orientiert sich dabei sowohl an deren Funktion als auch an ihrer beabsichtigten Wirkung. Neben den Räumen, die Kinder hauptsächlich zum Spielen und Arbeiten nutzen, sind Eingangsbereiche, Garderoben, Flure, Waschräume und Schlafräume bewusst zu gestaltende Bildungsräume.
Räume sind entsprechend den Bedürfnissen von Kindern so eingerichtet, dass sie Bewegung herausfordern statt einzuschränken. Dazu bedarf es vielfältiger Möglichkeiten und Anreize in allen Dimensionen des Raumes, damit Kinder Höhe und Tiefe, Länge und Breite, Richtungen und Abstände, Abgrenzung und Widerstand erfahren können. Verschieden hohe Ebenen, Nischen und Rückzugsgelegenheiten sollten deshalb in jeder Raumgestaltung Berücksichtigung finden.
Klare Formen, harmonisch abgestimmte Farbgebung, differenzierte Beleuchtung, Ausgeglichenheit und Spannung in der Gestaltung, tragen dazu bei, dass Räume ihre Funktion erfüllen. Die so entstehende Raumwirkung ist Voraussetzung dafür, dass Kinder Lust verspüren, sich eingeladen fühlen und angeregt werden, sich mit den Räumen und ihrer Funktion auseinanderzusetzen.
Räume als Bildungsräume stehen allen Kindern jederzeit zur Verfügung. So ist es Kindern möglich, eigenständig Räume zu verlassen und aufzusuchen und dort Zeit zu verbringen.
Das Raumkonzept der Tageseinrichtung bietet bei aller Planung so viel Flexibilität wie möglich und wird mit Kindern gemeinsam weiterentwickelt, so dass sie Teilhabe an Entscheidungen und deren Realisierung erfahren können. Kinder und pädagogische Fachkräfte identifizieren sich so mehr und mehr mit den Räumen ihrer Tageseinrichtung und erleben gemeinsam Bildungsprozesse.
Außenräume
Neben den Räumen im Gebäude ist es vor allem das Außengelände, das für Kinder faszinierender und reichhaltiger Bildungsraum ist. Terrassen, Veranden, Wiesen- und Sandflächen bieten Kindern Raum zum Spielen und zum Arbeiten, zum Essen und zum Schlafen.
In der Natur bilden sich Kinder auf vielschichtige und zusammenhängende Weise. Außenräume der Tageseinrichtung sind entsprechend naturnah gestaltet. Elemente der Natur wie Sand in verschiedenen Formen, Steine, Holz und Wasser sind notwendige Materialien für Bewegung und Tätigsein von Kindern.
Außenräume sind Angebot durch ihre „Einrichtung“, wie die Bodenmodellierung mit Ebenen, Hügeln, auch Tiefen, wie Mulden und kleine Gräben, Stufen, Schrägen und Unebenheiten. Auch verschiedene Bodenbeläge, Wege und Geländer, Büsche und Bäume sind als Angebot für Kinder bewusst geplant und angelegt. Sandbereiche, Findlinge und Baumstämme sind natürliche Kletter- und Balanciermöglichkeiten, Arbeits- und Spielflächen. Bereiche mit Kräutern und Blumen, aber auch Obstbäume und Sträucher mit essbaren Früchten bieten weitere lustvolle Sinnesanregungen und Erfahrungen von Wachsen und Reifen im Jahresverlauf.
Außenraum lebt von Abwechslung. Kinder brauchen verschiedene Gelegenheiten, um sowohl Weite als auch Enge zu erfahren. Wege und Flächen zum schnellen und weitläufigen Bewegen und Bereiche der Ruhe und des Rückzugs laden zur selbstbestimmten Nutzung durch die Kinder ein.
Außenräume verändern sich ebenso wie Innenräume durch die fortwährende gemeinsame (Um-)Gestaltung von pädagogischen Fachkräften und Kindern. Nur so werden sie den jeweiligen Bedürfnissen und Interessen der Kinder gerecht.
Sozialräume
Kindertageseinrichtungen befinden sich in einer ländlichen oder städtischen Umgebung, sie liegen an einer verkehrsreichen Straße oder nah am Wald, sie sind Teil eines Neubauviertels oder einer Eigenheimsiedlung. So haben sie eine je spezifische, natürliche und gebaute Umwelt, die unterschiedliche Chancen und Herausforderungen als Bildungsort bereithält. Das Umfeld der Tageseinrichtung, die ökonomischen, kulturellen und sozialen Einrichtungen, Personen und Gruppen können ebenfalls im Sinne des Bildungsprogramms die pädagogische Arbeit in der Einrichtung unterstützen und bereichern.
In der Umgebung der Tageseinrichtung regen Wälder, Parks und Wiesen zu vielfältigen Aktivitäten an, zu Bewegung in frischer Luft, zum Beobachten, zum Erforschen, auch zu kreativem Tun.
Bildungsgelegenheiten sind nahezu unbegrenzt - vor allem, wenn es nur wenige Vorschriften über die Nutzung des Raums gibt. Pädagogische Fachkräfte suchen gerade solche Bildungsräume mit den Kindern auf und ermöglichen den Kindern bewusst Erfahrungen und Erkenntnisse, die innerhalb der Einrichtung nicht möglich sind.
Das „gebaute“ Umfeld der Tageseinrichtung, wie z.B. Geschäfte und Produktionsstätten, Bibliotheken, Theater und Museen, Sportplätze und Schwimmbäder, Baustellen und öffentliche Verkehrsmittel werden ebenfalls als Bildungsraum genutzt.
Kinder erleben bei Ausflügen in ihre Umgebung, wo die Dinge, die sie nutzen, herkommen und von welchen Menschen sie gemacht, gepflanzt und gepflegt werden. Vielfältige Beziehungen und Zusammenhänge werden für sie erlebbar, wenn sie selbst in der Erde graben, auf der die Erdbeeren wachsen, die sie später genießen, aber auch, wenn sie eine Müllhalde betrachten und den Bau einer Straße verfolgen. Solche unmittelbaren Kontakte und Erlebnisse stoßen bei Kindern viele Fragen an, lassen sie nachdenken und auch eigene Verantwortung erkennen. Die Kontakte zu unterschiedlichen Personen mit für sie wichtigem Wissen und Können erweitern ihr Bild von der Welt und ermöglichen Kindern reichhaltige Bildungsanregungen.
Material
Alles, was in der Tageseinrichtung - innen wie außen - für Kinder greifbar ist, beeinflusst ihre Bildungsprozesse, bereichert oder beschränkt diese. Kinder nutzen alles als Material zum Spielen und zum Arbeiten auf vielfache Weise. Treppenstufen, Geländer, Türen, Lichtschalter, Tische, Matratzen, Regale, Dinge des täglichen Gebrauchs wie Röhren, Pappkartons, Töpfe, Tücher, Korken, Geschirr, Werkzeuge jeglicher Art und nicht zuletzt Bäume, Muscheln, Steine, Früchte, Sand, Wasser werden zum Rohstoff und dienen damit als Ausstattung für Bildungsprozesse von Kindern. Solches Material muss vorhanden sein, für Kinder frei zugänglich und nutzbar.
All diese Gegenstände, Materialien und Werkzeuge wirken sich auf den Reichtum kindlicher Bildungsprozesse positiv aus. Sie sind in ihren Funktionen offen und lassen vielfältige Handlungsmöglichkeiten zu, sie regen alle Sinne an, beflügeln die Fantasie der Kinder und fesseln ihre Aufmerksamkeit.
Sämtliche Materialien, Gegenstände, Werkzeuge und auch Spielsachen müssen daraufhin überprüft werden, ob sie die Bildungsprozesse der Kinder in diesem Sinne anregen und unterstützen.
Um dem täglichen Gebrauch vieler Kinder standzuhalten, muss Material robust sein. Kinder gehen aber auch mit wertvollen, fragilen, zarten und zerbrechlichen Dingen um und lernen, sie vorsichtig und wertschätzend zu behandeln. Jede Tageseinrichtung hat deshalb auch „Schätze“, also Gegenstände und Materialien, die hochwertig verarbeitet sind und aus wertvollen Rohstoffen bestehen.
Alle Materialien müssen sicher sein. Sie dürfen keine Verletzungsgefahr darstellen und müssen frei von Schadstoffen sein. Materialien sollten immer auf ihre pädagogische Nachhaltigkeit hin überprüft werden. Das gilt besonders für sogenannte Spielsachen. Nachhaltig für die Bildungsprozesse von Kindern sind Materialien, wenn sie das Interesse der Kinder lange und immer wieder fesseln. Nachhaltig für die Umwelt sind Materialien, die schadstofffrei und mit geringem Energieaufwand aus erneuerbaren Rohstoffen und möglichst regional gefertigt sind.
Materialen müssen nicht neu, sollten aber funktionsfähig und unbeschädigt sein. Auch ausgewählte, gebrauchte Gegenstände können Verwendung in Tageseinrichtungen finden. Allerdings ist nicht der für Erwachsene überflüssig gewordene Müll gemeint!
Spuren der Kinder
Die Tageseinrichtung ist Lebensraum, der für Kinder gedacht ist und von Kindern belebt und gestaltet wird. Bei allem was Kinder tun verändern sich Raum und Material - Kinder hinterlassen Spuren. Spuren können beispielsweise Gemaltes, Gebautes, Geformtes, Fotografiertes, Gesammeltes, Mitgebrachtes, auch Gesprochenes sein. Durch diese Spuren werden für Andere ihre Themen und ihre Individualität sichtbar. Kinder entscheiden, was damit geschieht: über welchen Zeitraum Dinge stehenbleiben, wo sie aufgehängt oder hingestellt werden und welche nicht gezeigt werden sollen. Alle Räume der Tageseinrichtung sind Lebensraum der Kinder und somit Orte, an denen ihre Spuren sichtbar werden können.
Spuren der Kinder - sichtbar gemacht - dienen dazu Begonnenes weiterzuführen, mit anderen ins Gespräch zu kommen und angeregt zu werden. Dadurch erleben Kinder, dass die Tageseinrichtung ihr Bildungsraum ist, in dem sie ihre Ideen verwirklichen können, ihren Gedanken und Gefühlen Ausdruck verleihen können und dass diese dort wertgeschätzt werden.
Pädagogische Fachkräfte können an den Spuren der Kinder sehen, womit Kinder beschäftigt und woran sie interessiert sind. Daraus gewinnen sie bedeutsame Einsichten in Bildungsprozesse von Kindern.
2.1.4 Zeit und Bildung
Erwachsene haben feste Vorstellungen von Zeit und dem Umgang damit. Zeit lässt sich einteilen, verplanen oder vorausplanen, Minuten und Stunden lassen sich zählen, Tage werden in Abschnitte unterteilt und Jahre in Quartale. Zeit scheint nutzbarer und beherrschbarer zu sein, wenn sie eingeteilt, verwaltet und vermessen wird. Zeit wird zu einer Währung, wenn Zeit zu verlieren bedeutet, Geld zu verlieren.
Dieses Verständnis von Zeit als eine Größe, die verwaltet werden muss, um möglichst effektiv genutzt zu werden, führt dazu, dass Erwachsene stets bemüht sind, Kinder in diese Zeitordnung einzufügen. Früh hören sie von der Notwendigkeit, pünktlich zu sein und sich zu beeilen, werden ermahnt, nicht zu trödeln, sich stattdessen auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Früh erfahren sie, dass ihnen für manche Tätigkeiten nur bestimmte Zeiträume zur Verfügung stehen. Kinder wachsen so von Geburt an in von Erwachsenen strukturierter Zeit auf.
Für Kinder aber verrinnt Zeit nicht. Sie selbst sind in Zeitvorstellungen verwurzelt, die von Wiederholungen und Rhythmen geprägt sind. Bereits vor der Geburt, von ihren ersten Lebensregungen an, erleben sie Zeit durch Wiederholung und Wiederkehr. Ihnen sind der Rhythmus des Herzschlags, des Atems und der von Bewegungen vertraut. Kinder erleben Sicherheit, wenn ihnen diese zu tiefst vertrauten rhythmischen Abfolgen auch im Alltag begegnen. Vorgänge, Abläufe, Tätigkeiten, Aktivitäten und Handlungen, die verlässlich in ähnlicher Weise wiederkehren, geben Kindern Orientierung, indem sie Ereignisse vorhersehbar erscheinen lassen. Dadurch sind Kinder in der Lage, aktiv und eigenständig zu handeln und ihre Bildungsprozesse zu gestalten. Wiederkehrendes erleben Kinder umso bedeutsamer, je mehr es mit ihren individuellen Bedürfnissen und persönlichen Themen verknüpft ist. Solch emotional geprägte Zeit ermöglicht es Kindern, tiefgreifende Erfahrungen zu sammeln.
Tageseinrichtungen als öffentliche Institutionen unterliegen gewissen Zwängen der Zeitplanung und Zeiteinteilung. Die Gestaltung des pädagogischen Alltags aber darf nicht vorrangig von festen übergeordneten (Zeit-)Strukturen abhängig sein. Vielmehr orientieren sich Abläufe und Tätigkeiten an dem Zeitbewusstsein und Zeiterleben von Kindern. Dies geschieht über die bewusste Gestaltung von Schlüsselsituationen in Form von Ritualen und wiederkehrenden Rhythmen.
Über diese Schlüsselsituationen hinaus brauchen Kinder Zeiträume, die sie selbstbestimmt nutzen können ohne unterbrochen, angeleitet oder gestört zu werden. Diese unverplanten Zeiträume ermöglichen Kindern, ihre Spiel- und Arbeitsprozesse hoch konzentriert und kreativ zu gestalten.
2.2 Kinder als Individuen
Jedes Kind kommt als einzigartiger Mensch zur Welt. Seine Persönlichkeit wird durch unterschiedliche Einflüsse geprägt. Hierzu gehören zunächst individuelle genetische Anlagen und Erfahrungen während der Zeit der Schwangerschaft, in der das Kind auf das Engste mit seiner Mutter verbunden war. Mit dem ersten Atemzug erweitert sich das Erfahrungsspektrum und prägt seine weitere Entwicklung. Die spezifischen Eigenheiten und Verhaltensweisen der Menschen, die es umgeben, beeinflussen das Kind ebenso wie deren kulturelle und religiöse Orientierungen und materielle Gegebenheiten.
Kinder entwickeln sich in ihrem je eigenen Tempo und auf ihre eigene Weise, sie wählen Themen selbst aus und entscheiden, wann sie sich mit ihnen engagiert auseinandersetzen - dabei gehen sie mit großer Neugierde und Bereitschaft, Neues zu erfahren auf ihre Umwelt zu und nehmen sie mit all ihren Sinnen wahr. Sie verarbeiten ihre Wahrnehmungen, indem sie neue Eindrücke mit ihren bereits vorhandenen Erfahrungen abgleichen. Nach und nach entwickeln sie so ihr individuelles Bild von sich selbst und von der Welt, in der sie leben. Dabei treffen sie auf Bekanntes und Vertrautes genauso wie auf Unbekanntes und Irritierendes.
In diesen Bildungsprozessen lernen Kinder vor allem durch aufmerksames Beobachten, durch beständiges Erproben, durch Wiederholung und Nachahmung. Sie lernen an jüngeren, gleichaltrigen und älteren Vorbildern.
Allen Kindern stellen sich in ihrem inneren und äußeren Wachsen ähnliche Entwicklungsthemen und -herausforderungen. Jedes Kind strebt danach, diese zu bearbeiten, um so eine nächste Wegstrecke in seiner Entwicklung zu bewältigen. Diese notwendigen Prozesse, die Ausbildung einer kulturellen und geschlechtlichen Identität, die Auseinandersetzung mit Grundthemen des Lebens oder das Ringen um Autonomie und Teilhabe sind für Kinder in jedem Lebensalter von großer Bedeutung und nicht nur bestimmten Lebensphasen zuzuordnen.
Daher werden traditionelle Denkweisen, die die Entwicklung der Kinder nach Altersstufen (Null- bis Dreijährige, Drei- bis Sechsjährige und Ältere) oder gar nach Jahrgängen einteilen, den Bildungsprozessen der Kinder nicht gerecht. Wenn also im Folgenden von Kindern in den ersten Lebensjahren oder von älteren Kindern die Rede ist, so dienen diese Einteilungen nicht als Richtwerte, nach denen man die Entwicklung der Kinder messen könnte. Vielmehr wird gezeigt, dass sich Bildungsprozesse der Kinder in den Lebensphasen unterscheiden. Die Themen der Kinder und die Formen, wie sie diese bearbeiten, entwickeln und verändern sich, entstehen neu und variieren nach Gegebenheiten und ihren Interessen.
2.2.1 Kinder unter drei Jahren
Die ersten drei Lebensjahre eines Kindes sind die intensivsten und nachhaltigsten Bildungsjahre. Es ist die Phase im Lebensverlauf, in der sich das Gehirn am schnellsten entwickelt und die meisten Synapsen, also Verknüpfungen zwischen Nervenzellen, gebildet werden. Jede Erfahrung und jedes Erlebnis eines Kindes führen zu solchen Verknüpfungen im Gehirn. Diese bilden Ausgangspunkt und Grundlage für jegliches weitere Lernen.
Neugierig sein
Von Geburt an sind Kinder bestrebt, Neues zu entdecken und dies voller Freude und Lust zu tun. Dieses Bedürfnis kann als ein permanenter innerer Antrieb verstanden werden, sich mit Neugierde der Umgebung zuzuwenden und nach Interessantem und Überraschendem zu suchen. Nehmen Kinder Reize in ihrer Umgebung als herausfordernd und lustvoll wahr, löst dies Glücksgefühle, Wohlbehagen und Zufriedenheit in ihnen aus. Das Bedürfnis, dieses immer wieder zu erleben, ist der innere Motor für Entwicklung.
In den ersten Lebensjahren steht für Kinder im Vordergrund, den eigenen Körper zu erkunden und zu steuern, über sprachliche und nichtsprachliche Formen zu kommunizieren, eigene Bedürfnisse, Befindlichkeiten und Interessen auszudrücken, das eigene „Ich“ zu entdecken und es bewusst von dem „Anderen“ zu unterscheiden. Besonders beim Wickeln, beim Essen, beim Schlafengehen und Aufstehen sind Kinder interessiert an allem was damit zu tun hat, nutzen beständig Gelegenheiten sich auszuprobieren und bringen sich mit ihrem Körper aktiv ein. In diesen Situationen beteiligen sich Kinder an Dingen, die sie selbst betreffen. Die Suche der Kinder nach reizvollem Neuen zu begleiten und zu unterstützen, ihnen in ihrem Grundbedürfnis nach Bindung und Nähe und ihrem Bestreben nach Autonomie und selbsttätigem Entdecken von Welt gerecht zu werden, ist für pädagogische Fachkräfte eine zentrale Aufgabe.
Beziehungen aufbauen
Während ihrer Zeit im Mutterleib sind Kinder aufs Engste mit ihrer Mutter verbunden. Verbundenheit brauchen Kinder auch nach der Geburt, als Grundlage für ihr Wohlbefinden. Sie fühlen sich verbunden mit Menschen, auf die sie sich verlassen und denen sie vertrauen können, von denen sie verstanden werden und die ihre Signale angemessen beantworten. So entstehen sichere Bindungen -in der Regel zunächst zu den Eltern.
Da sichere Bindungen grundlegende Voraussetzung für Bildungsprozesse und Entwicklung sind, übernehmen in Tageseinrichtungen pädagogische Fachkräfte die verantwortungsvolle Aufgabe, Bindungsperson für Kinder zu sein. Kinder bemühen sich aktiv und mit ihrem ganzen Körper um Kontakt, Aufmerksamkeit und Zuwendung. Kinder und pädagogische Fachkräfte bauen Bindungen zueinander auf, für deren Gestaltung vor allem die pädagogischen Fachkräfte verantwortlich sind. Sie geben Kindern Geborgenheit und Schutz, verstehen deren Signale und reagieren angemessen darauf, spenden Trost und Zuwendung. Pädagogische Fachkräfte geben jüngeren Kindern den wichtigen Körperkontakt, berühren sie einfühlsam und sensibel, tragen und wiegen sie bei Bedarf in ihren Armen. Besonders in den ersten Lebensjahren verlangen Kinder danach, gehalten, gestreichelt und getragen zu werden. Achtsame Berührungen sind für sie die Basis für die Ausbildung ihres Körpergefühls, ihres Tastsinns und für den Aufbau von Beziehungen. Kinder brauchen körperliche Nähe zu vertrauten Menschen, um ihr Wohlbefinden aufrechtzuerhalten oder es wieder herzustellen, wenn Situationen für sie bedrohlich sind, sie sich müde oder krank fühlen und um neue Kraft zu schöpfen. Pädagogische Fachkräfte sorgen mit ihrer einfühlsamen körperlichen Zuwendung dafür, dass Kinder sich als wertvoll und zugehörig erleben. Dieses Gefühl der Verbundenheit gibt Kindern die Sicherheit die sie brauchen, um sich mit Freude und Lust ihrer Umgebung zuwenden zu können.
Sinnliche Erfahrungen sammeln
Sinnliche Wahrnehmungen sind basale Erfahrungen, die sich im Gehirn einprägen, zum Aufbau und zur Stabilisierung verschiedener Verschaltungsmuster führen und als „innere Bilder“ abgespeichert werden. Alle danach folgenden Bildungsprozesse der Kinder werden durch ihre frühesten Sinneserfahrungen mitbestimmt.
Kinder suchen in ihrer Umgebung neugierig nach interessanten Sinneseindrücken, schauen, horchen, riechen, schmecken und tasten alles für sie Erreichbare. Zur Erkundung ihrer Umwelt sind für Kinder alle Sinne gleich wichtig und brauchen somit gleichermaßen Beachtung und Anregung. Erfahrungen sind für Kinder besonders reichhaltig, wenn sie mit allen Sinnen zugleich gemacht werden. Pädagogische Fachkräfte ermöglichen Kindern, vielfältige sinnliche Erfahrungen zu sammeln, indem sie Kindern Gelegenheit geben und Räume öffnen, verschiedene Gegenstände und Dinge - des Alltags und der Natur - zu beobachten und ihnen Geräusche zu entlocken, sie zu befühlen und zu schmecken.
Babys und Kleinkinder machen wesentliche sinnliche Erfahrungen beim Erforschen ihres eigenen Körpers. Sie saugen an ihren Fingern und greifen nach ihren Füßen, erforschen alle Teile ihres Körpers, auch dessen Ausscheidungen. Pädagogische Fachkräfte ermöglichen Kindern die Erkundung ihres Körpers und geben ihnen Zeit dafür, besonders beim Wickeln und Waschen. Weitere Gelegenheiten sind zum Beispiel das Barfußlaufen, das Planschen im Wasser, das Experimentieren mit Seife oder Schaum und Sand.
Kinder interessieren sich für die Menschen in ihrer Umgebung. Sie beobachten diese, lauschen auf deren Stimmen, wollen sie betasten, riechen und schmecken. Die Reaktion pädagogischer Fachkräfte auf das Forschen der Kinder bestimmt weitgehend, wie Kinder Körperkontakt und Kommunikation mit anderen Menschen im weiteren Lebenslauf gestalten werden.
In Bewegung sein
Sinnliche Erfahrungen machen Kinder immer in Bewegung. In Bewegung kommen Kinder mit ihrer Umwelt in Kontakt, entwickeln ihr Selbstbild und ihr Körpergefühl. Zu Beginn sind es kleine Bewegungen von Zunge, Mund und Fingern, die Kinder koordinieren können. Bald darauf beherrschen sie Bewegungen von Kopf und Händen, Armen und Beinen, lernen, sich zu drehen, zu robben, zu krabbeln und schließlich zu laufen.
Bewegungsentwicklung geht mit vielen anderen Bereichen der Persönlichkeitsentwicklung einher. Mit zunehmendem Bewegungsradius entfernen sich Kinder räumlich mehr und mehr von ihren Bindungspersonen. Sie halten über Sprache Kontakt zu ihnen und erleben sich als eigenständig und entwickeln so ihr „Ich“.
Bewegung ist Teil aller Bildungsprozesse und wird von pädagogischen Fachkräften zu jeder Zeit unterstützt. Pädagogische Fachkräfte achten darauf, dass Kinder sich in jeder Situation ihren Bedürfnissen entsprechend bewegen können. Pädagogische Fachkräfte unterstützen die motorische Entwicklung von Kindern durch vielfältige Bewegungsanreize, wie z.B. durch schräge und verschieden hohe Ebenen, Gelegenheiten zum Schaukeln und Wippen sowie durch die Bereitstellung von Bällen, Fahrzeugen und genügend Platz. Sie ermuntern Kinder bei ihren ersten Krabbel-, Steh- und Gehversuchen und vertrauen ihnen, wenn sie klettern und sich beim Treppensteigen erproben.
Das eigene Ich entdecken
Kinder entdecken sich im Verlauf ihrer Entwicklung immer stärker als eigene Person, mit eigenen Gefühlen und eigenem Willen und sprechen bald von sich als „Ich“. Pädagogische Fachkräfte beteiligen Kinder von Anfang an an der Gestaltung von Rhythmen, Ritualen und Räumen. Sie ermutigen sie, z.B. mittels Farben und Papier eigene sichtbare Spuren zu erzeugen und stellen diese in den Räumen der Kinder aus. Sie sorgen dafür, dass sie in ihren Spiel- und Arbeitsprozessen ihrem individuellen Rhythmus folgen können. Pädagogische Fachkräfte geben der täglich wachsenden Selbstständigkeit von Kindern auf diese Weise Raum, sich zu entfalten und ermöglichen Kindern, zunehmend Verantwortung für sich zu übernehmen.
Kommunizieren
Kinder werden mit der Fähigkeit und der Bereitschaft zu kommunizieren geboren. So suchen sie von Anfang an den Kontakt zu anderen Menschen, wenden sich diesen zu, teilen sich ihnen mit, reagieren auf sie - sie interagieren. Dabei setzen sie Mimik, Gestik und Stimme ein und ahmen Mimik, Gestik und Geräusche ihrer Umgebung nach. Auf Sprache reagieren Kinder in besonderer Weise, denn Sprache ist ihnen bereits aus dem Mutterleib vertraut.
In der Tageseinrichtung suchen Kinder aktiv den Kontakt zu den pädagogischen Fachkräften. Sie beobachten aufmerksam den Ausdruck in deren Gesichtern und nehmen die Bewegungen, die Körpersprache der pädagogischen Fachkräfte sensibel wahr. Sie lauschen dem Klang ihrer Stimmen und sie folgen dem Rhythmus ihres Sprechens.
Kinder kommunizieren mit pädagogischen Fachkräften, indem sie mit ihrer Körpersprache und ihren Lauten ausdrücken, was sie empfinden, was sie wollen und brauchen. Sie drehen ihren Kopf weg, wenn sie Ruhe brauchen, sie spucken das Essen aus, wenn es ihnen nicht schmeckt, sie schauen, horchen oder greifen nach Menschen und Dingen, die sie interessieren.
Kinder erleben sich als Person mit ihrem ganzen Körper, dessen Empfindungen und Bedürfnissen als bedeutsam, wenn pädagogische Fachkräfte sofort und angemessen auf diese Signale reagieren.
Mit der Zeit können Kinder ihre Blicke wechseln zwischen dem Gegenstand ihres Interesses, wie einem Ball oder einer Rassel und der pädagogischen Fachkraft. Kinder vergewissern sich auf diese Weise, ob die Aufmerksamkeit der pädagogischen Fachkraft ebenso dem Ball oder der Rassel gilt. Über das gemeinsame Interesse entsteht eine Form des Austausches, die eine Erweiterung der kommunikativen Fähigkeiten darstellt.
Im Austausch mit pädagogischen Fachkräften und anderen Kindern lernen sie, sich in andere einzufühlen und deren Sicht auf die Welt nachzuvollziehen. Die Qualität der Beziehungen und die in der Tageseinrichtung gelebte Kommunikationskultur beeinflusst das Erleben, Fühlen und Handeln von Kindern und fließt in ihr Bild von sich selbst und der Welt ein.
Pädagogische Fachkräfte drücken durch die sensible Wahl ihrer Worte und Sprache und durch eindeutige Mimik und Gestik ihren Respekt gegenüber den Gefühlen und Bedürfnissen der Kinder aus.
Kinder in den ersten Lebensjahren können ihr Wohlbefinden nur bedingt selbst wieder herstellen, wenn dieses aus dem Gleichgewicht geraten ist. Deshalb brauchen sie die Unterstützung pädagogischer Fachkräfte bei der Erfüllung ihrer Bedürfnisse und finden mit ihnen gemeinsam zu Wohlbefinden beim Essen wie beim Trinken, beim Wickeln wie beim Waschen, beim Einschlafen wie beim Ankleiden, beim Erzählen wie beim Singen.
In allen Situationen, in denen miteinander Wohlbefinden hergestellt wird, entwickeln Kinder ihre Kompetenzen fort, sich sprachlich und körperlich mit anderen Kindern und den pädagogischen Fachkräften zu verständigen. So erleben sie bereits in dieser frühen Phase grundlegende Formen von Teilhabe.
2.2.2 Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Beginn der Schulpflicht
Kinder haben in den ersten Lebensjahren bereits einen reichen Erfahrungsschatz gesammelt, ihre Kompetenzen erweitert und viele Fähigkeiten erworben. Dazu gehören die differenziertere Wahrnehmung von Welt, die Verfeinerung von Bewegungsabläufen, die Erweiterung ihrer Möglichkeiten, sich auszudrücken und sich zu beteiligen. Kinder haben ausgehend von sicheren Bindungen auch das Netz ihrer Beziehungen zu anderen Kindern und zu Erwachsenen zunehmend vergrößert. Kinder nutzen ihr wachsendes Einfühlungsvermögen und ihre sprachlichen Fähigkeiten, um ihr Beziehungsnetz zu erweitern. Sie bauen so neben kurzfristigen, auch intensive und über längere Zeit stabile Freundschaften auf.
Kommunizieren
Kinder dieser Altersphase nutzen mit viel Freude und Engagement vielfältige Ausdrucksformen gleichzeitig und verbinden diese miteinander. Auf diese Weise treten sie in Beziehung zu anderen, ergründen deren Themen von verschiedenen Seiten und entwickeln eigene Ideen und Ausdrucksformen. Dabei wird das Sprechen immer wichtiger in der Kommunikation mit anderen Kindern und den Erwachsenen.
Auch wenn sie tanzen und musizieren, bauen und konstruieren, sortieren und gestalten, sich verkleiden und Bilder betrachten, begleiten Kinder dies immer öfter mit Sprache. Sie finden und erfinden neue Begriffe und erweitern so ihren Wortschatz. Kinder experimentieren mit Lauten und verfeinern so ihren sprachlichen Ausdruck. Sie sprechen zunehmend in komplexeren Sätzen, verknüpfen Sinnzusammenhänge und bilden immer öfter Sätze nach den Regeln der Grammatik.
Sie sind fasziniert von Symbolen, Zeichen und Ziffern, von Buchstaben und Wortbildern, die sie immer wieder in ihrer Umgebung wahrnehmen. Diese erkunden sie neugierig und verwenden sie in ihrer Kommunikation mit Kindern und Erwachsenen.
Kinder nutzen Sprache zunehmend bewusst, gezielt und geplant als Werkzeug zur Erforschung der Welt und setzen sie ein, um ihre gewonnenen Erkenntnisse auszudrücken.
Erfahrungen nutzen
Kinder in dieser Lebensphase begreifen sich und die Welt durch ihre eigenen sinnlichen Erfahrungen und leiten nun komplexeres Wissen über Ursache und Wirkung daraus ab. Kinder denken im Tun. Handlungen und Erlebnisse, die sie sinnlich und emotional berühren, sind für sie bedeutsam und prägen nachhaltige Bildungsprozesse. Springen Kinder lustvoll in eine große Pfütze oder klettern sie mutig auf hohe Bäume, greifen sie dabei auf bereits gemachte Erfahrungen und vorhandenes Wissen zurück. Sie ordnen und sortieren diese Erfahrungen, erkennen Ähnlichkeiten und Unterschiede und leiten daraus Zusammenhänge und Kategorien ab. Auf diese Weise entwickeln Kinder ihr Wissen weiter und wenden es auf neue Erfahrungen an.
Pädagogische Fachkräfte ermöglichen Kindern dieses Erfahrungslernen, indem sie Räume und Materialien bereitstellen und Gelegenheiten schaffen, die Kinder herausfordern über sich hinauszuwachsen. Das kann bedeuten, reichliches und differenzierteres Material zum Ausprobieren und Experimentieren zur Verfügung zu stellen, um komplexeres Tun zu ermöglichen, wie verschiedene Sorten von Sand, Ton, Lehm, Erde und unterschiedliche Steinarten. Kinder brauchen auch größere Bausteine und diese in großen Mengen, um über die eigene Körpergröße hinaus zu bauen. Tücher und Stoffe, Seile und Behältnisse ermöglichen ihnen, den Raum komplett zu verändern und auch große Möbel einzuwickeln. Für Kinder dieser Altersphase ist es wichtig, komplexere Erfahrungen als bisher zu machen.
Sich in Zeit und Raum orientieren
Kinder in dieser Altersspanne wollen selbstbestimmt ihre begonnenen Tätigkeiten fortführen und beanspruchen dafür mehr zusammenhängende Zeit. Sie erarbeiten sich eine Vorstellung von Zeitverläufen und erkennen zunehmend Unterschiede und Zusammenhänge zwischen Vergangenem und Zukünftigem. Sie kennen ihre gewohnten zeitlichen Rhythmen und erwarten deren Eintreten. Kinder können immer besser eigene Pläne entwickeln und einschätzen, wie und wann sie diese im Tagesablauf umsetzen wollen.
Mit ihrer wachsenden Orientierungsfähigkeit in Zeit und Raum entwickeln Kinder ein immer größeres Maß an Selbstständigkeit. Das erweitert zugleich ihre Fähigkeit zur Übernahme von mehr Verantwortung. Pädagogische Fachkräfte unterstützen dies, indem sie Tagesabläufe für Kinder transparent und vorhersehbar gestalten und die vielen täglichen Übergänge im Tagesverlauf durch Rituale begleiten. Pädagogische Fachkräfte nehmen das Recht der Kinder auf Beteiligung ernst. Sie hören die Wünsche der Kinder und regen Kinder an, ihre Bedürfnisse zu äußern. Die zunehmende Selbstständigkeit der Kinder verlangt, diese immer mehr an Entscheidungen über die Gestaltung des Tages zu beteiligen.
Individualität gestalten
Kinder erleben sich nun bewusster als eigenständige Person, sprechen von sich in der Ich-Form, erkennen an sich Merkmale, Eigenschaften und Vorlieben, die sie benennen. So wissen sie ihren Namen und ihr Alter, sie haben Lieblingsfarben, Lieblingsessen und Lieblingslieder. Sie verstehen aber vor allem, dass ihr Innerstes ihnen gehört, dass es nicht von Erwachsenen einsehbar ist - Erwachsene ihre Gefühle und Gedanken nicht sehen können. Haben Kinder diese Erkenntnis gewonnen, können sie bestimmte Dinge für sich behalten und Geheimnisse haben. Kinder entwickeln so die Vorstellung von sich selbst als einzigartiger und eigenständiger Persönlichkeit. Diese Erfahrung ist elementar für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes. Pädagogische Fachkräfte respektieren dies als einen Ausdruck von Autonomie und wissen, dass Kinder dadurch Abgrenzung schaffen.
Kinder im Alter zwischen drei Jahren und dem Beginn der Schulpflicht erkennen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen sich und Anderen. Sie tun dies, indem sie vergleichen - ihre Körpergröße, ihre Kraft und ihre Art, sich auszudrücken. Durch den Abgleich grenzen sie sich von Anderen ab und ordnen sich Anderen zu.
Rollen spielen
Kinder erarbeiten sich Wissen über sich und Andere, indem sie Andere beobachten, Märchen und Geschichten hören, im Spiel selbst in verschiedene Rollen schlüpfen und diese so erproben. Im Rollenspiel erweitern sie ihre Wahrnehmung und ihre Fähigkeiten, ihre Möglichkeiten und ihre Grenzen. So verwandeln sie sich in Pferde oder Drachen, in Feen oder Ritter. Kinder machen sich in diesen Momenten deren Wildheit, Anschmiegsamkeit, Zauberkraft und deren Macht zu eigen, die sie selbst gerade brauchen. Kinder haben Zugang zu eigenen fantastischen Vorstellungswelten. Sie spielen darin die Rollen ihrer mutigen Helden selbst, besitzen Zauberkräfte oder haben unsichtbare Helden als Begleiter, Berater und Beschützer an ihrer Seite. Pädagogische Fachkräfte wissen um die Bedeutung der Rollenspiele als Ausdruck der Auseinandersetzung mit und Verarbeitung von Welt. Sie stellen sicher, dass Kinder genügend Raum und Zeit zur Verfügung haben, um diesen wichtigen Prozessen nachzugehen und achten darauf, Rollenspiele nicht zu bestimmen oder zu unterbrechen.
Jungen und Mädchen - Mädchen und Jungen
Besonders wichtig für Kinder wird jetzt die Auseinandersetzung mit dem Thema Geschlecht. Sie suchen nach eindeutigen Botschaften und Aussagen dazu in ihrer Umgebung und entwickeln Annahmen darüber, was „typisch Junge“ oder „typisch Mädchen“ ist. Sie ordnen Andere nach diesen Mustern ein und erwarten ein bestimmtes Verhalten von ihnen. Sie orientieren ihr eigenes Verhalten stark an geschlechtstypischen Rollenbildern. Dies ist für Kinder notwendig, um ihre geschlechtsspezifische Identität entwickeln zu können und um sich einem Geschlecht zugehörig zu fühlen. Pädagogische Fachkräfte wissen, dass Geschlechterrollen Kindern Sicherheit bieten und gestalten die räumliche und materielle Umgebung so, dass Jungen und Mädchen je typisches Material finden.
Pädagogische Fachkräfte wissen aber auch, dass Kinder in einer Gesellschaft aufwachsen, die vielfältigere Anforderungen und Erwartungen an Frauen und Männer stellt, die über starre Rollenbilder hinausgeht. Das erweitert das Bild von Männlichkeit und Weiblichkeit und ihren Lebensläufen. Für pädagogische Fachkräfte erwächst daraus die Verantwortung, Kinder über das „Typische“ hinaus zu konfrontieren und zum Ausprobieren anderer Rollenmuster zu ermutigen. Pädagogische Fachkräfte überprüfen und hinterfragen dabei ihr eigenes Rollenverständnis und finden heraus, in welcher Art und Weise eigene Stereotype den pädagogischen Alltag beeinflussen.
Die Erweiterung festgeschriebener Rollenbilder bedeutet, die Tageseinrichtung so zu gestalten, dass Kinder reichhaltige Erfahrungen mit dem „Anderen“ machen können. Gemeinsam mit den Kindern richten pädagogische Fachkräfte Bereiche zum Verkleiden ein, zum Beispiel mit Kleidern, mit Anzügen, Helmen und Schwertern, mit Masken und Tierkostümen. Die differenzierte Betrachtung von Geschlechterrollen heißt auch, dass Jungen und Mädchen selbstverständlich mit Puppen und Fußball spielen. Ein sensibler Umgang mit den Geschlechtern ist auch im Bücherangebot zu erkennen. Bücher, die z.B. nur das Bild von „starken Männern“ und „schwachen Frauen“ vermitteln, tragen dem nicht Rechnung.
Regeln finden
Kinder dieser Altersphase orientieren sich an den Regeln, die in ihrer Umgebung gelten. Regeln garantieren ihnen Verlässlichkeit. Sie kennen, erinnern und befolgen mit zunehmendem Alter ausgesprochene und unausgesprochene Regeln, die in ihrer Lebenswelt bedeutsam sind. Pädagogische Fachkräfte beteiligen deshalb Kinder zunehmend an Entscheidungs- und Abstimmungsprozessen, die das Zusammenleben in der Tageseinrichtung regeln.
Mädchen und Jungen erproben die Gültigkeit bestimmter Regeln an verschiedenen Orten, in verschiedenen Situationen und reizen Handlungsräume aus. Im Austausch mit anderen Kindern und Erwachsenen diskutieren sie Regeln, verteidigen diese, wandeln diese gemeinsam ab oder stellen neue auf. Sie bestrafen Regelabweichungen untereinander und sind empört und enttäuscht, wenn Erwachsene sich nicht an geltende Regeln halten. Im Streiten über Regeln erleben Mädchen und Jungen, wie sie mit ihrer Art zu argumentieren, Wirkungen erzielen. Sie erleben aber auch, dass es verschiedene Sichtweisen und Lösungsvarianten gibt.
2.2.3 Kinder im Schulalter
Kinder in dieser Altersphase haben ihre Wahrnehmungen mit all ihren Sinnen immer mehr verfeinert und Erfahrungen durch eigenes Tun und direktes Erleben gesammelt. Darauf aufbauend können sie allmählich auch abstrakte, formelle Erkenntnisse mit ihrem Wissen verbinden und sich auch auf diese Weise bilden. Sie haben gewohnte Abläufe, Rhythmen und Rituale aus ihrer Familie und der Tageseinrichtung verinnerlicht, bewegen sich darin selbstständig und wenden erlernte Verhaltensweisen an. So können sie viele ihrer körperlichen und sozialen Bedürfnisse selbst erfüllen. Mit dem Rückhalt sicherer Bindungen setzen sie sich mit neuen Herausforderungen auseinander und erweitern so mehr und mehr die Grenzen ihres Tuns.
Übergänge bewältigen
Der Übergang von der Tageseinrichtung in die Schule oder auch in eine neue Tageseinrichtung ist für Kinder ein bedeutsamer Zeitabschnitt ihres Lebens, der die meisten Kinder mit Stolz erfüllt. Schulkinder grenzen sich gern deutlich ab von den jüngeren Kindern, denn sie schätzen sich gegenüber den „Jüngeren“ als älter und deshalb fähiger ein und wissen, dass ihnen von den Erwachsenen offensichtlich viel mehr zugetraut wird. Der Wechsel an die weiterführende Schule nach Beendigung der Grundschulzeit ist ebenfalls ein wichtiger Übergang im Lebensverlauf, wenn auch nicht immer mit so gravierenden Umbrüchen und Änderungen für Kinder und auch für ihre Eltern begleitet, wie beim Wechsel von der Kindertageseinrichtung in die Institution Schule. Dem Wechsel in die Mittelstufe sehen die Schulkinder mit klareren Erwartungen und Hoffnungen aber auch Ängsten und Unsicherheiten entgegen.
Mit dem Eintritt in die Grundschule, in eine andere Tageseinrichtung und später in die weiterführende Schule stehen Kinder immer wieder vor der Aufgabe, sich in neuer Umgebung zu orientieren. Sie müssen sich in fremden Räumen, zwischen vielen noch unbekannten Menschen und in neuen Zeitstrukturen zurechtfinden. Für Kinder wächst das Maß an Verantwortung für sich selbst und für die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse zu sorgen. Sie stehen vor der Herausforderung, eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten selbstbewusst in unbekannte Situationen einzubringen und vor Anderen darzustellen, was sie können.
Kinder müssen in der Schule ihre individuellen Impulse gegenüber dem dort gelebten Zeitrhythmus, den meist einheitlichen Arbeitsinhalten und -zielen sowie den umfangreichen Verhaltensregeln zurückstellen. In ihrer Schulklasse sind sie gefordert, sich viele Stunden am Tag mit der Gruppe ihrer Mitschüler und mit Lehrern zu arrangieren, die sie sich selbst nicht aussuchen können. All dies verlangt ihnen ein hohes Maß an sozialer Kompetenz ab.
Gleichzeitig erleben Kinder von Seiten ihrer Familien und ihrer Lehrer hohe und konkrete Erwartungen an die Ergebnisse ihrer formellen Bildungsprozesse. Ihre Persönlichkeit und ihre Fähigkeiten werden oft an der Qualität ihrer schulischen Leistungen gemessen und danach eingeschätzt und bewertet. Auch unter Gleichaltrigen haben Schulleistungen eine große Bedeutung.
Kommunizieren
Sprache wird nun zum zentralen Medium der Kommunikation mit Erwachsenen und anderen Kindern. In der Schule wird Sprechen als nahezu einziges Mittel zum Ausdruck und zur Verständigung akzeptiert. Ein reicher Wortschatz, die Fähigkeit, verständlich zu artikulieren, Sätze grammatikalisch korrekt zu bilden und Sinnzusammenhänge treffend zu formulieren sind Voraussetzungen für formelle Bildungsprozesse, wie sie in der Schule zumeist stattfinden.
Auch für die Kommunikationsprozesse zwischen Gleichaltrigen wird Sprache zu einem wichtigen Medium. Es geht darum, die richtigen Worte zu kennen und zu nutzen, um in der Gruppe anerkannt zu werden.
Über Gemeinsamkeiten und Unterschiede, über Rang und Positionen in selbst gewählten Gruppen wird zumeist sprachlich verhandelt. Spitznamen, Koseworte, Spottlieder und Hänseleien zeigen, dass Kinder inzwischen fantasievoll mit Sprache als Werkzeug umgehen können.
In diesem Alter beginnen Kinder, über Erlebtes und Erdachtes zu erzählen. Sie finden nach und nach Darstellungsformen, die ihre Zuhörer fesseln, zum Lachen bringen oder nachdenklich stimmen. Insbesondere das Witzeerzählen verlangt von ihnen hohe sprachliche Kompetenz, weil sie komplexe Zusammenhänge in aller Kürze und pointiert zum Ausdruck bringen. Dabei verwenden sie mit Vorliebe Worte, deren Benutzung außerhalb der Sprachform des Witzes verboten ist und umgehen so lustvoll geltende Regeln.
Später lernen sie, Witze zu erzählen, deren Pointen auf der Doppeldeutigkeit von Begriffen beruhen. Dies setzt voraus, dass Kinder die Perspektive des Zuhörers übernehmen können.
Man kann den Eindruck gewinnen, dass Kinder sich in dieser Altersphase unablässig streiten. Das Streiten trägt dazu bei, Regeln und Normen für das gemeinsame Handeln zu finden. Dabei lernen Kinder, mittels Sprache zu argumentieren, zu überzeugen, sich einander zu verpflichten. Sie lernen, von eigenen Absichten und Zielen abzuweichen, nachzugeben und Kompromisse auszuhandeln. Damit gestalten und sichern Kinder ihre Beziehungen und Freundschaften.
Für alle in dieser Altersphase wichtigen Themen und Interessen brauchen sie die Fähigkeit, sich sprachlich angemessen auszudrücken. Kinder, die dieses nicht können, geraten in Gefahr, von Gleichaltrigen nicht beachtet oder ausgegrenzt zu werden.
Kinder mit kommunikativen Einschränkungen erleben häufig auch von Erwachsenen Nichtbeachtung oder gar Ablehnung.
Kinder in dieser Altersspanne wissen bereits, dass aneinandergereihte Buchstaben und Worte Sinn ergeben und dass damit Informationen ausgetauscht werden. Sobald sie selbst Schrift einsetzen und diese auch verstehen, erkennen sie, dass das Schreiben und das Lesen für sie nun als weitere wichtige Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen.
Die Fähigkeit zu schreiben bemächtigt sie, selbstbestimmt etwas auszudrücken, das bleibt und immer wieder verwendet werden kann, ob Einkaufszettel oder Liebesbrief. Die Fähigkeit zu lesen eröffnet andere Welten und ermöglicht neues Wissen zu erschließen - bewusst und unbewusst.
Sprechen, Lesen und Schreiben werden in dieser Altersspanne zum Schlüssel, um Werte und Normen, Gefühle und Gedanken, Fragen und Zweifel, Ideen und Fantasien für sich zu klären, auszudrücken und anderen mitzuteilen.
Selbst- und fremdbestimmte Zeit erleben
Mit dem Schuleintritt erleben Kinder zum ersten Mal die Trennung von Arbeit und Freizeit als fremdbestimmte und selbstbestimmte Zeit. Die Zeit außerhalb der Schule, ihre Freizeit und die Ferien bekommen so für sie einen besonderen Stellenwert im Tages-, Wochen- und Jahresverlauf.
Schulkinder wollen die Balance ihres Wohlbefindens zwischen Anspannung und Entspannung auf ihre Weise selbst herstellen. Deshalb brauchen sie für die Zeit nach der Schule große individuelle Entscheidungsspielräume, damit sie ihre Themen, ihre Rhythmen und ihre Beziehungen selbst gestalten können. Ein hohes Maß an eigenständigen Entscheidungen trägt diesem Bedürfnis und ihrem Recht auf Selbstbestimmung und Beteiligung Rechnung und kann von Kind zu Kind und von Tag zu Tag verschieden sein. So kann die eigene Entscheidung, ob, wann und wo Hausaufgaben gemacht werden und in wessen Beisein, nicht nur Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen, sondern direkt zur körperlichen und seelischen Zufriedenheit beitragen. In dem Bedürfnis, das Erleben des Schultages auszugleichen, müssen Kinder vielleicht rennen statt zu sitzen, träumen statt sich zu konzentrieren und lärmen statt still zu sein.
Aktionsradius vergrößern
Zunehmend vergrößern sich Aktionsradius und Handlungsspielräume der Kinder. Sie bewegen sich immer selbstständiger und erschließen sich so ihre Schule, ihren Freizeitbereich und viele andere Bereiche ihres Sozialraums.
Kinder verbringen ihre Zeit an vielen verschiedenen und manchmal weit auseinanderliegenden Orten. Sie treffen sich außer in der Schule und der Tageseinrichtung auch zu Hause, auf Spiel- und Sportplätzen, an Haltestellen oder bei Freunden. Sie gehen selbstständig nach Hause, sie fahren am Nachmittag mit dem Rad durch die Gegend oder trainieren in einem Sportverein. Dabei nutzen sie selbstständig Wege, Straßen, öffentliche Verkehrsmittel und Plätze in ihrem Sozialraum und darüber hinaus. Nach und nach bauen sich Kinder eigene Beziehungsnetzwerke an den jeweiligen Orten ihrer Lebenswelt auf, in die Erwachsene immer weniger eingebunden sind.
Für pädagogische Fachkräfte sind die vielfältigen, oft zeitlich stark strukturierten Aktivitäten von Mädchen und Jungen eine große Herausforderung. Sie brauchen Informationen darüber, wann jedes Kind nach dem Unterricht zu ihnen kommt und wann es wieder geht. Neben einem aktuellen Informationssystem, das für Kinder und Erwachsene transparent und nachvollziehbar ist, braucht es kontinuierliche Ansprechpartner, klare Regeln und verbindliche, auch schriftliche Vereinbarungen. Im Sinne des Kindes werden gemeinschaftliche und individuelle Aushandlungen getroffen, an denen Kinder ebenso wie deren Eltern und Lehrer beteiligt werden. Die Tageseinrichtung versteht sich in dieser Hinsicht als Bindeglied zwischen Schule und Elternhäusern.
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass für Kinder in dieser Altersspanne der Wunsch nach Autonomie und nach immer größer werdendem Freiraum für eigenständige Entscheidungen stetig zunimmt. Das Ringen um Eigenständigkeit und auch Abgrenzung ist eines der entscheidenden Entwicklungsthemen und notwendig für gelingende Identitätsbildung der Kinder. Dieser Prozess durchzieht die gesamte Entwicklung von Kindern, bestimmt aber maßgeblich die Zeit der sogenannten Vorpubertät und gipfelt in der Pubertät. Je stärker Kinder spüren, dass sie in ihrem Freiheitsbestreben von Erwachsenen ernst genommen werden, in dem diese echte Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten schaffen, desto mehr können Kinder Erwachsene als hilfreiche Unterstützer wahrnehmen.
Sich an Gleichaltrigen orientieren
Die Bedeutung von Gleichaltrigen nimmt im Verlauf der Entwicklung entscheidend zu. Kinder in dieser Altersphase suchen aktiv das Spiel und den Kontakt mit anderen Kindern gleichen und ähnlichen Alters. Sie unterhalten sich, spielen, arbeiten, bauen, malen, hören zusammen Musik und entdecken gemeinsam noch unbekannte, zum Teil geheimnisvolle Bereiche ihrer Lebenswelt. Sie setzen sich intensiv mit ihren aktuellen Themen und Fragen auseinander und tauschen dabei ihr Wissen, ihr Können, ihre Meinungen und ihre Ausdrucksweisen aus. Oft stehen ihre gemeinsamen Helden und Idole, Stars aus Filmen und TV, Büchern und Computerspielen im Mittelpunkt ihrer Gespräche. Das gemeinsame Wissen über diese Personen und Figuren lässt das Gefühl von Gemeinschaft wachsen. Gemeinsame Ausdrucksweisen symbolisieren Zusammengehörigkeit, unterstreichen zugleich aber auch Individualität. Das Probieren und Variieren von Kleidung, Frisuren, der Art sich zu bewegen und der Gebrauch bestimmter Wörter lassen sich ebenfalls als Ausdruck der Suche nach Identität und Zugehörigkeit zugleich interpretieren.
Neben strukturellen Bedingungen wie Zeit und der Möglichkeit, sich treffen zu „dürfen“, spielen Rückzugsräume jetzt für Kinder eine immer größere Rolle. Kinder suchen bewusst Ecken, Nischen, Plätze in denen sie sich treffen können und in denen sie vor allem ungestört sind.
Freundschaften gestalten
„Wer gehört zu mir?“ und „Zu wem will ich gehören?“ sind wichtige Fragen, die Kinder jetzt immer stärker bewegen. Sie nutzen ihre Themen und ihre besonderen Ausdrucksweisen, um sich für alle erkennbar von anderen Kindern abzugrenzen. Gemeinsame „Freunde“, aber auch gemeinsame „Feinde“ stärken ihren Zusammenhalt. Dabei stehen Kinder vor der Herausforderung, ihr Bild von sich selbst mit den Erwartungen anderer in Einklang zu bringen, ohne ihre Individualität dabei aufzugeben. Sie haben eine Vorstellung von ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Sie kennen ihre Bedürfnisse und Interessen und wissen, wer zu ihrer Familie gehört und wie sie lebt. Kinder wählen bewusst aus, was sie anderen Menschen von sich preisgeben wollen. Manche ihrer Besonderheiten zeigen sie, um sich mit Kindern zu verbünden, andere, um sich von Kindern abzugrenzen, manches ist ihnen Anderen gegenüber aber auch unangenehm oder peinlich und wird verschwiegen.
Freunde zu haben wird für Kinder darum zunehmend wichtiger. Sie strengen sich an, um auch in Streitsituationen und trotz Meinungsverschiedenheiten ihre Freundschaften zu erhalten und zu schützen, indem sie nach passenden Lösungen suchen. Oft ziehen sie sich mit ihren Freunden zurück und grenzen sich von Anderen ab, um ohne Störung miteinander zu reden, zu spielen und zu arbeiten. Freunde und Freundschaften, auch Banden oder Cliquen schaffen einen sicheren Rahmen, der Kindern Vertrauen und Rückhalt bietet, um Neues zu versuchen, Mutiges und Riskantes zu wagen und eigene Grenzen zu erweitern.
Identität hinterfragen
Eng damit verknüpft ist ein weiteres zentrales Entwicklungsthema, das für diese Altersphase spezifisch ist. Ihr bisher als stabil empfundenes Bild von sich und der Welt gerät ins Wanken. Alles scheint sich zu verändern. Am deutlichsten ist der Wandel ihrer körperlichen Gestalt und ihrer körperlichen Wahrnehmungen für Kinder sichtbar und spürbar.
Sie entdecken, gestalten und überprüfen nun immer stärker ihre Ausdrucksweisen als Mädchen oder Junge. Sie schließen Freundschaften oft nur unter Mädchen oder nur unter Jungen und finden sich in Gruppen gleichen Geschlechts, wann immer es ihnen möglich ist, zusammen. Trotzdem wollen Mädchen und Jungen beständig miteinander zu tun haben. Dabei entstehen häufig Auseinandersetzungen und Konflikte, in denen sie körperlich in sehr nahen Kontakt kommen. Aushandlungen gehen sie bewusst selbstständig an und wollen alle Streitthemen ohne den Eingriff Erwachsener austragen. Sie stellen sich der Herausforderung, gemeinsam zu vielfältigen Lösungsstrategien zu kommen. Kinder brauchen dafür ungestörte, aber dennoch sichere Rückzugsräume, um unter Gleichaltrigen ihr geschlechtsspezifisches Verhalten, Rollen und Konfliktlösungsstrategien auszuprobieren.
Pädagogische Fachkräfte zeigen hier eine große Sensibilität und Einfühlungsvermögen um herauszufinden, wann sie Kinder durch ihre direkte oder indirekte Begleitung unterstützen oder stören.
Werte prüfen
Die Arbeit am Bild von sich selbst, das in dieser Lebensphase stark von dem Blick und den Meinungen anderer bestimmt wird, nimmt für die Kinder einen großen Raum ein. In oftmals sehr selbstkritischer Weise werden eigenes Aussehen, Fähigkeiten, Status und das eigene Handeln bewertet. Auch Eltern, andere Kinder, pädagogische Fachkräfte und andere Menschen werden vor dem Hintergrund eigener Moralvorstellungen teils unnachsichtig beurteilt. Kinder vollziehen auf diese Weise einen entscheidenden Schritt in ihrer Entwicklung, sie erarbeiten sich ein zunehmend differenzierteres Verständnis davon, was richtig, was falsch, was gerecht und was ungerecht ist. Fast alles, was bisher als unantastbar galt, wird nun in Frage gestellt. Kinder wollen z.B. bestehende Regeln neu aushandeln und gewinnen dabei die Erkenntnis, dass sie gute Begründungen dafür finden müssen, um andere von ihrer Sichtweise zu überzeugen. Sie lernen in diesen Prozessen, dass die Berücksichtigung der Verschiedenheit von Personen und die Unterschiedlichkeit von Rahmenbedingungen für das Gelingen notwendig sind.
Verantwortung übernehmen
Die Fähigkeit, Dinge aus einem anderen Blickwinkel als dem eigenen zu betrachten und mit den eigenen Vorstellungen von Recht und Unrecht abzugleichen, geht einher mit dem Bedürfnis, wichtig zu sein und Bedeutsames zu tun. Erleben Jungen und Mädchen in Tageseinrichtungen, dass ihnen zugetraut wird, bei Dingen, die sie selbst angehen, wichtige Entscheidungen zu treffen und können sie zunehmend dabei auch andere einbeziehen, sind sie motiviert und suchen aktiv danach, Verantwortung zu übernehmen. Dabei vertiefen und erweitern sie ihre Erfahrungen von Selbstwirksamkeit und Selbstständigkeit.
Für pädagogische Fachkräfte bedeutet dies, nach Formen der Beteiligung zu suchen, bei denen Kinder über die eigene Person hinaus Verantwortung tragen, wie z.B. Verantwortung für die Herstellung und den Einkauf von Lebensmitteln, für die Zubereitung von Mahlzeiten, für die Gestaltung und Reinigung ihrer Räume, für die Organisation ihres Alltags, für eine Fahrradwerkstatt, für eine eigene Zeitung, für Tierpatenschaften oder für die Vorbereitung von Veranstaltungen. Kinder erleben so, dass ihre Rechte auf Selbstbestimmung und Beteiligung respektiert und gefördert werden und sie zum Gelingen von Gemeinschaft beitragen.
Kinder erleben pädagogische Fachkräfte als Frauen oder Männer mit unterschiedlichen Persönlichkeiten und Kompetenzen. Der Austausch mit Erwachsenen, die ihnen auf respektvolle und offene Art begegnen, ermöglicht Kindern nachzuvollziehen, wie es ist, erwachsen zu sein. Sie wollen verstehen, welche Fragen Erwachsene beschäftigen und welche Antworten sie dafür finden. Gemeinsam mit ihnen reichern Kinder ihre Themen und ihr Verständnis mit Informationen an, erweitern ihre Vorstellungen von der Welt durch die Sichtweisen Anderer und wagen mutige Schritte zu neuen Herausforderungen. Kinder suchen neben aktiver Anregung im Sinne eines Vorbildes, auch Schutz, Trost und Rat bei pädagogischen Fachkräften, zu denen sie eine Bindung aufgebaut haben.
2.3 Kinder zusammen mit anderen Kindern
Kinder entwickeln bereits mit Beginn ihres Lebens die grundlegende Fähigkeit, Beziehungen einzugehen. Im weiteren Verlauf des Lebens werden sie auf diesen Erfahrungen aufbauen und in unterschiedlichen Gruppen zusammen mit anderen handeln.
Jedes Kind hat das Recht und das Bedürfnis, sich zugehörig zu fühlen. Dieses begleitet es sein Leben lang und motiviert es, Kontakt zu suchen, wenn es Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten findet. Es beobachtet hierzu andere Kinder, ihr Auftreten und ihr Verhalten, ihre Art sich auszudrücken und ihren Umgang mit anderen.
Jedes Kind setzt sich mit Ähnlichem und Fremdem auseinander, ordnet das Wahrgenommene nach Vertrautem und weniger Vertrautem und gleicht nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden ab. Dabei entwickelt es Vorstellungen über sich selbst und über eigene Sichtweisen. In dieses Selbstbild gehen auch die Einschätzungen Anderer über es ein.
Kinder brauchen immer wieder die Erfahrung zugehörig zu sein, um ein positives Bild von sich selbst zu gewinnen. In diesem komplexen und lebenslangen Vorgang bildet sich die eigene Identität. Erlebt sich ein Kind in der Tageseinrichtung auf Dauer nicht als zugehörig, ist es in seiner Identität gefährdet. Für eine gelingende Herausbildung seiner Identität braucht ein Kind deshalb Gelegenheiten, sich im Zusammensein mit anderen angenommen zu fühlen.
Erst die Erfahrung, ein wichtiges Mitglied einer Gemeinschaft zu sein, geliebt und respektiert zu werden und das Wissen, etwas bewirken zu können, tragen dazu bei, dass Kinder sich zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten entwickeln können.
Kinder spielen miteinander, lachen, streiten, lernen und arbeiten zusammen. Sie teilen Geheimnisse und schließen Freundschaften, sie entdecken gemeinsam sich und ihre Welt. Jedes Kind ist interessiert an anderen Kindern.
Kinder brauchen einander für ihre Bildungsprozesse. Gemeinsam finden sie Themen, Fragen und Interessen und entwickeln miteinander Ideen, wie man diesen nachgehen kann. Sie bereichern sich gegenseitig durch ihre unterschiedlichen Erfahrungen, Fähigkeiten und Wissensbestände. Zusammen erarbeiten sie sich neues Wissen, diskutieren über ihre Vermutungen und Erklärungsversuche, überprüfen, verwerfen oder bestätigen diese. Auf diese Weise kommen sie miteinander zu neuen Erkenntnissen und teilen dann ein gemeinsames Verständnis ihrer Welt. Solche Bildungsprozesse gelingen besonders gut, wenn Kinder miteinander spontan und gleichberechtigt und ohne Belehrung, Anleitung und Führung durch pädagogische Fachkräfte ihre Ideen realisieren können.
Ähnliche Vorlieben, Neigungen und Bedürfnisse, gleiche Spielideen und gemeinsame Ziele führen dazu, dass Kinder sich finden, miteinander spielen und zusammen arbeiten - und dabei große Freude erleben. Oft spielen und arbeiten dieselben Kinder immer wieder zusammen. Sie machen dabei die Erfahrung, dass ihr Tun gemeinsam gelingt, sie ihre Ideen realisieren können und sie dabei Spaß haben. Diese Erfahrungen verbinden die Kinder auch über das aktuelle Spielen und Arbeiten hinaus. So können stabile emotionale Beziehungen entstehen, die zu Freundschaften werden.
Im Laufe ihres Lebens verändern sich die Formen des Spiels und der Arbeit sowie die Art und Weise, dieses in freigewählten Gruppen zu tun. In diesem Prozess entwickeln Kinder immer komplexere Kompetenzen, gemeinsam mit anderen Kindern Gruppen zu bilden und über eine gewisse Zeit aufrecht zu erhalten.
Pädagogische Fachkräfte wissen, wie wichtig Gruppen für die Bildungsprozesse der Kinder, für ihre Identitätsentwicklung und für ihre Erkenntnisgewinnung sind. Sie beobachten und begleiten deshalb insbesondere die Gruppenprozesse der Kinder. Sie nehmen aufmerksam wahr, wie sich im Laufe der Zeit die Positionen einzelner Kinder in den Gruppen entwickeln. Dabei wahren sie respektvolle Distanz und trauen Kindern zu, dass sie aus eigenem Vermögen soziale Kompetenzen entwickeln und Spiel- und Arbeitsideen realisieren.
Nicht immer gelingt es Kindern, sich selbst in Gruppen einzubringen und ihre Ideen umzusetzen. Erkennen pädagogische Fachkräfte, dass ein Kind auf eine bestimmte Rolle innerhalb der Gruppe festgelegt oder gar isoliert und ausgegrenzt wird, unterstützen sie dieses Kind individuell auf angemessene Weise. Sie eröffnen ihm Möglichkeiten, mit anderen Kindern Gemeinsamkeiten zu finden und sich zugehörig zu fühlen. Das Kind wird so in seiner Entwicklung gestärkt.
2.3.1 Kinder spielen gemeinsam
Spielen ist immer Handeln mit Anderen, dabei ist es gleich, ob diese tatsächlich oder als Fantasiegestalt anwesend sind.
Im Spiel werden Verhältnisse, Strukturen, Beziehungen und Handlungsmuster aus der realen Welt erprobt. Charakteristisch für jedes Spiel ist die Handlungsweise des so Tun als ob. Das Spiel unterscheidet sich also von der Realität, die Kinder tun aber so, als sei ihr Handeln wirklich. Zugleich wissen sie sehr genau, dass es Spiel ist. Das ist daran zu erkennen, dass Kinder im Spiel z.B. eigensinnige Grammatikformen benutzen: „Du würdest dann mal die Mutter sein...“ oder wenn sie sich vor Eingriffen der Erwachsenen mit dem Hinweis schützen: „Es ist doch nur Spiel!“
Die Kinder genießen diesen Umgang mit Realität und Fantasie. Es ist für sie höchst reizvoll, normale Verhältnisse, z.B. von Groß und Klein, im Spiel umzukehren, und sie kosten dies mit großem Spaß aus.
Die Spielidee beziehen Kinder aus dem Alltag und ihren Erfahrungen. Zum Spiel gehört es aber, dass Personen, Handlungsweisen, Rollenmuster und Gegenstände nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen umgedeutet werden. Im Spiel erkennen Kinder Zusammenhänge ihrer sozialen Welt und entwickeln Strategien, wie sie sich in ihr zurechtzufinden.
Jedes Kind spielt auf seine Weise nach dem Prinzip des so Tun als ob. Bereits jüngere Kinder schlüpfen fantasievoll in andere Rollen oder deuten Gegenstände und Erfahrungen um.
Kinder treten mit anderen in Kontakt, sobald es ihre motorischen und kommunikativen Fähigkeiten zulassen. Anfangs dominiert das Spiel zu zweit. Auch wenn die gemeinsame Zeit des Spielens noch nicht lang und die Interaktionen noch nicht sehr stabil sind, können diese als ein Beginn von Gruppenbildung verstanden werden.
Die Fähigkeit, mit mehr als einer Person dauerhaft zeitgleich zu interagieren, wächst sprunghaft in der Altersphase zwischen drei und vier Jahren. Kinder entwickeln nun immer stärker die Kompetenz, eine Gruppe zu bilden und diese für eine gewisse Zeit aufrecht zu erhalten. Sichtbar wird das u.a. an der Zunahme von selbst initiierten Rollenspielen, wie z.B. „Vater-Mutter-Kind“.
Kinder begeben sich nun fortwährend in Aushandlungsprozesse, um das Spiel zu erhalten und weiterzuentwickeln. Sie nehmen sich zurück, lassen andere Spielideen zu, bringen eigene ein, streiten, vermitteln und verhandeln über Regeln - sie kooperieren.
Kooperieren mit Anderen wird zu einem grundlegenden Handlungsmuster. Kinder entwickeln zunehmend ein Verständnis davon, dass Regeln gemeinsames Handeln bestimmen und vorhersehbar machen. Diese Erkenntnis ist eine Voraussetzung, um Regelspiele spielen zu können. Das steigende Interesse an dieser Art von Spiel ist spürbar, wenn Kinder sich gegenseitig mit immer größerer Freude zu Wettkampfspielen herausfordern, zu denen auch Brett- und Mannschaftsspiele gehören.
Vor allem im Übergang zum Grundschulalter wählen Kinder bewusst solche Spiele, bei denen sie sich mit Anderen vergleichen können. Sie suchen sich zum Wettstreit Kinder mit gleichem oder ähnlichem Können. Die aus dem Vergleich gewonnen Erkenntnisse und Einschätzungen über eigene Fähigkeiten und Kompetenzen tragen entscheidend zur Weiterentwicklung des Selbstbildes bei. Gemeinsame Aktivitäten ermöglichen es, eigene Potentiale, aber auch Schranken zu erfahren und motivieren Kinder dazu, Erfolge zu wiederholen und Grenzen zu überwinden.
Die Stabilität der frei gewählten Gruppen nimmt zu, je älter und sozial kompetenter Kinder werden. Sie übernehmen verstärkt und gezielt Verantwortung dafür, dass sich eine Gruppe auch unabhängig von einer Spielidee erhält. Es werden Gemeinsamkeiten herausgestellt, um die eigene Gruppe von anderen abzugrenzen, wie: „Das ist unsere Bude“, „Hier ist der Mädchenbereich“ oder „Hier dürfen aber nur die Schachspieler rein“. Die Mitglieder der Gruppe verhalten sich untereinander fürsorglich, sie pflegen - teilweise geheime - Rituale und Regeln, um sich gegenseitig ihres Zusammenhaltes zu vergewissern.
Immer deutlicher wird das Bedürfnis artikuliert, selbstbestimmt und aktiv Prozesse zu steuern, die einen immer größeren Kreis von Kindern betreffen. Dabei werden Teilhabe und Mitbestimmung - als wesentliche Formen der Demokratie - erprobt und Regeln und Handlungsnormen in den Gruppen gestaltet.
Heranwachsende Kinder begeben sich immer aktiver in das Spannungsfeld zwischen Autonomie und Zugehörigkeit. Dies wird einerseits bestimmt vom deutlich erkennbaren Streben, Teil einer Gruppe zu sein, indem z.B. demonstrativ durch Kleidung oder Verhalten Zusammengehörigkeit angezeigt wird. Andererseits ringen sie darum, Dinge allein zu entscheiden, sich abzugrenzen und zu zeigen, dass sie eindeutig nicht dazu gehören.
Pädagogische Fachkräfte achten insbesondere darauf, dass sie die Spiele der Kinder nicht unterbrechen und nicht versuchen, diese von außen zu beeinflussen. Sie wissen, dass Kinder, die in ihrem Spiel unterbrochen werden, nicht oder nur schwer wieder ins Spiel und in das so Tun als ob finden. Erleben Kinder häufig solche Störungen, geben sie das Spielen vielleicht ganz auf. Die negativen Folgen für die Entwicklung der Persönlichkeit der Kinder und für ihre sozialen Kompetenzen sind als äußerst schwerwiegend zu bezeichnen.
2.3.2 Kinder arbeiten gemeinsam
Kinder malen mit großer Freude Bilder, erkunden mit Lust die Tiefe von Pfützen und konstruieren mit großem Engagement komplizierte Geräte. Phänomene der Natur werden mit Ausdauer erkundet und akribisch überprüft. Kinder stellen Fragen, entwickeln Vermutungen darüber, wie etwas funktioniert und erforschen zielgerichtet, ob ihre Annahmen zutreffen oder korrigiert werden müssen. Kinder trainieren, üben Fertigkeiten ein, produzieren Dinge und reparieren Gegenstände. Sie streben ein bestimmtes Ziel an, sei es ein fertiges Produkt, eine Erkenntnis, eine Fähigkeit, die Lösung eines Problems - und sie sind stolz, wenn es ihnen gelingt.
Wenn Kinder so handeln, arbeiten sie. Kinder richten ihr Handeln auf Ziele aus, die sie erreichen wollen. Dafür probieren sie unterschiedliche Wege und ziehen Konsequenzen aus Erfolgen und Misserfolgen. Zunehmend entwickeln sie effektive Strategien, um ihre Ziele zu erreichen.
Geht es im Spiel, beim so Tun als ob, eher um Lebensthemen der Kinder und damit um die Bildung von Identität, werden beim Arbeiten Ziele durch mehr oder weniger rationales Handeln angestrebt.
In ihrem alltäglichen Handeln aber vermischen Kinder Arbeiten und Spielen. Da wird ein Schiff gebaut, vorher ein Plan gemacht, es werden Nägel eingehauen, auf Segel Totenkopfmotive genäht. Die Kinder, die dieses mit Plan und Fertigkeit tun, aber sind Piraten, die gefährlich und mutig, laut und unberechenbar sind!
Im Unterschied zum Spiel, das immer einen Anderen braucht - und sei er nur in der Fantasie - kann ein Kind auch allein für sich arbeiten. Es kann ein Bild malen, einen Regenwurm untersuchen, ein Lied einüben und herausfinden, warum der Teddy brummt.
Zumeist aber arbeiten Kinder mit anderen Kindern zusammen - sie kooperieren. Kinder finden sich zusammen nach gemeinsamen Interessen und Zielen. Sie beobachten sich gegenseitig in ihrem Handeln z.B. beim Trainieren von Geschicklichkeit, beim Hantieren mit Materialien und Gegenständen und beim Gestalten von Kunstwerken. Auch hier gleichen sie das Beobachtete mit ihren Vorlieben, Interessen und Neigungen ab und finden dabei Anknüpfungspunkte für gemeinsames Handeln.
Je nach der selbstgewählten Aufgabe, der Stärke des Interesses der Kinder und ihrer sozialen Kompetenzen entstehen Arbeitsgruppen, in denen Kinder unterschiedlich lang und eng miteinander kooperieren. Ähnlich wie bei der Gruppenbildung im Spiel entwickeln Kinder hierfür soziale Kompetenzen, um eine Gruppe zu bilden und sie über längere Zeit aufrecht zu erhalten, ihre eigene Position darin zu finden, ihr Wissen und ihre Erfahrungen einzubringen und gemeinsam Erfolge zu feiern.
Auch in Arbeitsprozessen reagieren selbstbewusste Kinder zu Recht mit Empörung auf Unterbrechungen. Pädagogische Fachkräfte versuchen deshalb, solche Eingriffe zu vermeiden. Ist dies nicht möglich, sichern sie den Kindern zu, dass sie später ihre Arbeit fortsetzen können.
2.3.3 Geschwister
Geschwisterkinder gehen oft in dieselbe Tageseinrichtung. Die Beziehungen unter Geschwistern sind vielfältig - aber meist in einem Spannungsfeld zwischen hoher emotionaler Zuneigung und Liebe und gleichzeitig negativen Gefühlen wie Ablehnung, Neid und Rivalität. Geschwister wollen sich entweder nah sein, beispielsweise beim Schlafen oder meiden sich bewusst, z.B. wenn es um bestimmte Spiele geht. Jüngere und ältere Kinder spüren und hören, welche Erwartungen Erwachsene an sie als Geschwisterkinder haben.
Werden jüngere Geschwisterkinder z.B. eingewöhnt, so kennen sie die Tageseinrichtung häufig schon vom Bringen und Holen ihrer älteren Geschwister. Ältere Geschwister können als bedeutsame Bezugspersonen ihre jüngeren Geschwister bei diesem wichtigen Übergang begleiten und unterstützen. So können sie ihnen Räume zeigen, sie in der Kontaktaufnahme mit anderen Kindern unterstützen und sie bei Abläufen im Tagesverlauf begleiten.
Besuchen Geschwister die gleiche Tageseinrichtung, sorgen pädagogische Fachkräfte dafür, dass diese sich jederzeit sehen, miteinander spielen, arbeiten und auf andere Weise miteinander zu tun haben können - wenn sie es möchten. Pädagogische Fachkräfte respektieren Geschwisterbeziehungen und achten aber auch darauf, dass jedes Kind in seiner Individualität wahrgenommen wird.
2.3.4 Kinder zusammen in der Tageseinrichtung
In der Tageseinrichtung leben Kinder mit anderen Kindern in wechselnden Gruppierungen, in denen sie unterschiedliche Positionen haben und verschiedene Rollen einnehmen. Kinder brauchen einen Bildungsraum, in dem ihr spontanes und interessengeleitetes gemeinsames Spielen und Arbeiten ermöglicht, unterstützt, gefördert und nicht erschwert oder gar verhindert wird. Die Tageseinrichtung ist solch ein Bildungsraum für Kinder. Pädagogische Fachkräfte ermöglichen Kindern in selbst gewählten Gruppen zu spielen und zu arbeiten. Sie begleiten und unterstützen Kinder, gestalten die Tageseinrichtung als einen Ort, an dem sie sich begegnen und frei Gruppen bilden können und stellen ihnen dafür Räume und Materialien zur freien Wahl zur Verfügung. Für die selbstbestimmte Nutzung der Räume schaffen pädagogische Fachkräfte ein Informations- und Orientierungssystem. Dieses ist für alle Kinder verständlich und unterstützt sie in ihren Entscheidungen, mit wem sie wo, wann und wie spielen und arbeiten möchten.
Pädagogische Fachkräfte schaffen personelle, räumliche und zeitliche Strukturen, die Kindern grundlegende Orientierung geben. Dazu gehört zunächst, dass jedes Kind eine Bezugserzieherin, einen Bezugserzieher hat und zu einer Bezugsgruppe gehört. Bezugserzieher oder Bezugserzieherin und Kinder treffen sich im Tagesverlauf mindestens ein- oder zweimal für kurze Zeit an dafür vorgesehenen Orten in der Tageseinrichtung für Absprachen, für regelmäßige gemeinsame Aktivitäten und Rituale. So erweitern sich für die Kinder die Möglichkeiten, mit anderen Kindern eine Gruppe zu bilden und sich als Teil einer Gemeinschaft zu erfahren. Die Bezugserzieherin oder der Bezugserzieher verstehen sich dabei als verlässliche Ansprechpartner und Vermittler zwischen den Kindern.
2.4 Eltern und Familien
Jedes Kind hat ein Recht auf Zugehörigkeit zu seinen Eltern und zu seiner Familie und damit auf eine unverwechselbare Identität. Kinder sind also niemals unabhängig von ihren Eltern und ihrer Familie zu sehen.
Jedes Kind baut Bindungen zu seinen Eltern und zu seiner Familie auf. Diese Bindung prägt die Beziehung zwischen dem Kind und seinen Eltern. Die allermeisten Kinder lieben ihre Eltern und wollen mit ihnen zusammen sein, auch dann, wenn diese Beziehung in manchen Fällen nicht angenehm oder förderlich für das Kind sein mag. Nahezu immer fühlen sich Kinder ihren Eltern zugehörig, sind stolz auf sie, eifern ihnen nach, verteidigen sie und nehmen diese zum Vorbild beim Aufbau ihrer eigenen Identität. Kinder entwickeln und bilden sich in Beziehungen zu ihren Eltern und in ihrer Familie. Kinder sind existentiell von der Zuwendung ihrer Eltern und der anderer Familienangehöriger abhängig - sowohl materiell, körperlich als auch seelisch.
Kinder wachsen in Familien auf, die verschieden sind und sich im Laufe der Zeit verändern können. So leben manche Kinder zusammen mit ihren leiblichen Eltern, mit Stiefeltern, mit Pflegeeltern, mit Adoptiveltern, mit gleichgeschlechtlichen Eltern, allein mit Mutter oder Vater, mit ihren Großeltern oder sind Waisen. Manche Kinder haben Geschwister, Halb- oder Stiefgeschwister mit denen sie immer, zeitweise oder gar nicht in einem Haushalt leben. Die Familienstrukturen in denen Kinder leben, beeinflussen ihre Identitätsentwicklung in spezifischer Weise. Unabhängig davon, wie diese Strukturen sind und wie sie sich verändern, interessieren sich Eltern für ihre Kinder und sorgen für sie, so gut sie es können. Es gehört zu den allgemeinen Rechten der Kinder, von ihren Eltern erzogen zu werden, unabhängig von Familienform und Erziehungsstil. Jedes Kind kann sich selbst als wertvoll erleben, wenn andere Menschen seiner Familie mit Respekt, Wohlwollen und Unvoreingenommenheit begegnen.
2.4.1 Tageseinrichtung und Eltern als Partner in gemeinsamer Verantwortung
Eltern sind die Experten ihrer Kinder und haben deshalb das Recht, an allen Dingen, die ihre Kinder betreffen, beteiligt zu werden. Gemeinsam mit den pädagogischen Fachkräften tragen sie die partnerschaftliche Verantwortung für ihre Kinder.
Eltern wollen wissen, wie es ihren Kindern in der Tageseinrichtung geht - wer ihre Freunde sind und wer ihre Bezugserzieherin oder ihr Bezugserzieher, worüber sie lachen und was sie traurig macht, ob sie sich wohlfühlen. Eltern interessieren sich dafür, wie ihre Kinder den Alltag verbringen - womit sie gerne spielen oder arbeiten, wo sie sich am liebsten aufhalten und welchen Fragen sie nachgehen. Eltern zeigen mit diesem Interesse und durch ihr Nachfragen, ihren Wunsch nach Information, also nach Beteiligung.
Eltern wollen Einblicke in den Alltag der Tageseinrichtung bekommen. Sie wollen wissen, wie der Tagesablauf zeitlich strukturiert ist und inhaltlich gestaltet wird, wer Ansprechpartner für sie sind. Eltern suchen nach Informationen über Termine der Tageseinrichtung, über Essenangebot und Empfehlungen für Veranstaltungen zu Erziehungsthemen.
Eltern möchten am Leben der Tageseinrichtung Teil haben und sich mit ihrem spezifischen Wissen und in individueller Weise einbringen. Manche gestalten gerne Feste und Feiern mit, andere helfen bei Arbeitseinsätzen. Einige begleiten pädagogische Fachkräfte und Kinder bei Ausflügen, erzählen Kindern aus ihrem Herkunftsland und zeigen Fotos und Schätze aus einer fremden Welt. Andere wollen in Entscheidungen, die pädagogische Ziele, Entwicklungen und Aufgaben der Tageseinrichtung betreffen, gleichberechtigt eingebunden sein - beispielsweise in der Elternvertretung oder im Elternkuratorium.
Eltern suchen einen Ort und Gelegenheiten, um sich als Eltern kennenzulernen, sich über ihre Kinder auszutauschen und gemeinsam Aktivitäten in und für „ihre“ Tageseinrichtung zu planen und durchzuführen. Sie vertrauen darauf, dass sie weder von anderen Eltern noch von pädagogischen Fachkräften aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion und ihrer Sprache diskriminiert noch benachteiligt und ausgegrenzt werden.
Eltern brauchen vertrauensvolle Beziehungen zu pädagogischen Fachkräften und suchen insbesondere zur Bezugserzieherin oder zum Bezugserzieher ihrer Kinder den persönlichen Kontakt. Sie wollen spüren und erleben, dass sie als Experten ihrer Kinder anerkannt sind. Eltern brauchen pädagogische Fachkräfte, die das wissen und mit Offenheit und Interesse auf sie zugehen. In Tür- und Angelgesprächen mit pädagogischen Fachkräften, über Aushänge und Elternbriefe, zu Elternabenden und in Entwicklungsgesprächen erleben Eltern solche wertschätzenden Beziehungen und erfahren so partnerschaftliche Beteiligung.
Erleben Eltern und Familien die Tageseinrichtung als Ort, der sie als Mütter und Väter, Omas und Opas, Geschwister und Freunde einlädt, an dem ihr kultureller Hintergrund, ihr Wissen und Können, ihre Ideen und Interessen erwünscht sind und wertgeschätzt werden, wird die Tageseinrichtung zu einem vertrauten Raum, dem sie sich zugehörig fühlen und dem sie verbunden sind.
Eingewöhnung
Die Eingewöhnung eines Kindes in die Tageseinrichtung ist ein bedeutender Schritt für Eltern und ihre Kinder. Vertrauen Eltern ihre Kinder einer Tageseinrichtung an, so suchen sie einen Ort für ihre Kinder, an dem diese sich wohl fühlen, als Person wahrgenommen werden, Sicherheit und Schutz erfahren, sich entwickeln und entfalten können. Damit Eltern und ihre Kinder sich auf einen vertrauensvollen Kontakt mit pädagogischen Fachkräften einlassen und eine partnerschaftliche Beziehung zu diesen aufbauen können, sind sie auf Informationen und Transparenz, auf Achtsamkeit und Offenheit von diesen angewiesen. Sie brauchen das Wissen, welche Schritte zu einem Eingewöhnungsprozess gehören, wie dieser gestaltet ist und was sie dabei tun können. Eltern brauchen Gespräche um ihre Vorschläge und Wünsche, Sorgen und Ängste zu äußern.
Ziel der Eingewöhnung ist es, Kindern den Weg in die Tageseinrichtung zu eröffnen und diesen orientiert an deren Bedürfnissen zu gestalten. Doch auch Eltern treten dabei in eine neue Phase über und durchlaufen einen Loslösungsprozess. Sie selbst müssen die Tageseinrichtung kennenlernen, sich darin zurechtfinden, Kontakte zu den verschiedenen pädagogischen Fachkräften, Kindern und deren Eltern aufbauen und sich in ihrer neuen Rolle einleben. Eltern suchen Sicherheit und Zutrauen, Zeit und Geduld, um die alleinige Verantwortung für ihre Kinder eine gewisse Zeit des Tages abgeben, mit pädagogischen Fachkräften teilen und gemeinsam tragen zu können. Dafür wollen sie zu den pädagogischen Fachkräften eine ganz individuelle Beziehung aufbauen, in der sie angenommen und wertgeschätzt werden, in der ihnen zugehört wird und wo ihre Fragen beantwortet werden.
Gespräche
Eltern wollen mit pädagogischen Fachkräften ins Gespräch kommen. Sie suchen Kontakt zu den Menschen, die viel Zeit des Tages mit ihren Kindern verbringen und wollen eine von Wohlwollen geprägte Beziehung zu ihnen aufbauen. Darüber hinaus wollen Eltern gut über ihr Kind informiert sein und sich mit pädagogischen Fachkräften austauschen.
Entwicklungsgespräche bieten den Rahmen für einen strukturierten Austausch zur Entwicklung des Kindes zwischen pädagogischen Fachkräften und Eltern. Eltern nutzen die Gelegenheit, ungestört und mit viel Zeit mit pädagogischen Fachkräften über ihr Kind ins Gespräch zu kommen und gemeinsam über ihr Kind nachzudenken. Sie können hier selbst Fragen stellen und von ihrem Kind und dessen Entwicklung zu Hause berichten.
Viele Eltern nutzen gerne Tür- und Angelgespräche, um sich kurz auszutauschen, für den Tag wichtiges mitzuteilen oder Auskünfte zu erhalten. Manche Eltern suchen hierbei auch nach einer Gelegenheit für eine kurze Unterhaltung.
Eltern haben ihre eigene Sicht auf die Tageseinrichtung und die pädagogischen Fachkräfte. Dies führt manchmal dazu, dass Eltern sich beschweren und es zu Konflikten zwischen ihnen und pädagogischen Fachkräften kommt. Eltern wollen, dass ihre Gedanken und Kritiken, Sorgen und Ängste gehört werden. Sie erwarten, dass pädagogische Fachkräfte sich Zeit für Konfliktgespräche mit ihnen nehmen, in denen sie sich mitteilen können, sie Antworten auf ihre Fragen erhalten und sie an der Lösungssuche beteiligt werden.
2.5 Pädagogische Fachkraft
An die pädagogische Fachkraft werden zum einen unterschiedliche Erwartungen und Forderungen, Hoffnungen und Wünsche von Kindern und Eltern, Leitung und Träger, Gesetzgeber und Gesellschaft herangetragen. Zum anderen bringt sich die pädagogische Fachkraft mit ihren Erwartungen und Interessen, ihrer Motivation und ihren Kompetenzen ein und entwickelt eine professionelle Haltung zu ihren Aufgaben.
Pädagogische Professionalität bedarf der kontinuierlichen Reflexion und Weiterentwicklung eigener Kompetenzen durch jede pädagogische Fachkraft. Die pädagogische Fachkraft kann Beziehungen im Team wie in der Kindergruppe, zur Leitung wie zu den Eltern gestalten und reflektieren. Sie arbeitet an ihrer professionellen Haltung, überprüft ihre persönlichen Werte und Einstellungen, Stärken und Schwächen vor dem Hintergrund ihres pädagogischen Auftrags.
Zur pädagogischen Professionalität der Fachkräfte gehören unterschiedliche Kompetenzen. Sie verfügen über umfangreiches Fachwissen und sind in der Lage, dieses in ihrer alltäglichen Praxis zu realisieren. Hierauf wird im Kapitel „Bildungsbereiche“ ausführlich eingegangen. Zur Professionalität pädagogischer Fachkräfte gehören aber auch Sozial- und Selbstkompetenzen. Diese Fähigkeiten sind unabdingbar für das pädagogische Handeln.
Die pädagogische Fachkraft ist in der Tageseinrichtung die Begleiterin der Kinder und ihrer Bildungsprozesse. Ihr wenden sich die Kinder vertrauensvoll zu und wünschen sich von ihr Schutz und Geborgenheit, Sympathie und Anerkennung. Sie erwarten von ihr Interesse, Unterstützung und Ermutigung, Verantwortlichkeit und Authentizität. Und sie fordern von ihr Informationen und Erklärungen, Teilhabe an ihrem Wissen und ihre Bereitschaft, gemeinsam mit ihnen neue Erkenntnisse zu entwickeln.
2.5.1 Mit Ungewissheit umgehen
Bildungsprozesse von Kindern finden überall statt, sie haben keinen Anfang und kein Ende. Die Tageseinrichtung aber ist ein besonderer Bildungsort. Hier unterstützt und begleitet die pädagogische Fachkraft diese Prozesse für eine gewisse Zeit. Vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Lebenswelten nutzen Kinder die Bildungsgelegenheiten in der Tageseinrichtung in je individueller Art und Weise. Dies bedeutet für die pädagogische Fachkraft, dass sie nie wissen kann, welchen Weg jedes Kind gehen wird.
Um aber jedem Kind gerecht zu werden und ihm je individuell die besten Möglichkeiten für seine Bildungsprozesse zu eröffnen, beobachtet die pädagogische Fachkraft, wie Kinder ihre Bildungsthemen finden und sich mit diesen auseinandersetzen. Auf der Basis von Beobachtung und Dokumentation begleitet sie kindliche Bildungsprozesse, beschreibt diese und untersucht sie auf Ressourcen und Potentiale der Kinder statt Defizite zu diagnostizieren und Entwicklungs(rück)stände zu messen.
2.5.2 Vorbild sein
Die pädagogische Fachkraft ist Vorbild für die Kinder. Mit ihrer sichtbaren Erscheinung und Bewegung, ihrem erlebbaren Tun und ihrer hörbaren Sprache, ihren erfahrbaren Werten und Haltungen, ihren spürbaren Gedanken und Gefühlen beeinflusst sie die Kinder. In Beziehung und Auseinandersetzung mit ihrer Persönlichkeit lernen die Kinder von ihr. Daraus erwächst die professionelle Verantwortung für die pädagogische Fachkraft, ihre Persönlichkeit und ihren pädagogischen Auftrag stets zu prüfen und miteinander abzugleichen, also ihr professionelles Handeln zu reflektieren.
Die professionelle Selbstreflexion bezieht sich nicht nur auf die Beziehungen zu den Kindern, sondern umfasst alle Bereiche des Berufsfeldes der pädagogischen Fachkraft. Kritisch hinterfragt sie die Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen, der Leitung, zu Eltern und Kooperationspartnern. Sie prüft ihre Kompetenzen und ihre Handlungsweisen im Hinblick auf die pädagogische Konzeption und die Umsetzung des Bildungsprogramms. Hierzu dokumentiert die pädagogische Fachkraft ihre Arbeit. Die Dokumentationen legen Fragen und Probleme offen, welche im Team diskutiert und reflektiert werden.
Pädagogische Professionalität beinhaltet die kontinuierliche Erweiterung des Wissens in allen Bereichen. Dazu gehört auch, selbstständig und im Austausch mit dem Team den Rahmen, den dieses Bildungsprogramm vorzeichnet, im Alltag mit konkreten Inhalten zu füllen.
2.5.3 Verantwortung tragen
Die pädagogische Fachkraft trägt Verantwortung für die Kinder. Ihr pädagogischer Auftrag beinhaltet, für deren Bildung, Erziehung und Betreuung zu sorgen. Somit bewegt sie sich ständig in einem Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Selbstentfaltung der Kinder einerseits und der Gewährleistung ihrer Sicherheit und ihres Schutzes andererseits. Die pädagogische Fachkraft handelt so ständig in einem Bereich von Ungewissheit.
Immer wieder wird sie im Alltag vor die Entscheidung gestellt, entweder einzugreifen oder vertrauensvoll abzuwarten. Um in Alltagssituationen zum richtigen Zeitpunkt die richtige Entscheidung zu treffen, muss sich die pädagogische Fachkraft ihrer Verantwortung bewusst und von ihrer Handlungsfähigkeit überzeugt sein. So kann sie ihre Macht so weit wie möglich zu Gunsten der Selbstbestimmung der Kinder reduzieren. Macht abzugeben und Kinder teilhaben zu lassen, bedeutet aber nicht, sie sich selbst zu überlassen. Die pädagogische Fachkraft ist in ihrem Verhalten und ihren Äußerungen klar und authentisch, damit die Kinder sie einschätzen und sich auf sie verlassen können.
2.5.4 Professionelle Haltung zeigen
Pädagogische Fachkräfte arbeiten gern mit Kindern und sind meistens gern mit ihnen zusammen. Es begeistert sie, Kinder auf ihren Bildungswegen unterstützend zu begleiten. Manche Kinder lösen bei pädagogischen Fachkräften aber nicht nur Gefühle von Sympathie, sondern auch von Antipathie aus. Reflektiert die pädagogische Fachkraft ihre Gefühle im Sinne ihres pädagogischen Auftrags, so wird sie erkennen, dass sie nicht zu jedem Kind eine intensive Bindung eingehen kann. Trotzdem begegnet sie jedem Kind mit einer aufrichtig freundlichen, zugewandten Haltung und respektiert und wertschätzt dessen Individualität, geht also eine professionelle Beziehung mit jedem Kind ein. Nur mit einer solchen wohlwollenden und vertrauensvollen Haltung wird die pädagogische Fachkraft ihrem Bildungsauftrag nachhaltig gerecht.
Die wertschätzende Haltung gegenüber den Kindern drückt sich in dem Handeln der pädagogischen Fachkraft aus, wobei sich dieses an den jeweiligen Fähigkeiten der Kinder orientiert. Jüngere Kinder brauchen eine andere Form der Zuwendung als ältere. Die Kleinsten werden oft getragen, viele Bildungsgelegenheiten ergeben sich beim Pflegen, jede Handlung begleitet die pädagogische Fachkraft mit freundlichen Worten. Ältere Kinder brauchen sie als Zuhörerin und Begleiterin auf den Reisen durch ihre fantastischen Welten, als Partnerin, die ihnen Materialien bereitstellt und Erklärungen anbietet und als Unterstützerin, die sie an Zeiten, Strukturen und Regeln erinnert. Die größten Kinder wollen sie als eine Diskussionspartnerin, die sie als ebenbürtig wahrnehmen. Sie wollen von den Erwachsenen einerseits in Ruhe gelassen, aber auch begeistert und motiviert werden.
2.5.5 Mit Kindern auf Augenhöhe sein
Die pädagogische Fachkraft begegnet den Kindern in jeder Situation auf Augenhöhe. Im wörtlichen Sinn bedeutet dies, dass die pädagogische Fachkraft sich so oft wie möglich auf die Höhe der Kinder begibt und auch für Kinder viele Möglichkeiten schafft, selbstständig auf Augenhöhe mit Erwachsenen zu gelangen. Gelegenheiten hierfür gibt es viele, beispielsweise beim Klettern auf Wickelkommoden, Stühle, Podeste, Leitern.
Entscheidender als die wörtliche Bedeutung ist allerdings die sinnbildliche. Auf Augenhöhe mit den Kindern zu sein, ist die Haltung, Kinder grundsätzlich zu respektieren und ernst zu nehmen. Die pädagogische Fachkraft vertraut auf deren Neugierde und Fähigkeiten, sich selbst zu bilden. Sie wendet sich den Kindern offen und wohlwollend zu, stellt Blickkontakt her, berührt Kinder liebevoll, schenkt ihnen ungeteilte Aufmerksamkeit.
Eine solche Haltung ist sogar hörbar, nämlich wenn die Sprache der pädagogischen Fachkraft inhaltlich und klanglich übereinstimmt. Sie sagt also nicht das Eine und meint etwas Anderes. Ihre Sprache ist den Fähigkeiten und dem Alter der Kinder angepasst. Sie spricht mit allen Kindern, egal ob diese selbst sprechen oder nicht, denn sie geht davon aus, dass jedes Kind ihre Worte und ihre Botschaft versteht.
Die pädagogische Fachkraft wählt ihre Worte bewusst aus. Sie achtet darauf, Kinder nicht mit unbedachten Worten vorzuführen, lächerlich zu machen, zu beschämen oder zu bestrafen. Die pädagogische Fachkraft gibt Informationen und Wissen weiter, ohne dem Kind damit besserwisserisch zu vermitteln, es sei dumm, klein und unvernünftig, sondern um ihm einen nächsten Schritt in seinem Bildungsprozess zu ermöglichen.
Kinder auf Augenhöhe zu begegnen, heißt auch, sie in ihrem Kummer ernst zu nehmen und sie zu trösten, sie zu fragen, was sie brauchen und ihnen zuzuhören. Die pädagogische Fachkraft vermeidet, sich von hinten, für das Kind unerwartet über es herabzubeugen oder es ungefragt zu umfassen und so in seiner Bewegung zu behindern. Nur wenn sie Blickkontakt zu dem Kind aufrechterhält, wird sie die Miene, die Gesten und andere Äußerungen des Kindes wahrnehmen, verstehen und angemessen reagieren. Ebenso ergeht es dem Kind.
Begegnen pädagogische Fachkräfte in ihrer Haltung, ihrem Tun und ihrer Sprache den Kindern auf Augenhöhe, so gewinnen sie deren Zuneigung, Respekt und Vertrauen und erleben zusammen viel Freude.
2.5.6 Beobachten und Dokumentieren
Jedes Kind ist einzigartig. Manche Kinder fallen sofort durch individuelle Merkmale auf, andere wirken unscheinbar, ihre Einzigartigkeit wird erst auf den zweiten Blick sichtbar. Wollen pädagogische Fachkräfte das Kind in seiner Einzigartigkeit achten, kann dies nur geschehen, indem sie es wahrnehmen. Dies geschieht im täglichen Zusammensein, im Gespräch mit dem Kind selbst, den Kollegen und den Eltern. Um sicher zu sein, dass jedes Kind in gleicher Weise Beachtung erfährt, beobachtet die pädagogische Fachkraft jedes Kind regelmäßig und systematisch.
Systematische pädagogische Beobachtung geschieht nach einem in der Tageseinrichtung einheitlichen Verfahren. Beobachtung wird vorab nicht durch vorgegebene Kriterien, Kompetenzen, Entwicklungsphasen oder Bildungsbereiche strukturiert. In diesem Sinne versteht sich pädagogische Beobachtung als ressourcenorientiert. Ressourcen werden hier als Potentiale verstanden, die die aktuelle Entwicklung des Kindes unterstützen. Zu den Ressourcen gehören zum einen Potentiale, die im Kind selbst vorhanden sind, erworbene wie genetisch angelegte. Zum anderen stellen bestimmte Umweltfaktoren wie z.B. familiale Herkunft oder anregungsreiche Lebensumstände ebenfalls Ressourcen für die aktuelle Entwicklung des Kindes dar. Beobachtung zielt auf Handlungen, Interessen und Themen der Kinder, auf ihre Art zu kommunizieren, ihre Fähigkeiten, bei Schwierigkeiten standzuhalten und sich engagiert mit Dingen und Gegebenheiten allein oder gemeinsam mit Anderen auseinanderzusetzen. Im Auswertungsprozess wird von diesen Beobachtungen auf individuelle Ressourcen des Kindes geschlossen, die es für seine weiteren Bildungs- und Entwicklungsprozesse einsetzen wird und die von der pädagogischen Fachkraft entsprechend unterstützt werden.
Im Unterschied hierzu werden für die Feststellung von spezifischem Förderbedarf ausgewählte diagnostische Instrumente und therapieorientierte Verfahren eingesetzt. Pädagogisches ressourcenorientiertes Beobachten richtet sich vielmehr staunend und forschend auf das Kind in seiner ganzen Person und auf seine vielschichtigen Bildungsprozesse. Dabei werden das Handeln, das Spielen und das Arbeiten der Kinder mit all ihren Interessen und Themen - sei es gemeinsam mit anderen oder allein für sich - beobachtet, festgehalten und genau beschrieben.
Die pädagogische Fachkraft unterscheidet konsequent zwischen der genauen Beschreibung zum Einen und der Deutung, Interpretation und Bewertung des Beobachteten zum Anderen. Das Beobachtete wird in Worten und in Bildern festgehalten und je nach verwendetem Beobachtungsverfahren zunächst allein oder gleich im kollegialen Austausch analysiert. Diese Analyse zielt auf die individuellen Lernstrategien der Kinder und damit auf ihre Ressourcen, Potenziale und Fähigkeiten. Die pädagogische Fachkraft dokumentiert die Ergebnisse der Analyse.
Die dokumentierten Ergebnisse stehen dem Kind, den Eltern und dem Team zur Verfügung. Hierzu findet die pädagogische Fachkraft geeignete Formen der Darstellung. Für sie und das ganze Team ist die Dokumentation unverzichtbare Voraussetzung für die Begleitung und Unterstützung des Kindes und seiner Bildungsprozesse sowie für die Zusammenarbeit mit den Eltern. Die pädagogische Fachkraft gestaltet gemeinsam mit jedem Kind dessen eigene Dokumentation. Diese bietet ihm vielfältige Einblicke in seine Lebens- und Bildungsgeschichte, seine Themen und seine Interessen.
Begibt sich die pädagogische Fachkraft auf die Suche nach der Einzigartigkeit der Kinder, wird sie in deren Persönlichkeiten und Lebenswelten auch Themen, Verhaltensweisen und Merkmale entdecken, die ihr fremd sind. Sie macht sich damit vertraut, indem sie sich Wissen darüber aneignet - selbstständig, im Austausch mit ihrem Team und Fachleuten, mit den Eltern und den Kindern selbst. Die Kinder regen so die Bildungsprozesse der pädagogischen Fachkraft an und bereichern ihr Wissen und Handeln.
2.5.7 Bildungsmöglichkeiten gestalten - pädagogische Angebote
Im Zentrum jedes pädagogischen Handelns stehen die Kinder und ihre Bildungsprozesse. Die professionelle Verantwortung pädagogischer Fachkräfte besteht darin, alles zu tun, um diese Bildungsprozesse zu ermöglichen und zu unterstützen, zu erweitern und anzureichern und Impulse für neue Bildungsprozesse zu geben. Mit Kreativität und Humor, Flexibilität und Engagement orientieren pädagogische Fachkräfte ihr Handeln stets an den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten von Kindern sowie an deren aktuellen Interessen und Themen. Sie greifen dabei auf ihr professionelles Wissen und Können, ihre individuellen Fähigkeiten und Interessen zurück und stellen diese den Kindern als Ressourcen zur Verfügung.
Pädagogisches Handeln in der Tageseinrichtung ist so betrachtet, immer ein Angebot für Kinder und ihre Bildungsprozesse und somit ein Anbieten von Bildungsmöglichkeiten. Dazu gehört die Gestaltung von Räumen, die Verfügbarkeit und Bereitstellung von Material und frei nutzbarer Zeit, das Einbringen der eigenen Persönlichkeit mit spezifischen Interessen und Kompetenzen und in der Ermöglichung von unterschiedlichen Kontakten zu allen Kindern und Erwachsenen in der Tageseinrichtung.
Pädagogisches Handeln ist auch die unmittelbare Interaktion zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern. Hierbei sind pädagogische Fachkräfte als Person Angebot für Kinder - als Mann oder Frau, als älterer oder jüngerer Mensch, mit kurzen oder langen Haaren, mit tiefer oder hoher Stimme, von kleinerer oder größerer Statur, mit Rock oder Hose.
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass sie Kindern mit ihrem Handeln Angebote machen - sei es, dass sie Rituale pflegen, wie die Kinderkonferenz, dass sie Ideen entwickeln, wie sie die Kinder in ihrem Tun unterstützen können, z.B. wenn sie Mikroskope zur Untersuchung von Feuerkäfern bereitstellen und wenn sie Erfahrungsräume erweitern, wie etwa durch den Besuch eines Theaterstückes in dem ein Märchen gespielt wird, das den Kindern bekannt ist.
Pädagogisches Handeln umfasst auch pädagogische Angebote. Oft erfüllt das, was in der Praxis „Angebot“ genannt wird, nicht den beschriebenen Ansprüchen an pädagogisches Handeln. Solche „Angebote“ sind in ihrer Mehrheit durch eine pädagogische Fachkraft unabhängig von vorheriger Beobachtung geplant. Diese „Angebote“ sind für eine bestimmte Gruppe von Kindern vorbereitet, die diese mitmachen müssen bzw. zu denen sie motiviert werden, sie jetzt oder später durchzuführen. „Angebote“ in diesem Sinne sind angeleitet und auf ein vorbestimmtes Ergebnis oder Ziel hin ausgerichtet. Die Zeit für solche „Angebote“ ist vormittags und für einen festen Zeitraum vorgesehen und gilt in der gesamten Tageseinrichtung.
Pädagogische Angebote sind stattdessen Situationen, die pädagogische Fachkräfte auf der Basis von Beobachtung und systematischer Analyse von Interessen, Themen und Strategien des Lernens bewusst vorbereiten. Sie beobachten Kinder in ihren Arbeits- und Spielprozessen und entwickeln, auch im regelmäßigen Austausch miteinander, Ideen für pädagogische Angebote. Sie fragen und beteiligen Kinder, um zu erkennen, auf welche Weisen Kinder an Themen arbeiten wollen und welche Interessen sie dabei verfolgen. So suchen pädagogische Fachkräfte nach immer neuen Bezügen zu den individuellen Lebenswelten der Kinder und finden Materialien, Personen, Räume, Zeiten, Gelegenheiten, um an deren Themen und Interessen anzuknüpfen.
Orientiert an den Kindern organisieren pädagogische Fachkräfte passende Zeiten und Orte und suchen bewusst Gelegenheiten, um Kinder zu pädagogischen Angeboten einzuladen und bei den Vorbereitungen zu beteiligen. Finden ein oder mehrere Kinder die Ideen der pädagogischen Fachkräfte im Sinne ihrer Interessen attraktiv, werden sie pädagogische Angebote annehmen, in eigensinniger Weise vorantreiben, weiter entwickeln und so zu ihren eigenen Spiel- und Arbeitsprozessen machen. Pädagogische Fachkräfte halten sich abwartend zurück und halten aus, dass Kinder ihre Wege gehen. Bei Bedarf assistieren sie ihnen und begleiten sie in ihrem individuellen Tun. Dabei bringen sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen in solche ergebnisoffenen Prozesse achtsam ein.
In der Auseinandersetzung mit pädagogischen Angeboten in diesem Sinne bilden sich Kinder. Pädagogische Fachkräfte verstehen ihr Handeln als ein Anbieten von Anlässen, Situationen und Möglichkeiten als Inspiration, Impuls und positive Herausforderung. Sie lassen zu, dass Kinder pädagogische Angebote ablehnen und ignorieren, sie deckungsgleich annehmen, aber auch eigensinnig gestalten und im Sinne von Projektarbeit thematisch ausweiten und vertiefen. So sind Tageseinrichtungen mit ihren Menschen und deren Ideen, Räumen, Strukturen und Materialien auf vielfältige Art und Weise herausfordernde und anregende Bildungsgelegenheit für jedes Kind.
2.5.8 Beteiligt sein
Die pädagogische Fachkraft hat stets die einzelnen Kinder und ihre Bildungsprozesse im Blick, aber auch die Kinder als Gruppe mit ihren Bedürfnissen, Anforderungen und Wünschen. Die pädagogische Fachkraft hat somit eine besondere Stellung mit besonderen Aufgaben. Sie trägt die Verantwortung dafür, dass jedes Kind am Gruppenleben Teil hat und sorgt dafür, dass Kinder sich nicht gegenseitig ausgrenzen, sondern in ihrer Individualität tolerieren und wertschätzen. Sie ermöglicht, dass Kinder sich auf ihre eigene Weise und in ihrer eigenen Geschwindigkeit begegnen und gemeinsam Gruppen bilden.
Die pädagogische Fachkraft nimmt wahr, wenn ein Kind Trost und Zuspruch von ihr braucht oder den Kontakt zu anderen Kindern meidet. Sie unterstützt dieses Kind dabei, in Gruppen hinein zu finden und vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Kindern zu entwickeln.
Oft geraten Kinder untereinander in Streit. Hier gehört es zu den größten Herausforderungen für die pädagogische Fachkraft, sich zurückzuhalten. Sie beobachtet und wartet vertrauensvoll ab und gibt den Kindern so die Möglichkeit, ihre Konflikte selbstständig auszutragen. Sie vermittelt nur dann, wenn ein Kind ernsthaft seelisch oder körperlich Schaden zu nehmen droht.
Solches Eingreifen geschieht aber auch respektvoll allen Beteiligten gegenüber. Thematisiert die pädagogische Fachkraft das Ereignis, so tut sie es ruhig und gelassen und beschämt dabei kein Kind. Konfliktsituationen sind nur dann positive Bildungsprozesse für alle am Konflikt beteiligten Kinder und Erwachsene, wenn diese danach ihren Handlungsspielraum erweitern können und eine Stärkung ihres Selbstbildes erleben.
Das Handeln der pädagogischen Fachkraft ist also stets zwischen Nähe und Distanz angesiedelt. Sie ist eng mit den Kindern ihrer Bezugsgruppe verbunden und fühlt mit ihnen mit. Sie ist aber auch als Erwachsene und pädagogische Fachkraft immer wieder gehalten, Entscheidungen zu deren Wohl zu treffen - selbst wenn Kinder dieses in dem Moment ablehnen.
2.5.9 Eltern als Partner
Kinder haben ein Recht auf ihre Eltern und sind existentiell auf diese angewiesen. Sie orientieren sich an ihren Eltern und entwickeln sich besonders im Kontakt mit ihnen zu unverwechselbaren Persönlichkeiten.
Pädagogische Fachkräfte wissen das und begegnen Eltern und Familien mit Respekt und einer positiven Grundhaltung. Eltern und Familien - aus welchem Grund auch immer - nicht zu achten, berührt auch die Würde der Kinder. Kinder werden dadurch verletzt, beschämt und letztendlich in ihrer Identität und Existenz bedroht und beschädigt.
Pädagogische Fachkräfte wissen von ihrem Auftrag, Eltern einzubinden und zu beteiligen. Sie suchen von Anfang an und fortwährend den Kontakt zu Eltern.
Pädagogische Fachkräfte erzählen Eltern vom Alltag in der Tageseinrichtung. Aufgrund ihrer Beobachtungen und Dokumentationen über die Kinder berichten sie den Eltern von wichtigen Entwicklungsschritten, von alltäglichen Abläufen und besonderen Ereignissen. Sie öffnen die Räume für Eltern und zeigen ihnen die Bildungsorte ihrer Kinder. So lassen pädagogische Fachkräfte die Konzeption ihrer Einrichtung in ihrer praktischen Umsetzung für Eltern nachvollziehbar werden.
Pädagogische Fachkräfte richten innerhalb der Tageseinrichtung Orte und Anlässe, Zeiten und Gelegenheiten ein, um mit Eltern in Kontakt und Austausch zu treten. Sie schaffen im Eingangsbereich Sitzgelegenheiten für Eltern und Familien, um sie zum gelegentlichen Verweilen einzuladen. Solche Möglichkeiten gestalten sie entsprechend der Bedürfnisse der Eltern und mit diesen gemeinsam - zum Beispiel ein Elterncafé, eine Leseecke oder einen Treffpunkt an der Informationstafel.
Über wechselnde Aushänge und Plakate, über Flyer, Elternbriefe, Broschüren, Fotos und andere Texte oder Bilder oder auf andere Weise informieren pädagogische Fachkräfte Eltern, geben Einblicke in den Alltag der Tageseinrichtung und schaffen Anlässe für Eltern, mit den pädagogischen Fachkräften oder auch untereinander ins Gespräch zu kommen, nachzufragen und sich auszutauschen.
Pädagogische Fachkräfte begrüßen und verabschieden Eltern beim Bringen und Abholen der Kinder mit Freundlichkeit und Offenheit. Sie erzählen vom Tag und sind bereit, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen, geben ihnen Rückmeldungen über ihre Kinder, stellen ihnen Fragen zu ihrem Kind oder sprechen über andere Themen, die für das Kind in der Tageseinrichtung bedeutsam sein könnten.
Jeder Mutter und jedem Vater ist eine andere Form und Intensität des Kontaktes angenehm. Pädagogische Fachkräfte gehen individuell darauf ein. Sie finden Wege im Sinne ihres pädagogischen Auftrags, respektvoll auch auf die Eltern zu reagieren, die Probleme mit der Kontaktaufnahme haben. Dies gilt insbesondere für Eltern, die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben. Pädagogische Fachkräfte wenden sich allen Eltern aktiv und annehmend zu. Verächtliches Verhalten - wie immer dieses geartet sein mag oder eine ablehnende Haltung, mag sich diese auch in Abwesenheit der Eltern zeigen - schaden dem Wohl der Kinder.
Eingewöhnung
Die Eingewöhnung eines Kindes in die Tageseinrichtung ist ein sensibler Prozess, der ein Höchstmaß an Achtsamkeit und Vertrauen, Offenheit und Transparenz erfordert, um für alle daran Beteiligten ein gelungener Schritt in einen neuen (Lebens-)abschnitt zu werden. Pädagogische Fachkräfte tragen Verantwortung für die Gestaltung dieses Prozesses, sie kennen die notwendigen Schritte, die Sorgen der Eltern und die Ängste der Kinder. Sie klären Eltern über die Notwendigkeit des Eingewöhnungsprozesses für die gesunde Entwicklung ihrer Kinder auf und gewinnen sie so als Partner für diesen wichtigen Prozess.
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass neben den Kindern auch deren Eltern einen Loslösungsprozess durchlaufen und sich ihre - oft exklusive - Position als Bindungsperson verändert, wenn ihr Kind eine weitere Bindung zu einer pädagogischen Fachkraft aufbaut. Sie geben Eltern geduldig die Zeit, die sie brauchen, um sich in ihrer neuen Rolle zurechtzufinden und die Verantwortung für ihr Kind mit den pädagogischen Fachkräften zu teilen. Pädagogische Fachkräfte unterstützen die Eltern dabei zu akzeptieren, dass ihr Kind nun eine gewisse Zeit des Tages mit anderen Menschen als mit ihnen allein verbringt und darauf zu vertrauen, dass es ihrem Kind in dieser Zeit gut geht und sie über wichtige Ereignisse informiert werden.
Pädagogische Fachkräfte bauen eine individuelle Beziehung zu den Eltern auf und gestalten den Eingewöhnungsprozess so, dass Eltern sich sicher fühlen und gut über die nächsten Schritte im Prozess und die Ereignisse während ihrer Abwesenheit informiert sind. Eltern geben ihre Kinder leichteren Herzens in die Obhut einer pädagogischen Fachkraft, wenn sie dieser vertrauen können, wenn sie von dieser angenommen und wertgeschätzt werden, wenn diese ihnen zuhört und ihre Fragen beantwortet und wenn sie als Mutter und Vater in den Räumen der Tageseinrichtung willkommen sind.
Transparenz im Alltag und Teilhabe der Eltern
Eltern werden von den pädagogischen Fachkräften selbstverständlich als Partner für die Bildungsprozesse der Kinder betrachtet und im Alltag nicht etwa als Störung empfunden. Eltern sind in einer Tageseinrichtung zu jeder Zeit willkommen. So werden sie zum Geburtstag ihres Kindes als Gäste geladen, bleiben manches Mal am Morgen etwas länger um ihrem Kind zuzusehen, reparieren eine Gartenbank oder verweilen beim Abholen ihres Kindes und bauen gemeinsam mit ihm eine Sandburg.
Eltern sind auf unterschiedlichen Ebenen in die Arbeit der Tageseinrichtung eingebunden. Im Kuratorium der Tageseinrichtung arbeiten die gewählten Elternvertreter zusammen mit der Leitung und dem Träger an pädagogisch-inhaltlichen und strukturellen Themen. Sie diskutieren Fragen und Ideen des Alltags in der Tageseinrichtung und arbeiten gemeinsam mit Team und Träger an der Weiterentwicklung der Einrichtungskonzeption. Eltern beteiligen sich auch, wenn sie Feste und Feiern mitgestalten oder selbst organisieren. Pädagogische Fachkräfte schaffen in der Tageseinrichtung eine Atmosphäre, in der Eltern spüren, dass ihr Engagement erwünscht und gebraucht ist und sie auch selbstorganisiert Zusammenkünfte ausgestalten können.
Auch Arbeitseinsätze eröffnen Eltern die Möglichkeit, aktiv Veränderungen im Gebäude oder Außengelände der Tageseinrichtung durchzuführen. Bei dieser Gelegenheit können Eltern ihre individuellen Fähigkeiten einbringen, sie kommen mit anderen Eltern in Kontakt und pädagogische Fachkräfte und Eltern begegnen sich in anderer Form als gewöhnlich. Kinder erfüllt es mit Stolz, wenn ihr Vater die Wand im Kinderrestaurant gestrichen oder ihre Mutter die Blumen am Zaun gepflanzt hat.
Pädagogische Fachkräfte nehmen Eltern auch als Experten und Expertinnen mit spezifischem Fachwissen und als Menschen mit besonderen Fähigkeiten wahr. Kennen pädagogische Fachkräfte die Berufe, Tätigkeitsfelder, Hobbys oder kulturellen Hintergründe von Eltern, werden sie diese als wertvolle Unterstützer in verschiedenen Zusammenhängen des Alltags der Tageseinrichtung einbinden können.
Eltern zu beteiligen bedeutet nicht, dies auch von ihnen zu erwarten. Pädagogische Fachkräfte respektieren, wenn Eltern auf ihr Recht auf Beteiligung verzichten. Sie schaffen aber Strukturen und eine Atmosphäre, die Eltern zur individuellen Beteiligung einladen.
Professionelle Verantwortung pädagogischer Fachkräfte
Pädagogische Fachkräfte sind verantwortlich Bildung, Erziehung und Betreuung der ihnen anvertrauten Kinder zu ermöglichen. Sie sorgen auch dafür, dass das Recht der Eltern auf Beteiligung und Gestaltung an diesem Prozess gewährleistet ist.
Pädagogische Fachkräfte regen Eltern an und fordern sie heraus, ihr Recht auf Beteiligung in Anspruch zu nehmen. Ideen und Vorschläge, Fragen und Wünsche, die Eltern äußern, werden in der pädagogischen Praxis berücksichtigt.
Pädagogische Fachkräfte achten darauf, dass Elternbeteiligung im Sinne der Bildungsprozesse der Kinder geschieht. Widersprüche und Konflikte zwischen pädagogischen Fachkräften und Eltern deuten auf unterschiedliche Sichtweisen hin. Erkennen pädagogische Fachkräfte, dass die Sichtweisen und Anliegen der Eltern die Bildungsprozesse der Kinder bereichern, so akzeptieren sie diese und suchen danach, sie entsprechend der Möglichkeiten zu realisieren.
Erweisen sich die Wünsche der Eltern jedoch als Einschränkung kindlicher Bildungsmöglichkeiten, so tragen pädagogische Fachkräfte Verantwortung dafür, ihren Standpunkt gegenüber Eltern zu vertreten, aus pädagogischer Sicht zu begründen und entsprechend zu handeln.
Pädagogische Fachkräfte streben im Alltag der Tageseinrichtung immer eine Balance zwischen der Berücksichtigung von individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Eltern und ihrem pädagogischen Auftrag an.
Entwicklungsgespräche auf der Basis von Beobachtung und Dokumentation
Pädagogische Fachkräfte führen mit Eltern regelmäßig Entwicklungsgespräche, um diese über die Bildungsprozesse ihrer Kinder in der Tageseinrichtung zu informieren und Rückmeldung von ihnen zu erhalten. Anhand von Dokumentationen in Form von Texten, Fotos, Videos und Notizen geben pädagogische Fachkräfte Eltern ihre Beobachtungen weiter. Auf der Basis ihrer Beobachtung der Kinder und der Dokumentation ihrer Bildungsprozesse kommen pädagogische Fachkräfte mit Eltern ins Gespräch. Dabei stehen die Interessen der Kinder und ihre Strategien mit denen sie diese verfolgen im Zentrum des Gesprächs.
Pädagogische Fachkräfte bereiten solche Gespräche inhaltlich vor, legen einen zeitlichen Umfang dafür fest und laden Eltern individuell und nachdrücklich dazu ein. Eltern brauchen ein Wissen von der Notwendigkeit und dem Gewinn von Entwicklungsgesprächen. Pädagogische Fachkräfte informieren deshalb Eltern über das Anliegen, Ziel und Vorgehen und regen sie z.B. über einen Fragebogen an, sich ebenso wie sie auf das Entwicklungsgespräch vorzubereiten.
Entwicklungsgespräche sind Dialoge. Pädagogische Fachkräfte und Eltern beteiligen sich gleichermaßen daran, schildern ihre Beobachtungen und Erfahrungen, tauschen sich darüber aus und ergänzen sich. Eltern erfahren so Neues über ihr Kind und pädagogische Fachkräfte erhalten wichtige Informationen von den Eltern als den Experten und Expertinnen ihrer Kinder. Solche Informationen erweitern ihre professionelle Sicht und verändern ihre pädagogische Arbeit.
In Entwicklungsgesprächen schaffen pädagogische Fachkräfte einen vertrauensvollen Rahmen, der es Eltern ermöglicht, persönliche Sorgen, Fragen und Probleme einzubringen. Pädagogische Fachkräfte können den Eltern gegebenenfalls Rat geben, sie sind aber auch selbst auf die Informationen der Eltern angewiesen, um die Kinder besser zu verstehen und sie in ihren Bildungsprozessen angemessen unterstützen und begleiten zu können.
Verschiedene Gespräche mit Eltern führen
Neben regelmäßigen Entwicklungsgesprächen nutzen pädagogische Fachkräfte Hole- und Bringe-Zeiten für Tür- und Angelgespräche mit den Eltern. Hier werden von beiden kurze Informationen über das Kind und sein Wohlbefinden weitergegeben und erfragt. Eltern berichten über wichtige Ereignisse, auch Wünsche und Anliegen und spüren, mit welchem Interesse ihnen zugehört wird. Die Kinder erleben ein Gefühl der Sicherheit, wenn sie während dieser Begegnungen wahrnehmen, dass sich Eltern und ihre Bezugserzieherin bzw. ihr Bezugserzieher wohlwollend und freundlich begegnen. Pädagogische Fachkräfte wissen um die Bedeutung der Tür- und Angelspräche für die Pflege und den Erhalt vertrauensvoller Beziehungen zu den Eltern und Kindern. Nehmen sie wahr, dass Eltern ausführlicher in ein Gespräch über ihr Kind kommen wollen, vereinbaren pädagogische Fachkräfte gemeinsam mit der Mutter oder dem Vater einen anderen Zeitpunkt und Ort dafür.
Pädagogische Fachkräfte suchen bewusst verschiedene Gesprächsformen, um aktiv mit Eltern in einen Austausch zu treten. Elternabende oder -nachmittage, gemeinsame Ausflüge oder Thementage, Näh- oder Spielstunden, aber auch Besuche der Familien zu Hause, das gemeinsame Vorbereiten und Feiern von Festen in der Tageseinrichtung und außerhalb sind Begegnungen die Gesprächsanlässe bieten. Der Gesprächsverlauf wird neben Raum, Zeit und Anlass auch von der Gesprächsführung beeinflusst. In Gesprächen, insbesondere in denen, die mit einer hohen emotionalen Betroffenheit einhergehen, wie zum Beispiel bei Konflikten zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften, zwischen Eltern untereinander oder bei Schwierigkeiten im Umgang mit dem Kind in der Tageseinrichtung brauchen pädagogische Fachkräfte spezifische Fähigkeiten und Methoden, um diese professionell und lösungsorientiert zu führen. Im Austausch mit dem Team, in Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen reflektieren und erweitern pädagogische Fachkräfte ihre Kompetenzen zur Gesprächsführung mit Eltern.
Informationen über Kooperations- und Netzwerkpartner
Eltern wenden sich an pädagogische Fachkräfte, wenn sie Hilfe brauchen und Rat suchen. Manchmal suchen Eltern gezielt nach Antworten in Erziehungsfragen oder suchen Tipps zur Freizeitgestaltung. Oft sind ihre Fragen aber indirekt in ihren Aussagen versteckt oder sie verbergen ihren Bedarf an Hilfe oder schweigen darüber. Manche Eltern wissen nicht, dass sie Beratung und Hilfe brauchen und beanspruchen dürfen.
Es ist Aufgabe pädagogischer Fachkräfte, Beratungsbedarf bei Eltern zu erkennen, diesen herauszuhören, zu erspüren und zu erfragen. Pädagogische Fachkräfte sind Vermittler von Beratungs- und Hilfsangeboten, können - soweit es ihr professionelles Wissen erlaubt - selbst Tipps geben, den Kontakt zu anderen Eltern herstellen oder auf Angebote von Netzwerkpartnern der Tageseinrichtung und Beratungsstellen verweisen.
Pädagogische Fachkräfte erfragen von Eltern gezielt Beratungsbedarf zu pädagogischen und anderen Themen und bieten dazu spezifische Elternabende an, die sie entweder selbst gestalten oder von Fachleuten sowie Experten und Expertinnen ihres Netzwerkes durchführen lassen. Pädagogische Fachkräfte verweisen auf Literatur zum Thema und besprechen diese mit Eltern. An solchen Elternabenden finden pädagogische Fachkräfte und Eltern Gelegenheit, in einem größeren Kreis in Kontakt und Austausch zu treten, pädagogische Sichtweisen und Fragen zu diskutieren und auch die Gelegenheit, sich untereinander besser kennenzulernen.
2.5.10 Eigenes Wohlbefinden stärken
Der Beruf verlangt jeder pädagogischen Fachkraft viel Leidenschaft und Engagement ab. Manchmal fühlt sie sich auch erschöpft, lustlos und ohne Kraft. Pädagogische Fachkräfte müssen sich aber im Alltag der Tageseinrichtung wohlfühlen können. Alle Anforderungen, die Kinder und Eltern, Team, Leitung und Träger, Gesetzgeber und Gesellschaft an pädagogische Fachkräfte stellen, können nur mit Neugierde, Lust und Energie erfüllt werden, wenn die Arbeit inhaltlich herausfordert, zufrieden macht und die Beziehungen in der Tageseinrichtung von Wohlwollen geprägt sind.
Wohlbefinden in der Arbeit stellt sich nicht von allein ein und hat nicht immer die gleiche Intensität, manchmal droht es ganz verloren gehen. Pädagogische Fachkräfte sorgen für ihr Wohlbefinden, körperliche und seelische Balance, um den komplexen Anforderungen ihres Berufs gewachsen zu sein. Dazu vertrauen sie sich dem Team an. Sie setzen sich für gute Arbeitsbedingungen ein, klären Unstimmigkeiten mit Kindern und deren Eltern oder Kollegen und Kolleginnen. Stehen sie vor Problemen, die sie aus eigener Kraft nicht lösen können, so suchen sie Unterstützung und Hilfe, um Energie und Engagement zurück zu gewinnen.
2.6 Pädagogisches Team
Jede pädagogische Fachkraft hat einen pädagogischen Auftrag für die ihr anvertrauten Kinder. Sie ist Bezugsperson für einen bestimmten Kreis von Kindern in der Tageseinrichtung. Für sie ist sie Ansprechpartner und Unterstützer, sie verfügt über ein umfangreiches Wissen über ihre Kinder und deren Familien.
Im Alltag der Tageseinrichtung steht die pädagogische Fachkraft immer auch in Kontakt mit Kindern, deren Bezugserzieherin bzw. Bezugserzieher sie nicht ist. Auch für diese Kinder erfüllt sie ihren pädagogischen Auftrag, ist Ansprechpartnerin und nimmt ihre Aufsichtspflicht wahr. Diese Aufsichtspflicht schließt ein, sich jedem Kind wertschätzend zuzuwenden, es wahrzunehmen und ihm zuzuhören, ihm zu antworten und zu helfen. Pädagogische Fachkräfte haben keinen klar umrissenen Aufgabenbereich, gekennzeichnet durch räumliche oder zeitliche Grenzen oder durch Zuständigkeit für bestimmte Kinder. Die pädagogischen Fachkräfte einer Einrichtung tragen also gemeinsam Verantwortung für alle Kinder der gesamten Einrichtung.
Diese Verantwortung stellt eine große Herausforderung dar und erfordert eine spezifische Art der Zusammenarbeit. Pädagogische Fachkräfte leisten ihre Arbeit nicht allein. Pädagogische Arbeit, die den Bildungsprozessen aller Kinder einer Einrichtung gerecht wird, kann nur in einem Team gelingen. Die Arbeit mit Kindern in einer Tageseinrichtung ist ein gemeinsames Projekt aller daran Beteiligten. Sie erfordert eine gemeinsame Grundhaltung aller pädagogischen Fachkräfte. Kommunikation, Reflexion und Austausch zu fachlichen Themen finden regelmäßig und zwischen allen pädagogischen Fachkräften statt.
2.6.1 Zusammenarbeit im Team gestalten
Kommunikation und Arbeit im Team können nur gelingen, wenn alle Mitglieder des Teams einander wertschätzend, offen und respektvoll begegnen und miteinander kommunizieren.
Die individuellen Eigenschaften, Fähigkeiten und Interessen jeder pädagogischen Fachkraft werden als Bereicherung und Anregung für die pädagogische Arbeit erkannt und berücksichtigt. Alle pädagogischen Fachkräfte sind aufgefordert, ihre Ideen, ihr spezifisches Wissen und Können in das Team zu tragen und in die pädagogische Arbeit einfließen zu lassen.
In einem Team erlebt sich jede pädagogische Fachkraft als zugehörig und ist in die Teamprozesse eingebunden. Um die Arbeit im Team nicht zu gefährden, kommunizieren pädagogische Fachkräfte zeitnah persönliche Probleme, individuelle Belastungsgrenzen, Spannungen zu Kindern oder Familien und Konflikte zu anderen Teammitgliedern. Das Team mobilisiert all seine Ressourcen, um zur Lösung solcher Probleme beizutragen.
Jedes Fachkräfteteam in der Tageseinrichtung ist von Vielfalt geprägt. Auch pädagogische Fachkräfte sind jung oder alt, temperamentvoll oder zurückhaltend, männlich oder weiblich. Je vielfältiger ein Team ist, desto größer sind die Anknüpfungsmöglichkeiten für die gemeinsame Arbeit und das gemeinsame Leben der Erwachsenen und der Kinder in der Tageseinrichtung und somit für die Bildungsprozesse aller. In jedem Team sind deshalb Fachkräfte verschiedener Generationen, Frauen und Männer, Menschen mit (körperlichen) Besonderheiten und besonderen Begabungen, Menschen verschiedener Kulturen und mit unterschiedlichen Muttersprachen und Fachkräfte verschiedener Professionen willkommen. Besondere Beachtung widmen die Fachkräfte dem Thema der Geschlechtszugehörigkeit. Sie reflektieren ihre Haltungen, Vorstellungen, Verhaltensweisen in Bezug auf Geschlechterrollen im Team und diskutieren diese an Beispielen aus der täglichen Praxis.
Damit Teamarbeit gelingt, braucht das Team Strukturen und Regeln, die den Umgang miteinander, den Fluss von Informationen und die Abläufe koordinieren.
Das Team entwickelt Regeln, die gemeinsam erarbeitet, anerkannt, eingehalten und im Bedarfsfall verändert werden. Die Regeln sind allen Teammitgliedern bekannt, sie sind begründet und eindeutig und gelten für jedes Teammitglied gleichermaßen. Die Regeln beziehen sich auf die pädagogische Arbeit mit Kindern und Eltern, den Umgang der pädagogischen Fachkräfte miteinander, Räume, Zeiten und Kontakte zu Partnern der Tageseinrichtung.
Eine wichtige strukturelle Größe für gelingende Teamarbeit ist die Teamsitzung. Sie bietet Raum für Austausch und Diskussion über pädagogische Themen, Reflexion von Beobachtungen und Dokumentationen der Kinder, die Weiterentwicklung der pädagogischen Konzeption, Austausch von Inhalten aus Fortbildungen einzelner Teammitglieder, Planung von Projekten, Netzwerkarbeit und Festen, Beschäftigung mit Öffentlichkeitsarbeit, das Besprechen organisatorischer Fragen, Erörterung von Problemen und Schwierigkeiten einzelner Kollegen oder Kolleginnen bei der Arbeit oder im Team sowie Supervision.
2.6.2 Multiprofessionelle Teams bilden
Jedes Team bündelt die Fähigkeiten, Fertigkeiten, Persönlichkeiten, Kompetenzen und das Wissen all seiner Mitglieder und ist entsprechend reicher an Wissen und Können als jede pädagogische Fachkraft für sich allein. In einem multiprofessionellen Team wird der Fundus an Wissen und Können noch weiter bereichert. Die Ausbildungswege, inhaltlichen Ausrichtungen, beruflichen Hintergründe, Zusatzausbildungen und Praxiserfahrungen der einzelnen pädagogischen Fachkräfte innerhalb der Tageseinrichtung sind sehr vielfältig, Wissensstände, pädagogische Haltungen und Arbeitsweisen sind verschieden. In einigen Tageseinrichtungen sind Therapeuten fest integriert, aber auch Hausmeister und Küchenpersonal ergänzen manches Team. All die verschiedenen Sicht- und Handlungsweisen fließen in die Arbeit des Teams ein, werden reflektiert und verglichen, angepasst und erweitert.
Je mehr Professionen sich mit ihrem Wissen und ihrem Können in die Tageseinrichtung einbringen, desto reichhaltiger sind die Bildungsprozesse nicht nur für die Kinder, sondern auch für alle Fachkräfte der Tageseinrichtung.
2.6.3 Beobachtung und Dokumentation im Team reflektieren
Teil eines Teams zu sein, stellt spezifische Anforderungen an die Arbeit jeder einzelnen pädagogischen Fachkraft. Ein wesentlicher Aspekt ist die Dokumentation. Jede pädagogische Fachkraft dokumentiert ihre Arbeit und kann so Prozesse, Handlungsweisen, Beziehungen und Fähigkeiten reflektieren und Entwicklungen und Schwierigkeiten aufzeigen. Ihre Dokumentationen macht sie dem Team in angemessener Weise zugänglich und regt die Diskussion darüber an. Sie bringt sich aktiv in diesen Reflexionsprozess ein, formuliert Fragen und Wünsche, offenbart Probleme und persönliche Grenzen. Sie erhält so wichtige Impulse für ihre pädagogische Arbeit und kann ihr professionelles Handeln daran orientieren.
Pädagogische Fachkräfte beobachten und dokumentieren die Bildungsprozesse der Kinder. Neben der umfassenden und tiefgreifenden Beobachtung und Dokumentation der Kinder in ihrer Bezugsgruppe haben pädagogische Fachkräfte auch die anderen Kinder im Blick. Dieses Wissen bereichert die gemeinsame Reflexion der Bildungsprozesse einzelner Kinder im Team, die nötig ist, um Kinder und ihre Bildungsprozesse umfassend beschreiben zu können.
2.6.4 Teamentwicklung und Qualität sichern
Jedes Team braucht eine klar erkennbare Leitung, die Orientierung und Halt gibt. Sie achtet auf eine Atmosphäre im Team, die es jedem Mitglied ermöglicht, sich eingebunden zu fühlen und sich einzubringen.
Die Teamleitung sorgt beständig für Entwicklung im Team. Sie bringt neue Impulse in das Team, wirft Fragen auf, bringt Themen ein, regt Diskussionen an. Nimmt sie Spannungen und Konkurrenzverhalten wahr, so thematisiert sie diese und sorgt unter Einbeziehung aller Teammitglieder für eine Lösung bestehender Konflikte.
Jedes Team ist anders. Der Umfang der pädagogischen Teams unterscheidet sich je nach Größe der Tageseinrichtung. Ebenso unterschiedlich ist auch die Zusammensetzung. Jede Teamstruktur birgt Potenziale, die genutzt und gestärkt werden sollen, aber auch Gefahren, die es auszugleichen gilt.
Teams sind ständig mit Ereignissen und Entwicklungen konfrontiert, auf die sie flexibel reagieren müssen. Einige werden an das Team herangetragen, wie Gesetzesänderungen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse, Kinder und deren Familien, die neu in die Tageseinrichtung kommen und andere Bedürfnisse mitbringen und veränderte Erwartungen an das Team richten. Das Team ist bereit, auf solche Veränderungen zu reagieren, sich entsprechend fortzubilden und sich zu vernetzen.
Andere Veränderungen entstehen im Team selbst, wenn Fachkräfte sich weiterbilden, sich ihr Arbeitsumfang oder Tätigkeitsbereich verändert, wenn sie das Team verlassen oder neue Fachkräfte oder Praktikanten hinzukommen. Das Team begrüßt neue Mitarbeiter und innovative Ideen als Bereicherung für die Bildungsprozesse der Kinder. Gleichzeitig wird Bestehendes und Bewährtes gewürdigt, wenn dies die Bildungsprozesse der Kinder unterstützt. So werden beispielsweise Erfahrungen und Erkenntnisse älterer Teammitglieder anerkannt und berücksichtigt.
Damit ein Team sich fachlich und strukturell weiterentwickelt und stets den Bildungsprozessen der Kinder in der Einrichtung gerecht wird, bildet es sich als Ganzes kontinuierlich fort. Es nutzt Supervisionen und Teamfortbildungen, um Potenziale, aber auch Schwierigkeiten und Aufgaben zu erkennen und entsprechend zu bearbeiten.
Pädagogische Fachkräfte sind stets Lernende, die sich mit Neugierde und Fantasie, Offenheit und Lust der Welt, den Kindern und ihrem Spiel sowie Kolleginnen und Kollegen zuwenden. Da pädagogische Fachkräfte ihre Arbeit orientiert an den Bildungsprozessen der Kinder auf individuelle Weise ausgestalten, bilden sie sich selbst beständig weiter, lesen Fachbücher und -zeitschriften, besuchen Fortbildungen und Vorträge. Sie nutzen diese Weiterbildungen zur eigenen Entwicklung, sind aber immer auch Repräsentanten des gesamten Teams und fühlen sich dafür verantwortlich, ihr neu erworbenes Wissen aufzubereiten und allen Teammitgliedern zugänglich zu machen.
Ein Team, das sich an Entwicklung und Veränderung orientiert, das in Bewegung ist und weitergehen möchte, wird immer auf Neues treffen und Neues ausprobieren. Neue Strukturen, Konzepte oder Materialien auszuprobieren erfordert Mut, Experimentierfreude und Engagement jeder pädagogischen Fachkraft und die Offenheit des gesamten Teams.
2.6.5 Team und Eltern
Nehmen Tageseinrichtungen Kinder auf, so übernehmen sie die familienergänzende Aufgabe und Verpflichtung zur Bildung, Erziehung und Betreuung. Tageseinrichtungen werden dieser Aufgabe nur dann in vollem Umfang gerecht, wenn sie diese tatsächlich in gemeinsam getragener Verantwortung mit den Eltern ausüben.
Die Tageseinrichtung und das Team übernehmen die Verantwortung für die Gestaltung der Beziehung zu allen Eltern. Es ist Aufgabe pädagogischer Fachkräfte, die Kommunikation mit Eltern aufzunehmen und als eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zu gestalten. Pädagogische Fachkräfte eröffnen Gespräche mit Eltern und stellen Fragen, sie berichten von den Aktivitäten ihrer Kinder und signalisieren ihre Bereitschaft, auf Fragen zu antworten. Sie geben Informationen an Eltern weiter und holen diese von Eltern ein. Pädagogische Fachkräfte gehen deshalb auf Eltern zu, laden sie ein, informieren sie ausführlich über die Konzeption und die tägliche pädagogische Arbeit. Sie bringen ihnen Aufmerksamkeit entgegen. Sie respektieren Eltern in ihrer Rolle als Erziehungsberechtigte und befragen sie als Experten und Expertinnen für ihre Kinder. Pädagogische Fachkräfte bringen Eltern also Vertrauen entgegen.
Konflikte und Gefährdungen
Kontakte und Beziehungen zu Eltern gestalten sich für pädagogische Fachkräfte manchmal schwierig. Manche Eltern erscheinen zu besorgt, andere zu wenig interessiert. Einige Eltern verstehen die deutsche Sprache nur schlecht, mit anderen stimmt die „Chemie“ einfach nicht.
Ist der Kontakt zwischen pädagogischen Fachkräften und Eltern gestört, kann es leicht zu Konflikten kommen. Spannungen und Konflikte zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften behindern die Bildungsprozesse und das Wohlbefinden der Kinder und müssen deshalb bearbeitet und möglichst kurzfristig gelöst werden. Pädagogische Fachkräfte reflektieren deshalb die Beziehungsqualität zu den Eltern und bemühen sich - wenn nötig - um Verbesserung.
Pädagogische Fachkräfte beobachten die Kinder und dokumentieren deren Bildungsprozesse. Das ermöglicht es ihnen auch, etwaige Probleme und Gefährdungen von Kindern frühzeitig zu erkennen. Ihre Beobachtungen besprechen pädagogische Fachkräfte im Team. Gemeinsam suchen sie nach Wegen, die Bildungsprozesse der Kinder entsprechend zu unterstützen. Gelangt das Team zu der Einschätzung, dass die Möglichkeiten der Tageseinrichtung zur Unterstützung des Kindes nicht ausreichend sind, so werden die Eltern zum Gespräch geladen, in welchem sie für die Thematik sensibilisiert werden. Pädagogische Fachkräfte erörtern gemeinsam mit den Eltern Möglichkeiten für weiterführende Hilfen und bieten ihre Unterstützung bei der Kontaktaufnahme und Vermittlung zu entsprechenden Beratungsstellen und Therapeuten an.
Auf der Grundlage von Beobachtung und Dokumentation können pädagogische Fachkräfte schlimmsten Falls zu der Vermutung gelangen, dass das Wohl eines Kindes gefährdet ist. Solch eine Vermutung erfordert den sofortigen Austausch im Team, mit der Leitung, mit der Kinderschutzfachkraft der Tageseinrichtung und dem Träger der Tageseinrichtung. Pädagogische Fachkräfte beziehen in einem nächsten Schritt Eltern respektvoll ein, laden sie zum Gespräch. Gemeinsam mit ihnen suchen sie nach Lösungswegen und planen nächste Schritte. Pädagogische Fachkräfte unterstützen Eltern bei der Kontaktaufnahme zu Anlaufstellen für Hilfe. Gelangen pädagogische Fachkräfte zu der Einschätzung, dass die Gefährdung des Kindeswohls weiterhin besteht, sind sie verpflichtet, umgehend das Jugendamt zu informieren.
2.7 Pädagogische Leitung der Kindertageseinrichtung
Die Leitung ist die Schnittstelle für Kinder, Eltern, Fachkräfte und Träger. Sie hat alle Aufgaben innerhalb der Tageseinrichtung im Blick, bündelt Themen, sammelt Informationen, achtet auf Termine und koordiniert Arbeitsabläufe. Statt Anweisungen zu geben, bindet sie alle Teammitglieder ein, indem sie ihnen Aufgaben und Verantwortungsbereiche - wie z.B. zur Eingewöhnung, zum Übergang in die Schule, Erstellung der Dienstpläne etc. - überträgt. Sie unterstützt in diesem Zusammenhang auch die Bildung von Arbeitsgruppen. So erhöht sich die Verantwortlichkeit Einzelner für das gesamte Team und dessen Aufgaben. Bei der Verteilung berücksichtigt und nutzt sie die Stärken und Interessen der Teammitglieder. Die Leitung achtet darauf, dass diese Themen, die letztlich alle Fachkräfte betreffen, als solche wahrgenommen und im Team weiter bearbeitet werden.
Die wichtigste Aufgabe der Leitung ist es, dafür Sorge zu tragen, dass die Tageseinrichtung ein guter Bildungsort für Kinder ist. An dieser Aufgabe orientiert die Leitungskraft ihre Ideen und ihre Vorstellungen von guter Praxis in ihrer Einrichtung sowie ihre Haltung, vor allem aber ihr tägliches Handeln. Die Leitungskraft ist für alles verantwortlich, was in der Tageseinrichtung geschieht und wie die Tageseinrichtung nach Außen in Erscheinung tritt.
Die Leitung trägt Sorge für die Qualitätsentwicklung der Einrichtung, für die Entwicklung der Konzeption, für die Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften und ihre kollegiale Zusammenarbeit im Team. Die Leitung arbeitet hierbei und in anderen Fragen eng mit dem Träger zusammen.
Die Leitungskraft strebt eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Eltern und Familien an und baut lebendige Kooperationen und Netzwerke mit Schulen und anderen Institutionen auf, die für Kinder und ihre Familien wichtig sind. Sie vertritt die Tageseinrichtung nach Außen durch aktive Öffentlichkeitsarbeit.
Darüber hinaus versteht sie sich in der Öffentlichkeit als Anwältin der Kinder und vertritt deren Rechte im Sozialraum. Dabei klärt sie über das Besondere kindlicher Bildungsprozesse und die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Gesellschaft auf.
Die Leitungskraft qualifiziert sich kontinuierlich und systematisch für ihre verantwortungsvolle Tätigkeit und sucht den professionellen Austausch mit anderen Leitungskräften.
2.7.1 Personal führen
Die Leitungskraft kennt die Kompetenzen und Ressourcen jeder einzelnen pädagogischen Fachkraft. Sie führt mit ihr in regelmäßigen Abständen individuelle Fachgespräche durch, in denen ihre professionellen Kompetenzen, ihre Integration im Team und ihr Engagement für die Einrichtung sowie ihre persönliche und berufliche Weiterentwicklung thematisiert werden. Die Ergebnisse werden dokumentiert und die Erreichung der Ziele nach einer gewissen Zeit gemeinsam reflektiert.
Die Leitungskraft ist verantwortlich für eine offene und konstruktive Gesprächskultur im Team. Sie bietet Raum und Strukturen zum Austausch im Team über Fragen des pädagogischen Handelns.
Durch Lob und Motivation drückt sie ihre Wertschätzung aus und erkennt insbesondere persönliches Engagement in der pädagogischen Arbeit und für die Tageseinrichtung an. Sie kritisiert aber auch, wenn pädagogische Fachkräfte Fehler machen. Sie reflektiert mit ihnen diese Fehler und erarbeitet mit ihnen zusammen Veränderungsstrategien. Dabei achtet die Leitung darauf, dass sich die pädagogische Fachkraft das notwendige Wissen und Können aneignet und eine entsprechende Haltung entwickelt.
Leiten heißt auch entscheiden. Die Leitungskraft nimmt dabei die Äußerungen und Haltungen im Team wahr und berücksichtigt diese in der Regel bei Entscheidungen. Gegebenenfalls entscheidet sie aber auch gegen Meinungen und Haltungen im Team, wenn ihre Verantwortung für das Recht der Kinder auf Bildung dieses verlangt. Sie begründet ihre Entscheidungen und macht sie dadurch transparent, nachvollziehbar und eröffnet so dem Team Möglichkeiten, sich einzubringen.
Gegenüber dem Träger unterstützt die Leitung ihr Team zum Beispiel in Fragen zu Arbeitsbedingungen oder vermittelt bei Verhandlungen um individuelle Belange.
2.7.2 Qualität sichern
Die Leitung trägt dafür Sorge, dass das Team über Gesetze und das Bildungsprogramm „Bildung: elementar“ informiert ist. Sie stellt Fachliteratur in der Einrichtung zur Verfügung, sie ermuntert das Team, sich damit zu befassen und fordert die pädagogischen Fachkräfte auf, die so erworbenen Kenntnisse in Dienstberatungen einzubringen und dem gesamten Team zu vermitteln. Ähnliches gilt für neue Ideen und fachliche Impulse aus Fortbildungen und Qualifizierungen.
Die Leitungskraft trägt dafür Sorge, dass neue Teammitglieder sowie Praktikantinnen und Praktikanten in die konzeptionelle Arbeit und deren Umsetzung im Alltag der Einrichtung eingeführt und dabei begleitet werden. Sie stimmt dies mit dem Team ab und sorgt dafür, dass einzelne pädagogische Fachkräfte als Mentorinnen und Mentoren dafür Verantwortung übernehmen.
2.7.3 Die pädagogische Konzeption erarbeiten
Die Leitung entwickelt auf der Basis des Bildungsprogramms „Bildung: elementar“ gemeinsam mit den pädagogischen Fachkräften eine einrichtungsspezifische Konzeption als Grundlage für die gemeinsame Gestaltung der pädagogischen Arbeit in der Einrichtung. Alle Teammitglieder beteiligen sich aktiv daran und bringen somit ihre persönlichen Fähigkeiten ein. Die Konzeption gibt der Einrichtung ein individuelles Gesicht und macht so den Unterschied zu anderen Tageseinrichtungen sichtbar. Hier wird ein Profil erarbeitet, das alle Teammitglieder tragen, in das ihre Individualität Eingang findet, das aber auch allgemeingültige und für alle Fachkräfte verbindliche Werte, Aufgaben und Ziele formuliert. Die Einrichtungskonzeption orientiert sich an den Bildungsprozessen der Kinder und ihrer Familien. Sie ist flexibel und verändert sich mit den Anforderungen, die Kinder und ihre Familien, aber auch wissenschaftliche Forschung, Politik und Gesellschaft an die Einrichtung stellen.
Die Leitung überprüft die tägliche Umsetzung der Konzeption und leitet das Team dabei an. In regelmäßigen Abständen regt die Leitungskraft Diskussionen im Team zur Weiterentwicklung der Konzeption an. Dabei wird Neues angestoßen, aber Bewährtes auch beibehalten.
2.7.4 Arbeitsabläufe organisieren
Die Leitung ist verantwortlich für den Dienstplan, die Organisation und die Sicherung der Arbeitsabläufe. Sie kann aber diese und andere Aufgaben auch an Verantwortliche übergeben. Dabei berücksichtigt sie die individuellen Kompetenzen der Teammitglieder.
Die Leitung lädt zu Treffen ein, bei denen organisatorische und personelle Absprachen zur Gestaltung des pädagogischen Alltags getroffen werden. Sie achtet besonders darauf, dass sich das Team zu regelmäßigen Dienstberatungen trifft, in denen die pädagogische Arbeit systematisch reflektiert wird.
Die Leitung gibt dem Team Zeit für Beobachtung und Dokumentation der Bildungsprozesse der Kinder und achtet auf die Durchführung. Sie moderiert den regelmäßigen Austausch über die Beobachtungen und deren Analyse sowie die Entwicklung von pädagogischen Angeboten. Als Leitung organisiert sie die Durchführung von Entwicklungsgesprächen mit den Eltern auf der Basis solcher Dokumentationen über Bildungs- und Entwicklungsprozesse der Kinder.
In regelmäßigen Abständen spricht sich die Leitung über alle organisatorische Fragen mit dem Träger ab.
2.7.5 Mit Eltern partnerschaftlich zusammenarbeiten
Die Leitungskraft der Einrichtung begreift das Wohl der Kinder als Kern der Zusammenarbeit mit Eltern. Sie gewährleistet verlässliche Formen der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Einrichtung und Eltern.
Sie trägt dafür Sorge, dass Eltern über die pädagogische Arbeit und die Entwicklung ihres Kindes regelmäßig informiert werden. Als Leitung interessiert sie sich für die Belange, Fragen und Probleme der Eltern insgesamt und findet Wege, sich regelmäßig darüber in Kenntnis zu setzen. Sie nutzt ihr Wissen gegebenenfalls zur unterstützenden Beratung von einzelnen Eltern oder zur Vermittlung weiterführender Hilfen.
Die Leitungskraft trägt dafür Sorge, dass Eltern bei der Gestaltung von notwendigen institutionellen Übergängen z.B. bei der Eingewöhnung, anlässlich von Gruppenwechseln, beim Übergang in eine andere Tageseinrichtung, in die Grundschule oder eine weiterführende Schule durch Informationen und Beratung unterstützt werden. Gleichzeitig zeigt sie sich verantwortlich dafür, dass Eltern rechtzeitig über Formen und konkrete Maßnahmen der Zusammenarbeit zwischen Tageseinrichtung, Schule und anderen Einrichtungen informiert werden.
Die Leitungskraft findet Wege zur Beteiligung von Eltern an den Belangen der Tageseinrichtung. Sie legt deshalb insbesondere Wert auf eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Elternvertretung und dem Elternkuratorium.
2.7.6 Kooperationen aufbauen
Die kooperative Zusammenarbeit mit anderen Tageseinrichtungen und Institutionen, mit Kooperations- und Netzwerkpartnern aus dem Sozialraum versteht die Leitung als Bestandteil ihrer täglichen Arbeit. Sie organisiert diese mit dem Ziel, Kindern vielfältige und anregende Bildungsangebote sowie gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und versteht sich in diesem Sinne als Mittlerin zwischen den jeweiligen Beteiligten.
Die Leitungskraft ist dafür verantwortlich, ihre Einrichtung kontinuierlich mit deren spezifischem Profil in der Öffentlichkeit zu (re-)präsentieren und damit sichtbar zu machen, welche Möglichkeiten Kinder haben, sich zu bilden. Sie verweist hierbei auf die aktuelle fachliche Entwicklung des Teams und die Errungenschaften der Tageseinrichtung (z.B. bei Wettbewerben).
Sie stimmt sich mit dem Träger in allen Fragen der Kooperation nach außen ab und leistet diesem gegebenenfalls Zuarbeiten. Die Leitungskraft nutzt in Abstimmung mit dem Träger verschiedene Medien, um die pädagogische Arbeit, den Alltag und besondere Aktivitäten der Tageseinrichtung im Gemeinwesen bekannt zu machen.
2.8 Träger der Kindertageseinrichtung
Ein Träger übernimmt mit der Einrichtung einer Tageseinrichtung das Mandat, das Aufwachsen von Kindern in gesellschaftlicher Verantwortung bestmöglich zu begleiten. Er sorgt dafür, dass die Rechte der Kinder in seinen Einrichtungen gewahrt und durch die pädagogische Arbeit garantiert werden. Sein vorrangiges Ziel richtet sich auf das Wohl der Kinder.
2.8.1 Verantwortung für Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder
Der Träger schafft mit der Tageseinrichtung einen eigens für Kinder und ihre Familien gestalteten Ort, setzt kompetentes Personal ein und installiert effiziente und transparente Verwaltungsstrukturen. Er hält die im Bereich Tageseinrichtungen für Kinder geltenden nationalen gesetzlichen Bestimmungen ein. Der Träger orientiert seine Arbeit an den aktuellen fachlichen Vorstellungen von Qualität und ist für die Umsetzung des Bildungsprogramms „Bildung: elementar“ verantwortlich. Er stellt differenziert dar, wie er als Träger seine Verantwortung für Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder wahrnimmt und macht dies öffentlich zugänglich und somit sein Handeln nachvollziehbar.
2.8.2 Personalentwicklung
Jeder Träger hat ein spezifisches Konzept für Personalentwicklung. Auf dessen Grundlage entwickelt er gemeinsam mit der Leitung der Einrichtung Vorstellungen über die angestrebten Kompetenzen des pädagogischen Personals und den Prozess seiner Qualifizierung. Er sorgt dafür, dass die pädagogischen Fachkräfte sich kontinuierlich weiterbilden, konzipiert einen Plan für Fort- und Weiterbildungen und ermöglicht den pädagogischen Fachkräften, daran teilzunehmen. Weiterhin bietet er Literatur an und gestaltet die Arbeitsbedingungen so, dass sich die pädagogischen Fachkräfte informieren, austauschen und konstruktiv zusammenarbeiten können.
Durch den Einsatz kompetenter Fachberatung stellt der Träger eine kontinuierliche fachliche Begleitung der Teams sicher.
2.8.3 Qualitätsmanagement
Auf Grundlage der Leitlinien für die Qualität von Bildungsprozessen in Tageseinrichtungen für Kinder entwickelt der Träger eigene Kriterien für gute Qualität. Anhand dieser überprüft er regelmäßig, ob die Strukturen der Einrichtungen und die Prozesse sowie die Ergebnisse der pädagogischen Arbeit den Ansprüchen des Bildungsprogramms „Bildung: elementar“ gerecht werden. Der Träger nutzt dafür ausgewiesene Qualitätsmanagementsysteme, die die Qualität pädagogischer Prozesse überprüfen.
Der Träger fördert und fordert die pädagogisch-inhaltliche und konzeptionelle Arbeit der Einrichtung und unterstützt die pädagogischen Fachkräfte bei der Weiterentwicklung der Konzeption entsprechend des Leitbildes. Der Träger verpflichtet und unterstützt seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Fortschreibung der Konzeption. Er überprüft deren Einhaltung und die Vereinbarkeit mit der aktuellen Situation der Kindertageseinrichtung.
Der Träger überprüft außerdem regelmäßig die Qualität der Strukturen und Prozesse der Trägerverwaltung, insbesondere die Kooperation zwischen Trägerverwaltung und Einrichtung.
2.8.4 Öffentlichkeitsarbeit
Der Träger nutzt seine vielfältigen gesellschaftspolitischen Möglichkeiten zur Netzwerkarbeit und trägt so zur besseren gesellschaftlichen Wahrnehmung der Arbeit in Kindertageseinrichtungen bei. Er regt die Einrichtung selbst zur öffentlichkeitswirksamen Darstellung ihrer fachlichen Arbeit an und unterstützt sie dabei.
2.8.5 Leitung und Team
Die Leitung der Einrichtung ist das Bindeglied zwischen dem Träger und dem Team. In diesem Bewusstsein schafft der Träger Kommunikationsstrukturen, die einen regelmäßigen und umfassenden Austausch ermöglichen.
Der Träger definiert den Verantwortungsbereich von Leitungskräften, indem er ihre Zuständigkeit für die Organisation der Tageseinrichtung, für die Sicherung der Arbeitsabläufe und für die Qualität der täglichen Arbeit mit den Kindern und ihren Familien beschreibt. Er stärkt sie in ihrer Position als Vorgesetzte im Team und fördert die Weiterentwicklung ihrer Führungsqualität.
Er nutzt Erfahrungen und Kompetenzen der Leitung bei der Einstellung von Personal und berät sich mit ihr bei der Erstellung des Konzeptes zur Personalentwicklung. Bei Konfliktsituationen innerhalb des Teams steht der Träger beratend zur Seite und nimmt nötigenfalls Einfluss.
2.8.6 Eltern
Der Träger kooperiert mit den Eltern partnerschaftlich zum Wohle des Kindes. Er stellt sicher, dass Eltern in Entwicklungsgesprächen regelmäßig über die Bildungsprozesse ihres Kindes informiert werden.
Bei schwerwiegenden Konflikten zwischen Eltern und Einrichtungsleitung, unterstützt der Träger die Suche nach Lösungen, um so eine partnerschaftliche Zusammenarbeit wieder herzustellen.
Der Träger achtet darauf, dass Eltern in den Einrichtungen beteiligt werden. Er stellt sicher, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Mitsprachemöglichkeiten realisiert werden.
2.9 Kooperation und Netzwerke
Zum Auftrag von Tageseinrichtungen gehört es, sich zu vernetzen. Die Tageseinrichtung tritt mit Institutionen und Personen außerhalb der Tageseinrichtung in Kontakt und Austausch und klärt, welche Angebote diese in der Tageseinrichtung machen können. Solche Angebote bereichern und ergänzen die pädagogische Arbeit und erweitern die Bildungsprozesse der Kinder. Sie ersetzen aber nicht die Arbeit der pädagogischen Fachkräfte.
Netzwerke und Kooperationen umfassen Servicepartner und Akteure, die über spezifisches Wissen und Können verfügen sowie professionelle Kooperationspartner.
Die pädagogischen Fachkräfte, die Leitung und der Träger wägen mit Blick auf die Bildungsprozesse der Kinder und im Austausch mit den Eltern sorgfältig Sinn und Nutzen einzelner externer Angebote in der Tageseinrichtung ab, wobei Entscheidungen für, aber auch gegen, diese Angebote jeweils pädagogisch begründet werden. Ein wesentliches Auswahlkriterium betrifft die Teilnahmemöglichkeit der Kinder. Jedem Kind muss es möglich sein und frei stehen, an einem Angebot teilzunehmen.
Die Verantwortung für die Auswahl und Koordination solcher Angebote, die Pflege des Kontakts, das Auslegen von Flyern und Aufhängen von Plakaten, die inhaltliche Abstimmung mit der pädagogischen Konzeption und die Überwachung der Angebotsqualität trägt die Leitung der Tageseinrichtung oder eine speziell dafür bestimmte pädagogische Fachkraft. Sie trägt Sorge, dass jegliche Person, die in der Tageseinrichtung tätig wird, mit den Inhalten der Einrichtungskonzeption vertraut ist und ihr Handeln darauf abstimmt. Sie achtet darauf, dass sich diese Personen zum Wohle der Kinder und orientiert an deren Bildungsprozessen in die alltäglichen Strukturen und Abläufe der Tageseinrichtung einfügen. Die verantwortliche pädagogische Fachkraft überprüft stets, ob die Angebote flexibel auf Kinder und ihre Familien reagieren, die wachsen, sich verändern, neue Interessen herausbilden und mit sich wandelnden Herausforderungen konfrontiert sind. Angebote, die sich nicht an die Bildungsprozesse der Kinder anpassen, werden abgelehnt.
Die pädagogischen Fachkräfte sind über alle Personen, die zusätzlich in die Tageseinrichtung kommen und deren Tätigkeiten genau informiert und geben Informationen darüber an die Familien weiter. Die pädagogischen Fachkräfte sind dafür verantwortlich, dass Personen von außen, Kindern und deren Familien sowie dem Team respektvoll und wertschätzend begegnen. Ihre Aufsichtspflicht gegenüber den Kindern und ihr pädagogischer Auftrag bleiben von den Tätigkeiten dieser Personen unberührt und bestehen auch während eines durch andere Personen gestalteten Angebots fort.
2.9.1 Angebote von Servicepartnern
Servicepartner sind all jene Fremdanbieter, die in der Tageseinrichtung Dienstleistungen erbringen und dafür bezahlt werden.
Manche dieser Serviceanbieter sind in vielen Tageseinrichtungen unerlässlich, wie der Hausmeisterservice und der Essenanbieter. Sie gehen mit dem Träger und den Familien der Tageseinrichtung Dienstleistungsverträge ein, in denen sie die Art und die Form ihrer Leistungen beschreiben. Vertreter dieser Serviceanbieter, die regelmäßig in der Tageseinrichtung arbeiten, kennen und berücksichtigen die pädagogische Konzeption der Einrichtung und sind in die Kommunikationsstrukturen des Teams eingebunden.
Andere Serviceanbieter ergänzen die Arbeit des Teams durch gezielte Förderangebote für einzelne Kinder, wie Physiotherapeuten, Logopäden oder Frühförderstellen. Bei diesen Angeboten achten die Leitung der Tageseinrichtung und die pädagogischen Fachkräfte darauf, dass sie die Bildungsprozesse der Kinder ergänzen. Es gilt, in jedem Fall genau zu prüfen, ob eine Behandlung innerhalb der Tageseinrichtung nötig ist. Sie ist dann in die Abläufe des Alltags zu integrieren und darf diese nicht bestimmen. Die pädagogischen Fachkräfte sind dafür verantwortlich, dass therapeutische Behandlungen weitgehend in die Aktivitäten der Kinder eingebunden sind, so dass die betroffenen Kinder nicht in ihrem Tun unterbrochen und von ihren Spielpartnern isoliert werden.
Therapeuten, die häufig und regelmäßig in der Tageseinrichtung arbeiten, sind als Mitglieder des Teams zu betrachten. Sie arbeiten auf der Grundlage der pädagogischen Konzeption der Einrichtung und stehen in fachlichem Austausch mit den pädagogischen Fachkräften. Pädagogische Fachkräfte nehmen sie ihrerseits als Teammitglieder wahr, begegnen ihnen respektvoll und binden sie in die Kommunikationsstrukturen der Tageseinrichtung ein.
Serviceanbieter sind auch Musikschulen, Anbieter von Fremdsprachkursen oder Sportvereine, für deren Leistungen die Eltern bezahlen. Die pädagogischen Fachkräfte prüfen, ob diese Angebote zur pädagogischen Konzeption der Tageseinrichtung passen und in die Abläufe des Alltags integriert werden können. Die Tageseinrichtung nutzt deren Angebote nur, wenn sie für alle Kinder der Einrichtung realisiert werden. Um soziale Benachteiligung zu reduzieren und Ausgrenzung zu verhindern, ist es Ziel der Tageseinrichtung, alle Angebote kostenfrei oder so kostengünstig bereitzustellen, dass jedem Kind die Teilnahme möglich ist.
2.9.2 Ressourcen anderer Akteure
Im Umfeld einer Tageseinrichtung gibt es zahlreiche Menschen mit spezifischem Wissen und Können, die die Bildungsprozesse der Kinder entscheidend bereichern können. Dies kann innerhalb der Tageseinrichtung geschehen oder auch außerhalb.
Einen Kreis solcher Personen bilden die Familienmitglieder der Kinder. Es gibt Eltern, Großeltern oder Geschwister mit handwerklichen Berufen oder kreativen Fähigkeiten, solche, die fremde Sprachen sprechen oder spezifische Werkzeuge besitzen. Die Tageseinrichtung kann deren Ressourcen einbinden - sei es in Form von Projekten, Arbeitseinsätzen oder als gemeinsam mit Kindern gestaltete Zeit. Familienangehörige können auch gemeinsam mit den Kindern und pädagogischen Fachkräften Orte aufsuchen, um ihnen ihr Wissen und Können zugänglich zu machen - sie mit in ihre Werkstatt nehmen oder in ihr Atelier.
Auch Menschen ohne familiäre Bindung an die Tageseinrichtung unterstützen diese mit ihrem spezifischen Wissen und Können. Manche tun dies als engagierte Freiwillige, andere sind organisiert in gemeinnützigen Vereinen. So besucht vielleicht ein Musiker aus dem benachbarten Theater die Kinder in der Tageseinrichtung oder die Imkerei aus dem Nachbarort lädt die Kinder zu sich ein.
Im Umkreis einer Tageseinrichtung gibt es auch Institutionen, die freie Angebote bereithalten, etwa der pädagogische Bereich des Museums, Theaters oder Opernhauses, örtliche Bibliotheken oder Universitäten sowie diverse Vereine. Tageseinrichtungen suchen nach solchen Angeboten in ihrer Umgebung, die sie als Erweiterung der Angebote für Bildungsprozesse erkennen und bauen Netzwerke mit diesen Institutionen auf.
Die pädagogischen Fachkräfte binden diese Akteure in die Tageseinrichtung ein und achten darauf, dass sie alle Aktivitäten mit Kindern so gestalten, dass die Grundsätze kindlicher Bildungsprozesse beachtet werden. Sie begleiten und unterstützen die Akteure in ihren Tätigkeiten mit den Kindern.
2.9.3 Professionelle Kooperationspartner
Professionelle Kooperationspartner einer Tageseinrichtung sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Institutionen, die sich mit Belangen von Familien und Kindern befassen. Dazu gehören Jugendämter, Amtsärztinnen und Amtsärzte, Familienhebammen, Familienbildungsstätten, Beratungsstellen, Integrationsnetzwerke und Migrantenselbstorganisationen sowie Schulen und andere Tageseinrichtungen.
Pädagogische Fachkräfte erweitern in Zusammenarbeit mit dem Team kontinuierlich ihr Wissen über Angebote potentieller Kooperationspartner. Sie nehmen Kontakt zu ihnen auf, laden sie in die Tageseinrichtung ein oder besuchen sie vor Ort. Sie informieren sich über Inhalte und Qualität ihrer Arbeit und bauen so ein Netzwerk zur Unterstützung von Kindern und deren Familien auf.
Tageseinrichtungen für Kinder haben den Auftrag, mit Einrichtungen der Jugendhilfe und Schulen, in die die von ihnen betreuten Kinder wechseln werden, zu kooperieren. Tageseinrichtungen bauen ebenfalls Kooperationen zu Tagespflegepersonen auf, wenn Kinder aus deren Betreuung in die Tageseinrichtung wechseln oder von beiden parallel betreut werden. Kooperationen dieser Art dienen der gelingenden Übergangsgestaltung der Kinder beim Wechsel von einer Institution zur nächsten. Die Kooperationspartner öffnen ihre Einrichtungen füreinander und besuchen sich gegenseitig. Sie organisieren gemeinsame Veranstaltungen zur Planung und Realisierung einer guten Übergangsgestaltung für die Kinder und ihre Familien.
Die pädagogischen Fachkräfte, die mit der Gestaltung des Übergangs in die Schule beauftragt sind, machen ihre Informationen über die Kooperationspartner den Familien zugänglich und ermöglichen ihnen somit eine gute Orientierung in der Vielfalt der Bildungseinrichtungen. Die Kooperationen verschiedener Einrichtungen der Jugendhilfe und des Bildungswesens signalisieren den Familien, dass die Verantwortung für die Kinder im Sozialraum mit ihnen gemeinsam getragen wird.
Es liegt in der Verantwortung einer jeden pädagogischen Fachkraft der Tageseinrichtung, Lebenslagen von Kindern und Familien zu kennen, Probleme und Schwierigkeiten zu erkennen und bei Bedarf professionelle Unterstützung anzubieten. Um Bedarfe zu erkennen, beobachten und dokumentieren pädagogische Fachkräfte die Bildungsprozesse der Kinder, pflegen den regelmäßigen Austausch mit den Familien in kurzen Tür- und Angelgesprächen, in Entwicklungsgesprächen und vielleicht auch mit Fragebögen. Werden Bedarfe bei Kindern und Familien erkannt, so bezieht die pädagogische Fachkraft das gesamte Team und die Ressourcen der Tageseinrichtung, wie auch Netzwerk- und Kooperationspartner in die Mobilisierung von Unterstützungsangeboten ein.
Eine besondere Notwendigkeit für Netzwerkarbeit tritt dann auf, wenn pädagogische Fachkräfte die Gefährdung des Kindeswohls aufgrund von gewichtigen Anhaltspunkten vermuten. Dies erfordert den zügigen und professionellen Austausch mit Leitung und Team unter Einbeziehung einer Kinderschutzfachkraft bzw. einer insoweit erfahrenen Fachkraft. Die Eltern oder die Sorgeberechtigten werden in spezifischen Gesprächen darüber informiert, in angemessener Weise auf Angebote des „Lokalen Netzwerkes Kinderschutz“ aufmerksam gemacht und bei der Kontaktaufnahme zu entsprechenden Beratungsstellen unterstützt. Schätzen die pädagogischen Fachkräfte und die Leitung der Tageseinrichtung die Gefährdung eines Kindes als akut für dessen physische und psychische Gesundheit ein, sind sie verpflichtet, das Jugendamt in Kenntnis zu setzen.
Wie im Fall des Kinderschutzes geraten pädagogische Fachkräfte manchmal an Grenzen ihrer Professionalität, die die Kooperation mit anderen Professionen notwendig macht. Die Reflexion der eigenen Arbeit sowie der fachliche Austausch im Team und mit der Leitung ermöglichen pädagogischen Fachkräften, solche Grenzen rechtzeitig wahrzunehmen, zu respektieren und passende Kooperationspartner zu mobilisieren.
Jede Tageseinrichtung ist aufgrund ihres Standortes Teil eines bestimmten Sozialraums - einer Gemeinde, eines Stadtteils oder Wohnbezirks. Sie wird in ihrem Sozialraum als Expertengruppe „ihrer“ Kinder aktiv. Die Tageseinrichtung mischt sich aktiv für die Belange von Kindern im Sozialraum ein. Sie zeigt sich in der Lokalpresse, vernetzt sich mit anderen öffentlichen Einrichtungen und engagiert sich für die kindergerechte Gestaltung des Sozialraums - sowohl baulich als auch inhaltlich, hat also Teil an Planungen, Entscheidungen und Beschlüssen, die die Interessen der Kinder berühren.
3 Leitlinien für die Qualität von Bildungsprozessen in Kindertageseinrichtungen
Einführung
Die vorangegangen Überlegungen zu den Bildungsprozessen der Kinder und die Vorschläge für eine gute pädagogische Praxis werden hier zu sieben Leitlinien für die Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder in Sachsen-Anhalt gebündelt. Mit diesen Leitlinien werden lediglich Minimalanforderungen formuliert, die realisiert sein müssen, wenn die Einrichtungen nach diesem Bildungsprogramm arbeiten. Viele Einrichtungen erfüllen diese Anforderungen bereits. Viele sind aber noch auf dem Weg. Diese Leitlinien sollen vor allem die Letzteren unterstützen.
Die Leitlinien sind als konkrete Forderungen an das Handeln und Entscheiden in der Praxis konzipiert, sie lassen aber jedem Träger und jeder Einrichtung immer noch einen weiten Spielraum für die Ausgestaltung der Praxis.
Die Leitlinien sind - wie der Begriff es symbolisch ausdrückt - ein Mittel, die eigene Praxis kritisch zu überprüfen und einen Weg zur Verbesserung und Sicherung der Qualität zu finden.
3.1 Leitlinie 1: Eingewöhnung
Jedes Kind, das in eine Tageseinrichtung eintritt - egal welchen Alters und unabhängig seiner Vorerfahrungen in anderen Einrichtungen - hat ein Recht auf besondere Zuwendung und auf Eingewöhnung.
1.
Eine pädagogische Fachkraft bietet sich dem Kind als Bezugsperson an. Sie widmet sich dem Kind in besonderer Weise und steht ihm für alle seine Bedürfnisse und als Bindungsperson in der Einrichtung zur Verfügung.
2.
Der Prozess der Eingewöhnung dauert so lang, bis das Kind zeigt, dass es sich sicher, geborgen und angenommen fühlt.
3.
Die Eltern des Kindes werden als wichtigste Bindungspersonen anerkannt und begleiten das Kind in der ersten Zeit der Eingewöhnung. Von ihnen erhält die Bezugserzieherin oder der Bezugserzieher grundlegende Informationen über das Kind und seine Familie. Die pädagogische Fachkraft informiert Eltern über die Bedeutung und Notwendigkeit der Eingewöhnung. Sie nimmt die Erwartungen und Ängste von Eltern ernst und bindet sie aktiv in den Prozess der Eingewöhnung ein.
4.
Der Prozess der Eingewöhnung wird als eine Phase des Aufbaus von gegenseitigem Vertrauen gestaltet und dokumentiert. Die wichtigsten Informationen der Eingewöhnung werden an die Eltern weitergegeben. Das gesamte Team erhält regelmäßig Informationen über den Eingewöhnungsprozess.
5.
Jede Einrichtung hat ein einrichtungsspezifisches Eingewöhnungskonzept, welches den jeweiligen Bedürfnissen der Kinder zwischen 0 Jahren und dem Schulalter entspricht.
3.2 Leitlinie 2: Beobachtung und Dokumentation
Jedes Kind hat das Recht darauf, dass seine Bildungsprozesse von pädagogischen Fachkräften systematisch beobachtet, analysiert und dokumentiert werden.
1.
Jedes Kind wird regelmäßig beobachtet.
2.
Die Beobachtung richtet sich auf das Handeln der Kinder, auf Mimik, Gestik, Sprache und Interaktion mit anderen, ohne dieses zunächst zu bewerten und zu deuten.
3.
Die Beobachtungen werden auf die Potentiale und Ressourcen sowie die individuellen Lernstrategien der Kinder hin analysiert.
4.
Im Team werden die Ergebnisse mehrerer, verschiedener Beobachtungen eines Kindes zusammengeführt. Es wird mindestens einmal pro Jahr miteinander für jedes Kind herausgearbeitet, welche Themen und Interessen es verfolgt und welche Lernstrategien es dabei anwendet.
5.
Die Ergebnisse der Beobachtungen und der Analyse werden in geeigneter Form dokumentiert.
6.
Die Dokumentation der Bildungsprozesse gehört dem Kind. Sie ist für das Kind und die Familie frei zugänglich. Das Kind wird an der Erstellung der Dokumentation und der Auswahl der Inhalte beteiligt. Die Dokumentation wird dem Kind beim Verlassen der Einrichtung überreicht.
7.
Die Einrichtung hat ein einheitliches ressourcenorientiertes Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren.
3.3 Leitlinie 3: Eltern
Jedes Kind hat ein Recht darauf, dass seine Eltern und die pädagogischen Fachkräfte die Verantwortung für seine Bildungs- und Entwicklungsprozesse gemeinsam tragen.
1.
Eltern werden über die pädagogische Arbeit in der Tageseinrichtung und die individuellen Bildungs- und Entwicklungsprozesse ihrer Kinder umfassend, zeitnah und in geeigneter Form informiert.
2.
Eltern werden ermuntert und erhalten Gelegenheit, die Erfahrungen mit ihrem Kind sowie ihre Ideen für Bildungsprozesse einzubringen. Diese werden von den pädagogischen Fachkräften anerkannt und fließen in geeigneter Weise in die tägliche Arbeit mit dem Kind ein.
3.
Mindestens einmal im Jahr werden die Eltern zu einem Entwicklungsgespräch über ihr Kind von der Bezugserzieherin oder dem Bezugserzieher aufgefordert und in die Tageseinrichtung eingeladen. In dieses Gespräch fließen sowohl das Wissen und die Erfahrungen der Eltern als auch das Wissen und die Erfahrungen der pädagogischen Fachkräfte ein. Die Dokumentation veranschaulicht dabei die Bildungsprozesse des Kindes in der Tageseinrichtung. Die Erfahrungen der Eltern aus dem familiären Leben bieten wesentliche Erkenntnisse für die weitere pädagogische Arbeit mit dem Kind.
4.
Eltern und Familien werden ermuntert und erhalten Gelegenheit, am Leben in der Tageseinrichtung teilzuhaben, aktiv mitzubestimmen und sich an der Gestaltung des Alltags zu beteiligen.
5.
Die Tageseinrichtung entwickelt ein einrichtungsspezifisches Konzept für die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Eltern und Familien.
3.4 Leitlinie 4: Gruppe und Raum
Jedes Kind in der Tageseinrichtung hat das Recht, gemeinsam mit Kindern jeglichen Alters Bildungsprozesse zu gestalten und alle Räume für sich zu erschließen.
1.
Kinder werden ermutigt, mit anderen Kindern gleich welchen Alters zu spielen und zu arbeiten. Dabei wird den Entwicklungsbesonderheiten von Kleinstkindern, die mehr Geborgenheit und Schutz brauchen, als auch den Bedürfnissen von Schulkindern nach eigenen Räumen, Rechnung getragen.
2.
Jedes Kind hat eine Bezugserzieherin oder einen Bezugserzieher und gehört zu einer Bezugsgruppe. Die Bezugsgruppe und die pädagogischen Fachkräfte haben einen spezifischen Ort für sich in der Einrichtung, an dem sie sich zu bestimmten Zeiten treffen. Dort haben die Kinder jederzeit Zugang zu ihren individuellen Besitztümern und zu ihren Dokumentationen.
3.
Kinder haben zu allen Räumen, einschließlich des Außengeländes, jederzeit Zutritt. Die Tageseinrichtung trägt dafür Sorge, dass Kindern Rückzugs- und Ruhemöglichkeiten jederzeit zur Verfügung stehen und dass alle Kinder diese je nach ihren Bedürfnissen aufsuchen dürfen. Hierfür werden von den Kindern gemeinsam mit den pädagogischen Fachkräften Regeln aufgestellt.
4.
Kinder haben jederzeit zu allen Materialien, Werkzeugen und Gegenständen freien Zugang. Für die Nutzung werden von den Kindern gemeinsam mit den pädagogischen Fachkräften Regeln aufgestellt.
5.
Für die Gestaltung der Räume, ihre selbstbestimmte Nutzung durch die Kinder und die Altersmischung in der Tageseinrichtung erarbeitet das Team ein pädagogisches Organisationskonzept.
3.5 Leitlinie 5: Inklusion
Jedes Kind gleich welcher Herkunft, Religion, welchen Geschlechts, welcher gesundheitlicher Belastungen oder körperlicher, geistiger oder seelischer Besonderheiten und Begabungen, hat das Recht darauf, in die Tageseinrichtung aufgenommen zu werden und entsprechend seiner Individualität und seiner Bedürfnisse bei seinen Bildungsprozessen begleitet und in spezifischer Weise gefördert zu werden.
1.
Die pädagogischen Fachkräfte erkundigen sich bei den Eltern und mit deren Zustimmung auch bei Großeltern, Geschwistern und anderen Familienmitgliedern nach dem bisherigen Leben des Kindes. Sie fragen nach Lebensumständen, sozialen Lebenslagen und der Lebenswelt der Familien, nach kulturellen und religiösen Bindungen der Kinder und ihrer Familien und nach möglichen Migrationserfahrungen. Dieses Wissen bildet eine Grundlage für den gemeinsamen Alltag in der Tageseinrichtung und die Begleitung der individuellen Bildungsprozesse der Kinder.
2.
Pädagogische Fachkräfte erwerben kontinuierlich Wissen und spezifische Kompetenzen für die Förderung und Begleitung von Kindern mit gesundheitlichen, körperlichen, geistigen und seelischen Besonderheiten und Begabungen.
3.
Die pädagogischen Fachkräfte finden geeignete Darstellungsformen, in denen die Vielfalt und Besonderheiten der Kinder und ihrer Familien sowie der Mitarbeiter im Team zum Ausdruck kommen.
4.
Der Träger sorgt für eine den Aufgaben der Inklusion angemessene Entwicklung des vorhandenen Personals bzw. stellt spezifisch qualifizierte Fachkräfte ein und trifft Vorkehrungen dafür, dass diese zu einem multiprofessionellen Team zusammen wachsen.
5.
Der Träger und das Team entwickeln ein einrichtungsspezifisches Konzept für Inklusion und orientieren dieses mindestens an dem Index für Inklusion - Tageseinrichtungen für Kinder.
3.6 Leitlinie 6: Übergänge
Jedes Kind hat das Recht, bei seinen biografischen Übergängen durch die pädagogischen Fachkräfte begleitet, unterstützt und gefördert zu werden. Dies schließt den Übergang von der Tageseinrichtung in die Grundschule, den Übergang in eine Tageseinrichtung für Kinder im Schulalter sowie entscheidende strukturelle Übergänge in der Tageseinrichtung sowie den täglichen Wechsel zwischen den Bildungsinstitutionen Schule und Tageseinrichtung für Kinder im Schulalter ein.
1.
Die pädagogischen Fachkräfte in der Tageseinrichtung beziehen Eltern aktiv in die Gestaltung der Übergänge der Kinder ein. Sie informieren sie umfassend über Entwicklungsaufgaben der Kinder in Übergangssituationen, nehmen die Erwartungen und Ängste von Eltern ernst und finden geeignete Formen, Eltern in den Prozess einzubinden.
2.
Die pädagogischen Fachkräfte informieren Eltern über bestehende Kooperationen mit Grundschulen und weiterführenden Tageseinrichtungen und darüber, wie sie gemeinsam mit den Kooperationspartnern Kinder bei der erfolgreichen Bewältigung von Übergängen unterstützen.
3.
Die pädagogischen Fachkräfte kooperieren mit den pädagogischen Fachkräften der zukünftigen Tageseinrichtung sowie mit den Lehrerinnen und Lehrern, indem sie sich regelmäßig mit ihnen austauschen. Pädagogische Fachkräfte nutzen dafür ihren Erfahrungsschatz und ihr Wissen über jedes Kind auf der Grundlage von systematischer ressourcenorientierter Beobachtung, so dass es durch diese Informationen für Lehrerinnen und Lehrer und für pädagogische Fachkräfte in Tageseinrichtungen möglich wird, in ihrer Arbeit mit den Kindern daran anzuknüpfen.
4.
Tageseinrichtungen streben Verträge und Zielvereinbarungen mit Grundschulen und weiterführenden Tageseinrichtungen und Schulen an, in denen die gleichberechtigten Kooperationen mit dem Ziel der Anschlussfähigkeit geregelt werden. Sie informieren sich dazu über die pädagogischen Konzeptionen der aufnehmenden Einrichtungen.
5.
Die pädagogischen Fachkräfte der zukünftigen Tageseinrichtung lernen die Kinder in ihrer derzeitigen Tageseinrichtung kennen. Sie besuchen die Kinder und laden sie in ihre Einrichtungen ein.
6.
Die pädagogischen Fachkräfte wirken darauf hin, dass die Grundschullehrerinnen und -lehrer die Kinder in ihrer derzeitigen Tageseinrichtung kennenlernen, diese besuchen und sie in die Schule einladen.
7.
Die pädagogischen Fachkräfte von Tageseinrichtungen und die Lehrerinnen und Lehrer entwickeln ein gemeinsames Konzept für die Gestaltung der Übergänge der Kinder von der Tageseinrichtung in die Schule.
8.
Die pädagogischen Fachkräfte von Tageseinrichtungen für Kinder im Schulalter und die kooperierenden Schulen entwickeln ein Konzept für die Gestaltung des täglichen Wechsels der Kinder zwischen den beiden Bildungsinstitutionen.
3.7 Leitlinie 7: Qualitätsentwicklung
Die Qualität der Bildungsprozesse von Kindern in der Tageseinrichtung hängt im Wesentlichen von den Kompetenzen und der Haltung der pädagogischen Fachkräfte ab. Die Tageseinrichtung ist deshalb nur dann ein guter Bildungsort, wenn Träger und Leitung dafür Sorge tragen, dem Team die Möglichkeit zu geben, seine Professionalität kontinuierlich weiterzuentwickeln.
1.
Die Leitung nimmt die professionellen Kompetenzen der pädagogischen Fachkräfte und ihre alltägliche Arbeit mit den Kindern wahr und wertschätzt diese. Die Leitung macht aber auch auf Fehler aufmerksam. Gemeinsam mit den pädagogischen Fachkräften entwickelt sie individuelle Fort- und Weiterbildungskonzepte.
2.
Leitung und Träger geben dem Team Gelegenheiten, sich gemeinsam fort- und weiterzubilden. Hierzu werden längerfristige Begleitprozesse für das ganze Team angeboten.
3.
Träger, Leitung und Team erarbeiten gemeinsam auf der Basis des Bildungsprogramms „Bildung: elementar“ eine pädagogische Konzeption für die Einrichtung. Diese wird kontinuierlich überprüft und weiterentwickelt.
4.
Raumstrukturen und Zeitorganisation der Tageseinrichtung werden immer wieder kritisch daraufhin überprüft, ob sie Bildungsprozesse von Kindern ermöglichen, herausfordern oder unter Umständen behindern. Gegebenenfalls sind Veränderungen vorzunehmen.
5.
Träger und Leitung erarbeiten im Sinne von Professions- und Organisationsentwicklung ein Konzept für die Qualität in der Tageseinrichtung, welches pädagogische Prozesse und strukturelle Bedingungen erfasst. Die Überprüfung des Konzeptes und dessen Umsetzung erfolgt auf der Basis von kontinuierlicher Selbst- und Fremdreflexion.
6.
Dafür nutzt die Tageseinrichtung ein durch den Träger frei zu wählendes Qualitätsmanagementsystem.
4 Bildungsbereiche
Einführung
Die Aufgliederung der Bildungsprozesse von Kindern nach Bildungsbereichen ist eine Methode, die dabei unterstützt, herauszufinden, was Kinder in einer bestimmten Situation oder auch situationsübergreifend und über einen längeren Zeitraum interessiert. Dazu ist die fragende und forschende Haltung der pädagogischen Fachkräfte zunächst Bedingung. Die Bildungsbereiche dienen jeweils als eine „Brille“, durch die auf die umfassenden Bildungsprozesse von Kindern geschaut werden kann. Dieser Fokus sensibilisiert zum einen dazu wahrzunehmen, wie Kinder sich bilden und ermöglicht zum anderen, Konsequenzen für das eigene pädagogische Handeln abzuleiten.
Dieses kann nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen. Zunächst brauchen pädagogische Fachkräfte grundlegendes theoretisches Wissen über kindliche Entwicklung und darüber, wie Kinder sich bilden. Sie brauchen darüber hinaus, spezifisches Wissen von der Bedeutung der Bereiche Körper, Sprache, Grundthemen des Lebens, darstellende und bildende Kunst, Musik, Mathematik, Naturwissenschaften und Technik für ein vielfältigeres Wahrnehmen und Verstehen der Bildungsprozesse von Kindern.
Weitere Voraussetzungen sind eine ressourcenorientierte und systematische Beobachtung dessen, was Kinder tun und auf welche Weise sie dieses tun sowie eine Grundhaltung von pädagogischen Fachkräften, die aus dem gesetzlichen Auftrag von Tageseinrichtungen erwächst und im konkreten pädagogischen Handeln und der Gestaltung von Strukturen, Raum und dem Materialangebot sichtbar wird.
Auf der Grundlage dieser Voraussetzungen reflektieren und prüfen pädagogische Fachkräfte, Teams und Träger von Tageseinrichtungen ihr jeweiliges professionelles Handeln daraufhin, ob es dem Interesse der Kinder und ihren Bildungsprozessen gerecht wird.
Die Bildungsbereiche knüpfen an diesen Voraussetzungen an und verstehen sich als eine Methode, um die Bildungsprozesse von Kindern im Alltag wahrzunehmen, zu interpretieren und professionell begleiten zu können.
Jeder Bildungsbereich beginnt mit einer Einführung in das Thema und beschreibt, was darunter zu verstehen ist und was dazu gehört. Außerdem wird ausgeführt, in welchem Maße es für den Einzelnen im Alltag bedeutsam ist und wie sehr es verwoben ist mit der menschlichen Entwicklung insgesamt, sei es kulturell, gesellschaftlich, wirtschaftlich oder politisch.
Mit dem Hintergrundwissen zu Inhalten und Aspekten des jeweiligen Bildungsbereichs, wendet sich der zweite Teil dem Handeln der Kinder zu. Eingebettet in Entwicklung und Entwicklungsbedürfnisse von Kindern werden Situationen kindlichen Erlebens beschrieben. Das Handeln von Kindern wird daraufhin mit der „Brille“, also aus der Perspektive des Bildungsbereiches hinterfragt, interpretiert und mögliche Interessen von Kindern herausgearbeitet.
Daraus ergeben sich Schlussfolgerungen für das pädagogische Handeln. Es werden die Kompetenzen der pädagogischen Fachkräfte und die Aspekte Raum, Zeit, Material beleuchtet und Aussagen dazu formuliert, wie pädagogisches Handeln gestaltet werden muss, damit der Alltag in Tageseinrichtungen für Kinder reichhaltige Bildungsanlässe bietet.
Jeder Bildungsbereich beinhaltet Fragen, die sich als Aufforderung verstehen, pädagogisches Handeln zu reflektieren. Sie bieten eine Orientierung, sich selbst, Räume, Materialangebote, aber auch Strukturen und Beteiligungsmöglichkeiten mit der „Brille“ des Bildungsbereiches zu hinterfragen. Sie ermöglichen somit eine fortwährende Überprüfung pädagogischer Praxis und stoßen auf dem Wege der Diskussion, des Streitens, des Ringens und des Aushandelns im Team permanente Weiterentwicklung an.
Die hier dargestellte Methode, Bildungsprozesse in Bildungsbereiche aufzugliedern, schließt explizit aus, dass diese in Tageseinrichtungen einzeln, nacheinander oder gar an festen Wochentagen „abgearbeitet“ werden. Vielmehr stellen sie einen Orientierungsrahmen für pädagogisches Handeln dar und fügen sich so in das Selbstverständnis des Bildungsprogramms „Bildung: elementar“ ein.
4.1 Körper
Gute Ernährung und eine gesunde Umwelt, sichere Bindungen und die Gewissheit, zugehörig zu sein, ausreichende Bewegung und wohltuende Entspannung sind ebenso elementare Bestandteile für das Wohlbefinden wie Anerkennung, Wertschätzung und die Erfahrung, teilhaben zu können. Wohlbefinden ist kein starres Ergebnis oder Produkt, das, einmal erreicht, ein Leben lang hält, sondern etwas, das beständig neu ausbalanciert werden muss. Wohlbefinden ist unmittelbar und eng mit dem eigenen Körper verknüpft. Der Körper dient nicht nur dazu, Wohlbefinden auszudrücken, sondern auch dazu, Wohlbefinden aktiv herzustellen. Dies geschieht durch Bewegung, durch die Wahrnehmung und Verarbeitung vielfältiger Sinnesanregungen, durch die Fürsorge für den eigenen Körper und den achtsamen Umgang damit durch andere. Für Kinder ist das in der Regel kein bewusstes, vom Verstand her geleitetes Handeln. Vielmehr ist der eigene Körper in all seinen Facetten und mit seinen Erfahrungsmöglichkeiten von größtem Interesse für Kinder, dem sie beständig nachgehen.
Der Bildungsbereich „Körper“ versteht sich in diesem Sinne als ein Bereich, der an dem Bedürfnis und dem Recht der Kinder nach körperlichem und seelischem Wohlbefinden ansetzt. Es wird darauf eingegangen, welche Interessen Kinder im Zusammenhang mit ihrem Körper haben, welche Bildungsmöglichkeiten und -gelegenheiten dabei entstehen und welche Konsequenzen sich daraus für das Handeln von pädagogischen Fachkräften ergeben.
4.1.1 Interesse und Handeln der Kinder
Körper erkunden
Der eigene Körper ist für Kinder Gegenstand von immer wiederkehrender Neugierde und von dringendem Erkenntnisinteresse. Um Ähnlichkeiten und Unterschiede zum eigenen Körper festzustellen, richten Kinder ihr Forschen auch auf andere Kinder und Erwachsene. Sie versuchen, die Ursachen körperlicher Phänomene zu ergründen und die Folgen körperlicher Aktivitäten zu erfassen. Mit dem Wunsch zu verstehen und vielen Fragen nach dem Warum beobachten Kinder, wie Körper sich entwickeln, wie sie größer werden und wie sie altern. Mit dem gleichen Interesse wenden sie sich Kindern und Erwachsenen zu, die in ihrer Körperlichkeit beeinträchtigt sind, sei es von Geburt an, sei es durch Unfall oder Krankheit.
Kinder erkennen Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Aufbau und Aussehen von Körpern. Sie registrieren vielfältige Erscheinungsformen, z.B. weibliche und männliche, kleine und große Körper, solche mit dunklerer oder hellerer Haut, mit mandelförmigen oder runden Augen, mit hoher oder tieferer Stimme, mit glattem oder lockigem Haar.
Kinder nehmen ihren Körper zunächst als etwas Gegebenes wahr. Sie erkunden ihn in seinen Formen und Funktionen, probieren ihn aus und fühlen dabei, was ihnen angenehm oder unangenehm ist. Kinder arbeiten mit ihrem Körper und trainieren seine Fähigkeiten. Einmal erlernte Bewegungsabläufe wiederholen sie immer wieder und verfeinern diese zunehmend. Greifen, Drehen oder Hüpfen werden oft sehr intensiv geübt, bis die Kinder sich darin sicher fühlen und sich der nächsten Bewegungsherausforderung stellen. Kinder nutzen jede Gelegenheit, ihren Körper auf verschiedene Weisen zu erproben. Hierzu brauchen sie individuell unterschiedlich viel Zeit. Sie gehen allein oder gemeinsam Risiken und Wagnisse ein und kommen dabei immer wieder an ihre Grenzen. Überwinden sie diese, stärkt das ihr Selbstwertgefühl und ihr Selbstbewusstsein. Sie sind stolz auf sich.
Kinder lernen Bezeichnungen für die Teile und Organe des Körpers und deren Funktionen kennen. Diese Bezeichnungen sowie die vielfältige umgangssprachliche, regional- und familienspezifische oder kulturell geprägte Wortwahl, auch Schimpfworte und Koseworte, signalisieren ihnen, welche Bedeutung oder Bewertung ihr Körper von anderen bekommt.
Kinder verstehen frühzeitig, dass bestimmte Worte über den Körper in bestimmten Situationen nicht benutzt werden. Sie haben Spaß daran, diese Worte immer wieder zu verwenden und deren Wirkung auf andere Kinder und Erwachsene zu testen. Meistens handelt es sich dabei um die Bereiche der Ausscheidung und der Sexualität sowie der damit verbundenen Empfindungen. Ob darüber zu Hause und in der Einrichtung gesprochen wird, beeinflusst entscheidend das Wissen, das Kinder von ihrem Körper und über dessen Funktionen haben.
Mit dem Körper erkunden
Tasten, schmecken, riechen, sehen, hören - so nehmen Kinder die Welt in all ihren Facetten wahr. Ihr Körper wird zum Mittel, sich mit der Welt in Verbindung zu setzen. Kinder rühren mit den Händen im warmen Wasser, sie lutschen an einem Eiszapfen, sie balancieren auf dem Bordstein, riechen an einer Orange und lauschen dem Klopfen eines Spechtes. Mit allen Sinnen erforschen Kinder lustvoll und neugierig die Welt, die sie umgibt.
Die Welt bietet den Kindern vielfältige Elemente, Materialien und Lebewesen, die mit dem Körper und durch seine Sinne zu entdecken und zu erkunden sind. Insbesondere, wenn Kinder aktiv sind und ihre unterschiedlichen Sinne gleichzeitig auf etwas richten können, sind ihre Erkenntnisse tief, umfassend und klar. Erst solche reichhaltigen Erkenntnisse bilden die Grundlage für nachhaltige Bildungsprozesse von Kindern.
In Bewegung sein
Kinder bewegen sich von Anfang an und haben einen elementaren Drang, in Bewegung zu sein. Sie rennen den Berg hinunter, kreisen ausdauernd um einen Baumstamm, hüpfen von Treppenstufe zu Treppenstufe, schwingen auf der Schaukel und rollen über die Wiese. Fast alle Kinder sind nahezu ständig in Bewegung, sei es, dass sie lange Strecken in verschiedene Richtungen laufen oder an einem Platz auf einem Bein hüpfen. Sie drehen sich um sich selbst, tanzen mit anderen zusammen im Kreis, laufen Schlangenlinien, gehen vorwärts und rückwärts. Kinder springen über Hindernisse und von oben nach unten, sie klettern hoch und hangeln sich wieder herunter, sie schaukeln voller Kraft oder ruhig und entspannt. Sie bewegen sich allein oder mit anderen, so schnell sie können oder so langsam wie möglich.
Kinder balancieren und rotieren, hängen kopfüber an Stangen, schlittern über Eisflächen und rennen und rutschen steile Hügel herunter. Sie fahren mit Rollern, Fahrrädern oder Kettcars. Sie suchen Herausforderungen, indem sie gefüllte Wassereimer transportieren, Wettrennen mit zerbrechlichen Gegenständen in der Hand veranstalten oder mit den Beinen in Säcken eingebunden hüpfen.
Sind Kinder in Bewegung, erleben sie mit ihren Sinnen neue intensive Eindrücke. Sie nehmen sich mit ihrem Körper immer wieder neu und in vielfältiger Weise wahr. Durch Bewegungen entwickeln Kinder nach und nach eine Raumvorstellung, die ihnen Orientierung und Sicherheit ermöglicht. Kinder suchen oft nach dieser elementaren Erfahrung und finden sie unter anderem auch in Spielen und Aktivitäten wie Blinde Kuh, beim Topf schlagen und bei Nachtwanderungen.
Kinder erleben ihre eigene Position im Raum. Durch Bewegung verändern sie diese und erfassen so auch unterschiedliche Dimensionen. Räume sind für sie lang und breit, hoch und niedrig, nah und fern, eben und schräg, geschlossen oder (fast) unbegrenzt. Gegenstände, die sich im Raum befinden, sind für sie Hindernisse, Herausforderungen oder Orientierungspunkte.
Kinder erkennen zudem, dass Personen aufgrund ihrer Körpergröße, aber auch für ihr persönliches Wohlgefühl unterschiedlich viel Raum benötigen und dass es Absprachen und Regelungen für die gleichberechtigte Raumnutzung braucht.
Bewegung im Raum, drinnen und draußen, ist der Motor für umfassende Bildungsprozesse der Kinder. In der Bewegung sind immer auch zwei wesentliche Elemente des Spiels enthalten, zum einen die Trance- oder Rauscherfahrung, die man beim Rotieren, beim Tanzen und in großen Geschwindigkeiten macht, zum anderen die Erfahrung des Wettkampfes, des Siegens und des Verlierens.
Durch Bewegung nehmen Kinder Raum in all seinen - letztendlich mathematischen - Dimensionen wahr. Sie tun dies nicht nur gedanklich, vielmehr mit all ihren Kräften und all ihren Sinnen und gewinnen so grundlegende Erkenntnisse, die ein Fundament für ihre weiteren Lernprozesse darstellen.
Sich entspannen
Kinder sitzen mitunter einfach nur da. Sie sind ganz in sich versunken und träumen, lassen ihre Blicke im Raum umherschweifen oder schauen anderen zu. In solchen Momenten erscheinen Kinder als ganz ruhig, als ganz bei sich selbst, als völlig entspannt oder als nachdenkend. Neurophysiologisch gesehen ist dieses scheinbare Nichts-Tun eine Phase lediglich äußerer Ruhe, in der Kinder Eindrücke und Erfahrungen verarbeiten. Dieser Prozess ist eine Arbeit, die im Inneren des Körpers stattfindet und wichtiger und notwendiger Bestandteil von Bildungsprozessen ist.
Kinder spüren selbst, wann sie innere und äußere Ruhe brauchen. Um diese zu erreichen, suchen sie oft gezielt Orte, Materialien, Personen und Gelegenheiten, die ihnen dabei helfen, diese zu erlangen. Manchmal erleben Kinder, dass sie trotz ihres Bedürfnisses nach Ruhe diese nicht selbst herstellen können. Kinder brauchen in solchen Situationen Erwachsene, die dies feinfühlig wahrnehmen und ihnen Möglichkeiten anbieten, dieses Bedürfnis individuell zu befriedigen.
Körperliche Nähe spüren
Von Geburt an sind Kinder auf körperliche Nähe und Zuwendung angewiesen. Sie zeigen dies, indem sie sich schon als Säugling ihren Bezugspersonen zuwenden und zumeist direkt im engen Körperkontakt Beruhigung erfahren. Das Gehaltenwerden, das Gewiegt- und Getragenwerden, verbunden mit dem Klang bekannter Stimmen und dem ganz vertrauten, individuellen Duft rufen Wohlbefinden hervor.
In Situationen, die Kinder ängstigen und verunsichern, brauchen und suchen sie aktiv Körperkontakt zu ihren Bezugspersonen. Erst deren prompte Zuwendung und die direkte Nähe ermöglichen es ihnen, Sicherheit zu erlangen, ruhiger zu werden, zu entspannen und sich der Situation vom Schoß oder Arm aus, wieder zuzuwenden. Erfahren Kinder immer wieder, dass ihre Angst und ihre Not akzeptiert werden und darauf einfühlsam reagiert wird, entwickeln sie Vertrauen und gewinnen Sicherheit im Umgang mit Stresssituationen und können sich der Welt zuwenden.
Ihre Freude und ihre Begeisterung drücken Kinder ebenfalls über körperliche Nähe aus. Sie berühren und umarmen, kitzeln und streicheln, zwicken und stupsen sich. Auch verspieltes Necken und Raufen verstärken diese Gefühle und führen zu gemeinsamer Freude und geteiltem Wohlgefühl.
Kinder suchen einmal stärker und einmal weniger den Körperkontakt zu Erwachsenen und anderen Kindern. Dies geschieht individuell und situativ und ist beeinflusst durch eigene Erfahrungen und ihren kulturellen Hintergrund, ihr Alter und ihr Geschlecht. Körperkontakt wird entweder bewusst gesucht, wie im Spiel beim „Sich-Aufeinander-Werfen“ oder beim Rollenspiel in der selbst gebauten Bude oder ergibt sich nebenbei, durch Ankuscheln beim Geschichten vorlesen oder beim gemeinsamen Spielen im Planschbecken, beim Haschen oder beim Streiten.
Respektvoller und wohltuender Körperkontakt stärkt Kinder in ihrem Körperbewusstsein und fördert so ihre Identitätsentwicklung.
Mahlzeiten als körperliche, soziale und sinnliche Erfahrung
Essen und Trinken scheinen so alltägliche Tätigkeiten zu sein, dass diese auf den ersten Blick nicht unbedingt mit Bildungsprozessen in Verbindung gebracht werden. Mahlzeiten aber sind im Leben von Kindern Schlüsselsituationen, weil sie eine Vielzahl von Bildungsanlässen bieten, die mit dem Körper zu tun haben und über diesen hinausweisen.
Hunger und Durst zu haben oder satt zu sein, sind Empfindungen des Körpers, die bei Kindern mit existentiellen Gefühlen und grundlegenden Erfahrungen des Wohlbefindens, aber auch des Leidens verbunden sind. So kann Hunger Angst auslösen, Durst kann Panik erzeugen. Satt zu sein führt zu Zufriedenheit.
Kinder erfahren in der Regel, dass Erwachsene für sie Sorge tragen und sie ausreichend und gesund ernähren. Durch das Versorgtwerden mit Essen wird Kindern aber auch deutlich, dass sie abhängig von Erwachsenen sind. Diese bestimmen, ob und wann sie etwas zu essen bekommen. Erwachsene entscheiden, auf welche Weise und in welcher Menge Kinder Essen erhalten. Kinder spüren, dass Essen manchmal als Druckmittel, als Trost oder als Ausgleich für andere, unbefriedigte Bedürfnisse eingesetzt wird. Manche Kinder erleben, dass die Versorgung mit Nahrung für ihre Eltern ein finanzielles Problem ist. Sie erfahren dies als tiefe Verunsicherung und existenzielle Bedrohung.
Auf der anderen Seite wissen Kinder durchaus, dass Erwachsene sich sorgen, wenn sie nicht essen und sie nutzen das manchmal für Aushandlungen und Widerstand.
Essen und Trinken sind vor allem sinnliche Erfahrungen. Kinder riechen den Duft, sehen Farben, nehmen Beschaffenheit und Form wahr, fühlen Temperatur, hören Geräusche beim Reinbeißen oder Trinken, sie schmecken Süßes, Saures, Bitteres, Salziges oder auch Umami (herzhaft/ würzig). Für Kinder sind die Art der Präsentation des Essens und Trinkens, die Art des Geschirrs und des Bestecks ästhetisch-sinnliche Erfahrungen, die Auswirkung auf ihren Appetit und die Entwicklung ihres Geschmackes haben und damit Einfluss auf ihre Bildung nehmen.
Mit großer Neugierde und freudiger Hingabe untersuchen Kinder jedes Nahrungsmittel. Sie riechen an Orangen, sie lecken an Tomaten, sie befühlen Maiskolben, sie knacken Nüsse und heben große Kürbisse hoch. Aber sie verschütten auch Tee und verteilen ihn auf dem Tisch. Sie greifen mit beiden Händen in den Kartoffelbrei und schieben ihn in den Mund. Sie pusten kräftig in den Trinkhalm, der in der Kakaomilch steckt. Der Reiz all diesen Tuns ist lustvolle Erfahrung. Zugleich gewinnen Kinder Erkenntnisse über den Aufbau und die Beschaffenheit von Nahrungsmitteln und grundlegende Einsichten in physikalische und chemische Vorgänge.
Mahlzeiten sind für Kinder Gelegenheiten, in Gemeinschaft zu essen und zu trinken. Sie decken den Tisch und setzen sich mit anderen Kindern und den pädagogischen Fachkräften zusammen. Sie nehmen ihre Nachbarn und ihr Gegenüber wahr, reichen gefüllte Schüsseln weiter, achten aufeinander und unterhalten sich beim Essen miteinander. Durch die Wahrnehmung der Anderen, die Verantwortung füreinander und den Austausch untereinander, entsteht eine besondere Tischkultur. Rituale, wie Tischsprüche, das Anzünden einer Kerze oder der gemeinsame Beginn prägen die Gemeinschaft und verleihen der Bedeutung von gemeinsamen Mahlzeiten Ausdruck.
Mahlzeiten sind Schlüsselsituationen für umfassende Bildungsprozesse: sie sind Anlass für Zusammentreffen, bieten Gelegenheit und Zeit für entspannte Gespräche, geben die Möglichkeit, durch Nachahmung Neues auszuprobieren und schaffen einen Rahmen, etwas füreinander und miteinander zu tun.
Über diese sozialen Bildungsprozesse hinaus entwickeln Kinder ein individuelles ästhetisches und sprachliches Verständnis und entdecken eigene Fertigkeiten und Möglichkeiten sich aktiv einzubringen. Sie lernen durch das selbstständige Auftun von Speisen und Eingießen von Getränken sowie durch das Schneiden mit dem Messer und das Transportieren einer gefüllten Schüssel Einsatz und Dosierung der eigenen Kraft und verfeinern ihren Gleichgewichtsinn. Machen Kinder solche Erfahrungen, können sie nach und nach entsprechend ihres Körpergefühls - satt oder hungrig sein - selbst einschätzen, wie viel sie essen und trinken möchten.
Kinder wollen sich an der Vorbereitung und Zubereitung von Mahlzeiten beteiligen. Die richtige Menge Kartoffeln einkaufen, Gurken schälen, Obst schneiden oder Teigkneten sind sinnvolle und ernsthafte Tätigkeiten, in denen Kinder ihre Kenntnisse vertiefen und ihre Fertigkeiten weiterentwickeln. Gleichzeitig erleben sie, dass ihr Tun Ergebnisse hervorbringt, die wichtig und nützlich sind. Kinder tragen auf diese Weise Verantwortung für das Gelingen der gemeinsamen Mahlzeiten, erleben ihre (Mit-)Arbeit als bedeutungsvoll und sind stolz, wenn es allen schmeckt.
In Essensituationen erleben Kinder, welche Esskultur in der Einrichtung gepflegt und gefördert wird. Kinder erfahren durch das, was auf dem Tisch steht, wie es auf dem Tisch steht und durch die Art, wie damit umgegangen wird, welche Bedeutung ihm beigemessen wird. Der Begriff Esskultur drückt aus, dass dem Essen ein Wert beigemessen wird, der weit über die eigentliche Nahrungsaufnahme hinausreicht. Sowohl die Qualität des Essens, ob es frisch zubereitet und vielfältig in der Auswahl ist, ob es den Anforderungen für gesundes Essen entspricht und ansprechend wirkt, als auch die Art, wie ein gedeckter (Mittags-)Tisch oder ein Büffet aussehen, spiegeln das umfassende Verständnis wider. Nicht weniger bedeutungsvoll sind die Normen oder Regeln, die bewusst oder unbewusst zur Kultur des Essens beitragen. Jedes Kind ist davon geprägt - durch familiäres und institutionelles Erleben - und wird mit oder ohne Besteck sein Brot essen, eine Tasse mit beiden Händen anfassen, zu jeder Mahlzeit eine Serviette einfordern, ausgiebig oder zügig die Speisen genießen, kein Gemüse oder nur bestimmtes Fleisch essen. Essensituationen in der Tageseinrichtung sind für Kinder Gelegenheiten, unterschiedliche Esskulturen zu erleben, zunehmend selbst mitzugestalten und so als Herausforderung für körperliche, seelische und soziale Entwicklung anzunehmen.
4.1.2 Pädagogisches Handeln
Mit dem Wissen über Rechte, Bedürfnisse und Interessen der Kinder im Zusammenhang mit ihrem Körper lassen sich spezifische Konsequenzen für das pädagogische Handeln ableiten, die wesentlich zum körperlichen und seelischen Wohlbefinden der Kinder beitragen und Unterstützung für ihre individuellen Bildungsprozesse sind. Pädagogische Fachkräfte wissen auch um die Notwendigkeit einer gesunden, ausgewogenen und nachhaltigen Ernährung.
Pädagogische Fachkräfte sind sich bewusst, dass sie selbst als Person einen bestimmten Umgang mit Körper und Körperlichkeit vorleben. Ihr Umgang mit Kindern und Erwachsenen ist geprägt von wertschätzender Sprache und respektvollen Berührungen. Sie (be-)achten, dass jeder Mensch das Recht auf die Berücksichtigung seiner eigenen Bedürfnisse in Bezug auf Schlafen, Essen, Hygiene, Toilettengang und Intimsphäre hat. Getragen von dieser Grundhaltung berücksichtigen pädagogische Fachkräfte die individuelle Art und Weise, diesen Bedürfnissen nachzugehen und schaffen entsprechende Bedingungen dafür.
Pädagogische Fachkräfte erkennen durch die systematische und ressourcenorientierte Beobachtung, welche Interessen und Themen jedes Kind im Zusammenhang mit seinem Körper verfolgt. Sie vermeiden es, Kinder in ihrem natürlichen Bewegungsdrang zu behindern. Pädagogische Fachkräfte unterstützen sie nicht durch angeleitete Bewegungsangebote, vielmehr durch die Gestaltung von Räumen, durch das zur Verfügung stellen von Material und nicht zuletzt durch ihr Vorbild.
Beobachten pädagogische Fachkräfte, dass sich ein Kind dauerhaft körperlich-sinnlichen Herausforderungen entzieht, versuchen sie im Austausch mit dem Kind, dem Team und den Eltern, die Ursachen dafür zu ergründen. Mit besonderer Aufmerksamkeit und Zuwendung bieten pädagogische Fachkräfte diesem Kind alternative Materialien, andere Orte oder passendere Rhythmen an. Sie achten besonders auf eine verlässliche Bindung, achtsame Berührungen und anregende Bewegungen.
Achtsam und respektvoll sein
Kinder, gleich welchen Alters, haben ein Recht auf Schutz und Unversehrtheit ihres Körpers. Dies schließt ein, dass ihre körperlichen Grenzen stets respektiert werden. Pädagogische Fachkräfte haben grundsätzlich Achtung vor dem Körper der Kinder, die sich z.B. in achtsamen Berührungen und wertschätzender Sprache ausdrückt.
Kinder erfahren, dass ihre Körperlichkeit genauso geachtet ist, wie die von Erwachsenen, wenn pädagogische Fachkräfte z.B. das Wickeln und den Toilettengang als intime Situation verstehen und entsprechend gestalten. Das kann bedeuten, feste Wickelplätze oder Bäder so einzurichten, dass unbeteiligte Kinder oder Erwachsene keinen „automatischen“ Einblick in diese innige und vertrauliche Interaktion erhalten. Geben Kinder Signale, dass sie andere in diese Situation einbeziehen wollen und Freude daran haben - vom Geschwisterkind gewickelt zu werden oder mit der Freundin gemeinsam auf Toilette zu gehen - ermöglichen pädagogische Fachkräfte diese Erfahrungen.
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass Kinder ihren eigenen Körper und dessen Nacktheit erleben müssen, um ein gutes Verhältnis zu ihrem Körper zu entwickeln. Sie schaffen deshalb im Alltag der Tageseinrichtung viele unterschiedliche Gelegenheiten dafür. Kinder dürfen sich aber auch zurückziehen und ihre Körperlichkeit und Nacktheit erforschen. Kinder erfahren dadurch, dass ihre individuellen Bedürfnisse nach Intimität geachtet werden. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper berührt Themen wie Körperwahrnehmung, den Umgang mit körperlichen Bedürfnissen und mit der geschlechtlichen Entwicklung. Pädagogische Fachkräfte nehmen diese Auseinandersetzungen jedes Kindes wahr und führen mit einem oder mehreren Kindern sensible Gespräche über Gefühle wie Verletzlichkeit, Scham, Freude und Genuss.
Kinder vergleichen ihre Körper miteinander und stellen Unterschiede ihrer Geschlechtsmerkmale fest. Ihre Entdeckerlust richtet sich sowohl auf den eigenen Körper, als auch auf die Körper anderer Kinder. Dabei ist kindliche Sexualität von der Sexualität Erwachsener zu unterscheiden und davor zu schützen. Kinder brauchen Gelegenheit, ihre Sexualität zu entwickeln, ohne diese als Tabu zu erleben. So berühren sie sich selbst oder untereinander zärtlich und wollen einander nahe sein.
Pädagogische Fachkräfte beobachten aus respektvoller Distanz, wie Kinder miteinander umgehen und achten darauf, dass kein Kind ein anderes zwingt oder dazu drängt, die eigenen körperlichen Grenzen zu missachten.
Pädagogische Fachkräfte sprechen offen mit Kindern über ihren Körper oder über ihre Erfahrungen mit Sexualität, wenn die Kinder Interesse daran zeigen. Dabei nehmen sie stets die Äußerungen und Einschätzungen der Kinder ernst. Aber sie akzeptieren auch, wenn Kinder darüber nicht sprechen wollen.
Genauso wie die Geheimnisse von Kindern wird auch ihre körperliche Intimsphäre als solche ernst genommen und respektiert. Mit Geheimnissen und Grenzen von Kindern wird ein sensibler Umgang gepflegt. So lernen Kinder, dass sie ein Recht auf deren Respektierung und auf ihr „Nein!“ haben. Gemeinsam werden dazu entsprechende Regeln, „Stopp-Wörter“ oder „Stopp-Zeichen“ vereinbart und auch von den Erwachsenen eingehalten.
Sexualität und sexuelle Neugierde von Kindern in der Tageseinrichtung, aber auch die Vermutung oder die Gefahr von Kindeswohlgefährdung werden im Team offen besprochen. Nur durch Offenheit und Gesprächsbereitschaft, gegebenenfalls zusammen mit einer Kinderschutzfachkraft, können Kinder in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit geschützt werden.
Verfügen Kinder über die Erfahrung, dass andere respektvoll mit ihrem Körper umgehen, entwickeln sie daraus ein Verständnis, dass ihr Körper etwas wertvolles, etwas bedeutsames ist und dass ihr Körper ihnen selbst gehört. So drückt jedes Kind selbstbestimmt seine Empfindungen aus, spricht über angenehme und unangenehme Gefühle, äußert Bedürfnisse und setzt Grenzen im Zusammenhang mit dem eigenen Körper.
Raum und Zeit
Bewegung herausfordern
Alle Aktivitäten in Tageseinrichtungen sind in verlässliche Rhythmen eingebunden, die den Kindern einen Wechsel von Bewegung und Entspannung, von laut und leise, von individuell gestalteter Zeit und gemeinsam erlebter Zeit ermöglichen. Pädagogische Fachkräfte schaffen zeitliche und räumliche Voraussetzungen, damit Kinder diesen Bedürfnissen selbstbestimmt nachgehen können.
Kinder bewegen sich immer, wenn man sie nicht einschränkt, sondern ihnen vielfältige Gelegenheiten bietet. Solche Bewegungen dienen auch dem körperlichen Ausdruck der sich entwickelnden Persönlichkeit. Diese Art kindlicher Bewegungen unterscheidet sich grundsätzlich von systematischem und wiederholtem Trainieren einzelner Muskeln oder Muskelgruppen in festgelegten, mechanischen Bewegungsfolgen. Es gehört nicht zum Bildungsauftrag von Tageseinrichtungen, Kinder körperlich einseitig leistungsfähiger und ausdauernder zu machen. Kinder verlieren so ihre Körperwahrnehmung und ihr Körpergefühl und lernen stattdessen, ihren Körper jenseits ihrer sinnlichen Erfahrung als Instrument von Wettbewerb und Leistung einzusetzen. Stattdessen schaffen pädagogische Fachkräfte Voraussetzungen dafür, dass sich Kinder jederzeit ausgiebig und auf ihre eigene Weise bewegen können - sei es drinnen oder draußen.
Grundsätzlich bieten alltägliche Handlungen das gesamte Spektrum an Erfahrungen und Bildungsgelegenheiten, die Kinder im Zusammenhang mit ihrem Körper suchen.
Zeiten wie in der Garderobe unmittelbar vor dem Hinausgehen oder kurz vor dem Mittagessen oder die Zeit vor dem Einschlafen sind Beispiele für Übergangssituationen im Alltag von Tageseinrichtungen. Pädagogische Fachkräfte gestalten diese besonderen Situationen so, dass sie nicht zu Warte- oder Sitzzeiten für Kinder werden, in denen selbstbestimmtes Bewegen unterbrochen und gar verhindert wird.
Innenräume und Außenräume, Flure, Bäder und Vorräume bieten in ihrer baulichen und materiellen Gestaltung Bewegungsanreize für Kinder. Zunächst braucht Bewegung reichlich Platz: Platz für Tanz, Platz für das schnelle und langsame Laufen, Platz dafür, Fahrzeuge zu fahren. Andere Bewegungsabläufe werden durch bewusste Enge - wie in einem Turm, einer Rutsche oder einem Baumhaus ermöglicht. Verschiedene Untergründe, die Gestaltung mit Licht und Schatten, die Bereitstellung verschiedener Ebenen sind weitere Herausforderungen und Impulse zum Bewegen. Zweite und dritte Ebenen ermöglichen Kindern andere Perspektiven auf Raum und Geschehen.
Entspannung und Schlaf ermöglichen
Viele Kinder können sich auch im größten Trubel entspannen. Dazu schaffen sie sich oftmals ihren eigenen Raum. Hierzu nehmen sie selbstgebaute Buden oder Zelte, Decken, Tücher oder Hängematten. Andere Kinder brauchen zum Entspannen bestimmte Gegenstände wie ihre eigenen Kuscheltiere, Kissen, Schmusetücher, Nuckel, Puppen oder ihr Lieblingsauto.
Manche Kinder bevorzugen aber auch eigens für ihre Entspannung geschaffene Orte, wo sie von Erwachsenen ungestört Ruhe, Tagträume, Gemächlichkeit und Zeitlosigkeit genießen können, wo das Licht gedämpft werden kann und wo für eine gewisse Abgeschiedenheit gesorgt ist. Diese Orte suchen Kinder eigenständig nach ihren individuellen Bedürfnissen auf und nutzen sie, ohne dabei von pädagogischen Fachkräften angeleitet zu werden.
Schlaf ist eine wichtige Form der Entspannung. Jedes Kind hat ein individuelles und je nach seinem Befinden unterschiedliches und sich im Laufe der Zeit veränderndes Schlafbedürfnis.
Pädagogische Fachkräfte nehmen die Rhythmen und Bedürfnisse eines jeden Kindes nach Schlaf wahr. Keineswegs überreden oder zwingen sie Kinder zu einem bestimmten Zeitpunkt, für eine bestimmte Dauer und auf eine vorgegebene Art und Weise zu liegen, die Augen zu schließen und zu schlafen. Sonst wird Schlaf für die meisten Kinder mit Druck und Angst verbunden, führt zu Stress und verhindert Entspannung und Wohlbefinden.
Stattdessen bieten pädagogische Fachkräfte den Kindern zeitliche und räumliche Gelegenheiten an, sich nach ihren eigenen Bedürfnissen zu entspannen oder zu schlafen. Sie beteiligen Kinder an der Entscheidung darüber, ob, wie, wann und wie lange sie schlafen möchten. Pädagogische Fachkräfte unterstützen Kinder dabei, in Entspannung zu finden. Sie streicheln und berühren sie, halten und wiegen sie, summen und singen, lesen und erzählen ihnen Geschichten. Auch Massagen unterstützen Kinder dabei, ihre Muskeln und ihren Geist zu beruhigen und so neue Energie zu tanken.
Pädagogische Fachkräfte gestalten Plätze zum Schlafen so, dass sich Kinder im Schlaf sicher und wohl fühlen. Hierzu trägt ein eigenes Körbchen oder Bett mit eigener Bettdecke und Schmusekissen bei. Eigene Kuscheltiere, Nuckel und andere persönliche Schätze erhöhen das Gefühl von Sicherheit.
Kinder wählen den Ort, an dem sie schlafen möchten. Manche bevorzugen Höhlen und Nischen, andere fühlen sich in Körben oder Nestchen wohl, wieder andere mögen Matten oder gepolsterte Flächen und Hochebenen. Pädagogische Fachkräfte achten darauf, dass alle Kinder selbstbestimmt und ohne fremde Hilfe ihre Schlafplätze erreichen und auch wieder verlassen können.
Material
Für den Bereich der körperlichen Bildung ist wie für alle Bildungsprozesse Material notwendig, das mehrere Sinne gleichzeitig anspricht. Dieses Material sollte in der Tageseinrichtung für jedes Kind verfügbar sein und selbstbestimmt genutzt werden können.
Materialien zur Wahrnehmung des Körpers sind z.B. Spiegel in vielfältiger Form und Art. Es ist spannend für Kinder, sich in Verkleidungen zu betrachten - natürlich von oben bis unten und auch zu zweit oder zu dritt. Interessant ist es ebenso, nur einen Ausschnitt des Körpers zu sehen oder über eine vielfache Vergrößerung etwas vom Hautaufbau zu erkennen, das mit dem bloßen Auge nicht zu sehen ist. Der Ort an dem ein Spiegel angebracht ist, ob in einer zweiten Ebene des Raumes oder draußen in einem Teil des Baumhauses, entscheidet zum einen darüber, ob Kinder ihn überhaupt für sich nutzen können. Zum anderen entscheidet der Ort, ob der Spiegel selbst Bewegungsanreiz ist, indem er zum Beispiel auf Bodenhöhe angebracht ist und ein Kind darauf zu krabbeln kann, weil das Spiegelbild neugierig macht. Pädagogische Fachkräfte setzen Spiegel bewusst ein, z.B. nutzen sie mehrere Spiegel im Raum, um gleichzeitig mehrere Perspektiven von ein und demselben Körper sichtbar zu machen oder bringen sie in Kombination mit Farbfolien an, so dass Kinder einen anderen Farbton der Haut wahrnehmen, wenn sie sich ansehen.
Mahlzeiten, ihre Zubereitung und ihr Genuss bieten eine Fülle an Möglichkeiten, vielfältige Materialien einzusetzen. Teller, Tassen und Krüge aus Keramik oder Porzellan, Trinkgläser und Kannen aus Glas gehören zur Tischkultur in der Tageseinrichtung. Reizvoll und auffordernd sind vor allem Dinge, die neu und unbekannt sind, wie Tortenheber, Saucieren und Fischbesteck. Sie bei Mahlzeiten zu benutzen, ist Bestandteil kultureller Bildungserfahrungen. Den Geburtstagskuchen z. B. mit einem Tortenheber auf Teller zu verteilen, erfordert ein hohes Maß an Feinmotorik und Balance und ermöglicht zudem Erfahrungen mit Schwerkraft und dem Verhalten von Massen in verschiedenen Konsistenzen und ist Bestandteil physikalischen Wissens.
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass Kinder mit Nahrungsmitteln wesentliche komplexe sinnliche Erfahrungen machen. Dies gilt auch dann und insbesondere, wenn Kinder Früchte in ihren Händen zerdrücken, Sauce auf dem Tisch verteilen oder mit Erbsen schnipsen. Solche kindlichen Erkundungen stellen pädagogische Fachkräfte oftmals vor die schwierige Entscheidung, eine Balance zu finden zwischen zwei pädagogischen Aufgaben: zum einen den Bildungsprozessen eines jeden Kindes Raum zu geben und zum anderen kulturelle Werte und Normen erfahrbar zu machen.
Sie präsentieren Kindern das Essen so, dass diese es sehen und selbstständig nehmen können und so Gelegenheit haben, von allen Speisen zu probieren. Sie schaffen die Voraussetzungen dafür, dass jedes Kind in seinem Tempo ausreichend Zeit zum Essen hat und auf Wunsch Essen nachnehmen kann.
Pädagogische Fachkräfte bringen sich und ihr Wissen aktiv mit ein. Sehen Kinder bei ihnen, mit wie viel Freude Treppen gestiegen werden, welchen Spaß Fahrradfahren macht und dass Seilspringen einzeln und gemeinsam funktioniert, wollen sie selbst Gleiches können. Erzählen pädagogische Fachkräfte von Spielen und Spielmaterialien aus eigener Kindheit und spielen sie mit Spaß Fangen und Verstecken oder zeigen raffinierte und haltbare Knoten, bieten sie eine Fülle an Angeboten, die Kinder aufgreifen können - aber nicht müssen.
Erfahrungen mit dem Körper lassen sich auch beim Schaukeln sammeln, vielfältige Formen von Schaukeln ermöglichen verschiedene Schwingerfahrungen. Jede Schaukel benötigt außerdem eine andere Form des Körpereinsatzes, damit sie sich in Bewegung versetzt. Erreichen Kinder ein Stelzenhaus nur, wenn sie an einem Seil entlang hangeln oder einen Graben auf einer schmalen, wackligen Brücke überqueren, fordert es körperliches Geschick und macht stolz, wenn es gelingt.
Kinder wollen Ernsthaftes und Verantwortungsvolles tun. Sie sägen Stöcke, weil sie diese Materialien für den Bau eines Turmes brauchen, sie reparieren in der Werkstatt Fahrräder oder stellen Spielmaterial für die jüngeren Kinder her. Kinder streicheln Tiere, spüren, wie sich deren Fell oder Borsten anfühlen und genießen deren Zutraulichkeit. Sie versorgen Tiere mit Gras und anderem Futter. Kinder pflücken Erdbeeren und Äpfel, um gemeinsam mit pädagogischen Fachkräften Salate oder Marmeladen für das Frühstück herzustellen. So lernen sie nicht nur die Möglichkeiten ihres Körpers kennen, vielmehr erweitern sie gleichzeitig ihre sozialen Kompetenzen, ihre Kenntnisse im Umgang mit Pflanzen und Tieren sowie ihr Wissen um die Herstellung von Lebensmitteln oder die Versorgung von Tieren.
Da pädagogische Fachkräfte Kinder in ihrer Wahrnehmung ihres Körpers und seiner Bedürfnisse ernst nehmen, beteiligen sie diese im Tagesverlauf auch bei Entscheidungen, die den Grad der Intensität und den zeitlichen Rhythmus von Bewegung oder Ruhe betreffen. Unabhängig vom Alter lernen Kinder so ihren Körper, seine Fähigkeiten und deren Einsatz kennen. Sie erleben, dass sie durch den Einsatz ihres Körpers etwas schaffen, etwas bewirken können. Kinder wissen, welche Strategien ihnen geholfen haben um eine Fähigkeit zu erweitern oder ein Ziel zu erreichen. Und sie wissen, wann sie ausruhen müssen, um wieder Kraft zu bekommen.
Pädagogische Fachkräfte ergründen die individuellen Ressourcen und Belastungen bzw. Beeinträchtigungen aller Kinder und richten ihr Handeln danach aus. Dazu stehen sie in engem Kontakt mit den Familien der Kinder, beziehen bei Bedarf Therapeuten, andere Einrichtungen, wie Beratungsstellen oder weiterführende Bildungseinrichtungen in ihre Suche nach angemessenen Angeboten und Herausforderungen mit ein.
4.1.3 Fragen zur Überprüfung
In welcher Weise bietet jeder Raum der Tageseinrichtung Gelegenheiten und Anreize für Bewegung? Wo können Kinder klettern, durch etwas hindurchkriechen, springen, oben sein, rennen, schaukeln usw. um verschiedene Raumerfahrungen machen zu können?
Welche Möglichkeiten bieten Räume, sich zurückzuziehen und eine Zeit lang unbeobachtet zu sein?
Haben Kinder jederzeit Zugang zu diesen Räumen?
Welche Materialien können Kinder nutzen, um eigene Bewegungslandschaften zu bauen?
Haben Kinder jederzeit Zugang zu diesem Material?
Wie gelingt es, unnötige Sitz- und Wartezeiten der Kinder an Tischen, in Garderoben und Waschräumen zu vermeiden?
Auf welche Weise entspricht das Außengelände den Bedürfnissen nach Bewegung und Entspannung? Welche verschiedenen Bewegungsanreize finden Kinder vor?
Inwiefern sind pädagogische Fachkräfte in der Lage, Interessen und Themen wahrzunehmen, die jedes Kind im Zusammenhang mit seinem Körper verfolgt?
Können Kinder jeden Alters selbst entscheiden, ob, wann, wie lange und wo sie schlafen?
Wo befinden sich Wickelplätze und sind diese so gestaltet, dass Kinder sich wohlfühlen und ihre Intimsphäre bei Pflegetätigkeiten gewahrt wird?
Bieten Toiletten Raum für Intimsphäre? Sind sie einsehbar oder können sie geschlossen werden?
Kann jedes Kind selbst entscheiden, wann, wie oft und wie lange es auf die Toilette geht, seine Windeln trägt oder diese weglässt?
Wie und wo können Kinder ihren Bedürfnissen nach Körperkontakt, Berührung und kindlicher Sexualität nachgehen?
In welcher Weise sind Kinder an der Vorbereitung von Mahlzeiten beteiligt?
Entscheiden Kinder jeden Alters darüber, was und wie viel sie essen?
Wie sind Räume für Mahlzeiten und Essensituationen gestaltet?
Wo stehen Kindern jederzeit Getränke frei zugänglich zur Verfügung und können sie sich dort selbst bedienen?
4.2 Grundthemen des Lebens
Menschen setzen sich ins Verhältnis zur Welt und wollen herausfinden, was das Besondere des Menschseins ausmacht.
Sie entdecken die Welt mit allen Sinnen, tastend, riechend, schmeckend, hörend und sehend. Sie greifen und begreifen, denken, sortieren, experimentieren, vergleichen, ordnen und machen sich so ein Bild von der Welt auf der Basis von Vermutungen und Annahmen, von Erklärungen über Ursachen und über Wirkungen.
Indem sie Wahrgenommenes deuten und interpretieren, verleihen sie diesem Sinn. Menschen entwickeln Vorstellungen und Gewohnheiten im Umgang mit der Welt, die ihnen Vertrautheit und Verlässlichkeit, Halt und Sicherheit geben.
Menschen suchen nach einem Platz unter den Menschen. Sie treten miteinander in Kontakt, tauschen sich dabei über ihre Wahrnehmungen, Deutungen und Urteile aus und verständigen sich über deren Gültigkeit. Zusammen schaffen sie so Sinnzusammenhänge, aus denen Gemeinschaft, Verbundenheit und Teilhabe erwachsen. Auf der Basis dieser Ideen verwenden sie gemeinsame Symbole, pflegen Rituale und bauen Institutionen auf.
Menschen ahnen auch, dass es etwas gibt, was sie nicht unmittelbar fassen, nicht ohne weiteres begreifen, nicht vom Verstand her begründen und sich nicht erklären können. Sie erahnen eine Ordnung, auf die sie keinen Einfluss haben, die über die Grenzen der Vernunft hinausweist und für die alltägliche Erklärungen, Bewertungen und Deutungen nicht ausreichen.
Menschen werden von unterschiedlichen Begebenheiten auf verschiedene Weisen berührt, zum Beispiel wenn sie Momente der Vollkommenheit erleben oder die Erfahrung von Endlichkeit machen. Manche sind überzeugt, dass es zwar zum Menschsein gehört, auch jenseits des Erklärbaren nach Sinn zu suchen, dass es diesen Sinn aber nicht gibt. Andere gehen über das Erklärbare hinaus und suchen einen höheren, über die Menschen hinausweisenden Sinn. In allen uns bekannten Kulturen setzen sich Menschen damit auseinander, finden hierfür ästhetische Ausdrucksformen und Symbole und entwickeln komplexe Vorstellungen, an die sie glauben.
Auf die Fragen nach der Ordnung des menschlichen Zusammenlebens und einem höheren Sinn gibt es vielfältige Antworten, auch philosophische und religiöse. Philosophie benutzt die Vernunft, um das Besondere des Menschseins in der Welt zu erklären. Sie bietet hierzu Denkmuster, Denkfiguren und Argumentationsstrukturen an. Demnach finden Menschen Orientierung durch eigenständiges, kritisches Denken, durch Auseinandersetzung mit den Ideen von Anderen, mit Argumenten und vor allem im Dialog.
Auch Religion basiert auf der gemeinsamen Suche der Menschen nach Orientierung. Dialoge und Auseinandersetzungen über Vorstellungen vom Richtigen und Guten bestimmen das religiöse Leben. Religion weist dabei über die Grenzen dessen hinaus, was Menschen mit ihrer Vernunft fassen können und setzt sie in Beziehung zu einer höheren, sinngebenden Kraft, die die Welt ordnet. Die meisten Religionen sprechen dabei von Gott oder einer göttlichen Macht.
4.2.1 Interesse und Handeln der Kinder
Kinder setzen sich mit grundlegenden Themen des Lebens auseinander. Anlässe und Gelegenheiten hierzu sind überall im Alltag vorhanden und können Kinder tief berühren. Sie erspüren dies und denken darüber nach, sie entwickeln eigene Vorstellungen und konfrontieren sich und andere immer wieder mit den Fragen nach dem Sinn des Seins.
Kinder sind nie zu klein oder zu unreif für diese eigensinnige Auseinandersetzung. Sie sind von Anfang an durch ihr eigenes Gespür, ihr Wahrnehmen und Erleben damit befasst. Sie drücken ihre Gedanken, Fragen und Vermutungen mit Blicken, Gesten oder Worten aus. Ihre Auseinandersetzung mit Grundthemen des Lebens findet in ihrem Spielen und in ihrem Arbeiten statt.
Kinder gehen Fragen des Lebens und Sterbens, des Wachsens und Vergehens nach. Sie wollen herausfinden, woher Leben kommt und wohin es geht, wie und warum sich Dinge verändern. Sie fragen nach Geburt, Altwerden und Tod. Sie wollen wissen, wie ein Baby in den Bauch der Mutter hinein und wieder heraus kommt, ob sie selbst auch ein Baby waren oder wie aus einer Kastanie ein Baum werden kann und wie aus der Blüte eine Kirsche wächst. Sie staunen über die faltige Haut alter Menschen, deren ergrautes Haar und fragen, was mit ihnen nach ihrem Tod passiert. Von Anfang an spielt diese existenzielle Dimension in ihrem Leben eine fundamentale Rolle.
Kinder fragen danach, wie die Gedanken in ihren Kopf kommen, ob ihr Herz auch schlägt, wenn sie schlafen, wo ihre Träume herkommen, ob ihr Wunsch in Erfüllung geht, wenn sie ihre Wimper wegpusten, ob ihr Schutzengel immer bei ihnen ist oder wie Gott aussieht.
Kinder beschäftigen sich mit Fragen nach ihrer Identität und Zugehörigkeit. Sie suchen nach ihrer Rolle als Mädchen oder Junge und erproben sich darin. Kinder fragen danach, warum manche Menschen blonde Haare oder manche sehr dunkle Haut haben. Sie bemerken, dass manche Menschen Sprachen sprechen, die sie selbst nicht verstehen oder Kleidung tragen, die sie noch nie gesehen haben. Kinder beobachten, dass manche Menschen im Rollstuhl sitzen oder mit einem Stock die Straße abtasten. Sie sehen, dass es Menschen gibt, die auf der Parkbank schlafen. Sie fragen danach, warum manche Menschen Kopftücher tragen oder andere Ordenstrachten.
Kinder machen sich Gedanken über ihre Familien und über ihre Freunde. Sie beschäftigen sich damit, wer zu ihrer Familie gehört - die Großeltern, der Vater, der in einer anderen Stadt wohnt, die Halbschwester, die Frau der Mutter, der Taufpate, die Cousine dritten Grades. Kinder entscheiden, wer ihre Freunde sind und wer nicht zu diesen gehört. In der Auseinandersetzung mit ihren Familien und ihren Freunden erleben Kinder Gefühle wie Liebe und Glück, Freude und Geborgenheit, aber auch Wut, Neid und Trauer.
Kinder stoßen auf unterschiedliche Antworten, die Menschen vor ihnen gefunden haben und die in den unterschiedlichen Lebenswelten akzeptiert sind und Geltung besitzen. Sie setzen sich damit auseinander und vergleichen diese Antworten mit ihren eigenen. Dabei entdecken Kinder Begrifflichkeiten und Rituale, Bräuche und Überlieferungen, Darstellungen und Symbole in Kunst und Architektur, Regeln und Normen der Gemeinschaften. Kinder erleben dabei Gemeinsames, das sie mit anderen teilen können und das sie mit diesen verbindet. Sie begegnen Kindern und Erwachsenen, die ungewöhnliche Fragen stellen und irritierende Antworten geben. Diese können Kinder neugierig machen und sie aufwühlen und erschüttern oder ihnen unverständlich bleiben.
Kinder wollen den Themen des Lebens auf den Grund gehen. Sie brauchen und wollen oft keine fertigen, eindeutigen Antworten von Erwachsenen, die erklären, wie die Dinge sind. Allein oder mit Anderen wollen sie für sich selbst passende Erklärungen finden. Solche Erklärungen entspringen ihrem magischen Denken, ihrer Fantasie, ihren Erfahrungen sowie ihren Deutungen. Diese Erklärungen verändern sich und werden komplexer. Manche sind für Erwachsene nicht nachvollziehbar.
4.2.2 Pädagogisches Handeln
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass sich Kinder in individueller Weise mit Fragen nach dem Besonderen des Menschseins, nach Sinn und Übersinnlichem beschäftigen. Sie achten dieses existenzielle Bedürfnis und Interesse und wissen um die Bedeutung für die Bildungs- und Entwicklungsprozesse von Kindern. Pädagogische Fachkräfte kennen das Recht auf ein eigenes Bekenntnis und eine eigene Weltanschauung, das im
Grundgesetz verankert ist. Auch in der UN-Kinderrechtskonvention ist das Recht auf Freiheit der Gedanken, des Gewissens und der Religion ausdrücklich für Kinder formuliert.
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass Kinder sich auf ihre eigene Weise mit grundlegenden Themen des Lebens auseinandersetzen. Die verschiedenen Wege, die Kinder dabei gehen, respektieren sie als Ausdruck der Einzigartigkeit eines jeden Kindes. Richten sich Kinder mit Fragen an pädagogische Fachkräfte, so ergründen diese, welche Themen sich dahinter verbergen. Erkennen sie weltanschauliche, philosophische und religiöse Inhalte in den Fragen der Kinder, so reagieren sie darauf. Sie bieten sich als verlässliche, einfühlende und vertrauenswürdige Gesprächspartner an, ohne sich aufzudrängen oder lediglich naturwissenschaftliche Erklärungen anzubieten. Sie hören zu, fragen nach und geben Impulse für weiterführende Gedanken indem sie z.B. von ihren Gedanken und Fragen berichten und eigene Erfahrungen schildern.
Pädagogische Fachkräfte erkennen die individuelle lebensweltliche, soziale, kulturelle und religiöse Einbindung eines jeden Kindes an und respektieren diese. Sie wissen, dass in unserer Gesellschaft vielfältige Weltanschauungen und unterschiedliche Religionen nebeneinander bestehen. Sie kennen verschiedene Weltanschauungen und Religionen und verfügen über Wissen über ihre Annahmen, Symbole und Riten. Sie respektieren deren Glaubenssätze, Gottesbilder und Rituale. Pädagogische Fachkräfte interessieren sich für Sitten und Gebräuche der Regionen und Länder, aus denen die Kinder kommen, ihre Speisen und Essgewohnheiten, ihre Kultur und ihre Religion. Diese Haltung ermöglicht es pädagogischen Fachkräften, mit Kindern über Grundfragen des Lebens in Austausch zu treten.
In der Tageseinrichtung werden einzelne Überzeugungs- und Orientierungssysteme nicht bevorzugt oder zum Maßstab für alle gemacht. Vielmehr werden allen Kindern unvoreingenommen vielfältige Auseinandersetzungen mit Grundthemen des Lebens ermöglicht. Auf diese Weise wird der Weg für einen respektvollen Umgang mit dem jeweils Anderen und Fremden, mit Weltanschauungen und Religionen sowie mit anderen Kulturen bereitet. Pädagogische Fachkräfte respektieren das religiöse Bekenntnis jedes Kindes. Sie sind ihnen so Vorbild dafür, unbefangen, sicher und achtsam mit anderen Haltungen und Deutungen von Welt umzugehen. Andere weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen werden als Erweiterung und Bereicherung im gemeinschaftlichen Zusammenleben der Tageseinrichtung erfahren.
Pädagogische Fachkräfte reduzieren aber Kinder nicht auf ihre Zugehörigkeit zu weltanschaulichen und religiösen Gemeinschaften, sondern nehmen sie mit all ihren individuellen Kompetenzen, Fähigkeiten und Eigenschaften wahr. So erleben Kinder, dass sie zwar ihrer eigenen Religion und Kultur angehören, zugleich aber Individuen und als solche Teil der gesamten Gesellschaft sind. Pädagogische Fachkräfte sehen hierin Chance, Herausforderung und Ziel einer interkulturellen und interreligiösen Bildung in Tageseinrichtungen.
Pädagogische Fachkräfte fragen sich, welche Erlebnisse und Erfahrungen sie als Person prägen und welche Deutungen, Erklärungen und Ordnungen von Welt sie für sich selbst gefunden haben. Eigene Wertvorstellungen beeinflussen Handeln und Denken und damit auch die Einschätzung dessen, was andere tun maßgeblich. Pädagogische Fachkräfte machen sich deshalb bewusst, wozu sie sich persönlich bekennen und welche Werte sie vertreten, woran sie glauben und woran nicht.
Dieses Bewusstmachen ist eine Voraussetzung dafür, zu verstehen, dass jeder Mensch eigene Sichtweisen, Haltungen und Werte hat. Mit diesem Wissen können pädagogische Fachkräfte unterschiedliche Vorstellungen von Glauben, von Leben, von der Welt zulassen. Pädagogische Fachkräfte nehmen Fragen von Kindern ernst, die sich zum einen auf ihre eigenen Überzeugungen richten, aber auch das Interesse an anderen Kulturen oder Religionen ausdrücken. Sie ermöglichen Kindern, davon zu erfahren, diese kennenzulernen, zu hinterfragen, sich darüber auszutauschen und sie zu vergleichen.
Auf diese Weise lassen sie Kinder an ihrer Weltsicht und anderen kulturellen und religiösen Vorstellungen teilhaben und geben zugleich achtsam und respektvoll Impulse, so dass Kinder eigene Erklärungen finden können.
Raum und Zeit
Pädagogische Fachkräfte nehmen wahr, wenn Kinder Zeit und Raum für die Auseinandersetzung mit Grundthemen des Lebens wünschen oder brauchen.
Über Ereignisse und Erlebtes nachdenken, eigene Erklärungen finden und diese Anderen mitteilen zu können, braucht Zeit. Pädagogische Fachkräfte ermöglichen Kindern, sich in ihrer eigenen Zeit - allein oder mit Anderen - mit ihren Grundthemen auf individuelle Weise zu beschäftigen. Sie wissen, dass diese Themen Kinder berühren und bewegen. Manchmal wollen Kinder darüber auch mit pädagogischen Fachkräften ins Gespräch kommen und ihnen davon erzählen.
Grundthemen des Lebens können überall in der Tageseinrichtung zur Sprache kommen und in jedem Moment des Alltags bedeutsam werden. Orientiert an den Bedürfnissen, Themen, der Lebenswelt und der religiösen Herkunft der Kinder, können pädagogische Fachkräfte Räume oder Bereiche in der Tageseinrichtung so gestalten, dass sie durch ihre Atmosphäre in besonderer Weise zur Auseinandersetzung mit diesen Themen einladen und Gespräche, Stille, Gebete, Fantasiereisen, Tagträume, Gesänge, Tänze, Geschichten ermöglichen.
Feste, wie Geburts- und Namenstage, Weihnachten und Ostern, Walpurgisnacht und Martinstag, Halloween und Fasching sind für viele Kinder vertraute Rituale und Höhepunkte, die den Jahresverlauf strukturieren. Andere Kinder feiern z.B. das Chanukkafest und das Ramadanfest. Kinder verbinden mit diesen bestimmte Sitten und Bräuche, Orte und Symbole, Gesten und Handlungen. Sie gehen einher mit Erinnerungen, Wünschen, Geschenken, Liedern und Geschichten. Pädagogische Fachkräfte sind neugierig darauf, welche Bräuche und Rituale Kinder zu Hause im Zusammenhang mit bestimmten Festen - ob religiös oder weltlich - pflegen. Im Austausch mit den Kindern erkunden sie, welche Feste für Kinder bedeutsam sind und entwickeln Ideen, ob und wie diese in der Tageseinrichtung gefeiert werden. Gemeinsam mit Kindern gestalten sie solche Feste - schmücken Räume, laden andere Kinder und Eltern ein, bereiten typisches Essen zu und wählen entsprechende Rituale aus.
Pädagogische Fachkräfte wissen, welche Bedeutung Natur für die Auseinandersetzung mit Themen des Lebens für Kinder hat. Natur lädt zum Philosophieren ein und ist Ursprung religiöser Kulte. Naturerscheinungen wie Ebbe und Flut, ein Regenbogen oder Blitze faszinieren Kinder. Sie sind davon beeindruckt und geraten darüber ins Nachdenken. Kinder entdecken leere Vogeleier, eine Schlangenhaut oder eine verpuppte Raupe. Sie denken darüber nach, was in der Eierschale war, wie es der Schlange ohne ihre Haut geht oder was wohl aus der Raupe wird. Pädagogische Fachkräfte ermöglichen Kindern, Natur zu entdecken, Dinge mitzunehmen, aufzubewahren und sichtbar zu machen. Sie achten die gesammelten Schätze der Kinder und werten sie nicht als Schmutz oder Müll ab. Sie geben Kindern dafür Raum und Zeit, über das, was sie gefunden haben miteinander ins Gespräch zu kommen und gemeinsam nach Antworten auf ihre Fragen zu suchen.
Räume oder Gebäude außerhalb der Tageseinrichtung können Anlässe sein, um über Grundthemen des Lebens nachzudenken. In der Umgebung der Tageseinrichtung finden sich religiöse Spuren, wie die nahegelegene Kirche, ein Friedhof oder auch eine Moschee. Auch weltliche Bauwerke, wie lange Brücken, hohe Türme oder ein leer stehendes Haus, das mehr und mehr verfällt, können Anlässe für solche Fragen und Gedanken geben. Auch Aufgaben, mit denen sich Erwachsene z.B. in Feuerwachen, auf Bauernhöfen, in Krankenhäusern und in Museen beschäftigen, lösen in Kindern Fragen und Gedanken zu Grundthemen des Lebens aus.
Material
Material für die Auseinandersetzung mit Grundthemen des Lebens sind zumeist alltägliche Gegenstände, die in bestimmten Zusammenhängen ihre spezifische Bedeutung erhalten. So können ein Seidentuch aus der Verkleidekiste, die Kerze vom Mittagstisch und Blütenblätter, Wurzeln oder Steine aus dem Garten zum Mittelpunkt eines Erzählkreises werden.
Pädagogische Fachkräfte ermöglichen Kindern in der Tageseinrichtung Spuren zu hinterlassen, die Auskunft geben über ihre Identität, ihre Kultur, ihre Weltanschauung und ihre Religion. Sie unterstützen beispielsweise, dass Kinder Fotos und Bilder von ihren Familien, ihrem Zuhause, religiösen Orten, ihren Geburts- oder Heimatorten mit in die Tageseinrichtung bringen und dort aufhängen oder in Büchern aufbewahren. Pädagogische Fachkräfte sorgen dafür, dass jedes Kind ein eigenes Fach oder eine Schatzkiste hat, in welchem es wichtige Gegenstände und Kostbarkeiten sammeln und aufbewahren kann.
Pädagogische Fachkräfte stellen Kindern Literatur zur Verfügung, die zur Auseinandersetzung mit Grundthemen des Lebens einladen. In der Tageseinrichtung gibt es Bücher mit Geschichten und Erzählungen über Erlebnisse von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Bücher mit unbekannten Schriftzeichen oder Symbolen, Märchen, Sagen und Fabeln aus verschiedenen Kulturen.
Materialien sind neben greifbaren Gegenständen auch Lieder, Reime, Gedichte, Tänze, Gesänge und Gebete. Pädagogische Fachkräfte ermuntern Kinder, Gegenstände, Sitten und Bräuche ihrer jeweiligen Kultur, Religion oder Lebenswelt in die Tageseinrichtung mitzubringen und in den Alltag einzubinden.
4.2.3 Fragen zur Überprüfung
Wovon erzählen Kinder?
Welche Erklärungen finden Kinder?
Wie gestalten Kinder Beziehungen zu anderen Kindern, zu Geschwistern, zu ihren Eltern und zu pädagogischen Fachkräften?
Welche Bedeutungen haben Freundschaften für Kinder?
Was empfinden Kinder als richtig oder falsch und wie bringen sie dies zum Ausdruck?
Was empfinden Kinder als gerecht oder ungerecht und wie begründen sie ihre Meinung?
Was berichten Kinder von Festen, Ritualen und Bräuchen, die sie zu Hause begehen?
Welche weltlichen, welche christlichen, welche Feste weiterer Religionen werden in der Tageseinrichtung gefeiert? Welche Lebensthemen werden dabei berührt?
Welche weltanschaulichen oder religiösen Einflüsse erleben Kinder zu Hause und welchen Raum findet dieses im Alltag der Tageseinrichtung?
Haben Kinder Vorstellungen von Gott und wie bringen sie diese zum Ausdruck?
Welche religiösen und welche weltlichen Personen, Figuren, Gegenstände, Symbole und Räume sind bedeutsam für Kinder?
Welchen Stellenwert nehmen Gebete im Alltag der Tageseinrichtung ein?
Welche Möglichkeiten haben Kinder verschiedener Religionen zur deren Ausübung?
Was wissen pädagogische Fachkräfte selbst über verschiedene Weltanschauungen und Religionen und deren Symbole und Riten?
Wie äußern pädagogische Fachkräfte ihre Meinung und ihre Orientierung, ohne Kinder dabei in ihrem Fragen und Entdecken einzuschränken?
Wie gelingt es pädagogischen Fachkräften in Einrichtungen mit religiöser Ausrichtung oder spezifischen pädagogischen Konzepten, diese einerseits zu vertreten und zugleich offen zu sein für andere Lebensentwürfe und Sichtweisen?
4.3 Sprache
Sprache und Schriftsprache sind in unserer Gesellschaft die bedeutendsten Ausdrucks- und Kommunikationsmittel. Menschen müssen die Sprache sprechen und schreiben können, um in vollem Umfang am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Menschen sprechen aus vielerlei Gründen miteinander. Sie tauschen Informationen über Dinge, Handlungen und Eigenschaften aus. Sprache ermöglicht darüber hinaus auch die Mitteilung über sich selbst: Gefühle, Gedanken und Befindlichkeiten. Über die Art seines Sprechens werden immer auch Informationen über den Sprecher vermittelt. In der Stimmlage, Lautstärke, Tonfall, Aussprache etc. werden unter anderem Gefühle, Haltungen und Einstellungen erkennbar. So ist Sprache auch ein Mittel, um Beziehungen zueinander zu gestalten.
In der Sprache und der Art des Sprechens werden kulturelle Einflüsse genauso sichtbar wie geografische, religiöse und politische. Umgekehrt beeinflusst Sprache die Wahrnehmungen, das Denken und das Fühlen der Menschen. Da Sprache in Lieder, Gedichte und Geschichten etc. einfließt, ist sie immer auch Teil von Ästhetik und gleichzeitig Übermittler des kulturellen Erbes.
Sprache ist mehr als die Aneinanderreihung von Worten. Die Körpersprache, zu der Mimik, Gestik und Haltung gehören, ist eine nonverbale Form der Sprache - ohne Worte werden Gefühle, Ideen und Bedürfnisse ausgedrückt. Schrift bezeichnet dagegen die Form von Sprache, die mittels eines Zeichensystems die Bewahrung und Weitergabe von Informationen anhand von Texten ermöglicht. Aus Schriftstücken ist die Information - meist visuell oder haptisch - erfassbar, also auch lesbar.
In diesem Sinne ist Sprache ein Werkzeug, um sich mit anderen Menschen in Verbindung zu setzen und um Eigenes auszudrücken und mitzuteilen. Sprache dient auch der „Übersetzung“ von Gefühlen, beispielsweise, wie es sich anfühlt, zu seiner Lieblingsmusik zu tanzen. Mittels Sprache werden Erkenntnisse und Fragen, Einstellungen und Bedürfnisse Anderen mitgeteilt. Sprache ermöglicht gleichzeitig, dass Andere ihre Erfahrungen und Befindlichkeiten aussprechen und dass durch das Miteinanderreden, sich verstehen und verständigen Dialog entsteht.
Sprachentwicklung vollzieht sich in Verbindung mit der gesamten körperlichen und geistigen, intellektuellen und motorischen Entwicklung. Sinnliche Wahrnehmung und Bewegung verlaufen Hand in Hand mit der Sprachentwicklung. Lautsprache kann sich nur in Bewegung entwickeln und Sprechen setzt Bewegung voraus. Nur durch die Bewegung der Lippen, der Stimmbänder, des Brustkorbes, des Kiefers und der Muskulatur ist Sprechen möglich. Körperhaltung, Körperspannung und -beweglichkeit beeinflussen die Stimme und die Aussprache. Die Orientierungsfähigkeit im Raum und das Verständnis von Zeit drückt sich ebenfalls sprachlich aus, wenn z.B. Erlebnisse von „damals“ erzählt werden oder verstanden werden muss, was es heißt, sich nachmittags zu treffen.
Der Bildungsbereich Sprache ist somit - wie auch der Bildungsbereich Körper - ein Querschnittsthema in Tageseinrichtungen für Kinder.
4.3.1 Interesse und Handeln der Kinder
Kinder haben das grundlegende Bedürfnis, sich auszudrücken und verstanden zu werden. Bereits das Weinen Neugeborener unterscheidet sich, je nachdem ob das Baby Hunger verspürt, Schmerzen erleidet, sich langweilt, müde oder überreizt ist.
Von Geburt an interessieren sich Kinder für alle Facetten von Sprache und Sprechen und nehmen diese mit all ihren Sinnen wahr. Sie lauschen gespannt vertrauten Stimmen und horchen auf, wenn sich deren Ausdruck verändert oder wenn sie fremde Stimmen oder Sprachen hören. Kinder sind fasziniert von Mimik und Gestik, die die Stimmen begleiten. Sie schauen gebannt auf den Mund, besonders den ihrer Bezugspersonen und sind fasziniert von Lippen, die sich bewegen und die einen Klang hervorzubringen scheinen. Mit den Händen untersuchen Kinder sprechende Gesichter, betasten den Mund und wollen ergründen, wo die Töne herkommen. Kinder versuchen auch, selbst Töne zu erzeugen. Sie spitzen den Mund, pusten, schmatzen und freuen sich, wenn ihnen Geräusche glücken. Manchmal sind sie überrascht und erschreckt von ihrem eigenen Jauchzen und Glucksen.
Kinder wollen Zusammenhänge verstehen. Sie wollen die Bedeutungen und Namen von allen Dingen in ihrer Umgebung kennenlernen. Manche Kinder hören nicht auf, auf alles in ihrer Nähe zu zeigen, manchmal begleitet von den Worten: „Ist das?“, um gierig Erklärungen aufzusaugen. Wird ihnen ein Lied vorgesungen, eine Geschichte erzählt oder ein Buch vorgelesen, rufen sie unermüdlich „Noch mal!“ und lauschen gespannt, als hörten sie die Worte zum ersten Mal.
So lernen Kinder die Sprache. Sie verknüpfen Bedeutungen und erfüllen Wahrgenommenes mit Sinn. Bei der nächsten Gelegenheit probieren Kinder aus, ob ihre Zuordnung passt und kommentieren mit Silben und Worten das, was sie sehen und hören, schmecken und riechen, spüren und empfinden. Dabei ordnen sie Dingen nicht nur Begriffe zu, sondern verbinden damit Handlungen. Die Art der Betonung und die Mimik und Gestik, mit welcher ein Kind das Wort „Ball“ begleitet, geben Aufschluss darüber, ob es diesen haben will, er gerade unter dem Bett verschwunden ist oder der Ball ihm weggenommen wurde.
Im Spiel erproben Kinder Sprache. Sie schlüpfen dabei in die Rollen ihrer Bezugspersonen und modellieren deren Sprache. Auch Sprache selbst wird zum Experimentierfeld. Kinder erfinden Fantasieworte, reimen und dichten Lieder.
Kinder sprechen miteinander, um zu streiten und zu diskutieren, zu planen und sich auszutauschen, um zu spielen und zu arbeiten. Sie verstehen gegenseitig ihre subjektiven Sprachen, helfen sich mit Worten aus und inspirieren sich mit Neuschöpfungen. Sie hören einander geduldig zu und stören sich wenig an Fehlern der anderen. Sprache verbindet so Kinder miteinander.
Können gerade jüngere Kinder zunächst auch ohne Worte gut miteinander in Beziehung treten, so gewinnt die verbale Kommunikation mit zunehmendem Alter mehr und mehr an Bedeutung. Sprache wird dann auch Symbol für Gruppenzugehörigkeit - etwa über Codewörter, die nur Gruppenmitglieder kennen oder dient dazu, sich von der Welt der Erwachsenen abzugrenzen.
Kinder entdecken Buchstaben als Zeichen neben vielen anderen Symbolen. Sie erleben, dass sich ältere Kinder und Erwachsene mit Schrift befassen und dass Schriftzeichen zum Bestandteil ihrer Lebenswelt gehören. Schrift wird über Medien wie Fernsehen und Zeitung wahrgenommen, an Lebensmitteln und Fahrzeugen gesehen und als Leuchtreklame in Geschäften oder in Büchern mit spannenden Geschichten entdeckt. Kinder interessieren sich für Buchstaben, suchen und finden sie in ihrem Alltag und ahmen sie immer stärker nach. Kinder sind stolz, wenn sie ihren Namen selbst schreiben können und sich ihnen Schriftsprache als neue Kommunikationsform eröffnet.
4.3.2 Pädagogisches Handeln
Sprache im Alltag leben
Sprache ist als Kommunikationsmittel Bestandteil alltäglicher Interaktionen zwischen pädagogischen Fachkräften, Kindern und ihren Familien. Pädagogische Fachkräfte und andere Mitarbeiter in der Tageseinrichtung sprechen mit wertschätzenden und respektvollen Worten über Menschen und ihr Tun. Auf diese Weise sorgen sie für eine gute Sprachkultur im Haus und ein Klima, in dem Wünsche und Sorgen benannt, Ideen und Hinderungsgründe miteinander ausgetauscht werden.
Da Sprache ein Schlüssel für die Teilhabe an Gesellschaft ist, machen pädagogische Fachkräfte Sprache zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Alltags. Erleben Kinder, dass Sprache ein wesentliches Element des Alltags ist und zur positiven Gestaltung von Beziehungen beiträgt, dann sind sie bestrebt, selbst in sprachlichen Austausch mit ihren Bezugspersonen zu treten. Kinder wollen teilhaben an Gemeinschaft und somit auch an der Sprache, die diese Gemeinschaft spricht.
Pädagogische Fachkräfte strukturieren und gestalten mittels Sprache den Alltag, kommentieren Übergänge, erläutern eigene Handlungen und fragen nach den Tätigkeiten der Kinder. Sie reagieren auf verbale und nonverbale Kommunikationsangebote der Kinder, indem sie das, was Kindern in der Einrichtung begegnet und ihr Interesse fesselt, benennen und sprachlich in größere Zusammenhänge einbinden. Pädagogische Fachkräfte lenken die Aufmerksamkeit der Kinder auf Dinge, Ereignisse oder Handlungen, indem sie ihr Tun sprachlich begleiten. Alle Tätigkeiten pädagogischer Fachkräfte, bei welchen sie Kinder berühren, wie beim Wickeln oder Anziehen, werden immer von freundlicher und wertschätzender Sprache vorbereitet und begleitet.
Pädagogische Fachkräfte sprechen mit den Kindern, nicht zu ihnen oder über sie hinweg. Sie treten so mit den Kindern in einen Dialog und widmen ihnen dabei ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Pädagogische Fachkräfte wenden sich den Kindern zu und stellen Blickkontakt her. Sie sprechen und hören zu. Sie lassen Kinder ausreden und ermuntern sie zum Weiterreden. Sie bemühen sich, Kinder zu verstehen und deren Perspektive zu übernehmen. Sie nehmen Bezug auf ihre Aussagen, fragen nach und geben Antworten.
Sind Kinder von ihren physiologischen Voraussetzungen her in der Lage, Silben zu formen, werden sie diese Dingen und Lebewesen, Menschen und ihren Handlungen ihrem Verständnis entsprechend zuordnen. Pädagogische Fachkräfte lernen die Bedeutungen der Silben verstehen, indem sie Kinder beobachten und auf ihr Wissen über die Lebenswelt der Kinder und ihre Interessen zurückgreifen. Sie reagieren auf die sprachlichen Äußerungen, beziehen sich darauf und greifen die Worte der Kinder auf, die sie vollständig und richtig aussprechen. Dabei betten sie diese in größere Kontexte ein. Sie regen so die Kinder an, ihre Sprachfähigkeiten weiter zu verfeinern und ihr Wissen neu zu ordnen. Weist die Aussage der Kinder über den Gegenstand hinaus auf eine Handlung hin, so benennen die pädagogischen Fachkräfte den Handlungszusammenhang und geben Kindern damit zu erkennen, dass sie ihre Kommunikationsbemühungen verstanden haben.
Werden Kinder von Geburt an durch ihren Alltag sprachlich begleitet, lernen sie, im Sprachstrom ihrer Bezugspersonen Lautzusammenhänge zu unterscheiden und mit Bedeutungen zu verknüpfen. Wird das Anziehen der Jacken beispielsweise immer von Worten wie „Jetzt gehen wir raus an die frische Luft.“ begleitet, so erwarten Kinder bald, dass das Anziehen erfolgt, wenn sie diese Worte hören. Kinder brauchen die sprachliche Begleitung zu jeder Zeit und in jedem Zusammenhang. Gegenstände, Menschen und Handlungen werden stets von den pädagogischen Fachkräften sprachlich kommentiert, damit Kinder viele Bedeutungen damit verknüpfen können.
Kinder verstehen sehr viele sprachliche Zusammenhänge, bevor sie selbst sprechen. Sie verstehen die inhaltliche Bedeutung der Worte und die Bedeutung, die über Stimmlage, Akzentuierung und Intonation vermittelt wird. Daraus erwächst die Anforderung an pädagogische Fachkräfte, ihre Worte genau zu bedenken und diese in angemessener Weise zum Ausdruck zu bringen.
Kinder reagieren auf Gesprochenes. Zu Beginn nutzen sie hierfür die Körpersprache, ihre Mimik und Gestik, später begleitet von Lauten. Pädagogische Fachkräfte entschlüsseln diese nonverbalen Signale und antworten entsprechend darauf. So erleben Kinder, dass sie verstanden und in ihrer Persönlichkeit und Ausdrucksfähigkeit anerkannt und wertgeschätzt werden. Dieses ermuntert sie, ihre sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern und zu verfeinern.
Kinder lernen Sprache durch Sprechen. Die sprachlichen Fähigkeiten der Kinder erweitern sich schnell, manchmal in täglichen Schritten. Ihr Wortschatz wird immer größer und mit der Entwicklung der physiologischen Fähigkeiten können Kinder Worte immer klarer und deutlicher aussprechen und immer längere und komplexere Sätze bilden. Kinder brauchen pädagogische Fachkräfte, die sich ihnen geduldig zuwenden, ihnen ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenken und ihren Erzählungen zuhören. Sprechen über Wahrgenommenes und Erlebtes, Gefühltes und Gedachtes ist Sprachbildung.
Sprachvorbild sein
Kinder wollen richtig und deutlich sprechen, denn sie wollen verstanden werden. Sie brauchen keine Korrektur, sondern gute Sprachvorbilder und Resonanz. Hieraus erwächst die Verantwortung der pädagogischen Fachkräfte, ihre eigene Sprache und ihr Sprechen ständig zu beobachten, zu reflektieren und zu überdenken. Pädagogische Fachkräfte sprechen deutlich, grammatikalisch richtig, wenn überhaupt, dann nur leicht dialektgefärbt und in vollständigen Sätzen. Sie nutzen Worte, die eindeutig das ausdrücken, was sie meinen und sagen wollen, wobei sie auf einen umfangreichen Wortschatz zurückgreifen.
Die inhaltliche Botschaft der Worte unterstreichen pädagogische Fachkräfte durch Intonation, Akzentuierung, Sprachmelodie und Körpersprache. Worte, sprachlicher Ausdruck und Körpersprache stimmen beim Sprechen überein und übermitteln so eindeutige Botschaften. Die Sprache pädagogischer Fachkräfte ist aufrichtig, authentisch und frei von Ironie und Sarkasmus. Ironie und Sarkasmus oder Zynismus verstehen Kinder nicht, sondern verunsichern sie extrem. Kinder spüren, dass die Worte etwas anderes ausdrücken, können deren Doppelbedeutung kognitiv aber nicht erfassen. Oft fühlen sie sich dadurch beschämt.
Da über das Sprechen neben inhaltlichen Aspekten immer auch andere Botschaften, wie Gefühle und Haltungen, Werte und Bewertungen übermittelt werden, achten pädagogische Fachkräfte genau auf ihren sprachlichen Ausdruck. Kinder müssen auch dann vermittelt bekommen, dass sie als Person wertgeschätzt und respektiert werden, wenn ihr Tun auf Missbilligung stößt und bei pädagogischen Fachkräften negative Gefühle auslöst.
Kinder beobachten genau, wie Erwachsene miteinander sprechen. Pädagogische Fachkräfte sind Kindern auch dann Sprachvorbilder, wenn sie miteinander sprechen. Hierbei achten sie auf wertschätzenden Ausdruck, auf grammatikalische Richtigkeit, auf Dialektarmut und angemessene Wortwahl, auf Mimik und Gestik.
Miteinander sprechen
Sprache ist nur über Hören und Sprechen erlernbar. Kinder brauchen darum Menschen in ihrer Umgebung, die mit ihnen sprechen und ihnen zuhören. Der erste Ort des Spracherlebens ist die Familie der Kinder. Hier wird der Grundstein für die Sprachentwicklung gelegt.
Pädagogische Fachkräfte brauchen die Familien der Kinder als Partner, um den Spracherwerb gewinnbringend für Kinder begleiten und gestalten zu können. Sie tauschen sich mit den Familien aus, berichten in den regelmäßigen Entwicklungsgesprächen über das Sprachverhalten der Kinder und informieren sich über die Sprach- und Sprechkultur im Elternhaus. Gegebenenfalls geben pädagogische Fachkräfte den Familien Anregung und Unterstützung.
Von Wärme, Respekt und Vertrauen geprägte Beziehungen zwischen Kindern und pädagogischen Fachkräften sind die Voraussetzung für eine umfassende Sprachbildung und gelingende Kommunikation zwischen den Beteiligten. Pädagogische Fachkräfte halten Blickkontakt zu den Kindern, mit denen sie sprechen. Sie hören ihnen geduldig und ermunternd zu, deuten deren Aussagen richtig und antworten angemessen. So entwickelt sich wertschätzende und vertrauensvolle Kommunikation zwischen den Beteiligten, die die Beziehung weiter stärkt. In solchen Beziehungen können Kinder unbefangen auf ihre eigene Art und Weise sprechen, ohne ausgelacht oder verbessert zu werden. Sie können auch schweigen und zuhören oder sich nonverbal ausdrücken.
Sprache ist wesentlich für den Aufbau von Beziehungen und die Teilhabe an der Gemeinschaft von Kindern. Schon sehr junge Kinder suchen sich bevorzugt Interaktionspartner, deren sprachliche Fähigkeiten ihren eigenen ähneln. Kinder, die nicht oder nur mühsam sprechen, werden häufig von Spiel- und Arbeitsprozessen ausgegrenzt. Pädagogische Fachkräfte unterstützen deshalb die Sprachentwicklung aller Kinder. Sie beobachten Interaktionen zwischen Kindern aufmerksam und helfen Kindern einfühlsam dabei, Strategien zu entwickeln, um an den Interaktionen Gleichaltriger teilhaben zu können.
Mehrsprachigkeit als Chance verstehen
Dass Kinder mehrsprachig aufwachsen ist im Weltmaßstab keine Ausnahme, sondern die Regel. Auch in vielen Tageseinrichtungen in Sachsen-Anhalt gehört Mehrsprachigkeit mittlerweile zur Normalität. Der Stellenwert der einzelnen Sprachen und der Umgang damit im familiären Alltag der Kinder sind allerdings individuell verschieden.
Kinder lernen ihre Erstsprache intuitiv. Haben Kinder in den ersten Lebensjahren regelmäßigen Kontakt zu mehr als einer Sprache, erstreckt sich dieses intuitive Lernen auf jede dieser Sprachen. Mit zunehmendem Alter geht ihnen diese Fähigkeit des Sprachenlernens verloren. Sich eine fremde Sprache anzueignen, bereitet Kindern dann mehr und mehr Mühe.
Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, sprechen häufig später als Kinder, die nur eine Sprache erleben. Dies hat vermutlich etwas damit zu tun, dass Kinder die jeweiligen Sprachen gewissermaßen erst innerlich sortieren. Das spätere Sprechen weist aber nicht auf späteres Verstehen hin. Auch wenn die Kinder sich nicht mit Worten verständigen, nehmen sie diese dennoch auf und deuten sie. Für pädagogische Fachkräfte bedeutet dies, bewusst und häufig zu sprechen und geduldig auf verbale Antworten zu warten.
Beginnen mehrsprachig aufwachsende Kinder mit dem Sprechen, so wechseln sie mitunter zwischen den Sprachen und mixen diese beim Reden. Das ist kein Zeichen von Unfähigkeit sich in einer Sprache auszudrücken, sondern weist vielmehr auf die Gewandtheit hin, schnell zwischen zwei Sprachen wechseln zu können und den jeweils präziseren Ausdruck zu wählen. Die Kinder dürfen demnach nicht korrigiert oder kritisiert werden, ihre besonderen sprachlichen Fähigkeiten gilt es vielmehr zu schätzen.
Kommen Kinder in die Tageseinrichtung, bringen sie je verschiedene sprachliche Hintergründe und Voraussetzungen mit: in einigen Familien spricht ein Elternteil mit den Kindern in seiner Erstsprache, das andere Elternteil Deutsch. Manche Kinder kommen innerhalb ihrer Familie gar nicht oder nur sporadisch in Kontakt mit der deutschen Sprache.
Pädagogische Fachkräfte erfragen die jeweiligen Voraussetzungen und machen sich mit der je individuellen Situation des Kindes vertraut. Sie wertschätzen die Muttersprachen der Kinder als Ausdruck von Vielfalt und verstehen sie als Bereicherung des Alltags in der Tageseinrichtung. Pädagogische Fachkräfte nehmen Mehrsprachigkeit als Ressource der Kinder wahr und ermuntern sie, in ihrer Muttersprache zu sprechen.
Pädagogische Fachkräfte unterstützen und ermutigen Kinder, die deutsche Sprache zu erlernen. Sie sprechen viel mit Kindern, verknüpfen ihre Handlungen bewusst mit Sprache und sorgen dafür, dass jedes Kind einen Platz in der Kindergemeinschaft und Freunde findet.
Je älter Kinder mit einer anderen Muttersprache als Deutsch in die Tageseinrichtung kommen, desto wichtiger ist die Unterstützung und Begleitung durch pädagogische Fachkräfte und andere Kinder. Deutsch wird nun als Fremdsprache und nicht mehr intuitiv erlernt. Erleben Kinder in der Tageseinrichtung, dass die deutsche Sprache für die Gestaltung des Alltags wichtig und bereichernd ist, werden sie diese leichter erlernen.
Sprachbildung und Sprachförderung unterscheiden
Sprache ist Teil der menschlichen Kultur und stellt eine wesentliche Voraussetzung für die Teilhabe an Gesellschaft dar. Alle Kinder finden in der Tageseinrichtung eine Umgebung vor, in der Sprache und Gesang den Alltag bestimmen. Von Anfang an haben sie vielfältige Gelegenheiten, sich sprachlich auszudrücken - sei es durch Laute und Töne, sei es durch Sprechen und Singen. Pädagogische Fachkräfte hören jedem Jungen und jedem Mädchen jeden Alters aufmerksam zu. Sie treten mit den Kindern in einen gleichberechtigten Dialog, indem sie sich ihnen zuwenden und ihnen zuhören, Ideen der Kinder aufgreifen und nachfragen sowie eigene Vorschläge einbringen. Ein so gestalteter Dialog wird als Basis von Sprachbildung in den Alltag integriert und ist so der wichtigste Bestandteil von Sprachförderung.
Pädagogische Fachkräfte beobachten kontinuierlich die Spiel- und Arbeitsprozesse der Kinder und achten dabei insbesondere darauf, wie sie ihre Sprache bilden. Dabei nehmen sie wahr, ob einzelne Kinder erhöhte Aufmerksamkeit und besondere Sprachförderung brauchen. Kinder, die nur wenige Worte zur Verfügung haben, die schwer zu verstehen sind, die Sätze nicht richtig bilden können oder die in der Tageseinrichtung gar nicht sprechen, sind unbedingt in ihrer Persönlichkeit und ihrer individuellen Sprachbildung zu stärken. Hierzu gehört es, diese Kinder im Alltag vermehrt individuell und direkt anzusprechen, mit ihnen in Gespräche zu kommen und ihnen so vielfältige Gelegenheiten zu geben, sich sprachlich auszudrücken. Die erhöhte Aufmerksamkeit führt nicht dazu, dass diese Kinder von anderen Kindern getrennt werden. Vielmehr tragen pädagogische Fachkräfte dafür Sorge, dass diese Kinder nicht von den anderen gemieden werden. Stattdessen schaffen sie Möglichkeiten dafür, dass sie von den anderen in ihr Spiel einbezogen werden.
Pädagogische Fachkräfte erkennen, wann ihre professionellen Möglichkeiten erschöpft sind und Kinder systematische Förderung in ihrer sprachlichen Bildung und therapeutische Begleitung in ihrer Entwicklung benötigen. Auf der Grundlage ihrer kontinuierlichen Beobachtungen und Dokumentationen tauschen sie sich im Team und zugleich mit den Eltern aus. Gemeinsam beraten sie weitere Schritte auf der Grundlage ihrer Kenntnisse über Therapeuten und unterstützende Institutionen im näheren Umfeld.
Raum und Zeit
Pädagogische Fachkräfte nehmen sich nicht nur angemessen Zeit für Gespräche mit jedem Kind, sie schaffen auch Orte für regelmäßige gemeinsame Gespräche, wie z.B. Morgen- oder Mittagskreise. Hierbei werden auch Regeln für das Miteinandersprechen ausgehandelt. Gemeinsame Spiele wie Brett- oder Kartenspiele bieten Anlässe, um Spielregeln in Worte zu fassen und spezifische Begriffe zu erlernen.
In der Einrichtung gibt es Orte für bestimmte Formen des Sprechens und des Hörens. Das Rezitieren im Theaterraum, das Schweigen und Zuhören, wenn mit Instrumenten musiziert wird, das Laut- und Leisesprechen bei unterschiedlichen Gelegenheiten. Es gibt Räume oder Ecken, in denen vorgelesen wird oder Kinder sich zu bekannten Bilderbüchern selbst Geschichten erzählen. Es gibt Orte, an denen Kinder Bücher finden und solche, wo sie sich im Schreiben üben.
Material
Sprache kann aber auch selbst Thema sein und so in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung rücken. Dies geschieht, wenn in der Tageseinrichtung Geschichten gelesen oder erzählt werden. Auch Reime, Verse, Lieder und Gedichte stellen Sprache und Sprechen in den Vordergrund. Besonders junge Kinder sind begeistert von Fingerspielen und Kreistänzen, die sprachlich begleitet werden. Ältere Kinder setzen Sprache bewusst und gezielt im darstellenden Spiel ein. Große Freude haben Kinder an Zungenbrechern, bei denen mit Sprache und Sprechen gespielt wird.
Wichtigstes Material - und somit Medium - für Sprache sind der eigene Körper und die eigene Stimme. Die Stimme kann auf vielfältige Weise eingesetzt werden - laut und leise, hoch und tief, klar und gebrochen. Kinder brauchen Gelegenheiten und Zeiten, um ihre Stimme in allen Facetten ausprobieren und kennenlernen zu können.
„Material“ ist auch der reiche Fundus jeder pädagogischen Fachkraft an Gedichten, Reimen, Fingerspielen und Liedern, die diese selbstverständlich, sinnvoll und gern in den Alltag mit den Kindern einbindet, als Angebot an die Kinder zum Zuhören oder Mitmachen. Es geht nicht darum, Kindern Lieder, Gedichte etc. „beizubringen“, damit sie diese vorführen können. Sie sind vielmehr Selbstzweck, bereiten Freude, verbinden und sind unterhaltsam. Sie dienen auch der Strukturierung von Zeit und werden begleitend zur Gestaltung von Übergängen im Tagesablauf eingesetzt.
Reime erleichtern Kindern den Zugang zu Sprache. Gereimtes lässt sich leichter merken und auch leichter nachsprechen. Über Reime lernen Kinder Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Silben und Worten kennen.
Ein wichtiges Medium für den Spracherwerb ist das Buch. Allen Kindern sind jederzeit Bücher zugänglich. Sie finden in der Tageseinrichtung eine große Auswahl an Büchern mit und ohne Schrift, klein- und großformatig, aus Pappe oder Papier sowie Zeitschriften und Heftchen vor. Es gibt Wissensbücher und Fachbücher zu verschiedenen Themen, Bücher mit Märchen und Geschichten, Lieder- und Gedichtbände. Kinder finden Materialien vor, um selbst Bücher zu gestalten, sie füllen die Seiten leerer Hefte und Bücher mit eigenen Bildern und Geschichten. Pädagogische Fachkräfte nutzen in der Tageseinrichtung selbst Bücher, um Wissen nachzuschlagen, Informationen zu erlangen oder vorzulesen, so dass Kinder den Umgang mit Büchern als alltäglich und lohnend erleben.
Musik auf Tonträgern, Hörspiele sowie Hörbücher werden nur sparsam eingesetzt. Sie dienen nicht als Klangteppich im Hintergrund, sondern zur gezielten Begleitung anderer Tätigkeiten wie Tanz und Rollenspiel oder werden bewusst angehört.
Schrift ist innerhalb der Kindertageseinrichtung selbstverständlich und allgegenwärtig sichtbar. Kinder nehmen sie wahr als Mittel zum Informationsaustausch und zur Kennzeichnung. Schrift ist immer kombiniert mit Symbolen, Fotos oder Bildern, so dass Kinder, die noch nicht lesen können, die Inhalte erfassen und verstehen können. Kinder sehen pädagogische Fachkräfte schreiben und erfahren darüber die Bedeutung von Schrift und Schreiben für den Informationsaustausch (z.B. Elternbriefe, Infos an Kollegen und Kolleginnen, Aushänge, Flyer). Kinder können jederzeit auf vielfältige Materialien zugreifen, um selbst zu schreiben, Informationen auszutauschen und Dinge zu kennzeichnen. Kinder bekommen den Zuspruch und die Ermutigung beim Gebrauch dieser Materialien. Sie werden mit Freude und Lust lesen und schreiben, wenn sie dabei auf ihre eigene Art und Weise an ihren Interessen und Themen anknüpfen können. Um Schrift als bedeutend und interessant erleben zu können, brauchen Kinder Kontakt dazu. Schrift muss selbstverständlicher Bestandteil ihrer Umgebung sein.
4.3.3 Fragen zur Überprüfung
Auf welche Weise sprechen pädagogische Fachkräfte und Kinder miteinander?
Wie begleiten pädagogische Fachkräfte ihr Handeln sprachlich?
Wie gelingt es pädagogischen Fachkräften, Anweisungen gegenüber Kindern zu vermeiden und über ihre Art des Sprechens, Kinder zu einem Gespräch einzuladen?
In welchen Situationen sind pädagogische Fachkräfte Sprachvorbilder für Kinder?
Wie werden die Erstsprachen der Kinder im Alltag der Tageseinrichtung berücksichtigt?
Zu welchen Gelegenheiten werden in täglichen Abläufen Reime, Lieder, Fingerspiele und Gedichte durch pädagogische Fachkräfte angeboten?
Wie und wann erhalten Kinder Gelegenheiten, ihre Stimme in allen Facetten auszuprobieren und kennenzulernen?
Welche Bücher laden zum Anschauen, Vorlesen und Zuhören ein? Haben Kinder jederzeit Zugang zu diesen Büchern?
Wann gibt es im Alltag Zeit, um Kinder von Erlebnissen und Geschichten erzählen zu lassen und wie werden diese Situationen gestaltet?
Welche Räume und Bereiche bieten Kindern Gelegenheiten um sich sprachlich auszuprobieren, z.B. um Theater zu spielen, zu singen oder zu schreiben?
Wie lassen sich Themen anderer Bildungsbereiche mit Sprache verknüpfen?
Wie wird mit Eltern über die sprachliche Entwicklung ihrer Kinder gesprochen?
4.4 Bildende Kunst
Menschen schaffen seit Beginn und überall Bilder und Plastiken, um sich auszudrücken und miteinander zu kommunizieren. Sie gestalten den Raum, der sie umgibt. Ihre Werke überdauern die Zeit, sie gewähren Einblicke in vergangene Epochen und Lebensweisen der Menschen. Bildende Kunst ist ein wesentlicher Teil der Kultur und macht diese sichtbar.
Bilder entstehen auf verschiedenen Untergründen mit unterschiedlichen Mitteln und Materialien, Plastiken werden aus unterschiedlichen Stoffen gefertigt. Hierbei gibt es keine Grenzen, kein Richtig und kein Falsch, kein Besser oder Schlechter. Bildende Kunst ist immer subjektiv verknüpft mit dem Künstler, seine Sicht auf die Welt ist das, was andere sehen. Die Werke wirken auf den Betrachter und lösen Gedanken oder Gefühle in ihm aus. So wird Bildende Kunst zum Kommunikationsmittel zwischen dem Künstler und dem Betrachter und unter den Betrachtern.
Bildende Kunst ist eng verbunden mit anderen Künsten, die sich gegenseitig beeinflussen und auch überschneiden können. So kann ein Bild zu einem Musikstück anregen, die Musik zum Tanz einladen, der Tanz kann zu einer Skulptur inspirieren, die Skulptur kann Thema für ein Theaterstück sein, das Stück wiederum kann in einem Lied besungen werden.
Jede gestaltende Handlung von Kindern ist Teil ästhetischer Bildungsprozesse. Selbst künstlerische Prozesse zu durchlaufen und oder Kunstwerke zu erschaffen, gehört demnach genauso dazu, wie das Wahrnehmen - das Anschauen und das Anfassen von Bildern und Plastiken.
4.4.1 Interesse und Handeln der Kinder
Material erkunden
Schon jüngste Kinder gestalten ihre Umgebung. Sie zerdrücken lustvoll das Brot in ihren Händen und verreiben ihren Brei auf dem Tisch. Werden ihnen Materialien angeboten, mit denen sie malen oder formen können, so wenden sie sich diesen mit Neugierde und Freude zu. Zuerst interessieren sie sich für das Material an sich. Sie erkunden Farbe - ihre Konsistenz, ihre Temperatur, ihren Geruch. Papier wird betastet, zerknüllt, mit der Zunge befühlt. Die Haare eines weichen Pinsels werden erforscht und untersucht, das Kitzeln auf der eigenen Haut bringt Kinder zum Lachen. Auf diese Weise werden z.B. Unterschiede zwischen steif und flexibel, dick und dünn, rau und weich wahrgenommen.
Erkunden Kinder unterschiedliche Materialien, so stellen sie fest, dass Farben, Kreiden, Kohle und Stifte sichtbare Spuren hinterlassen. Diese Erkenntnis und die Freude daran, selbst Spuren durch den Einsatz des Körpers, also in Bewegung, zu hinterlassen, sind der Beginn aller künstlerischen Tätigkeiten. Besonders intensiv wird das Erleben, wenn Kinder Farbe mit ihren Händen auf ihrem Körper oder anderen Flächen und Untergründen verteilen, denn über das Tasten und Fühlen werden die Eindrücke zugleich intensiv körperlich wahrgenommen und zugeordnet. Erzeugen die verwendeten Materialien Geräusche, wie das Hämmern einer Stiftspitze oder das Kratzen eines Pinsels auf dem Papier, wird die Erfahrung durch akustische Eindrücke angereichert. Die Kinder tauchen ein in ihr Tun. Ihnen ist nicht so sehr wichtig, was am Ende sichtbar ist, vielmehr das, was sie im Augenblick erleben und wahrnehmen.
Spuren, die Farben hinterlassen, folgen der Bewegung des Kindes. Fingerfarben mischen sich auf dem Papier zu einem neuen Farbton. Hände verändern sich, wenn sie bemalt werden und Ton ändert die Form durch den Druck der Hände. Kinder machen die Erfahrung, dass sie selbst in der Lage sind, Dinge zu beeinflussen und dass sich Dinge durch ihre Beeinflussung in unterschiedlicher Weise verändern lassen. Kinder erleben, dass ihr Tun Wirkung zeigt.
Sich ausdrücken
Über die Erkundung des Materials und dessen gezielten Einsatz finden Kinder Schritt für Schritt zu ihrer eigenen Bildsprache. Diese spiegelt die individuelle Sicht auf die Welt jedes Kindes wider. In diesem Sinn kennt die Bildsprache im Gegensatz zur Lautsprache kein Richtig und kein Falsch.
Kinder formen - zum Beispiel aus Ton - Objekte und malen oder zeichnen Bilder, die ihrer Fantasie entspringen oder das zeigen, was ihnen in ihrem Leben begegnet. So lassen die Gestaltungen etwas von den Gefühlen und Gedanken, Träumen und Wünschen, aber auch von den Sorgen und Ängsten der Kinder sichtbar werden. Ihre Gestaltungen wiederum dienen ihnen als Spiegel und wirken in ihre Innenwelt hinein. Gestalten Kinder ihre Umwelt, indem sie malen, zeichnen und modellieren, erleben sie sich als Schöpfer, die aus ihrem Inneren heraus etwas erschaffen und sichtbare Spuren in ihrer Umwelt hinterlassen.
Sind Kinder im Schulalter, wissen sie häufig im Voraus, was sie gestalten wollen. Manche nutzen das Gestalten, um sich die Zeit zu vertreiben oder zu entspannen. Andere drücken sich, ihre Ideen und Wünsche, vielleicht aber auch ihre Befürchtungen aus. Kinder haben nun oft ein klares Ergebnis vor Augen, einen Plan, den sie in ihrem Werk umsetzen wollen. Manchmal sind es so hohe Ansprüche, dass diese sie in ihrem Tun hemmen. Sie haben vielleicht Angst, diesen nicht zu genügen, bewerten sich selbst negativ oder fürchten die Bewertung anderer und begrenzen sich dadurch oftmals selbst. Ist das Produkt fertig, hat es für sie zumeist einen hohen Stellenwert.
Um eine Idee umsetzen zu können, brauchen Kinder bestimmte Fertigkeiten und Techniken. Sie wollen sich neue Materialien und Werkzeuge erschließen und ihr Repertoire an Ausdrucksmitteln erweitern. Haben sie die Möglichkeit, mit verschiedenen Materialien zu experimentieren und neue Techniken zu erlernen, so eröffnen sie sich neue Ausdrucksmöglichkeiten, die ihre Aufmerksamkeit fesseln und sie zu neuen Werken anregen.
Sich mit Kunst auseinandersetzen
Mit der Zeit nehmen Kinder Farbtöne und Formen als Eigenschaften in ihrer Umgebung wahr. Sie entdecken beispielsweise die Farbe Rot in ihrer Lebenswelt wieder: Im Essen, an ihrer Kleidung, in der Natur, im Gebäude der Tageseinrichtung. Auch Formen fallen ihnen auf. So erkennen sie die Form eines Balls in der Erbse im Essen oder bei der Kastanie am Baum. Mitunter entwickeln Kinder Vorlieben für bestimmte Farben und Formen. Diese werden dann immer wieder von den Kindern selbst eingesetzt und erzeugt.
Kinder setzen sich mit Kunstobjekten in ihrer Umgebung auseinander. Sie betrachten und berühren diese. Sie werden durch Bilder und Plastiken an etwas Bekanntes erinnert oder wundern sich darüber, weil sie ihnen fremd, komisch, ungewöhnlich oder lustig erscheinen. Kunstwerke sind Anlässe für Kinder, allein darüber nachzudenken und miteinander oder mit pädagogischen Fachkräften darüber ins Gespräch zu kommen. Kinder kommentieren die Werke und reagieren darauf durch ihr eigenes künstlerisches Gestalten. Das Bild von einem fliegenden Pferd kann Kinder inspirieren selbst ein fliegendes Pferd oder aber eine fliegende Katze zu malen - Kinder greifen so Gesehenes auf, variieren und erweitern es.
Gemeinsames Tun
In den Kunstwerken der Kinder steckt auch immer ein Teil ihres Lebens. Werke der Kinder bieten also Anknüpfungspunkte, sich gegenseitig kennen zu lernen und in Kontakt zu kommen. Kunst eröffnet Kindern somit einen Weg, miteinander vertraut zu werden und in Beziehung zu treten. Im Kontakt miteinander wird Kunst zum sozialen Geschehen. Kinder können im parallelen Tun oder zusammen etwas erschaffen, ihre Individualität einbringen und sich aufeinander einstimmen. Über das gemeinsame künstlerische Tun erleben sich Kinder als zusammengehörig und verbunden. Sie erfahren, dass Andere ihre Gedanken verstehen und ihre Gefühle ahnen, sie lernen, die Perspektiven Anderer zu übernehmen, sie entwickeln ein Wir-Gefühl. Kinder lernen aber auch, sich gegenüber Anderen abzugrenzen und ihre eigenen Befindlichkeiten zu artikulieren.
Angewandte Kunst
Zur angewandten Kunst zählen alle Formen künstlerischer Handarbeiten. Sie entstehen in Arbeitsprozessen, die auf ein eindeutiges Ziel ausgerichtet sind. Diese Tätigkeiten bereiten Kindern Freude und trainieren zugleich ihre Feinmotorik und Auge-Hand-Koordination. Kinder empfinden Stolz, wenn sie etwas „Sinnvolles“ oder „Schönes“ selbst geschaffen haben und die entstandenen Produkte in anderen Spiel- und Arbeitsprozessen Verwendung finden. Um kunsthandwerkliche Produkte anfertigen zu können, brauchen Kinder bestimmte Fähigkeiten. Verfügen sie nicht oder nur unzureichend darüber, kann das Ergebnis zu Enttäuschung, Scham, Trauer, Wut und den Verlust an Motivation führen. Denn im Gegensatz zu freien künstlerischen Prozessen, können kunsthandwerkliche Arbeiten nach ihrer Qualität verglichen und bewertet werden.
Im freien kreativen Ausdruck und dem Erleben eigener künstlerischer Prozesse entwickeln Kinder ihr kreatives Potenzial, das als Grundlage für alles zielorientierte Gestalten gilt. Das kreative Potenzial der Kinder wird immer auch in ihre handwerklichen Arbeitsprozesse einfließen, denn in den Köpfen der Kinder existieren keine Schranken zwischen kreativem Spiel und produktorientiertem Arbeiten.
4.4.2 Pädagogisches Handeln
Um sich mit Hilfe ästhetischer Materialen und Formen aktiv mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen, brauchen Kinder keine Anleitungen, keine Vermittlung von Techniken und keine Bewertungen. Sie brauchen Freiheit in der Themenwahl, um sich ihren Themen widmen zu können. Das Ergebnis darf nicht vorher festgelegt werden, denn es ist nie gewiss, wohin der kreative Prozess führt. Pädagogische Fachkräfte wissen, dass Kinder mitunter von ihren Plänen abweichen und neue Wege einschlagen. Sie bewerten und korrigieren nicht, was Kinder malen, zeichnen und modellieren, so dass diese zu ihrem persönlichen Ausdruck finden können. Wenn pädagogische Fachkräfte Kindern etwas vormalen, Schablonen oder Ausmalbilder anbieten, die Bilder über Worte oder Eingriffe korrigieren, behindern sie die Kinder dabei, ihren eigenen Ausdruck zu finden. Manche Werke der Kinder sind tiefsinnig und tiefgründig. Andere sind nur leichte, flüchtige Darstellungen. Von Bedeutung aber sind sie für das Kind in jedem Fall und werden deshalb von der pädagogischen Fachkraft respektvoll und wertschätzend als Ausdruck der Persönlichkeit des Kindes behandelt.
Viele Kinder durchlaufen einzelne Phasen, in denen sie bestimmte Formen und Bildelemente immer wieder produzieren, wenn sie mit Stiften malen. Diese scheinen nahezu universell zu sein. Trotzdem dürfen sie nicht als Indikator für altersbedingte Entwicklungsphasen verstanden werden. Die Werke und Entstehungsprozesse sind immer beeinflusst von den individuellen Kompetenzen der Kinder, deren lebensweltlicher Einflüsse, den Materialien, die zum Malen und Zeichnen vorhanden sind und der Häufigkeit, mit der sie dies tun.
Prozesse begleiten und Werke wertschätzen
Pädagogische Fachkräfte begleiten Kinder wertschätzend, offen gegenüber den Ergebnissen und immer wieder staunend durch deren ästhetische Bildungsprozesse. Sie gewähren Hilfe, wenn diese gewünscht ist. Sie nehmen auch wahr, wenn ein Kind allein nicht weiterkommt oder unglücklich ist in seinen Versuchen. Hier stärken sie das Kind, ermutigen, trösten oder bieten Rat und Hilfe an. Sie greifen jedoch nie in die Prozesse ein, sie korrigieren oder manipulieren die Werke der Kinder nicht und sie werten die Arbeitsschritte eines Kindes niemals ab.
Pädagogische Fachkräfte achten die künstlerischen Ergebnisse der Kinder. Wann ein Kunstwerk vollendet ist, entscheidet immer der Künstler, also das Kind. Manchmal ist es für pädagogische Fachkräfte schwer auszuhalten, dass ein - in den eigenen Augen fertiges - Bild wieder und wieder mit der gleichen Farbe, in immer der gleichen Bewegung bestrichen wird, ohne dass sich optisch etwas ändert. Auch dann erklären pädagogische Fachkräfte das Bild nicht für vollendet.
Die Achtung gegenüber den Kunstwerken der Kinder zeigt sich auch in deren sprachlicher Bewertung. Negative Kritik am Gesamtwerk ist nicht angemessen. Doch auch Lob - nur allgemein geäußert - hilft dem Kind bei der Entwicklung seiner Fähigkeiten und seines Selbstbildes nicht weiter. Pädagogische Fachkräfte sprechen mit Kindern in der Regel nur dann über die entstandenen Bilder, wenn Kinder diesen Wunsch ausdrücklich signalisieren. Da Kindern der Entstehungsprozess meist wichtiger ist als das fertige Produkt, sollte dieser Gegenstand des Gespräches sein. Pädagogische Fachkräfte werten nicht die Arbeiten der Kinder, vielmehr helfen sie ihnen, den Prozess und das Ergebnis selbst einschätzen zu lernen. Offene Fragen, die Kinder in ein Nachdenken über ihre Arbeiten bringen, unterstützen dabei. Wird das Abgebildete thematisiert, so deuten pädagogische Fachkräfte das Bild keinesfalls, vielmehr befragen sie das Kind oder sprechen über Farben, Formen oder Dimensionen, die eindeutig sichtbar sind.
Werke präsentieren
Teil der Wertschätzung gegenüber den Werken der Kinder ist deren angemessene Präsentation. Das Ausstellen ihrer Produkte oder Inszenierungen ist für Kinder häufig von großer Bedeutung. Sie können hierbei Anderen zeigen, was sie können, wozu sie in der Lage sind, und sie erhalten deren Aufmerksamkeit. Neben ihren Fähigkeiten zeigen Kinder mit ihren Werken immer auch etwas von ihrer Persönlichkeit. Deshalb ist ein geschützter Rahmen zur Präsentation wichtig. Kinder müssen damit einverstanden sein, sich und ihr Werk zu zeigen. Die Präsentation ist wertschätzend - Bilder und Plastiken erhalten passende Rahmen, Wände und Flächen in Augenhöhe der Kinder, so dass sie wirken können, aber keinen Schaden nehmen. Andere Kinder werden auf die Leistungen der jungen Künstler hingewiesen und zur respektvollen Betrachtung eingeladen.
Die Art der Präsentation richtet sich immer nach dem Anlass. Je nachdem, ob Ergebnisse oder Prozesse präsentiert werden sollen, wird sie anders gestaltet sein, es werden z.B. zusätzlich Fotos und Texte verwendet. Die Präsentation unterscheidet sich auch je nachdem, für wen sie bestimmt ist - für an der Entstehung beteiligte Kinder, für alle Kinder der Tageseinrichtung oder für Eltern, Familien und Besucher.
Präsentationen bilden einen Abschluss für Prozesse, sind aber immer auch Ausgangspunkt für neue Ideen und Projekte, Spiele und Arbeiten.
Raum und Zeit
Kinder brauchen in der Tageseinrichtung anregende Orte und Materialen, die eine ästhetische Auseinandersetzung provozieren. Pädagogische Fachkräfte strukturieren Räume und Bereiche Innen und Außen und halten Materialien und Werkzeuge bereit. Ateliers und Werkstätten - auch als Bereiche in größeren Räumen und im Außengelände - in denen Kinder sich intensiv ihren ästhetischen Bildungsprozessen widmen können, geben einen geeigneten Rahmen dafür, dass Kinder konzentriert und längerfristig an Werken arbeiten können. Ästhetische Prozesse der Kinder erhalten so schon im Vorfeld ihrer Entstehung eine grundlegende Wertschätzung.
Die Bedeutsamkeit von Ästhetik spiegelt sich im Bau der Tageseinrichtung in der Art und Weise der Anordnung ihrer Räume und der verwendeten Materialien wider. Kinder müssen von wertvollen ästhetischen Eindrücken umgeben sein, die ihre Weltsicht erweitern, mit denen sie sich identifizieren und die ihnen Fremdes vertraut machen. Kunst in der Tageseinrichtung soll Kindern Wohlgefühl bereiten, zum Nachdenken und Geschichten erzählen anregen und sie einladen, selbst kreativ zu werden.
Künstlerische Prozesse sind nicht auf dafür vorgesehene Räume und Zeiten begrenzt. Kunst braucht nicht unbedingt ein Atelier. Ästhetische Erfahrungen sammeln Kinder überall, an nahezu jedem Ort mit nahezu allen Dingen, die sie finden. Dabei erkunden sie Räume und Gegenstände geradezu nach ihrem ästhetischen Gehalt. Tageseinrichtungen sind Orte, an denen Kinder immer wieder neue, überraschende und ihren Horizont erweiternde ästhetische Anregungen erhalten.
Kinder brauchen neben dem Raum vor allem Zeit, um sich individuell auf kreative künstlerische Prozesse einzulassen, um sich über längere Zeit und immer wiederkehrend mit Materialien auseinanderzusetzen und sich so in ästhetische Prozesse vertiefen zu können.
Um kreativ zu werden, brauchen Kinder keine festen Zeiten. Jederzeit und in jeder Situation können sie ästhetische Prozesse durchlaufen. Diese Prozesse dauern manchmal nur so lange, wie das Pfützenwasser unter den Schuhsohlen reicht, um eine Spur auf dem Weg zu hinterlassen.
In der Tageseinrichtung finden ästhetische Bildungsprozesse manchmal vorstrukturiert in bestimmten Räumen und zu bestimmten Zeiten statt. Pädagogische Fachkräfte gestalten solche Strukturen ergebnisoffen und orientiert an den Bedürfnissen der Kinder, so dass diese sie individuell nutzen können. Manchen Kindern helfen sie, ihre kreativen Prozesse zu entfalten, andere kommen nur spontan ins kreative Tun. Werden gestalterische Bildungsprozesse vorstrukturiert, so müssen Kinder selbst entscheiden dürfen, ob und in welcher Form sie sich beteiligen wollen. Auch Kinder, die zuschauen, machen Erfahrungen, die für sie selbst wichtig sind. Demnach muss auch Nicht-Beteiligung aufrichtig respektiert werden. Kinder dürfen niemals zur Teilnahme gezwungen werden, denn wie auch Spiel kann Kreativität immer nur frei gewählt entstehen. Zwang würde diese zerstören.
Material
Kinderbrauchen verschieden Materialien, um sich künstlerisch zu betätigen. Diese sind robust, um dem kindlichen kreativen Drang standzuhalten. Sie sind ungiftig und ungefährlich, Farben besitzen eine gute Leuchtkraft, Kreide reibt sich leicht ab. Große, stabile Werkzeuge und Malgründe entsprechen den motorischen Fähigkeiten der jüngeren Kinder eher als feine und kleine. Die Jüngeren brauchen auch eine eher überschaubare Auswahl an Materialien. So bieten sich dicke Wachsmalblöcke, Kohlestücke und Pinsel, Fingerfarben und feste, große Zeichenkartons sowie Ton- und Bienenwachsklumpen an. Je weiter Kinder ihre feinmotorischen Fähigkeiten entwickeln, desto besser können kleinere Werkzeuge und feine, empfindliche Materialien zum Einsatz kommen, um auch differenziertes Arbeiten zu ermöglichen. Zunehmend werden große Papierformate, die Fülle von Material und ihre Verschiedenheit in Aussehen und Beschaffenheit für Kinder wichtig, um individuelle Vorstellungen umzusetzen.
Materialien müssen für Kinder handhabbar sein, das heißt, sie erklären sich in ihrem Nutzen selbst und sind ohne Vorkenntnisse verwendbar. Sie sind für Kinder erreichbar und zugänglich. Sind die Materialien kostbar und von guter Qualität, so erleben Kinder sich und ihr Tun als wertvoll, und sie lernen Materialien zu schätzen. Gute Materialien sind solche, die z.B. widerstandsfähig sind. Wenn ein Kind mit viel Wasser Farbe auf das Papier aufträgt, so darf dieses nicht sofort durchweichen und reißen. Das hat unnötige Verschmutzung und besonders Frustration zur Folge. Schnell kann das Kind das Gefühl erlangen, nicht mit dem Material umgehen zu können und verliert die Freude am Tun. Darüber hinaus regen gute Materialien stärker an, und es werden mit guten Mitteln gute Ergebnisse erzeugt. Brillante, leuchtende Farben zum Beispiel laden viel eher zum Malen ein als trübe und matte Farben.
Kunstwerke in der Tageseinrichtung können Kindern als Anregung dienen, selbst Bilder zu malen oder Skulpturen zu bauen. Kinder staunen und lachen über Bilder und Skulpturen und haben ihre ganz eigenen Gedanken und Assoziationen dazu.
Pädagogische Fachkräfte suchen gezielt nach Kunstwerken - auch als Reproduktionen -, deren künstlerisches Anliegen zum Nachdenken anregt. Sie achten darauf, ein Angebot von Werken bereitzuhalten, wechselnd nach Größe, nach Themen, nach verwendeten Materialen. Sie suchen regionale und überregionale, junge und alte Werke. Sie präsentieren die Werke in der Einrichtung für die Kinder auf Augenhöhe. Kindern Kunst als etwas Alltägliches und Allgegenwärtiges zu eröffnen, zeigt, dass Kunst zum Leben und zur gelebten Kultur gehört, nicht Zeitvertreib und Luxus ist, der mit den Kindern nichts zu tun hat.
Pädagogische Fachkräfte bieten Kindern bewusst neue und unbekannte Kunstwerke, komplexe Materialien oder Werkzeuge an, die fremd und herausfordernd sind und begleiten Kinder dabei, deren Potenziale zu erforschen.
Manche Themen sind nicht einem bestimmten Bildungsbereich zuzuordnen. So kann es sein, dass Kinder sich mit Verbindungen beschäftigen und verschiedene Dinge zusammenbinden, aneinander kleben, festknoten. Das können sie in künstlerischer Form, indem sie Punkte auf Bildern verbinden, Bohnen auf eine Schnur fädeln, mit Wollfäden weben. Aber auch Stuhlbeine werden zusammengebunden und Stifte zu Päckchen geschnürt. Hier wird deutlich, dass Kinder sich in ihrem Alltag mit bestimmten Themen beschäftigen und auseinandersetzen, ohne sich dabei an Bildungsbereiche zu halten. Pädagogische Fachkräfte erkennen die Themen der Kinder und lassen sie zu, denn sie sind wichtig für Kinder - auch oder gerade jenseits der Bildungsbereiche.
Kunst anbieten
Pädagogische Fachkräfte nutzen Bilder, Fotos und Symbole im Alltag der Tageseinrichtung. Sie setzen diese in verschiedenen Zusammenhängen ein, zum Beispiel um Garderoben, persönliche Schatzkästen und andere Dinge und Bereiche zu kennzeichnen oder aber Übergänge anzuzeigen und zu begleiten.
Anlässe für neue und unbekannte ästhetische Erfahrungen entstehen auch durch die Nutzung von Angeboten und Kooperationspartnern des Sozialraums. So können Museen besucht werden oder Künstler kommen selbst in die Tageseinrichtung.
Werden ästhetische Projekte - mit oder ohne Künstlern - angeboten, so achten pädagogische Fachkräfte darauf, dass diese den Bedürfnissen der Kinder gerecht werden und Kinder sich auf ihre individuelle Weise daran beteiligen können.
Kunst ist Teil der menschlichen Kultur und Mittel zur Kommunikation. Insofern ist Kunst auch ein geeignetes Mittel, um Kindern den Zugang zu anderen Kulturen zu eröffnen. Die räumliche Gestaltung innerhalb der Tageseinrichtung trägt dazu bei, dass es ganz selbstverständlich Ausstellungen und Aufführungen aus anderen kulturellen und ethnischen Bereichen für, von und mit Kindern gibt, wenn Kinder sich dafür interessieren.
4.4.3 Fragen zur Überprüfung
Welches Bewusstsein für die Bedeutung ästhetischer Bildungsprozesse ist bei den pädagogischen Fachkräften vorhanden? Auf welche Weise ist es für Kinder und Eltern wahrnehmbar?
Welchen Stellenwert nehmen ästhetische Bildungsprozesse im Alltag der Tageseinrichtung ein?
In welcher Weise sind Räume und Außengelände der Tageseinrichtung gestaltet, dass sie ästhetische Bildungsprozesse ermöglichen und dazu einladen?
Welche Räume oder Bereiche in der Tageseinrichtung laden in besonderer Weise zur Nutzung im Sinne ästhetischer Bildungsprozesse ein?
Welche anregenden Materialien stehen den Kindern zur Verfügung (verschiedene, großformatige Papiere, Pappen und Kartons, Arten von unterschiedlichen Farben, Wasser, Bienenwachs, Ton, Holz, Kleister, Naturmaterialien, Pinsel - auch dicke Malerpinsel, Sand, Wolle, Stoffe, Perlen, Scheren, Modellierwerkzeuge, Tücher, Bänder, Kopfbedeckungen usw.?
Welche Werkzeuge und Materialien können Kinder benutzen, um Linien und Flächen zu erzeugen?
Sind Materialen für ästhetische Bildungsprozesse für die Kinder sichtbar platziert und ihnen jederzeit frei zugänglich?
Auf welche Weise können Kinder mit den Materialien experimentieren?
Wann haben Kinder die Möglichkeit, gemeinsam zu malen, zu gestalten usw.?
Wie werden die Werke der Kinder präsentiert? Ist sie respektvoll und wertschätzend und vor allem für die Kinder gut sichtbar? Gibt es auch Präsentationen für Familien und andere Interessierte oder in der Öffentlichkeit?
Wie und wodurch bekommen Kinder Anregungen, zwischen den Bereichen der Ästhetik zu wechseln, um ihnen vielfältige Sichtweisen zu eröffnen, z. B. indem sie zu Musik malen?
Inwieweit haben Kinder die Gelegenheit, in ihrem Rhythmus ungestört Materialien zu bearbeiten?
Wie gelingt es pädagogischen Fachkräften, den Prozess der Erarbeitung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken und nicht allein die Ausstellung und das fertige Ergebnis?
Welche künstlerischen Spuren der Kinder sind in den Räumen der Tageseinrichtung zu sehen?
Wie werden künstlerische Prozesse dokumentiert und sichtbar wertgeschätzt?
Wo im Sozialraum und der weiteren Umgebung gibt es Künstler, Ateliers, Werkstätten, Proberäume, Museen, Ausstellungen, Galerien, Theater und andere Bühnen, zu denen Kontakt hergestellt werden kann?
Gibt es Familienmitglieder, die Künstler oder im künstlerischen Kontext tätig sind und den Kindern darüber berichten, ihnen ihre Arbeit zeigen können oder mit ihnen gemeinsam tätig sind?
Welche Lebensweltbezüge der Kinder nehmen pädagogische Fachkräfte in den Werken wahr und wodurch werden diese sichtbar?
4.5 Darstellende Kunst
Theater zu spielen gehört zum Menschsein. In vielen alltäglichen Situationen stellen Menschen etwas spielerisch dar, um etwas besonders deutlich zu machen, um Emotionen auszudrücken - oder um etwas vorzuspiegeln. Als Kunstform ist die theatrale Darstellung sehr alt und universell anzutreffen, sie ist vermutlich eng mit der Menschheitsentwicklung verbunden. Im darstellenden Spiel verbinden sich alle anderen Künste - Dichtung und Tanz, Gesang und Musik, auch Malerei und Bildhauerei. Es werden Themen bearbeitet, die für die Menschen bedeutsam sind, es sind grundlegende Themen aus dem Leben, zufällige aus dem Alltag, auch politische und gesellschaftliche Probleme und überlieferte Mythen und Erzählungen.
Zur darstellenden Kunst zählen Figuren-, Objekt- und Menschentheater, Schattenspiel, Pantomime, Oper und Musical, Tanz, Zirkus, Akrobatik, Hörspiele, Kabarett, Varieté und viele andere. Ihnen ist gemeinsam, dass sie vor einem Publikum aufgeführt werden.
Die darstellende Kunst nutzt immer mehrere Sinne. Der Körper ist in Bewegung, er ergreift den Raum, die Bewegung ist für den Darsteller, manchmal auch für den Zuschauer, körperlich spürbar. Der Tanz oder das Theaterstück sind für Andere sichtbar. Sprache, Gesang oder Musik begleiten und unterstützen die Darstellungen.
Theater ist eine Darstellung vor einem Publikum. Die Darsteller spielen ernsthaft und überzeugend festgelegte Rollen, sie können Menschen, Figuren oder Gegenstände sein. Neben dem Sprech-, Figuren- und Schattentheater verschmelzen einzelne Bereiche der Ästhetik zu Tanz- oder Musiktheater. Allen ist gemeinsam, dass es ein Spiel ist - und damit der Form nach dem Handeln der Kinder sehr nahe kommt.
Theater ist immer ein Gemeinschaftswerk, indem sich die Akteure aufeinander beziehen. Jeder versetzt sich in seine Rolle hinein und füllt diese möglichst genau aus. Die Figuren auf der Bühne reagieren im Spiel aufeinander. Die Beleuchtung, die Musik, die Kostüme und das gesamte Bühnenbild sind auf das Stück und die Darsteller abgestimmt. Auch die Zuschauer werden ihrer Rolle als Publikum gerecht, schauen während der Aufführung zur Bühne und hören zu.
Selbst Theater zu spielen ist für Kinder lustbetont und fordert vielfältige Kompetenzen. Vor dem Mut, sich in einer bestimmten Rolle darzustellen, stehen die Probenzeit und die Auswahl oder das Schreiben eines Stückes. Dies sind Prozesse, in denen die Kinder ihre Gefühle und Bedürfnisse äußern, Kritik und Selbstkritik üben, Entscheidungen aushandeln, Erfolge und Misserfolge teilen müssen. Neben sozialen Kompetenzen werden ästhetische Kompetenzen genutzt und ausgebaut. So müssen z.B. Kostüme, Masken und Requisiten, Musik und Geräusche ausgesucht, hergestellt und bearbeitet werden. Insbesondere für die Entwicklung von Sprach- und Sprechkompetenzen von Kindern ist Theaterspielen - erfahrungsgemäß - erfolgreicher als viele Sprachtrainingsprogramme.
Musik ist eng mit Bewegung verknüpft. Die meisten Menschen können kaum widerstehen, ihren Körper rhythmisch zu Musik zu bewegen. Sie versetzt den Körper in Schwingung und fordert Bewegung heraus. Sei es das Wippen mit dem Fuß, das Schaukeln mit dem Kopf oder die Bewegung des gesamten Körpers. Diese rhythmischen Bewegungen werden als Tanz bezeichnet. Tanzend kann der Mensch neue Körpererfahrungen sammeln und seinen Körper in ungewohnter Weise bewegen. Tanz verleiht Gefühlen Ausdruck, berührt den Tänzer emotional und kann zu rauschhaften Zuständen führen.
Da Tanz in enger Verbindung mit Musik steht ist er eine gute Möglichkeit, musikalisches Erleben zu intensivieren und körperlich erfahrbar zu machen. Tanz ist in seinen Formen mannigfaltig und spiegelt kulturelle Einflüsse und aktuelle Moden hinsichtlich Ästhetik und Körperwahrnehmung.
Neben dem freien und experimentellen Tanz gibt es Tänze, die festen Schrittkombinationen folgen, die durch Gesang unterstützt oder von meditativen Geräuschen begleitet werden. Tanzen kann man allein, zusammen als Paar oder in größeren Gruppen - auf Festen, in Wettbewerben oder auf der Bühne - Tanz ist Vielfalt pur.
Menschen tanzen überall auf der Welt und seit Anbeginn der Menschheit. Tanz ist Kommunikation, ist Bewegung, ist Spaß, Sport und Spiel, ist auch Ritual. Der Tanz bindet den Einzelnen in Gemeinschaften ein.
Ähnlich wie beim Theater spielen werden die sozialen und emotionalen Kompetenzen angesprochen. Tanzend entwickeln Menschen ein Bewusstsein für den eigenen Körper und seine Fähigkeiten, für die Orientierung im Raum, und sie machen zudem mathematische Erfahrungen hinsichtlich Formen, Mustern und Dimensionen.
4.5.1 Interesse und Handeln der Kinder
Rollen spielen
Schon die Kleinsten beobachten aufmerksam ihre Umgebung und ahmen andere Menschen und Tiere nach. Sie runzeln die Stirn wie ein alter Mann oder bellen wie ein Hund. Neben Lebewesen imitieren sie mit der Zeit auch immer komplexer werdende Handlungsabläufe. So backen jüngere Kinder Sandkuchen und tun so als ob sie diesen essen würden. Die Themen der Kinder entspringen dabei ihrer Lebenswelt. Die Als-ob-Spiele zeigen, was Kinder beobachten oder selbst erleben. So krabbeln sie auf allen Vieren durch die Wohnung wie ihre Katze oder kochen Suppe wie der Vater. Sie imitieren Körperhaltungen, Gesten und Stimmen und beziehen Gegenstände und Accessoires ein.
Kinder sind gerne Zuschauer. Gebannt verfolgen sie Theater- oder Zirkusaufführungen, lauschen Hörspielen und wippen im Takt von Musik. Sie fiebern mit der Prinzessin und feuern den tapferen Ritter an, sie verraten die böse Hexe und lachen über den tollpatschigen Clown. Auch die Kleinsten folgen schon gespannt kurzen Finger- und Puppenspielen. Beim Versuch, diese nachzuahmen, beziehen sie auch die sprachlichen Elemente des Stückes ein und werden so zum Sprechen und Singen angeregt.
Die Freude der Kinder daran, jemanden oder etwas anderes zu spielen als sie selbst sind, nimmt im Laufe der Zeit mehr und mehr zu. Wenn sie sich wie andere Wesen bewegen oder so sprechen und sich so verhalten, wird ihr Körper zum Medium, um Gedanken und Gefühle - besonders jenseits von Sprache - auszudrücken. Mit der Zeit weiten Kinder ihre Rollenspiele, die bisher ihren Alltag abbildeten, aus. Sie werden nun zu den Helden ihrer Fantasie. Sie erleben, wie sich eine Prinzessin oder ein Ritter fühlt, brüllen so laut wie ein Löwe oder sind stark wie ein Bär. Sie können aber auch wieder schreien und strampeln wie ein Baby und sich verstecken wie ein kleines, ängstliches Häschen. Die Rollen erlauben es Kindern, für sie bedeutsame Themen zu verarbeiten - Verhaltensweisen zu zeigen, die sie sonst lieber verbergen, weil sie sich diese nicht zutrauen oder sie wissen, dass diese nicht erwünscht sind. Kinder erfahren außerdem, wie sich die gewählte Rolle anfühlt und was nötig ist, um diese auszufüllen.
Ihre Rollenspiele werden mit zunehmendem Alter immer komplexer und länger. Kinder spielen dann stärker gemeinsam, beziehen ihre Handlungen aufeinander, verteilen die Rollen und entscheiden gemeinsam über Abläufe, Requisiten und Schauplätze. Manche Themen werden über Tage, Wochen oder Monate hinweg wiederholt, variiert, weiterentwickelt - mit den gleichen oder mit anderen Kindern.
In die Spiele, in denen die Kinder selbst in Rollen schlüpfen, beziehen sie auch Puppen und andere Figuren ein. Sie haben Freude daran, selbst Puppenstücke zu inszenieren und vorzuführen, wobei sich die Handlung häufig erst während des Spiels entwickelt oder eine andere Richtung nimmt, als vorher geplant.
Kommen Kinder in die Schule, so nehmen sie ihre Helden aus der Kindertageseinrichtung mit. Sie galoppieren als Prinzessin zu Pferde über den Schulhof und zücken ihre unsichtbaren Ritterschwerter zum Duell in der Pause. Mit der Zeit verändern sich die Helden der Kinder und sie entwachsen nach und nach den spontanen Rollenspielen im Alltag. Sie sagen nicht mehr ohne weiteres laut, dass sie in die Haut ihrer Lieblingssängerin schlüpfen, wenn sie vor dem Spiegel tanzen oder sich wie ein großer Fußballstar fühlen, wenn sie den Ball in das Tor schießen. Doch es reizt Kinder weiterhin, in andere Rollen zu schlüpfen und sich zu verwandeln. Sie können dabei unbekannte Fassaden und Verhaltensweisen ausprobieren, nachspüren, wie sie sich damit fühlen und testen, wie sie auf Andere wirken. Kinder müssen eher Hemmschwellen überschreiten, um sich vor Anderen zu zeigen und etwas vorzuführen.
Ältere Kinder können immer komplexere Stücke selbst gestalten. Sie verfügen über Wissen und Können, was ihnen ermöglicht, verschiedene Techniken und Elemente in ihr Spiel einzubauen. Sie können dabei die Perspektive des Publikums übernehmen und Dinge so inszenieren, dass sie damit einen bestimmten Eindruck hervorrufen.
Tanzen
Kinder erleben schon vor der Geburt rhythmische Bewegungen. Neugeborene mögen es, entsprechend gewiegt und geschaukelt zu werden. Die vertrauten Bewegungen beruhigen die Kinder und vermitteln ihnen das Gefühl von Geborgenheit und Harmonie.
Auch die Eigenbewegungen der Kleinsten sind rhythmisch, wie das Saugen an der Brust oder das Kopfwiegen. Alle Bewegungen, die Kinder nach und nach koordinieren können, führen sie rhythmisch aus. So klopfen Babys liegend rhythmisch mit ihren Füßen auf den Untergrund, wippen sitzend mit ihrem Oberkörper und wiegen später im Stehen ihren ganzen Körper hin und her. Babys lieben es, auf dem Arm zu wohltuender Musik umher gewirbelt zu werden. Sobald sie stehen und gehen können, bewegen sie sich selbst im Rhythmus für sie angenehmer Musik. In diesem Sinne kann Tanz schon für die Kleinsten zu gemeinschaftlichen Erlebnissen werden, so sind sie beispielsweise begeistert von einfachen Kreistänzen.
Für ältere Kinder scheint Tanz in erster Linie „Mädchensache“ zu sein. Doch Mädchen wie Jungen haben Spaß daran, sich rhythmisch nach Musik zu bewegen. Meist spielt ihre Lieblingsmusik dabei eine große Rolle, nach der sie in Diskos tanzen. Es gibt aber auch tänzerische Bewegungsformen jenseits von Diskomusik, die Kinder begeistern und herausfordern können. Dazu zählt beispielsweise Breakdance, der vorrangig von Jungen getanzt wird und viel Kraft erfordert.
Tanz ist eine Gelegenheit für Kinder, sich nach Herzenslust bewegen und austoben zu können. Zwischen festen Schritt- und Bewegungsfolgen können Kinder mit ihrem Körper improvisieren und sogar artistische Elemente in ihre Tänze einbinden. Die Grenzen der eigenen Beweglichkeit und motorischen Fähigkeiten werden beim Tanzen erfahren, trainiert und ausgebaut. Tanz bietet einen Rahmen, in dem Kinder in verschiedene Rollen schlüpfen und diese in Bewegung mit Leben füllen können.
Tanzen Kinder in Gemeinschaft, so lernen sie auch, sich auf andere einzustimmen, ihre Bewegungen an die anderer anzupassen, fremde Bewegungsmuster auszuprobieren und über die Bewegung miteinander zu kommunizieren und in Kontakt zu treten.
4.5.2 Pädagogisches Handeln
Darstellendes Spiel und Tanz begleiten
Pädagogische Fachkräfte nehmen wahr, wenn Kinder darstellerische Prozesse beginnen, wenn sich Rollenspiele entspinnen oder Bewegungen im Raum zu Tänzen werden. Sie beobachten, mit welchen Formen sich Kinder ausdrücken und wie individuell sie es tun. Über die ressourcenorientierte Beobachtung jedes Kindes und im Austausch darüber erfahren pädagogische Fachkräfte, an welchen Themen Kinder arbeiten und wie sie selbst Möglichkeiten finden, diese auszudrücken. Mit Freude und Staunen nehmen sie auf diese Weise wahr, welche kreativen Leistungen und Fähigkeiten jedes Kind, gleich welchen Alters und Geschlechts oder welcher Herkunft, mitbringt und erweitert.
Von besonderer Bedeutung sind spontane Rollenspiele, Tanzimprovisationen und Vorführungen ohne Planung und Proben, denn entscheidend für Kinder ist das situative und augenblickliche Tun. Ältere Kinder inszenieren manchmal gern Stücke und führen sie vor Anderen auf, doch von größerer Bedeutung als das fertige Stück ist der Prozess seiner Entstehung - gerade für die Jüngeren. Kommt es zur Aufführung von Stücken, so sorgen pädagogische Fachkräfte dafür, dass diese auf einer vorbereiteten „Bühne“ stattfinden - vor Zuschauern, die Ruhe und Zeit, Interesse und Aufmerksamkeit mitbringen.
Mit Kindern Theater- oder Tanzstücke zu inszenieren erfordert viel Kraft und Zeit. Da das Rollenspiel ohnehin integraler Bestandteil des Alltags ist, braucht es ein genaues Abwägen, welchen Wert eine geplante Inszenierung und Präsentation für die Bildungsprozesse der Kinder hat. Wollen Kinder gezielt ein Stück inszenieren, begleiten pädagogische Fachkräfte sie dabei, indem sie den Prozess zurückhaltend moderieren. Ihre Rolle besteht in erster Linie darin, Sorge dafür zu tragen, dass alle Kinder die es wollen, sich während des gesamten Prozesses beteiligen können. Die Kinder werden bei der Auswahl eines Stückes, der Musik und einer Choreografie, dem Erstellen des Drehbuches, der Besetzung der Rollen und der Gestaltung der Requisiten, Masken und Kostüme entsprechend ihrer Fähigkeiten und Wünsche eingebunden.
Im szenischen Spiel sammeln Kinder vielfältige Eindrücke, für deren Verarbeitung sie Zeit und Raum brauchen. Theaterspiel und Tanzstücke bieten sich hierfür als Rahmen an. Können Kinder solche Inszenierungen mit Hilfe Erwachsener selbst entwickeln, gestalten und eventuell aufführen, so eröffnen sie vielfältige Bildungsprozesse. Die Kinder bauen Bühnen und Requisiten, nähen Kostüme, basteln Masken, machen Musik oder wählen diese aus. Sie müssen sich Stücke ausdenken oder umschreiben, Rollen und Texte verteilen und lernen, Sprach- und Bewegungsmuster einüben. Für die Aufführung müssen Raum und Licht abgestimmt werden, Einladungen müssen erstellt und verteilt werden. All diese Schritte von der Idee zur Aufführung erfordern Engagement, Wissen, Kreativität und Teamfähigkeit.
Werden Kinder ernst genommen, ihre Meinungen und Gefühle respektiert und feiern sie schon während des Entstehungsprozesses Erfolge, so kann eine Inszenierung zu einem gelungenen Erlebnis werden, das Bildungsprozesse der Kinder anregt und nährt und ihnen nachhaltig in Erinnerung bleibt.
Rückmeldungen geben
Pädagogische Fachkräfte nehmen die Theater-, Rollenspiele und Tanzimprovisationen von Kindern wahr. Sie nehmen die Signale der Kinder ernst, ob sie eine Rückmeldung in ihrem Prozess oder ihrer Aufführung suchen oder nicht. Wird die pädagogische Fachkraft gefragt, reagiert sie darauf in wertschätzender und bereichernder Weise. Sie bildet sich durch das aufmerksame Beobachten eine differenzierte Meinung und erläutert diese den Kindern im Gespräch. Dabei greift sie deren Themen auf und wertschätzt sie über direktes Lob und Anerkennung. Kinder haben in ihren Bemühungen, etwas szenisch darzustellen, manchmal den Wunsch, Anregungen und kritische Rückmeldungen zu erfahren. Fragen Kinder danach, beschreiben pädagogische Fachkräfte konkret anhand von Beispielen, was ihrer Meinung nach verändert werden könnte und geben ergebnisoffen, konstruktive und für die Kinder nachvollziehbare Ideen. Niemals aber greifen sie in die Prozesse ein, korrigieren oder manipulieren die Werke oder Arbeitsschritte oder stellen das ganze Vorhaben in Frage.
Pädagogische Fachkräfte erkennen, wenn Kinder allein nicht weiterkommen oder unglücklich sind in ihrem Tun. In solchen Situationen ermutigen und trösten sie und bieten Rat und Hilfe an, damit Kinder Lösungen finden und ihre Vorhaben gelingend weiterführen können.
Pädagogische Fachkräfte reagieren auf das Handeln der Kinder und geben ihnen Antworten über ihr Tun - indem sie sich in gleicher Weise bewegen oder z.B. eine gesummte Melodie aufgreifen und mit einem Instrument nachspielen oder indem sie beispielsweise ein Püppchen oder einen Löffel sprechen lassen.
Raum und Zeit
Rollenspiele sind nicht auf bestimmte Räume und Zeiten begrenzt, sondern brauchen überall in der Tageseinrichtung Raum und Zeit, um zur Entfaltung zu kommen.
Pädagogische Fachkräfte gestalten Innen- und Außenbereiche der Tageseinrichtung so, dass diese zum Rollenspiel, zum Verkleiden und zum Tanzen inspirieren. Ideal für darstellendes Spiel und Tanz sind Räume mit großen Spiegeln an den Wänden und freien Bereichen, die als Bühnen- und als Publikumsraum dienen können. Technische Einbauten wie Lautsprecher, Mikrofone und Beleuchtungstechnik bereichern die Umsetzung vieler Ideen und erweitern das Spektrum an darstellerischen und tänzerischen Möglichkeiten. Um sich in ihre Rollen vertiefen zu können und Spielideen entwickeln und erweitern zu können brauchen Kinder Zeit. Ihre Spiele folgen einem eigenen Rhythmus, der nicht von außen gestört oder unterbrochen werden sollte. Falls Unterbrechungen sich nicht vermeiden lassen, sorgen pädagogische Fachkräfte dafür, dass die Kinder ihre eingerichteten Spielwelten bestehen lassen und ihr begonnenes Spiel später wieder aufgreifen können.
Material
Um Rollen nach ihren Vorstellungen gestalten zu können, brauchen Kinder jederzeit Kostüme und Requisiten. Je unspezifischer die Kostüme und Requisiten sind, desto stärker regen sie die Fantasie an und desto vielfältiger können sie eingesetzt werden. Pädagogische Fachkräfte sorgen für einen reichen Fundus an Stoffen, Tüchern, Umhängen, Kopfbedeckungen, Bändern, Spangen, Klammern, Taschen und Beutel in unterschiedlichen Farben und Formen, aus verschiedenen Materialien mit andersartigen Maßen und Mustern. Stoffe und Tücher eignen sich neben fertigen Kostümen zum Verkleiden, da sie je nach Situation zu Kleidern, Umhängen oder Kopfbedeckungen werden können. Requisiten und Kostüme, die selbst hergestellt werden, machen sie individueller und bedeutsamer für Kinder. Fehlendes können Kinder aus Papier, Holz oder anderen Materialien an Werkbänken, in Atelierecken oder Nähstübchen selbst herstellen.
Kinder mögen es, sich ihrer Rolle entsprechend zu schminken und zu frisieren. Unterstützt werden kann das durch Schminke, die gesundheitlich gut verträglich ist und einlädt, sein Äußeres mehr oder weniger stark zu verändern. Auch Perücken, Brillen, Hüte, Armreifen, Kopfschmuck, Clipohrringe oder Federboas machen einen Rollenwechsel reizvoll. Kleine und große Spiegel, in denen die Kinder sich in ihren Kostümen, Masken und Rollen allein oder zu mehreren sehen, dienen den Kindern dazu, zu überprüfen, ob die Verkleidung ihren Erwartungen entspricht.
Kinder brauchen von Anfang an Requisiten für ihre Darstellungen. Die Requisiten werden von den Kindern flexibel genutzt, mit Bedeutungen versehen und im nächsten Moment wieder neu gedeutet. Pädagogische Fachkräfte sorgen deshalb dafür, dass Kinder jederzeit ausreichend Gegenstände zur Verfügung haben, die je nach Spiel, zu verschiedenen Requisiten werden können. Es bedarf oft nur weniger, offener Gegenstände wie Tücher, Gefäße, Hocker, Matratzen, Kissen, Bänder und Kisten um ganze Geschichten zu erzählen. Auch verschieden große Tücher und Stoffe, Vorhänge und Stellwände, Stricke und Seile, Klammern und Bügel, Gefäße und Taschen, Hocker und Tische zählen dazu. Um Szenen spielen zu können, sind kostspielige Materialien zumeist nicht nötig. Kinder nutzen gerne Alltagsgegenstände, die sie „zweckentfremden“, Naturmaterialien, die ohne weiteres verschiedene Funktionen und Rollen annehmen und ergänzen Fehlendes durch Imaginäres.
Pädagogische Fachkräfte nehmen wahr, wenn Kinder das darstellende Spiel suchen. Sie sprechen mit ihnen darüber, suchen gemeinsam mit ihnen Mittel und Wege, um Requisiten und Kostüme herzustellen oder zu beschaffen und unterstützen Kinder mit ihrem Wissen und ihren Fertigkeiten dabei.
Künstler einbinden
Pädagogische Fachkräfte eröffnen allen Kindern die Fülle an Ausdrucksmöglichkeiten. Sie suchen dahingehend die Angebote des Sozialraums, um z.B. Tanz- und Theatervorstellungen zu besuchen und nehmen in Gesprächen darauf Bezug, was den Kindern gefallen oder nicht gefallen hat und warum. Anregungen für eigene Rollen- und Figurenspiele erhalten Kinder von Theatervorführungen, denen sie unmittelbar beiwohnen. Im Gegensatz zu Filmen regen Theatervorstellungen die Bildungsprozesse der Kinder umfassend an. Alles, was sie im Theater sehen, können sie anfassen, sie hören die Stimmen der Schauspieler von dort, wo sie stehen, sie sehen, dass das Monster eine Puppe und also alles „nur gespielt“ ist.
Pädagogische Fachkräfte laden Schauspieler, Maskenbildner, Tänzer und Artisten in die Tageseinrichtung ein oder besuchen diese an ihren Arbeitsplätzen. Kommen Künstler in die Tageseinrichtung um gemeinsam mit den Kindern Stücke und Aufführungen zu erarbeiten, so sorgen pädagogische Fachkräfte dafür, dass die Bedürfnisse der Kinder dabei berücksichtigt werden. Sie akzeptieren und unterstützen Kinder dabei, sich auf ihre Weisen, mit den sich entwickelnden Themen auseinanderzusetzen, diese zu interpretieren und zu präsentieren. Die Arbeit mit professionellen Künstlern, wird so zu einer Gelegenheit für Kinder, ihren Gefühlen und Fähigkeiten in Theater, Tanz und Sprache, in Requisite und Beleuchtung, Kostüm und Organisation in besonderer Form Ausdruck zu verleihen.
4.5.3 Fragen zur Überprüfung
Welche Räume laden Kinder zum Theater und Zirkus spielen, zu Tanz und Akrobatik ein?
Auf welche Weise fordern Materialien Kinder heraus, sich zu verkleiden, Rollen zu spielen und zu tanzen?
Wie laden Räume und Materialien Kinder ein, ihre szenischen Ausdrucksmöglichkeiten einzusetzen und zu erweitern?
Stehen Kindern ausreichend Materialien und Werkzeuge zur Verfügung, um selbst Requisiten, Kostüme und Bühnenbilder zu entwerfen und herzustellen?
Welche Gelegenheiten können Kinder nutzen, um in ihrem Rhythmus ungestört Theater zu spielen, zu tanzen und zu proben?
Wie gelingt es pädagogischen Fachkräften, dem Prozess des Theater-, Rollenspielens und Tanzens die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken und Raum zu geben auch wenn daraus keine Aufführung folgt?
Auf welche Weise gelingt es pädagogischen Fachkräften, individuelle Neigungen und Fähigkeiten von Kindern im Theater-, Rollenspiel und Tanz wahrzunehmen und diese zu unterstützen?
Wo im Sozialraum und der weiteren Umgebung gibt es Künstler, Proberäume, Theater und andere Bühnen, zu denen pädagogische Fachkräfte Kontakt herstellen können?
Gibt es in den Familien der Kinder Schauspieler, Dramaturgen, Hobbyartisten, Tänzer usw., die den Kindern darüber berichten, ihnen ihre Arbeit zeigen, mit ihnen an ihre Arbeitsplätze gehen und gemeinsam mit ihnen spielen, tanzen und improvisieren?
Wie gestalten pädagogische Fachkräfte einen respektvollen und wertschätzenden Rahmen für Aufführungen?
Welche Themen nehmen pädagogische Fachkräfte wahr, die die Kinder in ihren Darstellungen bearbeiten und inwiefern unterscheiden sich Mädchen und Jungen oder ältere und jüngere Kinder?
Wie werden künstlerische Prozesse dokumentiert und sichtbar wertgeschätzt?
4.6 Musik
Seit jeher nutzen Menschen Gesang und Instrumente, um ihren Gedanken, Gefühlen und Vorstellungen Ausdruck zu verleihen, Botschaften mitzuteilen oder andere zu begeistern und zu inspirieren. Musik ist ein wesentlicher Teil des menschlichen Lebens. Sie ist Ausdruck von Individuen und Generationen, Gemeinschaften und Gesellschaften, sie ist Teil des kulturellen Erbes.
Musik spricht den Menschen über das Gehör an und übt dabei in der Regel eine starke Wirkung aus. Die musikalischen Sinneseindrücke werden mit Emotionen verknüpft und regen beide Gehirnhälften zugleich an, was für Gedächtnis- und Bildungsprozesse von weitreichender Bedeutung ist.
Musik ist Rhythmik. Alles Leben ist rhythmisch strukturiert, der biologische Prozess des Lebens, der menschliche Puls- und Herzschlag, die Atmung. Rhythmus wird auch in der individuellen Musikalität erkennbar, in der Art Geräusche zu erzeugen, die Stimme zu benutzen und sich dazu zu bewegen. Musik ist hör- und fühlbare Mathematik. Rhythmus und Takt sind berechenbar und nach mathematischen Regeln aufgebaut. Musik hat neben Rhythmus auch Melodie, Harmonie und Dynamik.
Musik in diesem Sinne wird meist mit oder für andere Menschen gemacht, ist somit ein soziales Ereignis und schafft Gemeinschaft unter den Beteiligten. Sie verbindet Menschen und ist ein Mittel zur Kommunikation, eine Sprache, die fast überall auf der Welt verstanden werden kann.
Eine andere Sicht auf Musik richtet sich auf alle Geräusche, die vom Menschen wahrgenommen werden. Diese Sicht schließt Vogelgesang und Grillenzirpen genauso ein wie Blätterrauschen und Motorengeräusche. Musik - als im weitesten Sinne Abfolge von Geräuschen - umgibt und durchdringt den Menschen in jedem Augenblick. Der menschliche Körper erzeugt Geräusche - den Herzschlag, den Atem, die Stimme. Der Mensch erzeugt mit seinem Körper auch Geräusche in seiner Umgebung - je nach Untergrund, auf dem er läuft und je nach den Gegenständen, die er berührt und nach der Art seiner Berührung.
4.6.1 Interesse und Handeln der Kinder
Geräusche wahrnehmen und erzeugen
Kinder werden in eine Welt voller Klänge und Geräusche hineingeboren. Sie hören diese und können deren Schwingungen mit ihrem Körper spüren. Einige der Geräusche sind ihnen bereits aus dem Mutterleib bekannt und geben ihnen Orientierung und Sicherheit. Nach der Geburt erleben Kinder eine Vielzahl an neuen Klängen und Geräuschen. Sie nehmen diese zunächst als unmittelbar verwoben mit den Vorgängen, den Menschen und den Gegenständen ihrer Umgebung wahr. Sie verbinden diese mit angenehmen oder unangenehmen Gefühlen.
Mit der Zeit erleben Kinder, dass sie Klänge und Geräusche selbst verursachen können. Es bereitet ihnen große Freude, den Geräuschen ihres eigenen Körpers nachzuspüren oder Geräusche mit ihrer Stimme zu erzeugen. Ihr Körper wird zum „Instrument“, ohne den Gesang nicht stattfinden könnte. Kinder entdecken ihre Stimme beim Singen, sie lernen, darüber zu kommunizieren - laut und leise, schrill und tief, langsam und schnell. Musizieren lässt Kinder nicht nur erleben, was in ihnen oder den Instrumenten steckt, sondern auch, was sie aushalten können - an Geräuschen, Lautstärke und Intensität.
Kinder untersuchen ihre Umgebung im Hinblick auf Geräusche und Klänge. Alle Gegenstände werden betastet, beklopft, geschüttelt oder gegeneinander gestoßen, um ihnen Geräusche zu entlocken. Immer wieder werden diese rhythmisch wiederholt. Die Möglichkeiten im Umgang mit Musik sind ebenso vielfältig, wie die Geräuschquellen selbst - vom Stöckchen bis zur Violine.
Musik hören und erzeugen
Später kombinieren Kinder verschiedene Geräusche miteinander, lassen diese in Dialog treten oder erzeugen mehrere Geräusche gleichzeitig. Geräusche werden zum Kommunikationsmittel, wenn Kinder diese gemeinsam erzeugen und damit aufeinander reagieren. So entsteht allmählich Musik im engeren Sinne, verknüpft mit Bewegungen, die zu Tanz werden und stimmlichen Tönen, die in Gesang münden. Musik wird dann zu einem gemeinsamen Erlebnis. Kinder erleben sich als Teil einer Gruppe, die das Gleiche macht und dadurch an Kraft gewinnt. Sie erleben auch, dass etwas Neues entstehen kann, wenn viele verschiedene Geräusche gemeinsam erklingen und miteinander verschmelzen.
Kinder reagieren immer bewusster mit ihren Geräuschen auf die Geräusche Anderer und weben gemeinsam so etwas wie Geräuschteppiche oder erzählen Geschichten aus Tönen.
Mit der Zeit entwickeln Kinder ihren individuellen Musikgeschmack. Dieser orientiert sich an der Musik ihrer Lebenswelt und besonders an dem Geschmack ihrer Freunde. Musik wird immer mehr zu einem wichtigen sozialen Identifikationsmerkmal für heranwachsende Kinder. Sie wollen sich ausdrücken und präsentieren, was sie musikalisch können, ob in einem Chor, in einer Band oder im Orchester. Selbst Musik zu machen und zu singen kann für Kinder neben Freude und Erfolg aber auch mit Unsicherheit und Ängsten verbunden sein. Sie erleben Einschätzungen und Bewertungen Anderer und glauben vielleicht, unmusikalisch und wenig talentiert zu sein. Können Kinder ihre Musikalität in vertrauten und geschützten Rahmen ausprobieren und erfahren sie dafür Anerkennung und Wertschätzung, wächst ihr Selbstbewusstsein und ihr Wunsch, sich über Musik in all ihren Formen mitzuteilen.
4.6.2 Pädagogisches Handeln
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass Musik ein wichtiger Teil des Lebens der Kinder ist und räumen ihr deshalb in der Tageseinrichtung einen großen Stellenwert ein. Sie bieten Kindern Musik in einer Weise an, in der sie diesen Wohlgefühl bereitet, denn Lust und Freude sind die wesentlichen Triebkräfte für die musikalisch-ästhetische Bildung. Musik stellt in der Tageseinrichtung deshalb keine Geräuschkulisse oder „Berieselung“ wie in Supermärkten dar und läuft nicht nebenbei im Hintergrund. Musik wird zum Bildungserlebnis, wenn sie konzentriert wahrgenommen und genossen werden kann.
Pädagogische Fachkräfte bringen ihre eigene Musikalität in den Prozess der ästhetischen Bildung ein. Stimmlich und instrumentell orientieren sie sich dabei an den Bedürfnissen der Kinder. So sind Wiegenlieder Zuwendung und Beruhigung für die Jüngsten, Fingerspiele und Musikgeschichten greifen das Bedürfnis nach Rhythmik und Bewegung auf und die Bereitstellung von Instrumenten sowie das eigene Spielen eines Instrumentes unterstützen den Wunsch, durch Musik und Gesang eigene Stimmungen und Gedanken zum Ausdruck zu bringen.
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass musikalische Bildungsprozesse nicht auf dafür vorgesehene Räume und Zeiten begrenzt sind. Sie wissen, dass Kinder neugierig nach Musik, Geräuschen, Rhythmus suchen und unterstützen sie dabei, Dingen Geräusche zu entlocken und sich mit ihnen zu bewegen. Fast alle Gegenstände und Materialien eignen sich hierzu und Fehlendes wird durch Imaginäres ersetzt.
Musik anbieten
Pädagogische Fachkräfte bieten Kindern vielfältige Gelegenheiten, Musik zu machen und zu hören, Gesang zu erleben und selbst zu singen und unterstützen so Kinder bei der Suche nach individuellen Ausdrucksmöglichkeiten.
Beim Besuch von Konzerten - in der Oper oder auf der Wiese - kommen Kinder als Zuhörer mit Musik in Kontakt. Musiker und Sänger, eingeladen in die Tageseinrichtung, geben jedem Kind die Möglichkeit, professionell gespielte Musik ganz nah zu erleben, kostbare Instrumente anzufassen und selbst auszuprobieren.
In jedem Alter sind Kinder interessierte Zuhörer. Pädagogische Fachkräfte orientieren die Auswahl von Konzerten an den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Kinder. Je jünger die Kinder sind, desto einfacher und greifbarer sollten die musikalischen Eindrücke sein. Ein großes Orchester begleitet von einem mehrstimmig singenden Chor oder elektronische Musik überfordert möglicherweise jüngere, bewirkt aber vielleicht bei älteren Kindern überraschende Eindrücke und löst anhaltende Begeisterung aus - gerade auch bei Kindern, die solche Musik aus ihrer familiären oder sozialen Lebenswelt nicht kennen.
Pädagogische Fachkräfte eröffnen Kindern in der Tageseinrichtung den Kontakt mit vielfältigen Musikformen. Sie entdecken auf diese Weise Parallelen und Abgrenzungsmerkmale und erfahren die Fülle musikalischer Ausdrucksformen. Für ältere Kinder kann es spannend sein, die Lieblingsmusik der pädagogischen Fachkraft oder anderer Kinder und Erwachsener zu hören oder den musikalischen und kulturellen Wurzeln ihrer eigenen Lieblingsmusik nachzuspüren.
Instrumente anbieten
Zur musikalischen Bildung gehört es auch, selbst Musik zu erzeugen und Melodien oder Lieder zu komponieren. Grunderfahrungen mit dem Körper, mit Gegenständen und mit Instrumenten aller Art machen Kinder allein. Pädagogische Fachkräfte stellen ihnen hierfür Materialien zur Verfügung und eröffnen Gelegenheiten, zu musizieren.
Musik zu erzeugen ist immer mit Bewegung verknüpft und bedeutet für Kinder in erster Linie in Bewegung zu sein. Dies tun sie, indem sie ihren Körper und Gegenstände in Schwingungen bringen - sichtbar oder unsichtbar. Pädagogische Fachkräfte stellen Kindern Raum und Zeit sowie entsprechende Materialien zur Verfügung, um sich diesen Wahrnehmungen mit ganzer Konzentration zu widmen. Dabei können sie den Zusammenhang zwischen Musik, Bewegung und Sprache und ihre Wechselwirkungen erkennen.
Pädagogische Fachkräfte schaffen Gelegenheiten und Situationen, in denen Kinder über das Mitmachen und das Nachmachen in ein Selbermachen von Musik kommen können. Sie nehmen wahr, wenn Kinder selbst solche Prozesse beginnen. Wenn ein Kind beispielsweise mit einem Stöckchen auf einen Eimer trommelt, können sie ebenfalls einen Eimer als Trommel nutzen und mitmachen.
Pädagogische Fachkräfte singen, erzeugen Töne, spielen Instrumente und begleiten ihr Tun mit Mimik und Gesten und geben Kindern so Gelegenheit, dieses nachzuahmen. Kinder beobachten andere Kinder oder pädagogische Fachkräfte genau beim Erzeugen von Tönen oder Spielen von Instrumenten. Auf je eigene Weise versuchen Kinder aus dem Gedächtnis heraus, die gehörten Melodien und dazugehörigen Handlungen zu imitieren. Durch das Nachmachen von Erlebtem erarbeitet sich jedes Kind einen Fundus an Melodien, Rhythmen und Klängen. Dieser fließt ein in den Prozess des selber Machens und die Entscheidung, welche Melodien es auf welche Weise präsentiert.
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass Kinder mit allen Sinnen erfahren müssen, wie und womit die Töne erzeugt werden, die sie hören. Erst wenn Kinder die spielende Gitarre gesehen und berührt haben, können sie diese auf Bildern wiedererkennen und in einen Zusammenhang mit dem Gehörten bringen oder konkrete Anhaltspunkte für die eigene Gewinnung von Tönen oder die Handhabung von Instrumenten erhalten. Kinderlieder abgespielt von einer CD sind für Kinder nur wertvolle Erinnerung und Begleitung beim eigenen Singen, wenn sie zuvor selbst gesungen und so ganzheitlicher erfahren worden.
Pädagogische Fachkräfte erkennen, wenn Kinder mit der Zeit auf Musikaufnahmen zurückgreifen und diese als Gestaltungselement in anderen Zusammenhängen, wie Theateraufführungen nutzen wollen. Sie sorgen dafür, dass Kinder selbst gespielte Musik aufnehmen und damit experimentieren können.
Gemeinsam mit anderen zu musizieren, ist für Kinder ein Erlebnis. Pädagogische Fachkräfte musizieren mit den Kindern, sie singen, sie machen Finger-, Tanz- und Bewegungsspiele zu verschiedenen Zeiten im Tageslauf.
Singen
Kinder wollen singen. Sind die Stimmbänder anfangs noch kürzer und klingt die Stimme höher, wächst der Stimmumfang kontinuierlich bis zur Pubertät. Durch Übung wird jede Stimme kräftiger, ausdauernder und ihr Klang klarer.
Singen pädagogische Fachkräfte selbst gern und häufig, so erhalten und stärken sie die Freude der Kinder am Singen. Sie wissen, dass ihre eigene Singstimme die Kinder unterstützt, wenn sie in der für die Kinder passenden Stimmlage singen. Auch die Ausdrucksfähigkeit, die Dynamik und die Flexibilität des eigenen Gesangs unterstützen Kinder dabei, „ihre Singstimme“ zu finden. Durch die aufmerksame und individuelle Ermutigung der Kinder beim Ausprobieren ihrer Stimme bewahren Kinder ihre Freude am Singen, an ihrer Stimme, am Improvisieren eines Liedtextes und am Spielen mit Bewegung.
Entwickeln Kinder Ideen, die Wirkung ihrer Stimme und ihrer gesanglichen Fähigkeiten auszuprobieren, unterstützen pädagogische Fachkräfte dies. Das Vorführen ihrer Fähigkeiten und ihrer Inszenierungen ist für Kinder manchmal bedeutsam, denn so zeigen sie, was sie können, wozu sie in der Lage sind und sie erhalten Aufmerksamkeit. Gemeinsam mit den Kindern beraten und beschließen pädagogische Fachkräfte, wie sie sich präsentieren können.
Neben ihren Fähigkeiten zeigen Kinder mit ihren Werken immer auch etwas von ihrer Persönlichkeit. Deshalb ist ein geschützter Rahmen für die Vorführung wichtig. Präsentationen bilden einen Abschluss von Prozessen, sind aber immer auch Ausgangspunkt für neue Ideen, Projekte und Spiele, für die alle Fachkräfte des Teams offen sind.
Pädagogische Fachkräfte geben Kindern Resonanz zu ihrem musikalischen Tun. Sie sind Gegenüber mit eigenem künstlerischen Geschmack und vertreten eigene Meinungen. Diese Meinungen zu vertreten, bedeutet aber nicht, die Ausdrucksformen der Kinder herabzusetzen oder zu überwerten. Vielmehr nehmen sie die Stimmungen und Themen der Kinder, die in den künstlerischen Prozessen und Ergebnissen auftreten wahr und reagieren darauf.
Pädagogische Fachkräfte greifen auf ein Repertoire an Liedern und Singspielen zurück, das sie an den Bedürfnissen der Kinder und an den Situationen orientieren. Durch den Austausch mit anderen Fachkräften, das Hinzuziehen von Fachliteratur oder Einbeziehen von Eltern erweitern und verändern sie ihren eigenen Liederschatz.
Raum und Zeit
Musik braucht Muße. Pädagogische Fachkräfte wissen, dass Momente scheinbaren Nichtstuns kreative Prozesse auslösen können. So trommeln Kinder z.B. mit den Füßen gegen die Garderobenbank oder klopfen mit den Löffeln auf den Tisch. Manchmal entsteht aus diesem scheinbar sinnlosen Lärmen rhythmische Musik und ein Konzert, dem sich andere Kinder anschließen.
Pädagogische Fachkräfte eröffnen Kindern unterschiedliche Räume und Zeiten zum Singen und Musizieren. So können musikalisch-ästhetische Bildungsprozesse in feste Rahmen eingebettet stattfinden und zeitlich, personell und inhaltlich strukturiert sein. Sie orientieren sich jedoch immer an den Bedürfnissen der Kinder. Kinder entscheiden selbst, ob und in welcher Form sie sich daran beteiligen - sei es das Begrüßungslied im Morgenkreis oder eine Chorgruppe. Auch Kinder, die nur zuschauen, machen Erfahrungen, die für sie wichtig sind. Kinder werden nicht zur Teilnahme genötigt, denn wie auch Spiel kann Kreativität immer nur frei gewählt entstehen. Zwang und Druck zerstört diese.
In Tageseinrichtungen laden entsprechend eingerichtete Räume dazu ein, sich musikalisch auszudrücken, Schalleffekte oder Dämpfungen werden hier vermieden. Pädagogische Fachkräfte richten Kindern bei Bedarf einen Proberaum ein für eine Band oder einen Chor. Pädagogische Fachkräfte erarbeiten mit den Kindern solche Regelungen zur Nutzung der Räume, dass sich Kinder mit gleichem Bedürfnis - nach Musik hören oder selber erzeugen, nach Singen im Duett oder in größeren Gruppen - zusammenfinden können.
Material
Auch die jüngsten Kinder brauchen Materialien, die Geräusche machen. Hierfür eignen sich besonders Naturmaterialien, die Kindern auf einfache Weise Erfahrungen mit allen Sinnen ermöglichen und dabei passende Geräusche machen. So erfahren sie, wie sich Holz - Kiefer, Lärche oder Eiche - anhört und welche Töne Kastanien, Nudeln oder Reiskörner in einer Flasche erzeugen. Auch einfache Instrumente wie Trommeln, Xylophone und Glöckchen unterstützen die musikalische Bildung und können zunehmend differenzierter und anspruchsvoller in ihrer Handhabung werden.
Sind die Materialien kostbar und von guter Qualität und werden sie von den pädagogischen Fachkräften entsprechend behandelt, so erleben Kinder sich und ihr Tun als wertvoll und lernen Materialien zu schätzen.
Noten, Liederbücher, Notenständer, Leihinstrumente aber auch Bilder von Komponisten und Sängern sind Materialien, die Kinder einladen können, sie auszuprobieren. Tageseinrichtungen verstehen sich gerade auch im musisch-ästhetischen Bildungsbereich als Ort, der auf die Erweiterung und Vertiefung des kreativen Potenzials jedes Kindes ausgerichtet ist.
4.6.3 Fragen zur Überprüfung
In welcher Weise sind Räume und Außengelände der Tageseinrichtung gestaltet, so dass sie musikalische Bildungsprozesse ermöglichen und dazu einladen?
Welche anregenden Materialien zum Musik erzeugen, hören und singen, stehen Kindern zur Verfügung?
Sind Materialen für musikalische Bildungsprozesse für jedes Kind sichtbar und jederzeit frei zugänglich?
Welche Fähigkeiten und Interessen der pädagogischen Fachkräfte unterstützen die Kinder in ihrer musisch-ästhetischen Entwicklung?
Singen und Musizieren pädagogische Fachkräfte?
Welche musikalischen Rituale gibt es im Alltag?
Wann haben Kinder die Möglichkeit gemeinsam zu singen und zu musizieren? Sind die Situationen so gestaltet, dass Kinder dies annehmen und ablehnen können?
Wo im Sozialraum und der weiteren Umgebung gibt es Künstler, Ateliers, Proberäume, Theater, Oper und andere Bühnen, zu denen Kontakt hergestellt werden kann?
Auf welche Weise gelingt es pädagogischen Fachkräften, Kinder einzuladen, sich mit verschiedenen Musikrichtungen und -stilen sei es Jazz, Klassik oder Hip-Hop zu beschäftigen?
Gibt es in den Familien der Kinder Sänger, Musiker oder Menschen, die im weiteren Sinne mit Musik, Ton und Stimme arbeiten und die den Kindern darüber berichten, ihnen ihre Arbeit zeigen können oder mit ihnen gemeinsam tätig sind?
Wie ermöglichen pädagogische Fachkräfte Kindern, vielfältige Bereiche von Musik kennenzulernen, z. B. die Noten einer Komposition oder die Lebensgeschichte eines berühmten Komponisten, den Einbau einer neuen Orgelpfeife oder Glocke in der Kirche?
Welche außergewöhnlichen Instrumente, wie Alphörner, Didgeridoos, Teorben oder Kotos können Kinder kennenlernen?
Welche Alltags- und Naturmaterialen (z.B. Stöcke, Gefäße, Trommeln, Rasseln usw.) stehen Kindern zur freien Verfügung, um damit Geräusche, Klänge zu erzeugen?
Welche Werkzeuge und Materialien können Kinder nutzen, um Instrumente herzustellen?
4.7 Mathematik
Menschen denken von Geburt an in mathematischen Mustern. Für die ersten mathematischen Erfahrungen brauchen sie keine Worte und Zahlen. Bilder und Muster entwickeln sich im Kopf, nach ihnen werden alle weiteren Wahrnehmungen sortiert und geordnet. Bereits Neugeborene tun dies zum Beispiel nach dem Muster hell-dunkel. Schon vier Monate alte Babys haben einen Sinn für Mengen, sie verstehen die Bedeutung von mehr und weniger. Sie erkennen ihre Mutter trotz veränderter Frisur oder Kleidung als dieselbe Person wieder. Das ist die Fähigkeit, etwas Gleiches trotz seiner Veränderung wahrzunehmen - eine mathematische Leistung im weitesten Sinne.
Mathematik ist die Wissenschaft der Muster. Muster in all ihren Variationen begegnen uns überall. In der Natur und im Universum, in Raum und Zeit, in der Architektur, in der Musik und Malerei. Der Mensch folgt Verhaltens- und Bewegungsmustern. Sprachen und Kulturen weisen spezifische Muster auf. Muster sind sinnlich wahrnehmbar oder in der Phantasie vorgestellt, zufällig entstanden oder sorgfältig konstruiert. Sie sind starr oder beweglich, zweckgerichtet oder zweckfrei. Manche sind mittels Zahlen erfassbar, viele andere aber nicht. Mathematik ist also eine bestimmte Art und Weise der Betrachtung und Interpretation von Welt.
Der Bereich dessen, was zur Mathematik gehört, ist nicht scharf umrissen. Immer wieder werden Grenzen zu anderen Wissenschaften, wie Physik, Astronomie, Biologie oder Chemie überschritten. Mathematik befasst sich mit Ideen, die jeder kennt: Es geht um Symmetrie und Reihenfolge, um Gleichheit und Unterschiedlichkeit, um Beständigkeit und Veränderung, um Mehr oder Weniger, um Sortieren und Zuordnen, um das Verhältnis der Teile zu einem Ganzen und um die Bestimmung der Lage im Raum, um das Messen und letztendlich auch um Zahlen.
In der Entwicklung der Kinder sind mathematische und sprachliche Fähigkeiten eng miteinander verzahnt. Sprache ist bedeutungsvoll für die Verfeinerung und den Ausbau des mathematischen Verständnisses. Erst wenn ein Kind Begriffe hat, kann es anfangen, bewusst über mathematische Ideen nachzudenken.
4.7.1 Interesse und Handeln der Kinder
Kinder wollen die Welt, in der sie leben in all ihrer Komplexität verstehen. Es genügt ihnen nicht, Phänomene nur von einem Blickwinkel aus zu ergründen. Sie nähern sich ihnen von verschiedenen Seiten, mit unterschiedlichen Ideen und Fantasien, Werkzeugen und Hypothesen.
Die Beschäftigung mit mathematischen Phänomenen verläuft bei Kindern vom Konkreten zum Abstrakten. Kinder wollen Dinge in den Mund nehmen und anfassen und erfahren so etwas von der Größe und der Beschaffenheit des Gegenstandes. Kinder wollen etwas herumtragen, einpacken oder aufeinander stapeln und erfassen damit Mengen und Gewichte. Sie zersägen, sortieren und hüpfen, sie malen etwas auf, pflanzen ein und essen - und lernen dabei, dass Mengen geteilt werden können, dass sie nach Kategorien wie Größe, Farbe und Material geordnet werden können, dass das Hüpfen einem Rhythmus folgt, der eine Regelmäßigkeit hat, dass Muster gemalt oder gestempelt werden können, Möhren in Reihe gesät werden und dass Essen süß und sauer sein kann.
All dies ist Mathematik. Im praktischen Tun entwicklen Kinder ihr mathematisches Grundverständnis. Sie lernen aus ihren Alltagsbezügen und beginnen, sich in zunehmendem Maße vom (Be-)Greifen der Dinge zu lösen und immer selbstverständlicher mit abstrakten Begriffen umzugehen.
Kommen Kinder zur Schule, beherrschen sie erste mathematische Konzepte. Sie haben Vorstellungen von Zahlen und Ziffern und von Addition und Subtraktion. Sie können geometrische Figuren benennen und sich bis zu einem gewissen Grad in Raum und Zeit orientieren. In der Schule wird an dieses Wissen angeknüpft und abstraktes mathematisches Denken weiter vertieft. Bestand die Faszination bisher darin, Muster und Strukturen in Alltäglichem zu entdecken, so ist die Herausforderung für Schulkinder nun, abstraktes Wissen anzuwenden. Nicht immer verstehen Kinder, wo der Bezug des erlernten mathematischen Wissens zu ihrem Alltag ist und verlieren das Interesse an Mathematik. Kinder in dieser Lebensphase suchen weiter nach der praktischen Anwendung ihres mathematischen Wissens.
Ordnen, Sortieren und Vergleichen
Kinder ordnen Gegenstände in ihrer Umgebung zum Beispiel nach Form, Farbe, Größe oder Oberflächenbeschaffenheit. So sammeln sie kleine Steine in Bechern, bilden Bündel von gleichfarbigen Stiften, stellen verschiedene Sandeimer der Größe nach auf. Kinder nehmen Muster und Strukturen in ihrer Umgebung wahr und stellen selbst welche mit verschiedenen Mitteln her, indem sie z.B. mit einem Stöckchen Spiralen in den Sand zeichnen oder Seile zu „Schnecken“ aufwickeln.
Kinder sortieren Gegenstände in symmetrischen Mustern, wenn sie Perlen farblich sortiert auf eine Schnur fädeln oder das Geschirr in bestimmten Abständen und Winkeln zueinander auf dem Tisch anordnen.
Kinder erkennen unterschiedliche geometrische Grundformen in ihrer Umgebung und vergleichen sie miteinander. Sie entdecken diese in verschiedenen Zusammenhängen wieder, wie Bälle in Kastanien, Seifenblasen oder Erbsen. Sie nutzen geometrische Grundformen, um daraus Figuren oder Gegenstände wie Brücken und Häuser aus Bausteinen zu konstruieren.
Kinder erzeugen durch gleichförmiges Klopfen mit dem Löffel auf den Tisch, Wippen des Fußes oder das Summen einer Melodie Muster, die rhythmisch sind. Sie nehmen akustische oder bewegliche Rhythmen auf, wiederholen und verändern diese und setzen sie in immer neue Bezüge zu ihrer Lebenswelt.
Kinder erleben Zeit als Muster im Alltag. Kinder werden in Zeitstrukturen Erwachsener hineingeboren. Sie wachsen hinein in die Gliederung von Tagen, Wochen oder Jahreszeiten sowie in Mess- und Ordnungssysteme für Zeit.
Kinder vergleichen Gegenstände, ihre eigenen Körper, Nahrungsmittel oder Spielsachen hinsichtlich ihrer Eigenschaften wie Größe, Gewicht oder Menge und Temperatur. Dies geschieht zunächst über das Ausprobieren und nach ganz subjektiven Kriterien. So empfindet sich der Zweijährige, der auf dem Tisch steht, größer als die Fünfjährige, die am Boden kniet. Auch wird Gewicht durch Erfahrung in leicht und schwer unterschieden und Temperaturen werden durch Erfühlen unterschiedlich wahrgenommen.
Dimensionen erkunden
Kinder erkunden die Innen- und Außenräume, in denen sie sich aufhalten, mit ihrem eigenen Körper und mit Gegenständen und Werkzeugen. Kinder bewegen sich im Raum in alle mögliche Richtungen. Sie rennen im Kreis und in Zickzacklinien umher, umrunden Hindernisse, springen darüber oder kriechen darunter durch. Sie klettern auf Stühle und Tische, Bäume und Mauern, stapeln Hocker und bauen Rampen, um noch höher in den Raum hinaufklettern zu können. Kinder schaukeln und fahren durch Räume, robben und krabbeln, rennen und schleichen. Sie kugeln sich Abhänge hinunter und setzen sich unter niedrige Tische. Indem sie Räume auf unterschiedliche Weisen, mit verschiedenen Bewegungen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten mit und ohne Hilfsmittel durchqueren, lernen sie Raum in seinen mathematischen Dimensionen kennen. Sie erkunden und begreifen Räume und Flächen, indem sie Hohlräume wie Becher und Eimer wieder und wieder füllen und leeren, Bälle und Papierflieger durch Räume werfen und schießen. Sie konstruieren Räume und stecken Bereiche ab, indem sie Seile spannen, oder sie mittels Linien auf dem Papier oder dem Boden kennzeichnen und durchqueren, mit Farben und Materialien füllen, sie fotografieren und aufmalen.
Nur durch die Erfahrung, mit dem eigenen Körper oben und unten, hinten und vorn im Raum gewesen zu sein, erlangen Kinder ein Verständnis von der Bedeutung dieser Begriffe und können sie in ihrer Vorstellung und zur Beschreibung von Menschen und Gegenständen im Raum anwenden. Der sichere Umgang mit der Raum-Lage-Beziehung ist eine wesentliche Voraussetzung für Orientierung in der Umgebung und legt auch den Grundstein für abstraktere Lernprozesse wie Lesen, Schreiben und Rechnen.
Zahlen entdecken
Kinder merken, dass Zahlen im Leben der Erwachsenen von großer Bedeutung sind, da sie im Alltag überall auftauchen, wie z.B. an Häusern, auf Geldscheinen oder Autokennzeichen und auch sprachlich immer wieder verwendet werden. Ohne den symbolischen Wert der Zahlen zu begreifen, begleiten Kinder das Treppensteigen, das Sammeln von Kieselsteinen und das Austeilen von Esslöffeln mit dem Aufsagen von Zahlen.
Beherrschen sie die Zahlenfolgen und verstehen diese als Mengenangaben, treten sie in Wettstreit darüber, wer am weitesten zählen kann, die meisten Sprünge mit dem Seil schafft und wer mehr Bauklötze zu einem hohen Turm stapeln kann.
Zeitverläufe wahrnehmen
Kinder interessieren sich mehr und mehr für Uhren und Zeitverläufe aller Art. Sie wollen wahrnehmen, wie Zeit verrinnt, beobachten die Bewegungen von Sand- und Sonnenuhren und von Zeigern über das Ziffernblatt. Sie testen, wie lange das Wasser von einem Eimer in einen anderen fließt, welcher Papierflieger schneller fliegt und wer länger die Luft anhalten kann. Sie lauschen gebannt Geschichten aus vergangenen Zeiten und Anekdoten aus ihrer Kindheit. Sie mögen es, eigene Babyfotos zu betrachten und von ihrer Zukunft als Feuerwehrmann zu träumen, sie fiebern im Frühling ihrem Geburtstag im Sommer entgegen und öffnen begeistert die Fenster ihres Adventskalenders in Erwartung des 24. Dezembers.
4.7.2 Pädagogisches Handeln
Verstehen pädagogische Fachkräfte Mathematik als die Wissenschaft von Mustern, so werden sie deren Relevanz für frühkindliche Bildungsprozesse nachvollziehen können. Kinder sind von Geburt an von mathematischen Prinzipien umgeben. Sie hantieren mit Gegenständen, die sich nach verschiedenen Mustern ordnen und sortieren lassen, sie unterscheiden verschiedene geometrische Formen und Figuren, sie nehmen verschiedene Maße wahr und können diese miteinander vergleichen. Kinder tun dies intuitiv, ohne sich den darunterliegenden mathematischen Prinzipien bewusst zu sein.
Pädagogische Fachkräfte in Tageseinrichtungen reflektieren eigene Sichtweisen und mathematische Lernerfahrungen und setzen sich damit im Team auseinander. Sie erarbeiten gemeinsam aktuelle Konzepte von Mathematik als Wissenschaft der Muster. In diesem Sinne gestalten pädagogische Fachkräfte für die Kinder einen Alltag, der von Neugierde und Staunen geprägt ist und Kindern Räume, Materialien und Gelegenheiten gibt, ihre Welt auf individuelle Weise zu sortieren und zu strukturieren.
Sind Kinder in ihr Tun vertieft und wiederholen immer wieder die gleichen Schritte, so unterbrechen pädagogische Fachkräfte sie nicht, sondern erkunden durch Beobachtung und Dokumentation und im Dialog mit den Kindern deren mathematische Forschungsinteressen.
Pädagogische Fachkräfte nutzen mathematische Begriffe für die Phänomene, die Kinder in ihrer Umgebung erfahren und unterstützen sie dabei, ihre Erkenntnisse auf andere Bereiche zu übertragen.
Präsentation ermöglichen
Pädagogische Fachkräfte ermutigen Kinder, ihre entstandenen Werke zu präsentieren. Sie nehmen wahr, wenn Kinder Interesse haben, ihre Konstruktionen, Werke und Erkenntnisse abzubilden und für Andere in verschiedener Art sichtbar zu machen. Sie unterstützen dies, indem sie Materialien zur Verfügung stellen, die eine Präsentation der Objekte möglich macht. Papier, Wachsmalblöcke, Bleistifte, auch Fotoapparate helfen, Formen zu finden, eigene Werke auf eine andere Weise und aus einer anderen Perspektive darzustellen.
Pädagogische Fachkräfte bieten Kindern so die Gelegenheit, ihre Wahrnehmungen zu sortieren, Gedanken zu strukturieren und festzuhalten.
Kinder brauchen die Möglichkeit, ihre Werke und ihre Materialsammlungen an geschützten Stellen präsentieren zu können. Wird diesem Bedürfnis Raum gegeben, können Kinder ihr Interesse verfolgen und erfahren, dass ihre individuelle Auseinandersetzung mit der Welt anerkannt wird. Kinder werden von pädagogischen Fachkräften eingeladen, selbst Formen der Präsentation zu finden und zu gestalten. Das können spezielle Rahmen sein oder ein bestimmter Platz im Haus. Auch die selbstständige Anordnung der Werke, - in Reihe oder chaotisch - ist ein Anreiz, sich mit mathematischen Prinzipien auseinanderzusetzen.
In Austausch treten
Können Kinder ihre Werke, ihre Materialien und ihre Darstellungen an geeigneten Plätzen sichtbar machen, eröffnen sie damit anderen Kindern, pädagogischen Fachkräften und Eltern Einblick in ihr Tun. Pädagogische Fachkräfte nutzen Präsentationen, um sich mit dem einzelnen Kind oder mit mehreren Kindern darüber auszutauschen und gemeinsam darüber nachzudenken.
Pädagogische Fachkräfte beobachten Kinder und ihre Auseinandersetzung mit der Welt. Sie halten fest, welche Interessen Kinder haben, wie sie ihnen nachgehen und dabei ihre Wahrnehmungen sortieren und Gedanken strukturieren. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse nutzen pädagogische Fachkräfte, um ihr weiteres Handeln darauf abzustimmen und mit den Kindern darüber ins Gespräch zu kommen.
Pädagogische Fachkräfte suchen bewusst Situationen, um mit den Kindern über deren Vorgehensweise, ihre Strategien und Erkenntnisse zu sprechen. Durch das Spiegeln von individuellen Erkenntniswegen und die Verwendung von Begriffen, die Gegenstände benennen und Prozesse beschreiben, ist Kindern eine differenzierte Form des Verstehens möglich. Kinder erfahren und lernen so, wie sie lernen. Sie entwickeln lernmethodische Kompetenzen.
Mathematik in Alltagssituationen entdecken
Pädagogische Fachkräfte müssen nicht über komplexes mathematisches Wissen verfügen, um mathematische Bildungsprozesse der Kinder begleiten zu können. Bedeutend sind ihre Beobachtungsgabe und die Wahrnehmung der mathematischen Anteile im Alltag und im kindlichen Tun.
Mahlzeiten z.B. bieten Kindern reichhaltige Gelegenheiten für mathematische Bildungsprozesse. So zeigen aufgeschnittene Früchte symmetrische Muster und gezackte Messerschneiden hinterlassen Streifen auf der Butter. Erbsen sehen aus wie kleine Kugeln und belegte Brote können in Quadrate geschnitten werden. Gläser hinterlassen kreisrunde Abdrücke auf dem Tisch und Apfelstückchen werden gleichmäßig aufgeteilt. Kinder probieren aus, in wie viele Stückchen sich eine Kartoffel zerteilen lässt und schätzen, ob der Tee in der Kanne reicht, um die Tassen aller Kinder zu füllen. Sie vergleichen ihre Gebissabdrücke im Käsebrot und zählen, wie oft sie kauen müssen, bis sich der Bissen im Mund aufgelöst hat.
Auch mit dem eigenen Körper werden mathematische Erkenntnisse gewonnen. Körperteile lassen sich zählen, messen und vergleichen, Finger und Füße hinterlassen unterschiedliche Abdrücke auf verschiedenen Materialien, Haare wachsen in bestimmte Richtungen, sind glatt oder spiralförmig gelockt. Die Iris ist kreisrund und die Ohrmuschel geformt wie eine Schnecke. Neue Zähne wachsen und manche fallen wieder heraus.
Pädagogische Fachkräfte entdecken mit Kindern den mathematischen Gehalt von Alltagssituationen. Sie sehen sich mit den Kindern z.B. Blattäderchen und die Anordnung von Blütenblättern an, den Aufbau von Spinnennetzen und Bienenwaben, den Verlauf von Ameisenstraßen und die Form der Schneckenhäuser. Sie verfolgen die Spuren des Windes auf Wasser und Sand, den Aufbau eines Schneekristalls und die Färbung von Schmetterlingsflügeln und nehmen mit den Kindern deren unterschiedliche Muster wahr.
Pädagogische Fachkräfte stellen durch Begriffe immer wieder die Verbindung zwischen Mathematik und der Lebenswelt der Kinder her. Sie eröffnen Kindern ein Verständnis und bieten Möglichkeiten dafür an, wie Erfahrungen sortiert werden können oder welchen Nutzen bestimmte Strukturen haben können. Pädagogische Fachkräfte vereinbaren z.B. den Treffpunkt am 5. Haus oder begleiten ihr Tun, indem sie sagen: „noch einen Pfannkuchen mehr und ich platze“, auch die Frage, wie viele Kinder „heute da sind“, bezieht Mathematik in den Alltag ein und lässt sie zum selbstverständlichen Bestandteil werden.
Raum und Zeit
Die Gebäude und deren Ausstattung sind selbstverständlicher Gegenstand mathematischer Bildungsprozesse von Kindern. In den Innenräumen können Kinder vielfältige Muster, Strukturen und geometrische Formen und Körper entdecken. Wände und Böden sind auf bestimmte Weise gemasert, Holzoberflächen haben spezifische Strukturen, quadratische Wandfliesen fügen sich zu größeren Mustern und Spiegel erzeugen symmetrische Bilder. Helle und dunkle Farbflächen in Innenräumen ergeben Muster, ebenso wie Licht und Schatten, erzeugt von verschiedenen Lichtquellen und Fenstern.
Gemeinsam mit den Kindern durchstreifen pädagogische Fachkräfte die Räume der Tageseinrichtung auf der Suche nach Mustern und Strukturen. Pädagogische Fachkräfte sorgen für eine Umgebung, in der Kinder auch ungestört allein oder gemeinsam mit anderen eine Idee verfolgen, etwas neu ordnen oder abgrenzen können. Kinder brauchen in der Tageseinrichtung viel Platz, um selbst Muster und Strukturen erzeugen und bearbeiten können. Neutrale und freie Wände, Tische, Podeste und Bodenflächen bieten eigenen Ideen Raum, ohne durch gemusterte Tapeten und karierte Decken abzulenken oder Strukturen vorzugeben.
Auch der Aufbau des Außengeländes folgt bestimmten Mustern, Strukturen und Berechnungen. Pflanzen und Steine, Wege und Pfade, Wasser, Sand und Rasenflächen teilen oder verbinden das Außengelände, grenzen Bereiche voneinander ab oder fügen sie zusammen. Werden Räume und Außengelände gestaltet, wird mathematisches Wissen einbezogen - so können sich Pflastersteine und Holzbohlen symmetrisch abwechseln oder Fenster sich in einer ungewohnten Anordnung zeigen.
Zeit hat für Kinder eine andere Bedeutung als für Erwachsene. Auch wenn Kinder noch keine Uhren haben, die ihr Leben und ihre Aktivitäten in Stunden und Minuten gliedern, folgen sie in ihren Handlungen bestimmten Rhythmen wie Anspannung und Entspannung, Aktivität und Ruhe. Kinder strukturieren ihre Aktivitäten beim Spiel und bei der Arbeit, indem sie sich zunehmend mehr an bestimmten Rhythmen und Abläufen orientieren und diese in ihr Handeln mit einbeziehen. Pädagogische Fachkräfte sorgen dafür, dass für Kinder Abläufe und Strukturen transparent sind. Auf diese Weise können Kinder ein Zeitverständnis entwickeln und zunehmend mehr eigene Aktivitäten planen und sich beispielsweise untereinander verabreden.
Kinder brauchen auch Zeit, um Materialien zu sammeln, zu ordnen, zu systematisieren und zu strukturieren. Mathematische Erfahrungen und Erkenntnisse durchziehen alle Spiel- und Arbeitsprozesse der Kinder, daher gibt es in der Tageseinrichtung keine festen Zeiten, in denen „Mathe gelernt“ wird.
Material
Spezifische Lernmaterialien oder Vorlagen sind für mathematische Bildungsprozesse nicht notwendig. Grundsätzlich sammeln Kinder mathematische Grunderfahrungen mit allen Gegenständen, die sich nach bestimmten Kriterien wie Farbe, Form, Gewicht, Größe, Material, Bezeichnung, Zusammensetzung usw. ordnen lassen.
Kinder benötigen vielfältige Materialien, um sortieren, abgrenzen oder ordnen zu können. Dazu gehören Materialien in verschiedenen Formen und Größen, wie auch Gefäße, fest und flexibel, mit und ohne Henkel, durchsichtig und verschließ- oder stapelbar. Grundlegend sind auch Spiegel und spiegelnde Flächen für Experimente mit Symmetrie und Vervielfältigung. Seile und Bänder aus verschiedenen Materialien und Farben, in unterschiedlichen Stärken und Längen bieten sich zum Messen und Vergleichen, Verpacken und Verbinden, Umwickeln und Ziehen an, als Begrenzung von Flächen und Räumen, als Wegmarkierung und zum Aufrollen zu Schnecken, zum Legen von Formen und Herstellen von Zirkeln.
Um Mathematik erleben zu können, brauchen Kinder eine hohe Stückzahl vom gleichen Material. So können sie aus vielen gleichen Teilen neue sehr große Figuren bilden, die sich umgekehrt in viele kleine Teile zerlegen lassen. Herausfordernd und anregend sind hunderte, gar tausende kleiner und gleicher Gegenstände wie Cent-Stücke, Holzwürfel, Muggelsteine, Murmeln, Eislöffel, geometrische Bauklötze oder Pappbecher. Die eigentliche Funktion der Materialien rückt hierbei in den Hintergrund und die Kinder kommen in das freie Konstruieren und Strukturieren. Cent-Stücke nach Jahreszahlen sortieren, das Stapeln in Einheiten von 10 Stück, das Legen von sich stetig wiederholenden geometrischen Figuren - ganz ohne Instruktion entstehen so typische mathematische Prozesse.
Erweiterung anbieten
Mit Begeisterung experimentieren Kinder mit Murmeln, Bauklötzen, Zahnstochern, Stiften, Papprollen oder Korken. Pädagogische Fachkräfte suchen mit Kindern gemeinsam nach immer neuen, ungewöhnlichen Materialen, die sich stapeln und zu Ornamenten legen lassen, die nach Farbschattierungen, Beschaffenheit und anderen Eigenschaften sortiert werden können. Die Natur hält hierfür viele Materialen bereit wie Steine, Muscheln, Kastanien, Stöcke, Blätter, Bohnen, Blumensamen, Nüsse oder Reis.
Pädagogische Fachkräfte stellen Geräte, Werkzeuge und andere Materialien zur Verfügung, die es Kindern möglich machen, Dinge z.B. abzuwiegen und zu vermessen, umzuschütten und zu zerlegen. Wichtig sind auch verschiedene Zeitmesser, wie Sand- und Sonnenuhren, Ziffernblätter und Uhrpendel, Kalender, Messgeräte wie Lineale und Zollstöcke oder Lupen zur Erkundung feiner Strukturen.
4.7.3 Fragen zur Überprüfung
Inwieweit sind pädagogischen Fachkräften die mathematischen Anteile in Alltagssituationen der Kinder bewusst?
Welchen Stellenwert nehmen mathematische Bildungsprozesse wie Sammeln, Ordnen, Systematisieren und Strukturieren im Alltag der Tageseinrichtung ein? Wie viel Zeit steht Kindern dafür zur Verfügung?
Wie viel Platz steht Kindern in der Tageseinrichtung zur Verfügung, um eigene, gesammelte Materialien aufzubewahren?
Welche Bereiche stehen in der Tageseinrichtung zur Verfügung, damit Kinder zu jeder Zeit mit großen Mengen gleichen Materials arbeiten können?
Welche Materialien stehen den Kindern zur Herstellung von Mustern zur freien Verfügung? In welcher Anzahl sind die verschiedenen Materialien vorhanden?
Welche mathematischen Werkzeuge wie beispielsweise Lineal, Bandmaß, Winkelmesser, Sanduhr oder Zirkel können Kinder nutzen?
In welcher Weise können Kinder eigene Werke, Objekte oder Erkenntnisse präsentieren?
Inwieweit sind Abläufe im Alltag für Kinder vorhersehbar, deutlich erkennbar und am Tempo der Kinder orientiert? Welche Methoden werden zur Gestaltung dieser Abläufe gefunden?
Welche mathematischen Interessen und Themen der Kinder nehmen pädagogische Fachkräfte wahr?
Inwieweit führen pädagogische Fachkräfte Gespräche mit Kindern, um über deren Erkenntnisse, Beobachtungen oder Fragen zu diskutieren?
In welcher Weise lassen pädagogische Fachkräfte Kinder Erfahrungen inklusive „Irrtümern“ machen, ohne sie zu belehren oder zu verbessern?
Wie eröffnen pädagogische Fachkräfte Kindern neue Erfahrungsräume, in welchen diese ihre Erkenntnisse erweitern oder selbstständig revidieren können?
Wie lassen sich Themen anderer Bildungsbereiche mit Mathematik verknüpfen?
4.8 Natur
Natur ist überall. Sie ist belebt und unbelebt, es gibt Pflanzen und Tiere, Steine und Metalle, Wasser und Erde, Feuer und Luft. Zu Natur gehören Wachsen und Sterben, Entstehen, Verwandeln und Vergehen, Zunehmen und Abnehmen, wiederkehrende Rhythmen und Zyklen. In Organismen und Zellen, in Gesteinen und Gestirnen gibt es mannigfaltige Muster.
Seit Beginn bemühen sich Menschen, Gesetzmäßigkeiten der Natur, ihre Prozesse und ihre Phänomene zu erklären. Biologische und chemische, physikalische und astronomische sowie geowissenschaftliche Erklärungen von Naturphänomenen gehören zu den historisch ältesten Versuchen, die Welt zu verstehen und die Naturgesetze dazu zu nutzen, technisch zielgerichtet und erfolgreich zu handeln.
Das Verständnis von Natur ist eng verknüpft mit kulturellen, mit gesellschaftlichen und zunehmend mit globalen Veränderungsprozessen. Menschen kultivieren Natur. Sie betreiben Landwirtschaft, Bergbau, Viehzucht oder Fischerei. Sie gestalten Parks, begradigen Flussläufe, bauen Städte und Industrieanlagen. Menschen gefährden Natur durch gezielte Eingriffe und achtlosen Umgang. Menschen wissen inzwischen, dass sie von der Natur abhängig sind und Verantwortung für den Erhalt und den Schutz der Natur tragen. Auf der Basis ihres Wissens über Naturgesetze und ökologische Zusammenhänge schützen sie Natur durch Regeln und Gesetze und versuchen nachhaltige Bedingungen dafür zu schaffen, dass sich Natur regenerieren kann. Menschen greifen überall in die Natur ein, unberührte Natur gibt es nicht mehr.
Menschen deuten ihr Verhältnis zur Natur vor dem Hintergrund kultureller, religiöser und gesellschaftlicher Vorstellungen. Danach können sie sich entweder als Herren über die Welt und über die Natur verstehen oder als ein kleiner Teil des Natürlichen begreifen. Auf der Basis des jeweiligen Verständnisses gestalten Menschen ihre Beziehung mit der Natur - entweder zerstörend und ausbeutend oder balancierend und nachhaltig.
Jeder Mensch gestaltet seine Beziehung mit Natur darüber hinaus auf dem Hintergrund seiner eigenen biografischen Erfahrungen. Die jeweilige Art, in der ein Mensch seine Beziehung mit der Natur gestaltet, beeinflusst nachdrücklich auch die Entwicklung seiner Persönlichkeit.
4.8.1 Interesse und Handeln der Kinder
Natur in all ihren Erscheinungsformen weckt in Kindern unbändige Neugierde. In der Natur sind gleichzeitig vielschichtige, sinnliche und einzigartige Erfahrungen möglich. Für Kinder ist die Natur zugleich der Ort, der ihr Fordern nach Bewegung, nach sinnlichen Sensationen und nach Erkenntnissen am besten erfüllt. Kinder setzen sich von Anfang an mit Natur in all ihren Erscheinungen und mit all ihren Stoffen auseinander. Für jedes Mädchen und jeden Jungen gleich welchen Alters ist Natur ein unverzichtbarer Bildungsraum.
Handeln und Denken
Kinder wandeln ihre Erfahrungen in unterschiedlicher Weise in Erkenntnisse um. Wenn Kinder z.B. ganz in ihrem Tun versinken, sind Zeit und Raum für sie bedeutungslos. Handeln, Erleben und Denken sind dann eins. Das Denken bleibt dem Handeln ganz eng verbunden. Denken ist dann nicht ohne Handeln möglich.
Wenn Kinder bereits gemachte Erfahrungen in anderen Zusammenhängen wieder aufnehmen und dabei verändern, lösen sie ihre Gedanken von ihrem konkreten Handeln ab. Dabei entwickeln sie im Kopf Bilder, die sie verändern, variieren und differenzieren können. Dies zeigt sich z.B. im Spiel.
Wenn Kinder ihr Tun mit Worten begleiten und erzählen, was sie tun, fassen sie ihre Erkenntnisse gedanklich und sprachlich. Wenn sie neue Worte bilden und ausprobieren und wenn sie sich mit anderen Kindern und Erwachsenen im Dialog über ihr Tun verständigen, begreifen sie Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Ereignissen und Konsequenzen aus ihrem Handeln.
Wenn Kinder aus ihrem breiten Erlebnisschatz einzelne Erfahrungen verallgemeinern, über das Verhältnis von Ursache und Wirkung nachdenken und dafür plausible Begründungen finden, beginnen sie, theoretisch zu denken.
Forschen
Kinder entdecken, wie sich Blätter im Wind bewegen und dass ihre Hände im Licht einen Schatten an die Wand werfen. Sie probieren aus, was geschieht, wenn sie Sand mit Wasser mischen oder auf welche Weise Matsch durch einen Trichter fließt, was geschieht, wenn sie Kartoffeln ins Feuer werfen, wenn sie Regenwürmer zerteilen, wenn sie mit dem Trinkhalm im Sprudelwasser rühren.
Durch solches Probieren sammeln Kinder sinnliche Eindrücke und erfahren etwas über die Beschaffenheit der Dinge und der Stoffe in der Natur. Kinder entdecken auf diese Weise die Welt - und tun dies ganz ähnlich wie Naturforscher. Wie diese haben auch Kinder viel Freude an Rätseln und an Geheimnissen, sind fähig, sich auf das Abenteuer des Suchens einzulassen und verspüren Lust auf Erkenntnis. Und wie diese empfinden sie Glück, wenn sie eine gefunden haben.
Kinder nehmen mit allen Sinnen wahr. Sie beobachten und staunen. Sie fragen sich und Andere. Sie sammeln und sortieren, sie vergleichen und unterscheiden, sie messen und wiegen. Sie bilden Hypothesen, sie zerlegen und vermischen, sie untersuchen, erproben und überprüfen. Sie finden treffende Begriffe und erklärende Symbole.
Kinder drücken ihre Erfahrungen und neu gewonnenen Erkenntnisse nicht nur in Worten, sondern in Bewegungen und Gesten, in Bildern, Zeichnungen, Skizzen und in schematischen Darstellungen sowie in Konstruktionsplänen und Modellen aus. So dokumentieren sie ihr Vorgehen.
Gemeinsam Forschen
Kinder entwickeln eigene Erklärungen und verwerfen diese wieder. Sie erörtern mit anderen Kindern ihre Erkenntnisse und ringen um gemeinsame, befriedigende Erklärungen. Manchmal streiten sie darüber. Erklärungen der Kinder sind zunächst nach dem Wenn-Dann-Schema aufgebaut, so bleiben sie ganz nah an den beobachteten Phänomenen. Nach und nach stellen sie auch Vermutungen über Zusammenhänge an, die nicht unmittelbar erfahrbar oder sichtbar sind. Universell geltende Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, wiederzuerkennen und anzuwenden, gelingt den meisten Kindern erst im Schulalter.
In den ersten Jahren erfahren Kinder Natur als unmittelbar mit ihren eigenen Erlebnissen verknüpft. Erst viel später werden die Erfahrungen mit kulturellen Ordnungen, wie der Einteilung in Wissenschaftsdisziplinen verbunden, woraus sich dann naturwissenschaftliches Denken entwickeln kann.
Elemente erleben
Kinder sind fasziniert von den Elementen Wasser und Feuer, Erde und Luft - in allen Formen. Jede Pfütze lockt sie hinein zu springen, jeder Sandhaufen und jeder Erdhügel laden sie ein zu buddeln, und Feuer zieht sie in den Bann. Blitz, Donner, Hagel und Sturm lassen sie erschauern. Natur ist der einzige Ort, an dem Kinder so elementare Erfahrungen machen können, wie im Wasser zu schwimmen oder zu tauchen, einen Drachen steigen zu lassen oder an einem großen Lagerfeuer zu sitzen. So ist Natur in all ihren Erscheinungen, mit all ihren Phänomenen und mit all ihren Stoffen für Kinder von Anfang an ein wichtiger Teil ihrer Bildungsprozesse.
Wasser
Kinder jeden Alters sind von Wasser fasziniert, gleich ob klar und trüb, kalt und warm, flach und tief, ruhig, bewegt und fließend. Kinder staunen über Regentropfen und das weite Meer, den Dampf über der Teetasse, die Wolken am Himmel und die beschlagene Fensterscheibe. Sie entdecken den Tau auf den Blättern, den Nebel über der Wiese, den Reif auf dem Dach. Kinder springen in den Matsch. Sie stapfen im Schnee und schlittern über das Eis. Sie lutschen genüsslich Eiszapfen und angeln Eiswürfel aus dem Saft. Kinder sind auch davon beeindruckt, dass aus ihnen selbst Wasser fließen kann - als Spucke und Rotz, als Tränen und Schweiß und nicht zuletzt als Pipi.
Kinder stehen mit Hingabe am Wasserhahn und versuchen den Wasserstrahl zu fassen. Er fühlt sich weich oder hart an, das Wasser spritzt nach allen Seiten oder fließt sanft über die Hände. Kinder fangen das Wasser ein mit Töpfen und Bechern, gießen es um - langsam und behutsam oder schnell und mit Schwung. Sie erfahren dabei, welche Eigenschaften das Wasser hat, wie es sich anfühlt, was sie damit tun können und auf welche Art sie erreichen, dass Wasser z.B. aus einem großen in einen kleinen Becher gelangt.
Kinder beobachten, dass Federn auf der Wasseroberfläche liegen bleiben, Boote im Wasser schwimmen und Steine versinken. Kinder staunen darüber, wie Wasser in der Sonne glitzert. Sie stellen fest, dass ihre Füße im Wasser größer aussehen als außerhalb. Kinder erleben die Kraft des Wassers, wenn eine Welle am Strand sie umwirft oder die Strömung im Fluss ihr Schiffchen erfasst.
Luft
Für Kinder ist Luft zunächst nichts. Sie können sie nicht sehen, jedoch können Kinder kalte und warme Luft fühlen, schlechte Luft riechen und hören, dass sie Geräusche überträgt.
Aber erst die Bewegung der Luft gibt ihnen Hinweis auf deren Existenz. Sie hören, dass der Wind Geräusche erzeugt und sehen, dass die Blätter sich bewegen, wenn Wind weht. Bewegen Kinder sich schnell, spüren sie einen Lufthauch, selbst wenn kein Wind weht. Sie sehen verbrannte Papierfetzen über dem Feuer schweben.
Kinder sind davon beeindruckt, dass sie auch selbst die Luft bewegen können. Sie wedeln mit einem Fächer. Sie pusten, sie hauchen, sie pfeifen und sie halten die Luft an. Sie atmen und pupsen.
Kinder bemerken, dass sie beim Sprechen und Singen unterschiedlich viel Luft brauchen, um Töne lange oder kurz zu halten. Sie blasen in Pfeifen oder Flöten und lernen, ihren Luftstrom zu regulieren.
Kinder blasen Luftballons auf und freuen sich daran, wie diese wild durch den Raum zischen. Sie pusten Papiertüten prall auf und lassen sie dann mit lautem Knall zerplatzen. Kinder pressen Trinkbecher ins Gesicht und atmen kräftig durch den Mund ein, bis er fest hängen bleibt. Sie trinken aus Plasteflaschen, bis diese sich nach innen wölben, verschließen sie dann fest und warten darauf, dass sie sich knackend wieder entfalten. Solches Probieren lässt Kinder darauf schließen, dass sich mal mehr oder mal weniger Luft in diesen Behältnissen befindet. Das ist die Voraussetzung dafür zu verstehen, wie Über- und Unterdruck wirken.
Wenn es an Luft mangelt, wie beim Tauchen, nach schnellem Laufen, unter einer Decke oder in engen Räumen spüren Kinder, dass Luft ein zum Leben notwendiges Element ist. So können sie aus dem Fehlen von Luft auf deren Vorhandensein schließen - ein weiterer Schritt für die Erkenntnis, dass auch nicht Sichtbares existieren und wirken kann.
Kinder beobachten Vögel im Flug und lassen leichte Tücher nach unten schweben. Mädchen wissen, dass ihre Röcke hochfliegen, wenn sie von einer Mauer springen. Kinder fragen sich, warum Steine schwer herunterfallen und manche Dinge aber schweben. Beim Basteln eines Papierfliegers kommen sie dann darauf, dass er Tragflächen haben muss, unter die sich Luft schiebt und dass sie ihn mit Schwung in die Luft befördern müssen.
All ihre Erfahrungen und Erkundungen mit Luft lassen Kinder darauf schließen, dass Luft existiert, auch wenn sie diese nicht sehen können. Kinder beobachten, probieren aus, finden Erklärungen und verallgemeinern ihr Wissen über Luft und deren Eigenschaften. Schritt für Schritt gelangen sie so zu Theorien.
Erde
Erde ist kein Schmutz. Erde ist vielmehr Materie zum Anfassen. Im Gegensatz zu Luft ist sie sichtbar, im Gegensatz zu Wasser fassbar und im Gegensatz zu Feuer berührbar. Erde ist Stein, Sand, Kies, Schotter, Ton, Lehm. Sie kann hart, locker, gefroren, schlammig, trocken und staubig sein. Sie erscheint in verschiedenen Farben.
Kinder zerbröseln trockene Erde, lassen Sand durch ihre Finger rieseln, kneten Ton, schichten Steine übereinander und werfen mit Lehmklumpen. Kinder riechen an Erde und kosten diese, sie hören das Knirschen des Schotters und das Schmatzen des Schlamms. Kinder erfahren mit all ihren Sinnen die Eigenschaften von Erde und erkennen Unterschiede nach Konsistenz, Erscheinung, Gewicht und Geruch. Sie stellen fest, dass sie mit unterschiedlichen Sorten Verschiedenes tun können.
Kinder probieren aus, wie sich Erde verändern lässt. Sie fügen dem Sand Wasser hinzu oder lassen ihn an der Sonne trocknen, sie sammeln Steinchen aus der Erde und mischen Lehm mit Kies. Kinder erkennen, dass Erde damit neue Eigenschaften erhält und so anders verwendbar wird.
Kinder graben unermüdlich Löcher, entdecken dabei unterschiedlich feste Erdschichten und finden heraus, mit welchem Werkzeug sie noch tiefer gelangen können. Sie häufen Erde an und schleppen schwere Steine weg. Kinder versetzen so Berge und gehen dabei oft über ihre Kräfte hinaus.
Kinder erproben sich, testen aus, wie viel sie selbst bewirken können und wie sie über ihre Grenzen hinaus gelangen. Sie dringen in Tiefen vor, entdecken und erobern vormals unsichtbare Räume. Sie finden Schätze. Kinder sind bei all dem in ihr Tun vertieft und lassen sich nur unwillig unterbrechen. Sie fühlen sich wohl.
Feuer
Die Zähmung und Beherrschung des Feuers war Voraussetzung für die menschliche Kultur. Das Licht des Feuers steht symbolisch für die Leben spendende Sonne, die Flammen des Feuers verweisen auf Göttliches. Feuer hat seine Magie, Faszination und Bedrohung bis heute nicht verloren. Kinder und Erwachsene sind gebannt von Feuer.
Feuer entwickelt sich, wenn unterschiedliche Materialien verbrennen. Glut und Flammen erscheinen in verschiedenen Farben. Es entstehen Licht und Wärme, Rauch und Qualm. Im Feuer knistert und knackt es. Heiße Luft und Funken steigen auf. Vom Feuer bleibt Asche zurück.
Kinder lieben alle Arten von Feuer: Osterfeuer, Lagerfeuer, Kaminfeuer, Grill, Kerzen, Teelichter, Feuerwerk, Fackeln, Laternen, Leuchtfeuer, Wunderkerzen. Rituale zu Geburtstagsfeiern, an Weihnachten oder im Gottesdienst werden oft mit Feuer und Licht begleitet. Im Herbst und im Winter erleuchten Kinder mit ihren Laternen dunkle Straßen. Kinder kochen Suppe am offenen Feuer, sie backen Knüppelkuchen über dem Lagerfeuer und braten Würste auf dem Grill. Kinder wissen, dass Feuer Metall und Kunststoff zum Schmelzen bringen kann. Sie riechen den Duft von Räucherkerzen. Sie schauen versunken ins lodernde Feuer und wärmen sich daran. Sie genießen die Atmosphäre, wenn bei Mahlzeiten Kerzen brennen. Kinder kennen Geschichten, in denen von Feuer und Licht erzählt wird.
Kinder erfassen, dass Feuer gefährlich ist. Schon junge Kinder erfahren, dass Feuer heiß ist und weh tut. Ältere Kinder wissen, dass ein Blitz bei einem Gewitter einen Baum in Brand setzt, dass sich Feuer rasant ausbreiten und alles vernichten kann. Sie akzeptieren Regeln und Vorsichtsmaßnahmen, denn sie wollen lernen, Feuer zu machen - mit Streichhölzern und Feuerzeug, mit Brennglas und Lupe, mit Feuerstein und Stöcken. Sie verbrennen Kohle und Holz, Textilien und Papier. Kinder schüren das Feuer, löschen und ersticken es. So finden sie heraus, dass Feuer zum Brennen Luft braucht und wertvolle Materialien zu Asche umwandelt.
Feuer ist somit ein unverzichtbares Element der Bildungsprozesse von Kindern jeglichen Alters.
Tiere und Pflanzen entdecken
Natur ist gemeinsamer Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen. Der Lebensraum Natur ist vielseitig und wandelt sich stetig. Wiesen, Wälder, Gebirge, Meere, Moore oder Wüsten bieten Pflanzen, Tieren und Menschen unterschiedliche Lebensbedingungen, Herausforderungen und Möglichkeiten des Zusammenlebens im Gleichgewicht.
Menschen aber auch Tiere und Pflanzen sind existenziell darauf angewiesen, dass dieses Gleichgewicht immer wieder neu hergestellt wird. Tiere und Pflanzen sind zunehmend davon abhängig, dass Menschen ihnen angemessene Lebensbedingungen sichern. Nur dann können Menschen existieren, denn sie atmen den Sauerstoff, den Pflanzen erzeugen, sie ernähren sich von ihnen und nutzen deren Heilkräfte. Schon immer haben sich Menschen Tiere zunutze gemacht, für ihre Ernährung, für den Transport, zur Fortbewegung und bei ihrer Arbeit.
Tiere
Kinder gehen neugierig auf Tiere zu und stellen fest, dass diese sich bewegen, Geräusche machen und fressen - dass sie lebendig sind.
Kinder erkennen Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Tieren und finden heraus, dass lebendige Tiere anders sind als Kuscheltiere, Tiere in Büchern und auch anders als sie selbst. Kinder merken aber auch, dass Tiere ihnen ähnlich sind, sie vergleichen und identifizieren sich mit ihnen. Sie sind mutig wie Löwen, stark wie Dinosaurier, klettern wie Affen, krächzen wie Raben und sind schlau wie Füchse. Kinder geben Tieren menschliche Züge, lassen sie sprechen, fühlen und denken.
Kinder wissen, dass es wilde Tiere in freier Natur gibt und Tiere, die bei den Menschen leben. Die meisten Kinder wollen ein Tier für sich haben, zu dem sie eine feste Beziehung aufbauen können und für das sie Verantwortung fühlen. Nach und nach übernehmen sie Aufgaben in der Pflege der Tiere. Kinder lernen, dass Tiere unterschiedlich auf sie reagieren und dass sie sich ihnen gegenüber entsprechend verhalten müssen. Sie trauern, wenn ihr Tier stirbt.
Der intensive Umgang mit Tieren ist für alle Kinder ein wichtiger Erfahrungsraum, der viele Bildungsmöglichkeiten bietet. Für alle Kinder wirken sich der körperliche Kontakt und die Beziehung zu Tieren positiv aus.
Kinder kennen viele Tiere aus dem Zoo und dem Tierpark oder aus Büchern und aus dem Fernsehen, die sie sonst nicht sehen. Sie interessieren sich dafür, wo diese Tiere leben, was sie fressen, wie sie sich fortbewegen, wie sie sich miteinander verständigen, wie sie gegeneinander kämpfen, wie sie sich fortpflanzen und ihre Jungen aufziehen. Kinder fragen auch danach, warum Tiere aussterben.
Kinder entdecken kleinste Lebewesen: Käfer, Bienen und Mücken, Heuschrecken und Libellen, Wanzen, Asseln und Ohrenkneifer, Schmetterlinge und Spinnen, Blattläuse und Wasserläufer, Frösche und Schnecken, Mäuse und Regenwürmer. Kinder unterscheiden nicht, ob es sich dabei um Schädlinge und Ungeziefer oder um Nützlinge handelt.
Kinder machen individuelle Erfahrungen in Beziehungen zu Tieren und verstehen, dass Menschen, Tiere und Pflanzen in einem gemeinsamen Lebensraum voneinander abhängig sind. So werden sie auch empfänglich für die Ideen des Tierschutzes und fragen, was sie dazu beitragen können.
Pflanzen
Laub- und Nadelbäume, Sträucher und Hecken, Gräser und Farne, Moose und Flechten, Kräuter und Blumen, Algen und Wasserpflanzen - Pflanzen prägen Landschaften, bestimmen Lebensweisen und Kultur. Pflanzen jeglicher Art umgeben Menschen, werden von ihnen gegessen, gezüchtet, gepflanzt, gepflegt, geschützt und auf verschiedene Weisen genutzt.
Kinder nehmen Pflanzen mit allen Sinnen wahr. Sie riechen an Blumen und an fauligem Obst. Sie naschen Beeren und kosten bittere Eicheln. Sie hören die Herbstblätter rascheln und lauschen dem Rauschen im Getreidefeld. Sie streicheln Weidenkätzchen und zucken vor Disteln zurück. Sie sind beeindruckt von Blüten in prächtigen Farben und entdecken Früchte, die sich verstecken und tarnen.
Kinder sammeln ähnlich wie Naturforscher Blüten, Blätter und Gräser, Früchte und Wurzeln, Zweige, Äste und Rinde, Pilze und Samen. Sie nehmen sie mit und bewahren sie auf, ordnen und pressen sie, sortieren, vergleichen und bestimmen sie. Kinder kochen Suppe aus Blättern, legen Blüten zu Mandalas, bauen Buden aus Ästen und Gestrüpp, kämpfen mit Schwertern aus Hölzern. Kinder stampfen Pflanzen zu Brei und zermahlen Kerne zu Pulver. Sie schälen Rinde ab und schnitzen Muster in Baumstümpfe. Sie flechten Blumen zu Kränzen und verknoten Stängel.
Kinder klettern auf Bäume und schaukeln an Weidenzweigen, baumeln mit den Beinen und wippen auf starken Ästen. Sie verstecken sich in Büschen und Sträuchern. Sie recken sich nach Früchten an Bäumen, ziehen Äste zu sich herunter und lassen sie wieder nach oben schnellen. Kinder graben Wurzeln aus der Erde, schöpfen Entengrütze vom Teich und ziehen Schwimmpflanzen aus dem Wasser.
Kinder beobachten, wie sich aus Samen Pflanzen entwickeln, wie sie sich verändern, wie sie wachsen und blühen, wie sie Früchte bilden und schließlich welken. Kinder erkennen, dass Früchte und in ihnen die Samen reifen und sich so der natürliche Kreislauf schließt.
Kinder wissen, dass es viele Pflanzen gibt, die man roh oder gekocht essen kann, sie wissen aber auch, dass nicht alles was wächst genießbar ist. Sie wissen, dass Holz verbrannt wird, um Wärme zu erzeugen, dass aus verschiedenen Pflanzen Kleidung hergestellt wird, dass manche Pflanzen Krankheiten heilen, dass grüne Pflanzen Sauerstoff produzieren und dass einige einfach nur schön sind.
Prozesse, Verläufe und Zusammenhänge erfahren
Kinder nehmen Veränderungen in der Natur als Verlauf wahr - in den Jahreszeiten, dem Wechsel von Tag und Nacht, dem Wachsen und Vergehen. Ihnen fällt auf, dass der Mond zu- und abnimmt, die Sonne im Tagesverlauf über den Himmel wandert und der „Große Wagen“ jede Nacht an eine andere Stelle gerückt ist. Kinder beobachten auch, dass einige Tiere nur im Wasser, andere nur an Land leben, einige viel Wärme brauchen und andere extreme Kälte aushalten können. Sie wissen, dass Pflanzen und Tiere nicht ohne Wasser und Nahrung und die meisten nicht ohne Licht leben können und, dass Tiere Pflanzen oder andere Tiere fressen.
Kinder nehmen mit allen Sinnen Natur in ihrer ganzen Vielfalt wahr und erleben, wie eines mit anderem verbunden ist und welche Zusammenhänge und Folgen an sich, für Pflanzen und Tiere, für Menschen und sie selbst entstehen. So wissen sie immer besser, dass nach der Blütezeit der Obstbäume, nach und nach mit Hilfe von Wetter und Pflege das Obst wächst und erst wenn es reif ist, geerntet und gegessen werden kann. Mit hoher innerer und äußerlich sichtbarer Beteiligung erleben sie, wie eine Kuh ihr Kälbchen säugt, wie der Löwe im Zoo ein kleineres Tier zum Fressen bekommt oder wenn der vertraute Hund der Nachbarn stirbt. Kinder versuchen immer wieder zu ergründen, ob diese Erfahrungen auch auf andere Situationen übertragbar sind - ob der Tag auch wirklich nach der Nacht kommt, ob wirklich alle Tiere Tiere fressen oder ob sich mit Sand immer „Kuchen“ backen lässt.
4.8.2 Pädagogisches Handeln
Pädagogische Fachkräfte wissen, wie Kinder sich mit Natur auseinandersetzen und wie wichtig Natur für deren Bildungsprozesse ist. Sie begleiten Kinder dabei, unterstützen sie und fordern sie zu weiterem Forschen und Fragen heraus. Pädagogische Fachkräfte haben eigenes Wissen über Natur und Naturgesetze.
Pädagogische Fachkräfte ermöglichen Kindern reichhaltige Sinneserfahrungen, aus denen Wissen aus erster Hand entsteht, das im und durch eigenes Tun erworben wird. Dieses Wissen ist individuell, einzigartig und kann nicht durch Belehrung vermittelt werden. Lange bevor Kinder Gesetzmäßigkeiten als solche erkennen, erfahren sie diese durch ihre sinnliche Wahrnehmung in ihrem Tun.
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass die Fähigkeit naturwissenschaftlich zu denken, Kinder erst dann entwickeln, wenn sie Natur als unmittelbar mit ihren eigenen Erlebnissen verknüpft erfahren. Aus diesem Erlebnisschatz verallgemeinern sie nach und nach ihre Erfahrungen, denken über das Verhältnis von Ursache und Wirkung nach und finden plausible Begründungen. Aus dem Naturerleben entsteht so ein Verständnis von Natur als Wissenschaft.
Pädagogische Fachkräfte sind offen für die Vielfalt der Natur und interessiert daran, diese in all ihren Erscheinungsformen wahrzunehmen und zu erkunden.
Sie verknüpfen Beobachtungen und Erfahrungen mit ihrem Wissen, erwerben neues Wissen und entwickeln es im Austausch mit dem Team weiter. In diesem Sinne verstehen sie sich selbst als Suchende, Forschende und Lernende.
Pädagogische Fachkräfte unterstützen die Forderungen von Nachhaltigkeit und Schutz der Natur. Sie verstehen, dass Nachhaltigkeit als Prinzip ein umfassendes Thema in der Tageseinrichtung ist, das nicht allein auf Sparsamkeit und Verbote reduziert werden kann.
Sie erkennen, dass Nachhaltigkeit nicht als Argument gegen Bedürfnisse und Bildungsprozesse genutzt werden darf, wie das Wassersparen gegen das Spielen und Arbeiten mit Wasser. Pädagogische Fachkräfte bemühen sich immer wieder neu um eine Balance zwischen ihrer Verantwortung für die Natur und für die Bildungsprozesse von Kindern, die oftmals eine Fülle von Materialien benötigen.
Pädagogische Fachkräfte sind überzeugt davon, dass Natur für Kinder ein unverzichtbarer Erfahrungsraum ist, zu dem jedem Kind Zugang garantiert werden muss. Sie fühlen sich verantwortlich dafür, dass Kinder in ihrer Begeisterung für Natur ihrem Forscherdrang auf ihre Weise nachgehen können. Pädagogische Fachkräfte sind fasziniert davon, wie unterschiedlich Kinder forschen und eigene Erklärungen finden. Sie sind bereit, mit Kindern in einen gleichberechtigten Dialog zu treten und gemeinsam nachzudenken. Sie lassen sich auf das magische Denken und die Fantasien der Kinder ein. Ihr Respekt vor den Fantasien, Fragen und Erkenntnissen der Kinder drückt sich in ihrer Körperhaltung, in Mimik und in Worten aus.
Mit Kindern nachdenken
Pädagogische Fachkräfte beobachten Kinder in deren Auseinandersetzung in der Natur. Sie nehmen wahr, was Kinder bewegt, was sie bevorzugen, was sie fesselt und interessiert. Sie finden heraus, welche Themen sie beschäftigen und welche Fragen sie sich stellen, welche Vermutungen sie anstellen und welche Erklärungen sie finden.
Kinder stellen mitunter Fragen, auf die sie von pädagogischen Fachkräften eine eindeutige Antwort erwarten, wie z.B. die Frage nach der Uhrzeit. Zumeist aber sind die Fragen der Kinder vielschichtig und komplex und die darunterliegenden Themen der Kinder nicht sofort zu verstehen. Wenn ein Kind danach fragt, ob seine Mutter auch Windeln trägt, könnte diese Frage mit einem einfachen „Nein.“ beantwortet werden. Auch die Frage, ob aus einem Mädchen noch ein Junge werden kann, scheint leicht zu beantworten. Ebenso verleiten Warum-Fragen zu vorschnellen Begründungen und Antworten. Z.B. die Frage „Warum regnet es?“ legt nahe, dies mit meteorologischen Phänomenen zu erklären und andere Deutungen außer Acht zu lassen.
Begeben sich pädagogische Fachkräfte jedoch in ein Gespräch mit Kindern, erhalten sie Einblicke in individuelle Hintergründe und Zusammenhänge, die zu den Fragen der Kinder geführt haben. Nur so kommen pädagogische Fachkräfte in die Lage, über einfache Antworten hinauszugehen.
Hinter manchen Äußerungen von Kindern verbergen sich Fragen nach Sinnzusammenhängen, deren Bedeutung den pädagogischen Fachkräften nur im Gespräch mit den Kindern verständlich werden kann.
Der Dialog mit den Kindern ist deshalb gerade im Bildungsbereich Natur von grundlegender Bedeutung und eine zentrale Methode zur Gewinnung von Erkenntnis. Mit Kindern im Dialog nachzudenken, unterscheidet sich grundlegend von allen Formen der systematischen Anleitung, der zielgerichteten Vermittlung und der autoritären Belehrung. Diese haben sich als ineffektiv, nicht zielführend und oft sogar als zerstörerisch für Bildungsprozesse im Bereich Natur erwiesen.
Dialoge gelingen, wenn pädagogische Fachkräfte zunächst das Fragen und das Interessiert sein jeden Kindes an Natur würdigen. Mit ihren Worten und Gesten zeigen pädagogische Fachkräfte den Kindern, dass ihre Fragen und Interessen bedeutsam sind.
Im Dialog suchen pädagogische Fachkräfte gemeinsam mit den Kindern nach Erklärungen, Erkenntnissen und weiteren Fragen.
Zum Dialog führen gehört auch das Wissen darüber, dass es keine absolute Wahrheit gibt, demnach keine endgültigen Erklärungen gefunden werden können und manche Fragen offen bleiben.
Raum und Zeit
Pädagogische Fachkräfte geben Kindern Zeit und Raum für ihre eigenen Forschungen. Sie halten sich mit Anweisungen, Erklärungen und vorschnellen Eingriffen zurück und geben in Gesprächen Informationen und Anregungen, wenn diese von den Kindern erfragt werden. Sie schaffen so eine Kultur des selbstständigen Tuns.
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass naturwissenschaftlichem Denken grundlegende Erfahrungen in der Natur vorausgehen. Pädagogische Fachkräfte ermöglichen Kindern unmittelbare Erfahrungen in der Natur - am See und am Bach, im Wald und auf der Wiese.
Das gesamte Grundstück der Kindertageseinrichtung wird so gestaltet, dass Kinder naturnahe Erfahrungen machen können. Pädagogische Fachkräfte planen und begleiten das Anlegen von Sand-, Wasser- und Erdlandschaften, von Hügeln und Senken, pflanzen Bäume und Blumen, Sträucher und Büsche und richten Feuerstellen ein.
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass Kinder Natur mit all ihren Sinnen und ihrem gesamten Körper erfahren. Sie verzichten deshalb auf Verbote, sich schmutzig zu machen, in Pfützen zu spielen, einen Erdhügel hinunter zu rutschen oder über die Wiese zu robben.
Pädagogische Fachkräfte sorgen dafür, dass Kinder bei jedem Wetter, ob es regnet oder schneit, ob es kalt ist oder heiß, zu jeder Zeit selbstbestimmt draußen sein und sich frei bewegen können.
So komplexe, zusammenhängende Naturerfahrungen wie draußen, sind drinnen so gut wie nicht möglich. Pädagogische Fachkräfte schaffen aber Räumlichkeiten, in denen Kinder Materialien der Natur aufbewahren und präsentieren können. Sie lassen zu, dass Kinder Dinge von draußen hineinbringen, wie Stöcke und Steine, Ameisen und Federn, Wurzeln und Blumen, Eierschalen und Schneckenhäuser. Pädagogische Fachkräfte stellen den Kindern für ihre Erkundungen und Auseinandersetzungen mit der Natur Innenräume auch als Archiv, Depot, Untersuchungsort und Präsentationsraum zur Verfügung.
Sie ermöglichen Kindern auch in der Kindertageseinrichtung mit Wasser und Sand zu spielen, mit Ton zu modellieren. Pädagogische Fachkräfte wissen, wie wichtig Tiere für Bildungsprozesse und Wohlbefinden von Kindern sind und ermöglichen ihnen in den Räumen der Kindertageseinrichtung, mit Tieren zu leben, sie zu pflegen und sie zu beobachten.
Material
Pädagogische Fachkräfte stellen Naturmaterialien zur Verfügung, weil sie wissen, dass diese sinnlich und einzigartig in ihren Eigenschaften sind. So ähnelt keine Kastanie einer anderen und zwei Steine fühlen sich nicht gleich an. Pädagogische Fachkräfte wissen, dass Naturmaterialien für Kinder vielseitig einsetzbar sind und ermöglichen ihnen deshalb, diese immer und überall zu nutzen.
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass Kinder mit großer Hingabe Stöcke und Steine, Gräser und Blumen, kleine und große Äste, Käfer, Schnecken, Muscheln, alles, was sie auf der Erde finden, suchen, sammeln und sortieren. Pädagogische Fachkräfte würdigen die Sammelstücke der Kinder als Ausdruck ihres individuellen Denkens und als „Stoff“ für ihre Bildungsprozesse. Sie ermöglichen Kindern, Naturmaterialien aus der Umgebung herauszulösen, diese in die Tasche zu stecken, herumzutragen, mitzunehmen oder in den Räumen aufzubewahren. Pädagogische Fachkräfte verstehen, dass Kinder durch Sortieren neue Ordnungen herstellen und so den Dingen eine eigene Bedeutung verleihen. Sie lassen deshalb zu, dass Kinder dies nach ihren eigenen Vorstellungen tun können, nach Menge und Gewicht, Größe und Form, Farbe und Struktur. Kinder ordnen auch nach ihrem eigenen Verständnis von Schönheit.
Pädagogische Fachkräfte wissen, dass Kinder eine Vielzahl von Werkzeugen und Hilfsmitteln brauchen, um Natur zu erforschen und zu untersuchen. Kinder nutzen Löffel und Kellen, Schneebesen und Siebe, Messer und Scheren, Gießkannen und Krüge, Harken und Besen, Trinkhalme und Trichter, Handschuhe, Lupen, Schläuche und Röhren, Dosen, Schachteln und Schüsseln, Becher und Gläser, Gummis und Bänder, Klebstoffe und Folien, Klammern und Nägel, Zangen, Hammer, Feilen und Sägen, Maßbänder und Waagen, Schaufeln, Schubkarren und Eimer. Pädagogische Fachkräfte stellen Werkzeuge und Hilfsmittel für Mädchen und Jungen jeden Alters frei zugänglich bereit.
4.8.3 Fragen zur Überprüfung
Wie oft haben Kinder die Möglichkeit, unmittelbare Erfahrungen in der Natur zu sammeln - im Wald, am Wasser, auf Feldern und Wiesen, in weitläufigen, naturnahen Parks?
Auf welche Weise regt das Außengelände der Tageseinrichtung Naturerfahrungen und Forschungsprozesse der Kinder an?
Welche Möglichkeiten haben Kinder, drinnen mit Naturmaterialien zu spielen?
In welchen Mengen sind Materialien, Geräte und Werkzeuge vorhanden? Sind diese für Kinder frei zugänglich?
Wie ermöglichen pädagogische Fachkräfte Kindern, sich bei ihren Erfahrungen mit Natur schmutzig zu machen, in Pfützen und mit Erde zu spielen oder draußen auf dem Boden zu liegen?
Wie werden die Elemente - Wasser, Luft, Erde, Feuer - Kindern in Tageseinrichtungen zugänglich gemacht?
Welche Räume und Bereiche ermöglichen es Kindern, Materialien der Natur aufzubewahren bzw. Dinge von draußen mit hinein zu bringen?
Welche Interessen beobachten pädagogische Fachkräfte bei Kindern in ihrer Auseinandersetzung mit Natur?
Auf welche Weise formulieren Kinder Fragen und Annahmen?
Auf welche Weise gelangen Kinder gemeinsam zu Ergebnissen und Erkenntnissen?
Wie unterstützen und begleiten sie die Erforschung von Phänomenen und Prozessen in der Natur?
Inwiefern sind pädagogische Fachkräfte in der Lage und motiviert, mit Kindern zusammen und gleichberechtigt in einen Dialog über Erklärungen und Erkenntnisse zu treten?
Wie werden die Erkenntnisprozesse der Kinder dokumentiert?
Wie setzen sich pädagogische Fachkräfte - einzeln und im Team - mit Phänomenen und Prozessen in der Natur auseinander?
Wie lassen sich Themen anderer Bildungsbereiche mit Natur verknüpfen?
4.9 Technik
Menschen sind seit jeher bestrebt, für das Erreichen von Zielen oder das Lösen von Problemen technische Systeme anzuwenden. Menschen entwickeln hierfür Handwerkszeug und bauen Maschinen, rationalisieren und optimieren Vorgänge und erleichtern dadurch ihr Handeln. Technische Lösungen verändern den Alltag, den Lebensstil und gesellschaftliche Strukturen.
Die enge Verzahnung zwischen Technik und anderen Bereichen des Lebens wird besonders deutlich in dem Verhältnis zur Natur. Die Natur dient dem Menschen als Quelle für nahezu alle technischen Neuerungen. Technische Systeme funktionieren auf der Basis von Naturgesetzen und greifen auf Werkstoffe zurück, die letztlich Naturstoffe sind. Auch im Bereich der Gestaltung und der Beeinflussung der Natur selbst, wird die Nähe zwischen Natur und Technik sichtbar, wie z.B. in der Pflanzen- und Tierzucht oder im Gartenbau. Aus dieser Verwobenheit ergeben sich notwendigerweise auch Fragen zu Nachhaltigkeit, also zur ökologischen Verträglichkeit und zu sozialer Gerechtigkeit.
Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen technischen und naturwissenschaftlichen Fragestellungen ist das jeweilige Ziel. Naturwissenschaftliche Fragestellungen zielen auf die Gewinnung von Erkenntnissen über Naturgesetze, auf die Erforschung der Eigenschaften von Stoffen und auf ihre Veränderung sowie auf die Beobachtung von Prozessen in der Natur. Technik und technische Ideen zielen dagegen auf Lösungen von Problemen und verfolgen somit einen bestimmten Zweck. So sollen technische Systeme Arbeitsabläufe optimieren, Erträge steigern, Arbeitsschritte sparen, Wege verkürzen, Handlungen erleichtern und Bedürfnisse befriedigen. Auch Handlungstechniken, die Menschen sich aneignen, dienen der Vereinfachung des Lebens. So erleichtern das Lesen und das Schreiben z.B. die Kommunikation zwischen den Menschen.
Technische Entwicklungsprozesse sind gekennzeichnet durch ihre Zielorientierung, ihre Planbarkeit und ihre Wiederholbarkeit. Notwendige Voraussetzungen sind Wissen und Können, Fantasie und Kreativität. Die Suche nach Lösungen spielt in allen Lebensbereichen eine wesentliche Rolle und ist nicht auf spezifische Materialen, Werkzeuge oder Anlässe begrenzt.
Die Art der technischen Erfindungen und der Zeitpunkt ihrer Entwicklung sind jeweils stark beeinflusst von geografischen, kulturellen, wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen. Technische Neuerungen wiederum beeinflussen mit großer Wirkungsmacht das Leben der Menschen, wie es z.B. an der rasanten Entwicklung des Internets deutlich wird. Technische Lösungen sind immer auch Ausgangspunkt für neue Fragestellungen und technische Entwicklungen. So werden technische Systeme stets optimiert, verfeinert und den Bedürfnissen der Nutzer angepasst.
4.9.1 Interesse und Handeln der Kinder
Kinder werden heute in eine hoch technisierte Welt hinein geboren. Zu Hause und in der Tageseinrichtung begegnen sie einer Vielzahl unterschiedlicher Maschinen und Geräte, Apparaturen und Werkzeuge. Sie kennen Lichtschalter, Waschmaschinen, Geschirrspüler, Musikanlagen, Bohrmaschinen, Autos, Computer, Telefone und Kameras. Den Umgang mit diesen Geräten und Werkzeugen lernen sie oft sehr früh und wie nebenbei.
Über die Bedeutung technischer Geräte und Werkzeuge erfahren Kinder etwas, wenn sie beobachten, wie Erwachsene damit umgehen. Sie sehen, dass Erwachsene fast immer Schlüssel bei sich tragen, mit denen sie Türen und Schränke öffnen oder Autos in Bewegung setzen. Sie hören ihre Eltern in ihr Handy sprechen und erleben, dass dies sie oftmals ganz in Anspruch nimmt. Pädagogische Fachkräfte richten Kameras auf Kinder und zeigen ihnen die Bilder, die dabei entstehen. Kinder bewundern den Hausmeister in der Tageseinrichtung, der mit einer kleinen Maschine ein großes Loch in die Wand bohrt und dabei starken Lärm erzeugt. Kinder nehmen wahr, dass Bildschirme von Fernsehgeräten oder an Computern für Erwachsene wichtig sind und deren Nutzung einen großen Teil des Tages einnimmt. Kinder erleben, dass Erwachsene ärgerlich werden, wenn diese Geräte nicht funktionieren.
Kinder ahmen den Umgang Erwachsener mit technischen Geräten nach und lernen so deren Einsatzmöglichkeiten kennen. Können Kinder nicht auf bestimmte Geräte oder Werkzeuge zurückgreifen, die ihnen bedeutungsvoll erscheinen, so imitieren sie diese, ersetzen sie durch andere Gegenstände oder bauen sie nach. So wird ein Stein zum Telefon, ein Stöckchen zum Messer, ein gefaltetes Blatt Papier zum Laptop.
Von Anfang an sind Kinder an technischen Fragestellungen und deren Lösungen interessiert, sie untersuchen deren Funktionsweisen mit allen Sinnen und richten sich mit Fragen und Erklärungsversuchen darüber an Erwachsene und andere Kinder.
Innerhalb ihrer Spiel- und Arbeitsprozesse handeln auch die Jüngsten immer wieder zielgerichtet, wenn sie einen vorher bestimmten Zweck verfolgen, etwa ein Holzklötzchen durch das Loch einer Kiste zu schieben, indem sie es drehen und wenden, bis es darin verschwindet. Kinder entwickeln beständig Strategien, um ein Ziel zu erreichen, so suchen sie beispielsweise nach Lösungen, um Gegenstände außerhalb ihrer Reichweite zu ergreifen oder Hindernisse zu überwinden.
Kinder bewältigen technische Herausforderungen, die nahezu täglich komplexer werden. So erweitern sich ihre Erfahrungen und ihr Wissen, auf das sie zurückgreifen können, wenn sie neue Ziele verfolgen und Lösungswege dafür finden. Sie erwerben technisches Verständnis und technische Fertigkeiten in erster Linie über das eigene Tun. Durch Auseinandernehmen und Konstruieren, Ausprobieren, Reflektieren, Verändern und erneutes Testen sammeln sie Erfahrungen über Wirkungsweisen, Zusammenhänge und Materialeigenschaften. Verfügen Kinder über einen gewissen Erfahrungsschatz, übertragen sie ihr Wissen und Können auf andere Bereiche und prüfen dort dessen Anwendbarkeit.
Kinder sammeln grundlegende technische Erfahrungen bei ganz unterschiedlichen Tätigkeiten, wie beim Turmbauen aus verschiedenen Materialien, beim Transportieren von Dingen in Wagen und Kisten, beim Verknoten und Verpacken von Gegenständen, beim Graben von Löchern und Bauen von Tunneln.
Ältere Kinder werden in ihren Spiel- und Arbeitsprozessen immer wieder mit komplexen technischen Problemen konfrontiert, für die sie oft kreative und ungewöhnliche Lösungen finden. Sie greifen dabei immer bewusster auf ihre früheren Erfahrungen und ihr bereits erworbenes Wissen zurück.
Zunehmend beziehen sie aber auch Andere in die Entwicklung von Lösungen ein. Mit denen sie gleiche Interessen teilen, gemeinsam auf ganz neue und überraschende Ideen und Umsetzungsmöglichkeiten kommen. Auch das aktive, zielorientiere Fragen wird immer mehr zu einer Strategie, in der das Wissen und die Meinung anderer in die eigene Planung mit einbezogen werden. Kinder verknüpfen auf diese Weise ihr bestehendes Wissen und Können mit neuen fantasievollen und kreativen Ideen und finden so zu ihren eigenen Lösungen.
Beschließen Kinder ein Raumschiff zu bauen, um damit ins Weltall zu fliegen, formulieren sie ein Ziel und fassen einen Plan. Sie entwickeln dann ihre Arbeitsschritte und greifen auf spezifische Werkzeuge und Materialen zurück, um Gegenstände mehr oder weniger genau nach einem realen oder fantasierten Vorbild zu bauen oder umzufunktionieren. Sie probieren aus, wie sich die Seitenwände aus Brettern zusammensetzen lassen und schneiden Löcher in Pappkartons als Fenster.
Je stärker Kinder ihr Handeln auf Ziele richten, desto klarer planen sie. Mit Hilfe dieses Plans werden Wiederholungen möglich, einen Bau auf gleiche Weise zu konstruieren, mit dem gleichen Material aber an anderer Stelle. Pläne machen es für Kinder leichter, ihre Erfindung zu optimieren.
4.9.2 Pädagogisches Handeln
Pädagogische Fachkräfte ermöglichen allen Kindern den Zugang zu technischen Systemen und unterstützen sie in ihren Fragen. Sie erkennen technische Bildungsmöglichkeiten in den verschiedenen Situationen des pädagogischen Alltags, beim Essen und dessen Zubereitung, beim Waschen, beim Bauen mit Bauklötzen, beim Umgang mit Computern oder beim Spielen im Sand. Sie unterstützen die Kinder in ihrer eigenen Art und Weise, sich mit Technik auseinanderzusetzen und ihre Erfahrungen zu sammeln. Sie begleiten sie in ihrem Forschen mit Materialien, bei ihren Fragen und Ideen.
Pädagogische Fachkräfte sind offen dafür, dass Kinder wissen wollen, wie die Geräte und Maschinen in ihrer Umgebung funktionieren und begreifen deren Neugierde als Triebfeder für technische Bildungsprozesse. Sie sind bereit, sich mit grundlegenden technischen Vorgängen vertraut zu machen und diese selbst auszuprobieren, z.B. ein Gerät auseinanderzunehmen oder zu reparieren. Sie erkennen an, dass ganz alltägliche Bereiche und Vorgänge, wie das Kochen einer Mahlzeit oder das Föhnen von Haaren nur aufgrund technischer Abläufe funktionieren. Pädagogische Fachkräfte begreifen, dass Technik ein wichtiger Bildungsbereich für Mädchen und Jungen jeden Alters ist und sind bereit, hieraus ihre pädagogischen Konsequenzen zu ziehen.
Interessen von Mädchen und Jungen wahrnehmen
Jungen und Mädchen interessieren sich für technische Fragen und wollen passende Lösungen finden, oftmals richten sich aber die Interessen auf unterschiedliche Gegenstände, Prozesse oder Ziele. Das Backen eines Kuchens oder das Herstellen einer Prinzessinnenkrone sind ebenso technische Lösungsvorgänge wie das Konstruieren einer Seifenkiste oder das Bauen eines Schneemanns. Mädchen und Jungen haben technische Kompetenzen, die sie einsetzen und erweitern wollen. Pädagogische Fachkräfte eröffnen Jungen und Mädchen den Zugang zur technischen Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt gleichermaßen. Sie begegnen Fragen der Kinder nach Funktionsweise und Aufbau technischer Systeme mit Offenheit, bemühen sich um Antworten und gehen gemeinsam mit Kindern als Forschende auf die Suche nach möglichen Erklärungen.
Technik sichtbar machen
Ein Einblick in das Funktionieren und die technischen Abläufe ist bei den meisten technischen Geräten, auf die Kinder im Alltag heute stoßen, nicht möglich. Selbst wenn man sie öffnen würde - wobei sie in der Regel kaputt gehen - könnten darin technische Vorgänge und Instrumente nicht beobachtet, manipuliert oder repariert werden. Technische Bildungsprozesse beziehen sich daher vor allem auf grundlegende Fragen der Umsetzung der Naturgesetzmäßigkeiten in Techniken (z.B. der Schwerkraft oder des Hebelgesetzes) und auf die Anwendungen in traditionellen Technikbereichen.
Technik nach Nutzen auswählen
Aus dem Wissen, wie Kinder lernen, hinterfragen pädagogische Fachkräfte stets den Bildungsgehalt technischer Geräte und Spielsachen, die in der Tageseinrichtung vorhanden sind oder angeschafft werden sollen. Soweit es möglich ist, suchen sie nach natürlichen oder mechanischen Alternativen dafür und entfernen eindimensionale, technische Spielsachen aus der Tageseinrichtung.
Die Bildungsmöglichkeiten für Kinder sind bei Verzicht auf „echte“ technische Geräte mitunter vielfältiger als bei ihrem Einsatz. Dies ist besonders im Zusammenhang mit sogenanntem technischem Spielzeug zu beachten. Zwar sind bereits die Jüngsten fasziniert von technischen Systemen, drücken gern auf Knöpfe und Tasten und erwarten neugierig die „Reaktionen“ der entsprechenden Gegenstände. Meist ist das Interesse der Kinder an solchen Spielzeugen nur von kurzer Dauer, da ihre Verwendungsmöglichkeiten stark reduziert und eingeschränkt sind. So kann beispielsweise nur ein Knopf gedrückt, aber weder etwas gedreht, verformt oder mittels Werkzeug verändert werden. Die Geräusche, die das Spielzeug von sich gibt, sind gleich und variieren nicht.
Technik verfolgt einen Zweck, sie wird eingesetzt, um Arbeit zu erleichtern und Fähigkeiten zu erweitern. In diesem Sinne stellen pädagogische Fachkräfte Werkzeuge und Geräte zur Verfügung, die einen Nutzen für Kinder haben. Hierzu gehört der Gebrauch von Maschinen, wie dem echten Mixer, Diaprojektor oder Fotoapparat. Können Kinder Fotos an Computern selbst bearbeiten, eine Einladung zur Theateraufführung am Kopierer vervielfältigen oder die Beleuchtung für ein Puppenhaus anlegen, dann erleben sie die Nützlichkeit technischer Errungenschaften. Nach und nach lernen sie so, diese zweckgerichtet und bewusst einzusetzen.
Ausprobieren zulassen
Kinder ahmen Erwachsene im Umgang mit Geräten, Materialien und Werkzeugen nach. Über das Ausprobieren der Einsatzmöglichkeiten begreifen sie deren Zweck. Pädagogische Fachkräfte stellen Kindern unterschiedliche Materialien und Werkzeuge zur Verfügung. Sie lassen zu, dass Kinder diese auch auf ihre eigene Art nutzen, wie etwa einen Löffel zum Graben im Sand oder einen Puppenwagen zum Transportieren von Holzstämmen. Über das Ausprobieren lernen Kinder die Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten dieser Gegenstände und Geräte kennen. Sie werden kompetent im Umgang mit Geräten, Werkzeugen und Materialien und lernen, diese auch als Hilfsmittel in anderen Zusammenhängen zu nutzen und so zu eigenen Lösungen zu finden, etwa wenn sie einen Löffelstiel als Schraubendreher verwenden.
Pädagogische Fachkräfte richten Werkstätten ein für Fahrräder oder Spielzeug, Holz oder Ton, zum Schreiben oder Malen, zum Musizieren oder Theaterspielen. Hier können Kinder arbeiten und einen selbstgewählten Zweck verfolgen. Kommen in der Tageseinrichtung Gegenstände zu Schaden, beziehen pädagogische Fachkräfte Kinder in die Reparaturen ein und stärken so das Gefühl, teilzuhaben und Verantwortung zu tragen.
Material
Kinder brauchen eine Vielzahl verschiedener Werkzeuge und Geräte zum Bauen und Konstruieren, zur Bearbeitung verschiedener Untergründe und Materialien wie Erde und Sand, Holz und Stein, Papier und Pappe.
Sie benötigen Werkzeuge zur Gestaltung und Veränderung von Oberflächen, zum Trennen und Verbinden von Materialien und Gegenständen. Neben spezifischen Werkzeugen, wie Scheren und Messer, Sägen und Feilen, Hammer und Zangen, Schaufeln und Hacken in verschieden Ausführungen brauchen Kinder unterschiedliche Seile und Bänder, Gummis und Klebstoffe, Haken und Ösen, Nägel und Schrauben, Klemmen, Klammern und Draht zum Verbinden und Verankern von Materialien und Gegenständen.
Auch Alltagsgegenstände oder Naturmaterialien können Werkzeuge sein und sollten Kindern zur Verfügung stehen. Dazu gehören Steine und Stöcke, Äste und Bretter, Klammern und Pinsel, Stricke und Löffel, Bürsten und Lappen, Nadeln und Fäden.
Pädagogische Fachkräfte stellen Kindern unterschiedliche Transportmittel zur Verfügung, wie Körbe und Kisten, Wagen und Fahrzeuge, Schubkarren und Seilzüge. Sie halten auch Rollen, Räder und Reifen vor, aus denen Kinder in Verbindung mit anderen Materialien wie Stangen und Platten selbstständig Transportmittel herstellen können.
Pädagogische Fachkräfte sorgen für eine große Auswahl an Messgeräten wie Zollstock und Maßband, Waage und Messbecher, sowie Gefäße verschiedener Größen, Formen und Materialien - verschließbar und offen, durchsichtig und undurchsichtig - zum Transportieren, zum Abfüllen und Aufbewahren.
Papiere und Stifte, sowie Kreiden und Farben stehen bereit, damit Kinder ihre Ideen festhalten und dokumentieren können, wozu sie auch auf Foto- und Videokameras zurückgreifen können.
Computer, Beamer, Aufnahmegeräte oder Overheadprojektor sind Apparate, die Kinder einsetzen, um sich Ideen zu erarbeiten. Es sind aber auch Geräte, die die Präsentation eigener Entdeckungen und Erfindungen ermöglichen und erleichtern. Jedes Kind sollte auf diese zugreifen und sich mit ihrer Nutzung vertraut machen können.
Materialfülle anbieten
Kinder finden in der Auseinandersetzung mit Materialien besonders dann zu weitreichenden Erkenntnissen, wenn sie davon viel zur Verfügung haben. So brauchen sie viel Sand, um tiefe Löcher zu graben und hohe Burgen zu bauen. Ältere Kinder, die eine Murmelbahn aus Papprollen konstruieren und herausfinden wollen, wie weit die Murmeln kullern können und wie lange das dauert, brauchen dafür sehr viele Rollen, um ein Tunnelsystem durch die gesamte Tageseinrichtung legen zu können.
Nur, wenn viele Bausteine vorhanden sind, viele Räder oder viel Papier, kann daraus mehr entstehen. Die Betonung von „viel“ heißt jedoch nicht, dass pädagogische Fachkräfte Räume mit Material überfüllen - sie wägen ab zwischen Ressourcenschonung und den Bildungsbedürfnissen von Kindern. Haben die Kinder das Ziel, alle Stuhlbeine miteinander zu verbinden und so ein Spinnennetz nachzubauen, dann brauchen sie dafür eine große Menge Kreppband, Wolle oder Absperrband. Beobachten pädagogische Fachkräfte, dass Kinder solche oder ähnliche Materialien in Fülle benötigen, ist es ihre Aufgabe, diese zur Verfügung zu stellen. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist zu überprüfen, wie Material mehrfach von Kindern verwendet werden kann.
Pädagogische Fachkräfte halten eine gewisse Auswahl an Büchern, Tafeln und Filmen bereit, denen Kinder technische Zusammenhänge entnehmen können. Diese dienen Kindern aber nur der Ergänzung und Reflexion selbst gesammelter Erfahrungen und können diese nicht ersetzen.
4.9.3 Fragen zur Überprüfung
Welche Materialien stehen Kindern zum Konstruieren und zum Zerlegen zur Verfügung und haben Kinder jederzeit freien Zugang zu diesen Materialien?
Welche Werkzeuge oder Hilfsmittel können Kinder für technische Prozesse nutzen? Inwiefern gelten für den Umgang mit bestimmten Werkzeugen Regeln?
Welche Erfahrungen können Kinder machen, die auf ihrem Weg zur Lösung technischer Fragen hilfreich sind?
Welche Gelegenheiten haben Kinder, ihre technischen Prozesse zu dokumentieren (Zeichnungen, Fotos, Videos etc.)?
Wo und wann können Kinder ihre Werke stehen lassen und daran weiter arbeiten?
In welcher Form können Kinder ihre Werke präsentieren?
Welche Anlässe finden Kinder im Alltag der Tageseinrichtung, die sie zu technischen Lösungen herausfordern?
Welche technischen Interessen und Themen nehmen pädagogische Fachkräfte bei Kindern wahr?
In welcher Weise regen pädagogische Fachkräfte Gespräche über technische Systeme und technische Prozesse mit Kindern an?
Inwiefern werden Kinder in Reparatur, Neu- und Umbau von Spielgeräten, Möbeln und andere Materialien einbezogen?
Mit welchen technischen Systemen kommen Kinder in der Tageseinrichtung in Kontakt? In welcher Weise dürfen Kinder diese nutzen? Welche Gründe gibt es für Beschränkungen der Nutzung?
Welche technischen Anlagen, z. B. Druckwerkstätten, Fahrrad- oder Autowerkstätten, Schiffshebewerke, Schleusen, Elektrizitäts- und Wasserwerke im Sozialraum und der weiteren Umgebung werden besucht?
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