Vertrag zwischen dem Freistaat Bayern und dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Bayern e.V. Vom 20. Februar 2018 (GVBl. S. 686, 687) BayRS 01-15-1-K (Art. 1–9)
Präambel Im Wissen um die mehr als 600-jährige Geschichte der deutschen Sinti und Roma in Bayern und um die Leistungen, die die Sinti und Roma in Geschichte und Gegenwart für unser Land erbracht haben und erbringen, in Erinnerung an den nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma, aus dem für den Freistaat Bayern eine besondere Verpflichtung zum Schutz der Minderheit und zu ihrer Wertschätzung in Staat und Gesellschaft erwächst, und unter Weiterentwicklung der Gemeinsamen Erklärung der Bayerischen Staatsregierung und des Verbands Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Bayern – vom 16. Mai 2007 schließen der Freistaat Bayern, vertreten durch den Ministerpräsidenten (nachfolgend: Freistaat), und der Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Bayern e.V., vertreten durch seinen Vorstandsvorsitzenden (nachfolgend: Landesverband), feierlich den folgenden Vertrag:
Art. 1 Zusammenarbeit und Ziele
(1) ¹Die bestehende enge Zusammenarbeit zwischen dem Freistaat und dem Landesverband soll im Sinne von Geschichtsbewusstsein, Aufklärung und Förderung der Toleranz gegenüber Minderheiten fortgesetzt und intensiviert werden. ²Bei der Regelung von Angelegenheiten, die die in Bayern lebenden Sinti und Roma besonders betreffen, wird der Landesverband angehört.
(2) Der Freistaat und der Landesverband arbeiten weiterhin gemeinsam an dem Ziel, der Diskriminierung von Angehörigen der Minderheit auf allen Gebieten des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens effizient und effektiv entgegenzuwirken und das friedvolle Zusammenleben unter Achtung der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Identität der nationalen Minderheit zu fördern.
(3) ¹Der Freistaat und der Landesverband unterstützen Initiativen auf den Gebieten von Bildung, Kultur und Wissenschaft, die dem Schutz und dem Erhalt der kulturellen Identität der hier als nationale Minderheit lebenden Sinti und Roma dienen und dem Antiziganismus entgegenwirken. ²Es ist erklärtes Ziel der Vertragspartner, durch Abbau von Wissensdefiziten und von antiziganistischen Einstellungen in der Bevölkerung einen Geist der Toleranz und des gegenseitigen Respekts zu schaffen.
(4) Die Vertragspartner lehnen jedwede unzulässige Hervorhebung der ethnischen Zugehörigkeit von Minderheitsangehörigen durch die Behörden des Freistaates ab und streben eine Beachtung dieses Grundsatzes auch in den Medien an.
Art. 2 Geschichtsbewusstsein und Förderung der Erinnerung
(1) ¹Der Freistaat fördert die Erinnerung an die Geschichte der deutschen Sinti und Roma, insbesondere an die Verfolgung der Minderheit und den systematischen Völkermord durch die Nationalsozialisten. ²Neben der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden ist der Völkermord an den Sinti und Roma das zweite große genozidale Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands.
(2) ¹Der Freistaat unterstützt schulische und außerschulische Initiativen und Projekte zur Erinnerung an die Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma. ²Er trägt dafür Sorge, dass die Geschichte der Sinti und Roma vermittelt wird, um so auch möglichen Vorurteilen entgegenzutreten. ³Der Freistaat begrüßt Initiativen des Landesverbands, eigene Bildungsangebote bereitzustellen.
Art. 3 Minderheitenschutz, gesellschaftliche Teilhabe
(1) ¹Der Freistaat erkennt ausdrücklich an, dass die in Bayern lebenden deutschen Sinti und Roma als eine seit jeher in Deutschland beheimatete nationale Minderheit unter dem besonderen Schutz des Rahmenübereinkommens des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten stehen. ²Der Freistaat bekräftigt seinen Willen, die in dem genannten Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätze zusammen mit dem Landesverband zu verwirklichen.
(2) Der Freistaat setzt sich gemeinsam mit dem Landesverband weiterhin dafür ein, die Beteiligung von Angehörigen der Sinti und Roma am kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben und an öffentlichen Angelegenheiten in Orientierung am Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten angemessen zu fördern.
(3) Der Freistaat und der Landesverband stimmen in dem Bestreben überein, dass die Interessen der deutschen Sinti und Roma in Kultur und Medien angemessen wahrgenommen werden.
Art. 4 Sprache
(1) ¹In dem Bewusstsein, dass das von deutschen Sinti und Roma verwendete Romanes als Minderheitensprache im Sinne von Teil II der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen anerkannt ist, bekräftigt der Freistaat auch die mit dieser Charta eingegangenen Verpflichtungen. ²Auf dieser Grundlage schützt und fördert der Freistaat den Erhalt von Romanes als Teil unseres kulturellen Reichtums.
(2) Der Freistaat und der Landesverband führen regelmäßig Gespräche zur Umsetzung von einzelnen Verpflichtungen der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen.
Art. 5 Pflichten des Landesverbands
Der Landesverband verpflichtet sich, Politik, Verwaltung und Behörden des Freistaates bei Maßnahmen der Aufklärung und Sensibilisierung für Geschichte und Gegenwart der Sinti und Roma zu unterstützen und im Rahmen seiner Möglichkeiten bleibeberechtigten, nichtdeutschen Angehörigen der Minderheit bei ihrer Integration in der Gesellschaft zur Seite zu stehen.
Art. 6 Finanzielle Leistung
¹Der Freistaat unterstützt die Arbeit des Landesverbands mit 474 700 Euro im Jahr. ²Hierin eingeschlossen sind die bisherige institutionelle Förderung der Geschäftsstelle des Landesverbands und die zweckgebundenen Mittel für Gebühren für in Bayern befindliche Grabstätten holocaustüberlebender Sinti und Roma. ³Die bisherigen freiwilligen Leistungen des Freistaates erhalten mit diesem Vertrag eine rechtlich verbindliche Grundlage als Ausdruck der besonderen Wertschätzung der Arbeit des Landesverbands für die Belange der nationalen Minderheit.
Art. 7 Auslegung, Evaluation und Anpassung des Vertrags
(1) Der Freistaat und der Landesverband werden eine in Zukunft zwischen ihnen möglicherweise entstehende Meinungsverschiedenheit über die Auslegung einer Bestimmung dieses Vertrags auf freundschaftliche Weise ausräumen.
(2) ¹Die Vertragspartner sind sich bewusst, dass der Vertrag auf der Grundlage der derzeitigen Verhältnisse geschlossen wird. ²Sie stimmen überein, den Vertrag nach Ablauf von jeweils fünf Jahren nach Inkrafttreten zu überprüfen und gegebenenfalls in freundschaftlicher Weise eine Anpassung an die geänderten Verhältnisse vorzunehmen.
Art. 8 Laufzeit und Kündigung
¹Dieser Vertrag wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. ²Er kann von jedem der Vertragspartner mit einer Frist von einem Jahr schriftlich gekündigt werden, erstmalig zum 31. Dezember 2022.
Art. 9 Inkrafttreten
Dieser Vertrag tritt zum 1. des Monats in Kraft, der auf die Zustimmung des Landtags und des Vorstands des Landesverbands folgt.
München, den 20. Februar 2018
Horst Seehofer
Erich Schneeberger, Vorstandsvorsitzender
Feedback