Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur Verkehrserziehung in der Schule
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Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur Verkehrserziehung in der Schule

Nachstehend wird die von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland beschlossene Neufassung der Empfehlung zur Verkehrserziehung in der Schule bekannt gemacht:
Verkehrserziehung ist der Schule als Teil ihres Unterrichts- und Erziehungsauftrags zugewiesen.
Die Ausweitung und Verdichtung des Straßenverkehrs hat sich zu einem zentralen gesellschaftlichen Problembereich entwickelt, der das alltägliche Leben und das Verhalten der Menschen immer stärker beeinflusst. Mobilität im Straßenverkehr ist mit hohen Unfallzahlen und zunehmender Aggressivität von Verkehrsteilnehmern ebenso verbunden wie mit Luftverschmutzung, Lärm und wachsendem Flächenverbrauch.
Für generelles Umdenken und zur Entwicklung von Alternativen sind Einstellungen und Verhaltensweisen erforderlich, die auch das schulische Lernen betreffen. Die Kultusministerkonferenz hat daher ihre „Empfehlung zur Verkehrserziehung in der Schule “ aus dem Jahre 1972 neu akzentuiert.

1.  Aufgaben und Ziele

Schülerinnen und Schüler nehmen – mit zunehmendem Alter umso intensiver und differenzierter – am Verkehrsgeschehen teil. Die Schule muss es sich daher zur Aufgabe machen, verkehrsspezifische Kenntnisse zu vermitteln und die für reflektierte Mitverantwortung in der Verkehrswirklichkeit erforderlichen Fähigkeiten und Haltungen zu fördern. Verkehrserziehung beschränkt sich nicht nur auf das Verhalten von Schülerinnen und Schülern und auf ihre Anpassung an bestehende Verkehrsverhältnisse; sie schließt vielmehr auch die kritische Auseinandersetzung mit Erscheinungen, Bedingungen und Folgen des gegenwärtigen Verkehrs und seiner künftigen Gestaltung ein. Verkehrserziehung in der Schule leistet insofern Beiträge gleichermaßen zur Sicherheitserziehung, Sozialerziehung, Umwelterziehung und Gesundheitserziehung.
Sicherheitserziehung umfasst alle pädagogischen Maßnahmen, die Kinder und Jugendliche in die Lage versetzten, mit Gefahren in ihrer Lebensumwelt umzugehen und sich für Unfallverhütung einzusetzen. Aufgabe der schulischen Verkehrserziehung als Sicherheitserziehung ist es daher, Schülerinnen und Schülern alle jene Qualifikationen zu vermitteln, die sie für ein sicherheitsbewusstes Verhalten im Straßenverkehr benötigen. Um sicherheitsbewusst handeln zu können, müssen Schülerinnen und Schüler motiviert und befähigt werden, Gefahren im Straßenverkehr zu erkennen und zu beurteilen, zu bewältigen oder zu meiden, für deren Beseitigung zu sorgen sowie sich nach Verkehrsunfällen angemessen zu verhalten. Dies geschieht u. a. durch Erwerb von Erfahrungen in Übungssituationen, Anwenden von Regeln, Förderung von Psychomotorik und des Reaktionsvermögens sowie durch Aufbau eines flexiblen, situationsbedingten und vorausschauenden Verhaltens.
Schülerinnen und Schüler erleben häufig das vermeintliche Recht des Stärkeren im Verkehr, rücksichtslosen und aggressives Verhalten auf der Straße und die Dominanz motorisierter Verkehrsteilnehmer. Die Schülerinnen und Schüler sollen die Teilnahme am Straßenverkehr jedoch als ein auf Partnerschaft gerichtetes soziales handeln verstehen lernen. Soziales Miteinander im Verkehr kann nicht auf das Befolgen von „Verkehrsregeln “ reduziert werden, es erfordert vielmehr situationsorientiertes flexibles Verhalten, Mitverantwortung, Rücksichtnahme und Verzicht auf Vorrechte sowie die Antizipation der Handlungen anderer. Auch die Kenntnis psychischer Faktoren bei der Teilnahme am Straßenverkehr ist wichtig. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich u. a. mit Aggression, Stress, Raserei, Drängelei, Regelverletzungen und Rücksichtslosigkeit auseinander setzen. Ziel der Verkehrserziehung als Sozialerziehung ist es, dass sich Schülerinnen und Schüler mitverantwortlich und rücksichtsvoll verhalten und auf diese Weise auch zu einer Humanisierung des Straßenverkehrs beitragen.
Wegen der Bedeutung von Umweltfragen und eines veränderten Umweltbewusstseins bei Schülerinnen und Schülern muss die Schule die Thematik „Umwelt und Verkehr “ aufgreifen. Die Schülerinnen und Schüler sollen verschiedene Faktoren von Umweltbelastungen und -zerstörungen durch den Verkehr kennen, sie sollen sich mit ihrem eigenen Verhalten und dem der Erwachsenen als Verkehrsteilnehmer kritisch auseinander setzen und Alternativen zum bestehenden Verkehrsverhalten und zur Verkehrsgestaltung entwickeln. Dies bedeutet z.B., begründete Entscheidungen bei der Wahl der Verkehrsmittel zu treffen, umweltfreundliche Verkehrsmittel zu nutzen, konkrete Vorschläge zur Gestaltung der Verkehrssituation im unmittelbaren Wohn- und Schulumfeld zu machen und Fragen der Verkehrsplanung und der Verkehrspolitik zu erörtern.
Gesundheitserziehung zielt generell auf eine gesundheitsbewusste Lebensführung von Schülerinnen und Schülern. In Teilbereichen ergeben sich Berührungspunkte zwischen Gesundheitserziehung und Verkehrserziehung, z.B. Lärm- und Stressvermeidung im Straßenverkehr, Strassbewältigung, Schulweg ohne Auto oder Radfahren als Bewegungstraining.

2.  Schulstufenspezifische Schwerpunkte, Methoden und Umfang

Verkehrserziehung als schulische Aufgabe erfordert, in allen Schulstufen und -arten Themen aus dem Gegenstandsbereich Verkehr in die Lehrpläne aufzunehmen; dafür kommen zahlreiche Unterrichtsfächer in Betracht. Über den Fachunterricht hinaus sollen weitere Formen der Lern- und Unterrichtsorganisation (z.B. Projekte) praktiziert werden, um fächerübergreifende Lerninhalte der Verkehrserziehung zu vermitteln. Im Primarbereich ist Verkehrserziehung weitgehend durch personale Beziehungen und die unmittelbare Verkehrsumgebung der Schülerinnen und Schüler bestimmt. Der inhaltliche Rahmen wird durch die Anforderungen umrissen, die an Schülerinnen und Schüler als Fußgänger und Radfahrer, bei der Benutzung des Schulbusses und der öffentlichen Verkehrsmittel sowie als Mitfahrer im privaten Personenkraftwagen gestellt werden. Die Grundlage der Verkehrserziehung im Primarbereich ist eine umfassende psychomotorische Erziehung, die das Bewegungs-, Wahrnehmungs-, Anpassungs- und Reaktionsvermögen fördert. Am Schulanfang steht ein Schulwegtraining, bei dem die Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit Lehrern und Eltern ein sicheres Verhalten auf dem Schulweg üben. Ein Schwerpunkt der Verkehrserziehung im Primarbereich ist die Radfahrausbildung. Neben dem Unterricht in der Klasse – besonders im Sachunterricht und im Sport – sind u. a. folgende Formen der Lern- und Unterrichtsorganisation möglich: Übungen zur Wahrnehmung und Motorik, Verkehrsbeobachtung, Besichtigung und Erkundung, Besuch von/bei Fachleuten, Fahrrad-Parcours, Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Lernorte sind folglich Klassenraum, Sportstätten, Schulhof, Jugendverkehrsschule und besonders auch die realen Verkehrssituationen im Umfeld von Schule und Wohnung. Die Verkehrserziehung im Primarbereich benötigt die Zusammenarbeit mit Eltern und Polizei. In den Jahrgangsstufen 1 und 4 sollen etwa je 20 Stunden im Jahr, in den Jahrgangsstufen 2 und 3 etwa je 10 Stunden im Jahr vorgesehen werden. Im

3.  Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung

Qualifizierter Unterricht in Verkehrserziehung erfordert die Aufnahme entsprechender Inhalte in die Lehrerausbildung. Im Laufe ihrer Ausbildung sollen die Lehramtsstudierenden die Möglichkeit erhalten, an mindestens einer verkehrspädagogischen Veranstaltung teilzunehmen. Im Vorbereitungsdienst sind Themen der Verkehrserziehung verpflichtend zu behandeln. Verkehrserziehung kann insoweit Gegenstand der Zweiten Staatsprüfung sein. Lehrerfortbildung hat vorrangig die Aufgabe, das Verständnis für den integrativen Ansatz der Verkehrserziehung im Sinne von Sicherheits-, Sozial-, Umwelt und Gesundheitserziehung zu vermitteln, neue Erkenntnisse und Entwicklungen vorzustellen und geeignete Methoden und formen der Lern- und Unterrichtsorganisation für die Verkehrserziehung aufzuzeigen. Zentrale Fortbildungsseminare richten sich primär an jene Lehrerinnen und Lehrer, die als Multiplikatoren (Fachberater, Verkehrserziehungsbeauftragte an Schulen) in der regionalen Lehrerfortbildung tätig sind und die ihrerseits Lehrerinnen und Lehrer in allen Schularten erreichen. Ferner werden Schulaufsichtsbeamte, Schulleiter und Klassenlehrer mit Aufgaben und Zielen der Verkehrserziehung sowie mit Methoden und Formen der Lern- und Unterrichtsorganisation vertraut gemacht.

4.  Zusammenarbeit der Schule mit außerschulischen Einrichtungen

Zur Ausgestaltung der Verkehrserziehung bieten außerschulische Einrichtungen (z.B. Behörden, Verbände, Vereine und Firmen), die größtenteils im Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) zusammengeschlossen sind, Hilfe an. Mit der Deutschen Verkehrswacht und ihren Untergliederungen besteht eine enge Zusammenarbeit (Schülerlotsen, Unterhaltung von Jugendverkehrsschulen, Herausgabe von Unterrichtsmaterialien). Unfallhilfsdienst vermitteln Kurse in erster Hilfe und zu Sofortmaßnahmen bei Unfällen. Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Polizei bezieht sich in der Regel auf die Schwerpunkte Schulwegplanung, Schulwegsicherheit, Radfahrausbildung und die Ausbildung von Schülerlotsen. Sie erstreckt sich darüber hinaus auf verkehrspolizeiliche Beratung bei Unterrichtsvorhaben und auf die Zusammenarbeit mit Fachberatern; sie ist in allen Schulstufen und Schularten zu pflegen und auszubauen.
I.A. Falckenberg
Ministerialdirigent
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