Gesetz über den Abschiebungsgewahrsam im Land Berlin Vom 12. Oktober 1995
Gesetz über den Abschiebungsgewahrsam
im Land Berlin
Vom 12. Oktober 1995
Zum 07.06.2023 aktuellste verfügbare Fassung der Gesamtausgabe
Stand: | letzte berücksichtigte Änderung: geändert durch Artikel IV des Gesetzes vom 08.04.04 (GVBl. S. 175) |
Nichtamtliches Inhaltsverzeichnis
Titel | Gültig ab |
---|---|
Gesetz über den Abschiebungsgewahrsam im Land Berlin vom 12. Oktober 1995 | 22.10.1995 |
Eingangsformel | 22.10.1995 |
§ 1 - Abschiebungsgewahrsam | 22.04.2004 |
§ 2 - Grundsätzliche Gestaltung der Abschiebungshaft | 22.04.2004 |
§ 3 - Unterbringung | 22.10.1995 |
§ 4 - Aufnahme und Abschiebungsplanung | 22.10.1995 |
§ 5 - Arbeit | 22.10.1995 |
§ 6 - Beschäftigung und religiöse Betätigung | 22.10.1995 |
§ 7 - Besuche | 22.10.1995 |
§ 8 - Bezug von Zeitungen und Nutzung von Medien | 22.10.1995 |
§ 9 - Post, Geschenke, Einkauf, Telefon | 22.10.1995 |
§ 10 - Sicherheit und Ordnung | 22.10.1995 |
§ 11 - Ärztliche Versorgung und soziale Betreuung | 22.10.1995 |
§ 12 - Beschwerderecht | 22.10.1995 |
§ 13 - Beirat | 22.10.1995 |
§ 14 - Einschränkung von Grundrechten | 22.10.1995 |
§ 15 - Inkrafttreten | 22.10.1995 |
Das Abgeordnetenhaus hat das folgende Gesetz beschlossen:
§ 1 Abschiebungsgewahrsam
Freiheitsentziehende Maßnahmen nach ausländerrechtlichen Bestimmungen (Abschiebungshaft) werden grundsätzlich in besonderen Einrichtungen (Abschiebungsgewahrsam) vollzogen. Abschiebungshaft kann in Amtshilfe in Justizvollzugsanstalten vollzogen werden, wenn
1.
aus besonderen Gründen im Abschiebungsgewahrsam eine sichere Unterbringung nicht gewährleistet werden kann oder
2.
dies zum Schutz des Abschiebungshäftlings notwendig ist.
§ 2 Grundsätzliche Gestaltung der Abschiebungshaft
Den im Abschiebungsgewahrsam befindlichen Ausländern dürfen nur die Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Abschiebungshaft oder die Sicherheit oder Ordnung in dem Abschiebungsgewahrsam erfordern. Abschiebungshäftlinge erhalten keinen Urlaub oder Ausgang.
§ 3 Unterbringung
(1) Frauen und Männer sind grundsätzlich in verschiedenen Einrichtungen des Abschiebungsgewahrsams oder in voneinander getrennten Teilen derselben baulichen Anlage unterzubringen.
(2) Sofern mehrere Angehörige derselben Familie zusammen abgeschoben werden sollen, soll ihnen auch in der Abschiebungshaft abweichend von Absatz 1 auf Wunsch ein Zusammenleben ermöglicht werden. Läßt sich dies durch den Abschiebungsgewahrsam nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten realisieren, ist den betroffenen Abschiebungshäftlingen jedoch tagsüber das Zusammenleben zu ermöglichen. Das Nähere regelt die Gewahrsamsordnung. Im übrigen sollen Wünsche von Abschiebungshäftlingen, die einander nahestehen, nach einer gemeinsamen Unterbringung oder gemeinsamer Freizeitgestaltung im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens bei Unterbringungsentscheidungen berücksichtigt werden.
(3) Abschiebungshäftlinge werden grundsätzlich gemeinschaftlich untergebracht. Sie werden, sofern sich nicht aus Absatz 2 etwas anderes ergibt, bei einer Haftdauer von mehr als sechs Monaten, wenn sie dies wünschen, grundsätzlich allein in einem Haftraum untergebracht. Es bleibt bei der gemeinschaftlichen Unterbringung, wenn der Abschiebungshäftling ihr zustimmt, wenn er hilfsbedürftig ist oder sonst eine Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit besteht.
(4) Bei der Unterbringung ist auf die religiöse und ethnische Zugehörigkeit zu achten.
§ 4 Aufnahme und Abschiebungsplanung
(1) Abschiebungshäftlinge sind bei ihrer Aufnahme in den Abschiebungsgewahrsam bei nicht ausreichenden deutschen Sprachkenntnissen nach Möglichkeit in ihrer Muttersprache über ihre Rechte und Pflichten zu belehren. Die persönliche Unterrichtung soll durch entsprechende Merkblätter intensiviert werden. Fehlen die Voraussetzungen für eine Verständigung in der Muttersprache, sind andere dem Abschiebungshäftling bekannte Sprachen oder sonstige Verständigungsmöglichkeiten zu nutzen.
(2) Mit dem Abschiebungshäftling sind unverzüglich nach seiner Inhaftnahme die Voraussetzungen und der Zeitplan seiner Ausreise zu erörtern. Insbesondere ist festzustellen, ob oder unter welchen Voraussetzungen der Abschiebungshäftling zu einer freiwilligen Ausreise bereit ist; ferner sind sonstige Wünsche, insbesondere zum Zielort und zur Benachrichtigung von dort wohnenden Angehörigen oder sonst bekannten Personen, zu erkunden und in der Folge angemessen zu berücksichtigen.
§ 5 Arbeit
(1) Abschiebungshäftlinge sind zur Arbeit nicht verpflichtet, sie haben jedoch für ihr engeres Umfeld selbst zu sorgen, insbesondere den eigenen Haftraum sauber zu halten und bei der Verpflegung behilflich zu sein.
(2) Der Abschiebungsgewahrsam soll soweit möglich den Abschiebungshäftlingen die Möglichkeit zur Arbeit geben. Abschiebungshäftlinge, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, erhalten ein Arbeitsentgelt entsprechend
§ 43 des Strafvollzugsgesetzes
und den dazu erlassenen Vorschriften.
§ 6 Beschäftigung und religiöse Betätigung
(1) Der Abschiebungsgewahrsam bietet Möglichkeiten zur Freizeitbeschäftigung an. Soweit möglich ist dabei den Gegebenheiten der verschiedenen Kulturen Rechnung zu tragen.
(2) Für die Religionsausübung im Abschiebungsgewahrsam gelten die §
§ 53
bis
55 des Strafvollzugsgesetzes
entsprechend.
§ 7 Besuche
Abschiebungshäftlinge dürfen Besuch empfangen. Besuche von Rechtsanwälten oder Vertretern anerkannter auf dem Gebiet der Flüchtlingsarbeit tätiger Organisationen sind außerhalb etwaiger Zeitkontingente nach Satz 1 zulässig. Aus Gründen der Sicherheit kann ein Besuch davon abhängig gemacht werden, daß der Besucher sich und seine mitgeführten Gegenstände durchsuchen läßt. Das Nähere regelt die Gewahrsamsordnung.
§ 8 Bezug von Zeitungen und Nutzung von Medien
(1) Abschiebungshäftlinge dürfen auf eigene Kosten über den Abschiebungsgewahrsam alle Zeitungen und andere Druckerzeugnisse beziehen; ausgeschlossen sind lediglich Druckerzeugnisse, deren Inhalt den Vollzug oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde oder deren Verbreitung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist.
(2) Abschiebungshäftlinge können am Hörfunkprogramm des Abschiebungsgewahrsams oder am gemeinschaftlichen Fernsehempfang teilnehmen. Sie dürfen eigene Hörfunkgeräte benutzen, soweit dadurch andere nicht gestört werden. In begründeten Ausnahmefällen können eigene Fernsehgeräte zugelassen werden. Das Nähere regelt die Gewahrsamsordnung.
§ 9 Post, Geschenke, Einkauf, Telefon
(1) Abschiebungshäftlinge dürfen grundsätzlich ohne Beschränkungen Briefe, Pakete und andere Post erhalten und versenden. Dasselbe gilt für Geschenke von Besuchern oder an Besucher. Sie können ferner von den im Abschiebungsgewahrsam vorhandenen Einkaufsmöglichkeiten Gebrauch machen.
(2) Es können Kontrollen eingehender Post sowie mitgebrachter Geschenke auch nach Beendigung einer Durchsuchung nach
§ 7 Satz 3
angeordnet werden, wenn eine Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung des Abschiebungsgewahrsams zu befürchten ist. Vom Empfang auszuschließende Gegenstände sind zur Habe des Abschiebungshäftlings zu nehmen oder an den Absender zurückzusenden.
(3) Die Abschiebungshäftlinge haben unter Berücksichtigung der Möglichkeiten des Abschiebungsgewahrsams und der Gleichbehandlung aller Abschiebungshäftlinge das Recht zu telefonieren.
(4) Die Einzelheiten regelt die Gewahrsamsordnung.
§ 10 Sicherheit und Ordnung
(1) Der Abschiebungshäftling hat sich hinsichtlich einer für alle einzuhaltenden Ruhezeit nach der Tageseinteilung des Abschiebungsgewahrsams zu richten. Im übrigen sorgt der Abschiebungsgewahrsam dafür, daß Abschiebungshäftlinge jedenfalls in bestimmten Abschnitten oder Gruppen miteinander in Kontakt treten, den Tag gestalten und sich zeitweise im Freien aufhalten können. Abschiebungshäftlinge dürfen sich auch tagsüber jederzeit in ihren Haftraum zurückziehen, sofern sie sich nicht zu einer bestimmten Arbeit verpflichtet haben.
(2) Abschiebungshäftlinge dürfen durch ihr Verhalten gegenüber dem Personal des Abschiebungsgewahrsams, Mithäftlingen und anderen Personen das geordnete Zusammenleben im Abschiebungsgewahrsam nicht beeinträchtigen.
(3) Im übrigen gelten die Vorschriften des Zweiten Abschnitts, Elfter und Zwölfter Titel des
Strafvollzugsgesetzes
entsprechend.
§ 11 Ärztliche Versorgung und soziale Betreuung
(1) Abschiebungshäftlinge haben Anspruch auf notwendige ärztliche Behandlung und Versorgung durch den für den Abschiebungsgewahrsam bestellten ärztlichen Dienst. Der Abschiebungshäftling hat die notwendigen ärztlichen Maßnahmen zum Schutze seiner Gesundheit zu unterstützen.
(2) Abschiebungshäftlinge werden sozialarbeiterisch betreut, für Jugendliche ist eine sozialpädagogische Betreuung vorzusehen.
§ 12 Beschwerderecht
Abschiebungshäftlinge erhalten Gelegenheit, sich mit Wünschen, Anregungen und Beschwerden an den Gewahrsamsleiter zu wenden. Regelmäßige Sprechstunden sind einzurichten.
§ 13 Beirat
Für den Abschiebungsgewahrsam wird ein externer Beirat errichtet. Näheres wird durch die Senatsverwaltung für Inneres geregelt.
§ 14 Einschränkung von Grundrechten
Durch dieses Gesetz werden die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (
Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes
), der Freiheit der Person (
Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes
) sowie des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (
Artikel 10 Abs. 1 des Grundgesetzes
) eingeschränkt.
§ 15 Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin in Kraft.
Das vorstehende Gesetz wird hiermit verkündet.
Der Regierende Bürgermeister
Diepgen
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