Immunität der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften
1. Bedeutung der formellen Immunität
Der Grundsatz der prozessualen oder formellen Immunität (Art. 46 Abs. 2 bis 4 des Grundgesetzes, Art. 28 der Verfassung, § 152a der Strafprozessordnung – StPO) bedeutet, dass Mitglieder einer gesetzgebenden Körperschaft nur mit deren Genehmigung wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Verantwortung gezogen oder verhaftet oder aus anderen Gründen in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt werden dürfen.
2. Geltungsbereich der Immunität
2.1 Persönlicher Geltungsbereich
¹Immunität steht den Mitgliedern des Deutschen Bundestages, der Bundesversammlung, des Bayerischen Landtags, der gesetzgebenden Körperschaften der übrigen Länder und des Europäischen Parlaments zu. ²Diese können auf die Immunität nicht verzichten.
2.2 Sachlicher Geltungsbereich
Die Vorschriften über die Immunität können von Bedeutung sein in Strafverfahren, Disziplinarverfahren, berufs- und ehrengerichtlichen Verfahren, soweit sie öffentlich-rechtlichen Charakter haben, sowie bei bestimmten Maßnahmen im Rahmen bürgerlich-rechtlicher Verfahren (vgl.
2.3 Zeitlicher Geltungsbereich
2.3.1 Mitglieder des Deutschen Bundestages
¹Der Immunitätsschutz beginnt in dem Zeitpunkt, in dem die in den Bundestag gewählte Person die Mitgliedschaft im Bundestag erwirbt, das heißt in der Regel nach der abschließenden Feststellung des Ergebnisses für das Wahlgebiet durch den Bundeswahlausschuss mit der Eröffnung der ersten Sitzung des Deutschen Bundestages nach der Wahl (§ 45 Abs. 1 des Bundeswahlgesetzes – BWG; zur Ersatzwahl vgl. § 45 Abs. 2 BWG). ²Bei einer Listennachfolge (§ 48 Abs. 1 BWG) oder einer Wiederholungswahl (§ 44 BWG) wird die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag und damit der Immunitätsschutz mit dem frist- und formgerechten Eingang der auf die Benachrichtigung erfolgenden Annahmeerklärung beim zuständigen Wahlleiter, jedoch nicht vor Ausscheiden des ursprünglich gewählten Abgeordneten erworben (§ 45 Abs. 3 Satz 1 BWG). ³Liegt bei Ablehnung des Erwerbs der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag durch einen gewählten Bewerber die Annahmeerklärung des Listennachfolgers bereits vor der ersten Sitzung des Deutschen Bundestages nach der Wahl vor, erwirbt der Listennachfolger das Mandat und damit den Immunitätsschutz mit der Eröffnung dieser Sitzung (§ 45 Abs. 3 Satz 2). ⁴Der Immunitätsschutz endet mit dem Verlust der Mitgliedschaft (§§ 46, 47 BWG) oder mit der Beendigung der Wahlperiode des Bundestages (Art. 39 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes).
2.3.2 Mitglieder des Bayerischen Landtags
2.3.2.1
¹Immunitätsschutz besteht während der Tagung (Art. 28 Abs. 1 der Verfassung), die mit dem Zusammentritt des Landtags beginnt. ²Die Tagung endet mit dem Ablauf der Wahlperiode oder mit Auflösung des Landtags, sofern dieser nicht nach Art. 17 Abs. 3 der Verfassung einen früheren Schluss der Tagung beschließt. ³Eine gewählte sich bewerbende Person erwirbt die Mitgliedschaft im Landtag und damit den Immunitätsschutz nach der Feststellung des Ergebnisses für sämtliche Wahlkreise durch den Landeswahlausschuss mit der Eröffnung der ersten Sitzung des Landtags nach der Wahl (Art. 49 Abs. 1 des Landeswahlgesetzes – LWG). ⁴Bei einer Listennachfolge (Art. 58 LWG) oder einer Wiederholungswahl (Art. 55 LWG) wird die Mitgliedschaft im Landtag mit dem frist- und formgerechten Eingang der auf die Benachrichtigung erfolgenden Annahmeerklärung beim Landeswahlleiter, jedoch nicht vor Ausscheiden des ursprünglich gewählten Abgeordneten erworben (Art. 49 Abs. 2 Satz 1 LWG). ⁵Liegt bei Ablehnung des Erwerbs der Mitgliedschaft im Landtag durch eine gewählte sich bewerbende Person die Annahmeerklärung des Listennachfolgers bereits vor der ersten Sitzung des Landtags nach der Wahl vor, erwirbt der Listennachfolger das Mandat und damit den Immunitätsschutz mit der Eröffnung dieser Sitzung (Art. 49 Abs. 2 Satz 2 LWG).
2.3.2.2
Zwischen den Tagungen des Landtags steht Immunität nur den Abgeordneten zu, die dem Präsidium des Landtags oder dem Zwischenausschuss als Mitglieder oder als erste Stellvertreter angehören (Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 26, 28, 32 der Verfassung).
2.3.3 Mitglieder des Europäischen Parlaments
Auf Nr. 192b RiStBV wird hingewiesen.
3. Weitere Vorschriften über die Immunität
3.1 EGStPO und RiStBV
Bei Verfahren in Immunitätssachen sind neben den in Nr. 1 genannten gesetzlichen Vorschriften auch § 8 des Einführungsgesetzes zur Strafprozessordnung (EGStPO) sowie die Nrn. 191, 192, 192a, 192b und 298 RiStBV zu beachten.
3.2 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages und des Bayerischen Landtags
¹In Verfahren gegen Mitglieder des Deutschen Bundestages ist ferner die Anlage 6 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT) zu beachten, in der die „Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten und in Fällen der Genehmigung gemäß § 50 Abs. 3 StPO und § 382 Abs. 3 ZPO sowie bei Ermächtigungen gemäß § 90b Abs. 2, § 194 Abs. 4 StGB“ (im Folgenden: Anlage 6 der GO-BT-Grundsätze) sowie der „Beschluss des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages“ (im Folgenden: Anlage 6 des GO-BT-Beschlusses) geregelt sind. ²Die Grundsätze sind in
⁴In Verfahren gegen Mitglieder des Bayerischen Landtags ist die Anlage 3 zur Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag (BayLTGeschO), in der die vereinfachte Handhabung des Immunitätsrechts geregelt ist, zu beachten. ⁵Diese Anlage ist in
3.3 Immunitätsbekanntmachung
Ergänzend gelten die Vorschriften dieser Bekanntmachung.
4. Zulässige Maßnahmen trotz Immunität (insbesondere unaufschiebbare Maßnahmen, Verfahrenseinleitungen zum Zwecke der Einstellung und Verfahren gegen andere Personen)
– Zu Nr. 191 Abs. 3, 4 RiStBV –
4.1 Einstellung im Sinn von Nr. 191 Abs. 3 Buchst. b RiStBV
4.1.1 Einstellung nach §§ 153 ff. StPO
¹Einstellung im Sinn von Nr. 191 Abs. 3 Buchst. b RiStBV ist auch die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens nach den §§ 153 ff. StPO. ²Nimmt ein Mitglied einer gesetzgebenden Körperschaft Stellung, kann dies bei der Entscheidung über die Einstellung verwertet werden.
4.1.2 Einstellung ohne Beweiserhebung
Bevor ein Ermittlungsverfahren zum Zwecke der Einstellung ohne Beweiserhebung eingeleitet, insbesondere vom Allgemeinen Register in das Js-Register umgetragen wird, ist zu prüfen, ob nicht schon die Ablehnung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens in Betracht kommt (§ 152 Abs. 2 StPO im AR-Vorgang).
4.1.3 Berichtspflicht
Auf die Berichtspflicht nach Nr. 9.6 wird hingewiesen.
4.2 Klageerzwingungsverfahren, Belehrung
Der Anzeigeerstatter ist auch dann nach § 171 Satz 2 bzw. § 172 Abs. 2 Satz 2 StPO zu belehren, wenn er ein Mitglied einer gesetzgebenden Körperschaft angezeigt hat.
4.3 Privatklagesachen
¹Gemäß Nr. 192 Abs. 4 RiStBV hat der Staatsanwalt in Privatklagesachen die Genehmigung der gesetzgebenden Körperschaft nur herbeizuführen, wenn er die Verfolgung übernehmen will (§§ 377, 376 StPO, siehe auch Nr. 5.3.2). ²Eine Verweisung auf den Privatklageweg ist daher auch ohne Genehmigung zulässig.
4.4 Unzulässige Maßnahmen
¹Alle nicht in Nr. 191 Abs. 3, 4 RiStBV und unter den Nrn. 4.1 bis 4.3 genannten strafverfolgenden Maßnahmen tatsächlicher und rechtlicher Art gegen Abgeordnete sind während der Dauer der Immunität unzulässig.
²Unzulässig ist namentlich
– die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (Eintragung in das Js-Register),
– die Vernehmung von Zeugen, die Erholung von Auskünften und die Beiziehung von Akten zum Zweck der Ermittlung,
– die Vernehmung von Abgeordneten als Beschuldigte oder zu informatorischen Zwecken, sofern es sich nicht lediglich um den Fall von Nr. 191 Abs. 3 Buchst. c bzw. Nr. 192a Abs. 5 Satz 2 RiStBV handelt,
– die Erholung einer Auskunft aus dem Bundeszentralregister,
– der Antrag, die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen (§ 111a StPO),
– die Sicherstellung und Beschlagnahme des Führerscheins; unabhängig davon darf bei Verkehrsunfällen, an denen ein Abgeordneter beteiligt ist, gemäß Nr. 191 Abs. 3 Buchst. g RiStBV die Vorlage des Führerscheins und Fahrzeugscheins verlangt werden.
5. Allgemeine Genehmigung zur Durchführung von Ermittlungsverfahren (sog. vereinfachtes Verfahren)
– Zu Nr. 192a RiStBV –
5.1 Umfang der allgemeinen Genehmigung
5.1.1 Allgemeines
Der Umfang der allgemeinen Genehmigung ergibt sich aus Nr. 192a Abs. 1, 2 RiStBV und den Beschlüssen der gesetzgebenden Körperschaften (Anlage
5.1.2 Durchsuchung und Beschlagnahme
¹Nach Auffassung des Deutschen Bundestages gilt die allgemeine Genehmigung (
²Nach Nr. 1 Buchst. b der Anlage 3 zur BayLTGeschO (
5.1.3 Vollstreckung von Freiheitsstrafen
¹Die allgemeine Genehmigung erstreckt sich namentlich nicht auf die Vollstreckung von Freiheitsstrafen. ²In Verfahren gegen ein Mitglied des Deutschen Bundestages ist ferner Abschnitt A Nr. 6 Abs. 2, Nr. 7 bis 10 und Nr. 14 der Anlage 6 der GO-BT-Grundsätze (
5.1.4 Erhebung der öffentlichen Klage
¹Ist die Erhebung der öffentlichen Klage beabsichtigt, muss hierzu eine Genehmigung der gesetzgebenden Körperschaft nach Nr. 6 eingeholt werden.
²Hiervon kann nur abgesehen werden, wenn ausnahmsweise auch insoweit eine allgemeine Genehmigung vorliegt (zum Beispiel gemäß Nr. 1 Buchst. c der Anlage 3 zur BayLTGeschO für einen Strafbefehlsantrag wegen eines Straßenverkehrsdelikts bei Einverständnis des Beschuldigten).
5.2 Verfahren / Mitteilung nach Nr. 192a Abs. 3 RiStBV an die Präsidenten der gesetzgebenden Körperschaften
5.2.1 Mitteilungspflicht und Wartefrist
¹Nach Nr. 1 der Anlage 6 des GO-BT-Beschlusses (siehe
⁴Nach Nr. 3 der Anlage 3 zur BayLTGeschO (
5.2.2 Inhalt der Mitteilung
¹In der Mitteilung an die Präsidenten der gesetzgebenden Körperschaften ist über Nr. 192a Abs. 3 RiStBV hinaus auch kurz darauf einzugehen, warum die Einstellung des Verfahrens derzeit nicht in Betracht kommt, falls sich diese Frage aufdrängt. ²Die Mitteilung ist so zu fassen, dass nicht der Eindruck entsteht, das Mitglied der gesetzgebenden Körperschaft sei schon einer Straftat überführt. ³Bei Privatklagedelikten (§ 374 StPO), die die Staatsanwaltschaft verfolgen will, ist ausdrücklich zu erklären, dass ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nach gegenwärtigem Erkenntnisstand bejaht wird (§ 376 StPO). ⁴Im Übrigen wird auf die Nrn. 8 und 9 hingewiesen.
5.2.3 Aktenführung
¹Eine Abschrift der Mitteilung an die Präsidentin oder den Präsidenten der gesetzgebenden Körperschaft ist zur Akte zu nehmen. ²Ebenso zur Akte zu nehmen ist der Nachweis über den Zugang der Mitteilung bei der gesetzgebenden Körperschaft.
5.2.4 Ausweitung des Ermittlungsverfahrens auf neue Taten
Vor Ausweitung des Ermittlungsverfahrens auf neue Taten im prozessualen Sinn ist erneut nach Nr. 1 der Anlage 6 des GO-BT-Beschlusses (
5.2.5 Durchsuchung und Beschlagnahme
¹Eine Durchsuchung und Beschlagnahme darf frühestens 48 Stunden nach Zugang der Mitteilung bei der Präsidentin oder dem Präsidenten des Bayerischen Landtags über die beabsichtigte Einleitung eines Ermittlungsverfahrens im Sinne von Nr. 3 der Anlage 3 zur BayLTGeschO beantragt und angeordnet werden.
²Dementsprechend kann auch die Mitteilung über den beabsichtigten Vollzug einer angeordneten Durchsuchung oder Beschlagnahme im Sinne von Nr. 3 in Verbindung mit Nr. 1 Buchst. b der Anlage 3 zur BayLTGeschO (siehe
³Im Fall von Anschlussdurchsuchungen ist erneut nach Nr. 3 in Verbindung mit Nr. 1 Buchst. b der Anlage 3 zur BayLTGeschO zu verfahren, insbesondere ist eine erneute Mitteilung an die Präsidentin oder den Präsidenten des Bayerischen Landtags erforderlich.
5.3 Bericht vor Absendung der Mitteilung
¹Vor Absendung der Mitteilung an die gesetzgebenden Körperschaften ist zu berichten (Absichtsbericht). ²Dem Bericht ist ein Entwurf der Mitteilung beizufügen.
5.4 Verfahrenshindernis, Ruhen der Verjährung und Wiedervorlage der Akten
¹Erklärt die Präsidentin oder der Präsident des Bayerischen Landtags vor Ablauf der 48-Stunden-Frist, dass die Angelegenheit dem Landtag zur Entscheidung vorgelegt wird, darf das Verfahren nicht eingeleitet bzw. die beabsichtige Maßnahme nach Nr. 1 Satz 2 Buchst. b und c der Anlage 3 zur BayLTGeschO nicht durchgeführt werden. ²Genehmigt der Landtag die Verfahrenseinleitung nicht, besteht ein Verfahrenshindernis bis zum Verlust der Mitgliedschaft im Landtag oder bis zur Aufhebung der Immunität durch den Landtag. ³Bis dahin ruht gemäß § 78b Abs. 1 Nr. 2 StGB die Verjährung. ⁴Das Ruhen der Verjährung beginnt gemäß § 78b Abs. 2 StGB erst mit Ablauf des Tages, an dem die Staatsanwaltschaft oder eine Behörde oder ein Beamter des Polizeidienstes von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt oder eine Strafanzeige oder ein Strafantrag gegen den Täter angebracht wird. ⁵Aufgrund des Ruhens der Verjährung ist eine entsprechende Wiedervorlage der Akten, in der Regel für den Zeitpunkt nach Ablauf der Legislaturperiode, und nicht ein Weglegen der Akten zu verfügen.
6. Erholung der Genehmigung
– Zu Nr. 192 RiStBV –
6.1 Formulierung des Antrags auf Genehmigung
¹Soweit ein Fall der allgemeinen Genehmigung (vereinfachte Handhabung) nicht vorliegt, ist die Aufhebung der Immunität bei der gesetzgebenden Körperschaft zu beantragen. ²Der Antrag an den Präsidenten oder die Präsidentin der gesetzgebenden Körperschaft ist wie folgt zu fassen:
„Es wird gebeten, eine Entscheidung (Bezeichnung der gesetzgebenden Körperschaft) darüber herbeizuführen, ob die Genehmigung zur Durchführung der Strafverfolgung erteilt wird.“
³Gegebenenfalls sind die Wörter „zur Durchführung der Strafverfolgung“ durch die Bezeichnung des sonst in Betracht kommenden Verfahrens oder Verfahrensteils im Sinne von Nr. 192 Abs. 1 RiStBV (zum Beispiel „Strafvollstreckung“) zu ersetzen.
6.2 Inhalt des Schreibens
¹Für den Inhalt des Schreibens ist Nr. 192 Abs. 2 RiStBV zu beachten. ²Nr. 5.2.2 gilt entsprechend. ³Im Fall von Nr. 192a Abs. 5 RiStBV muss aus dem Schreiben zu ersehen sein, dass dem Mitglied der gesetzgebenden Körperschaft Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist.
6.3 Erholung durch die Staatsanwaltschaft
Die Genehmigung wird – auch bei gerichtlich anhängigen Verfahren – durch die Staatsanwaltschaft auf dem Dienstweg eingeholt, es sei denn, dass diese am Verfahren nicht beteiligt ist.
6.4 Einhaltung des Dienstwegs
Das Schreiben an den Präsidenten oder die Präsidentin der gesetzgebenden Körperschaft (Nr. 192 Abs. 3 RiStBV) und ein Begleitschreiben sind auf dem Dienstweg vorzulegen.
6.5 Vorführung, Verhaftung und Vollstreckung einer Freiheitsstrafe
¹Die Genehmigung zur zwangsweisen Vorführung oder Verhaftung ist in der Genehmigung zur Durchführung der Strafverfolgung nicht enthalten und muss daher, wenn erforderlich, gesondert beantragt werden. ²Der Antrag kann mit dem Antrag auf Genehmigung der Durchführung der Strafverfolgung verbunden werden; in dem unter Nr. 6.1 wiedergegebenen Antrag sind dann nach den Wörtern „Durchführung der Strafverfolgung“ die Wörter „einschließlich der Befugnis zur Verhaftung“ oder „zur zwangsweisen Vorführung“ einzufügen.
³Dagegen ist der Antrag auf Genehmigung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe grundsätzlich nicht mit dem Antrag auf Genehmigung der Durchführung der Strafverfolgung zu verbinden, sondern erst zu stellen, wenn das Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. ⁴Kann ein Verurteilter nur durch Vorführung oder Verhaftung (§ 457 Abs. 2 StPO) zur Strafvollstreckung gebracht werden, so ist die Genehmigung hierfür gesondert zu beantragen; der Antrag kann mit dem Antrag, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zu genehmigen, verbunden werden.
6.6 Bestimmung des Umfangs der Genehmigung
¹Der Genehmigungsbeschluss gibt in der Regel nicht an, zu welchem Strafverfahren und zu welchen einzelnen Straftaten die Genehmigung zur Strafverfolgung erteilt wird. ²Zur Bestimmung des Umfangs der Genehmigung sind daher der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erteilung der Genehmigung und die Verhandlungen des zuständigen Ausschusses heranzuziehen (BGHSt 15, 274). ³Die Verhandlungen der gesetzgebenden Körperschaften werden bei Rückleitung der Akten mitgeteilt, sofern der Umfang der Genehmigung zweifelhaft sein kann.
6.7 Beifügung zur Akte
¹Eine beglaubigte Abschrift des Antrags der Staatsanwaltschaft, mit dem die Genehmigung der gesetzgebenden Körperschaft erholt worden ist (Nr. 192 Abs. 3 Satz 2 RiStBV), und die Mitteilung über die erteilte Genehmigung sind zu den Akten zu nehmen. ²Das Gleiche gilt, sofern sie übermittelt werden, für die Ausfertigung des Beschlusses, mit dem die Genehmigung erteilt worden ist, und für die beglaubigte Abschrift der Verhandlungen der gesetzgebenden Körperschaft.
6.8 Verfahrenshindernis, Ruhen der Verjährung und Wiedervorlage der Akten
¹Genehmigt die gesetzgebende Körperschaft die Einleitung eines Verfahrens nicht, besteht ein Verfahrenshindernis bis zum Mandatsverlust oder bis zur Aufhebung der Immunität. ²Bis dahin ruht gemäß § 78b Abs. 1 Nr. 2 StGB die Verjährung. ³Das Ruhen der Verjährung beginnt gemäß § 78b Abs. 2 StGB erst mit Ablauf des Tages, an dem die Staatsanwaltschaft oder eine Behörde oder ein Beamter des Polizeidienstes von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt oder eine Strafanzeige oder ein Strafantrag gegen den Täter angebracht wird. ⁴Aufgrund des Ruhens der Verjährung ist eine entsprechende Wiedervorlage, in der Regel für den Zeitpunkt nach Ablauf der Legislaturperiode, und nicht ein Weglegen der Akten zu verfügen.
7. Fortsetzung mitgebrachter Verfahren aus der letzten Wahlperiode
– Zu Nr. 191 Abs. 2 RiStBV –
7.1 Fortsetzung bei allgemeiner Genehmigung
¹Nr. 191 Abs. 2 RiStBV gilt auch, wenn ein Ermittlungsverfahren allgemein genehmigt war (vgl. Nr. 192a RiStBV). ²Die Fortsetzung solcher Ermittlungsverfahren setzt voraus, dass erneut entsprechend Nr. 192a RiStBV verfahren wird.
³In Nr. 2 Buchst. d der Anlage 6 des GO-BT-Beschlusses (siehe
7.2 Prüfung der Fortsetzung
¹Bevor eine erneute Genehmigung erholt oder erneut entsprechend Nr. 192a RiStBV verfahren wird, ist zu prüfen, ob aufgrund von Änderungen in der tatsächlichen oder rechtlichen Situation die Einstellung des Verfahrens nunmehr geboten ist. ²Namentlich ist zu prüfen, ob ein öffentliches bzw. besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung inzwischen entfallen ist.
7.3 Erholung der Entscheidung
Ist von der vorhergehenden gesetzgebenden Körperschaft die Genehmigung nicht erteilt worden, so ist alsbald nach dem Zusammentritt der neuen gesetzgebenden Körperschaft deren Entscheidung über die Genehmigung einzuholen.
7.4 Wiedervorlage der Akten
Zur Überprüfung einer späteren Fortsetzung des Verfahrens ist die Wiedervorlage der Akten zu verfügen.
7.5 Sonderregelung für Mitglieder des Bayerischen Landtags
7.5.1 Für Mitglieder des Bayerischen Landtags gilt:
7.5.1.1
¹Für die Weiterführung eines vor dem Zusammentritt des Landtags eingeleiteten Verfahrens gegen ein neu gewähltes Mitglied oder eines genehmigten Verfahrens gegen ein wiedergewähltes Mitglied bedarf es keiner bzw. keiner neuen Genehmigung des Landtags nach Art. 28 Abs. 1 der Verfassung. ²Das Verfahren ist erst aufzuheben, wenn ein hierauf gerichtetes Verlangen des Landtags nach Art. 28 Abs. 3 der Verfassung vorliegt.
7.5.1.2
Gleiches gilt, wenn ein Verfahren gegen ein wiedergewähltes Mitglied zwischen den Tagungen in zulässiger Weise (vgl. Nr. 2.3.2.2) eingeleitet worden ist.
7.5.1.3
¹Hat bei wiedergewählten Abgeordneten der frühere Landtag die Genehmigung nicht erteilt oder hat dieser darüber nicht mehr entschieden und ist die Einleitung eines Verfahrens zwischen den Tagungen unzulässig (vgl. Nr. 2.3.2.2) oder unterblieben, ist erneut an den Landtag heranzutreten. ²Nr. 7.2 ist zu beachten.
7.5.2 Unterrichtung des Landtags
¹Über Verfahren, die vor Beginn der Tagung des Landtags in zulässiger Weise eingeleitet worden sind, ist alsbald nach Beginn der Tagung dem Staatsministerium der Justiz ein Bericht zur Weiterleitung an den Landtag zu übersenden. ²Das Staatsministerium der Justiz gibt dem Landtag Gelegenheit, von seiner Befugnis nach Art. 28 Abs. 3 der Verfassung (sog. Reklamationsrecht) Gebrauch zu machen. ³Der Bericht soll Gegenstand und Stand des Verfahrens in gedrängter, aus sich heraus verständlicher Form wiedergeben; eine bereits eingereichte Anklageschrift und ergangene gerichtliche Entscheidungen sind gegebenenfalls beizufügen. ⁴Nr. 7.4 gilt entsprechend.
7.5.3 Reklamationsrecht des Landtags
¹Der Landtag hat gemäß Art. 28 Abs. 3 der Verfassung grundsätzlich das Recht zur Reklamation, das heißt das Recht, die Aufhebung jedes Strafverfahrens und jeder Freiheitsbeschränkung gegen eines seiner Mitglieder für die Dauer der Tagung zu verlangen. ²Er kann auf diese Weise den Immunitätsschutz des betreffenden Mitglieds wiederherstellen oder auch erstmals herstellen, so dass ein Verfahrenshindernis eintritt, das bis zum Verlust der Mitgliedschaft im Landtag oder bis zu erneuten Aufhebung der Immunität besteht. ³Bis dahin ruht gemäß § 78b Abs. 1 Nr. 2 StGB die Verjährung. ⁴Das Ruhen der Verjährung beginnt gemäß § 78b Abs. 2 StGB erst mit Ablauf des Tages, an dem die Staatsanwaltschaft oder eine Behörde oder ein Beamter des Polizeidienstes von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt oder eine Strafanzeige oder ein Strafantrag gegen den Täter angebracht wird. ⁵Aufgrund des Ruhens der Verjährung ist eine entsprechende Wiedervorlage, in der Regel für den Zeitpunkt nach Ablauf der Legislaturperiode, und nicht ein Weglegen der Akten zu verfügen. ⁶Die Reklamation des Landtags ist zu den Akten zu nehmen.
8. Aktenführung, Schriftverkehr
8.1 Eintragung von Anzeigen in das Allgemeines Register (AR)
¹Vorgänge, die Anzeigen gegen Mitglieder von gesetzgebenden Körperschaften zum Gegenstand haben, sind im Allgemeinen Register (AR) zu führen und als Anzeigen zu bezeichnen, solange die Immunität der Untersuchung entgegensteht. ²Richtet sich die Anzeige auch gegen eine andere Person, so ist für die Anzeige gegen den Abgeordneten zunächst ein besonderer Vorgang anzulegen, solange es sich nicht um offensichtlich unbegründete oder missbräuchliche Anzeigen handelt.
8.2 Keine Bezeichnung als „Beschuldigter“ oder „Beschuldigte“
In diesen Vorgängen ist der Ausdruck „Beschuldigter“ oder „Beschuldigte“ zur Bezeichnung der Abgeordneten nicht zu verwenden.
8.3 Verfahren bei Amtsanzeigen
Besteht Anlass, von Amts wegen einen Vorgang anzulegen, so ist entsprechend zu verfahren.
8.4 Zeichnung durch Behördenleiter
Schreiben an Abgeordnete zeichnet der Behördenleiter oder sein Vertreter (LOStA-Briefkopf).
8.5 Mitteilungen an die Präsidenten der gesetzgebenden Körperschaften
¹Mitteilungen, die unmittelbar an die Präsidenten der gesetzgebenden Körperschaften gerichtet werden, sind vom Behördenleiter oder seinem Vertreter zu zeichnen und immer in einem verschlossenen Umschlag zu übersenden. ²Dieser ist mit dem Vermerk „Persönlich oder Vertreter im Amt“ zu versehen.
9. Berichts- und Mitteilungspflichten
9.1 Formale Anforderungen
¹Berichte und Mitteilungen sind vom Behördenleiter oder seinem Vertreter zu zeichnen (LOStA-Briefkopf) und im Original zu übermitteln. ²Sie müssen aus sich heraus verständlich und inhaltlich vollständig sein. ³Soweit sie an die gesetzgebende Körperschaft gerichtet sind oder zur Weiterleitung an diese bestimmt sind, dürfen sie keine Namen und personenbezogenen Daten von anderen Beschuldigten enthalten. ⁴In solchen Berichten und Mitteilungen soll zudem die Angabe von Informationen, deren Bekanntwerden den Ermittlungserfolg gefährden könnte, soweit wie möglich vermieden werden.
9.2 Unterrichtungspflicht bei vorläufigen Festnahmen oder Verhaftungen
Das Staatsministerium der Justiz ist auf schnellstem Weg von der vorläufigen Festnahme oder Verhaftung eines Mitglieds einer gesetzgebenden Körperschaft zu unterrichten (Nr. 2.1 der Bekanntmachung über die Berichtspflichten in Strafsachen (BeStra) vom 7. Dezember 2005 (JMBl. 2006 S. 2)).
9.3 Mitteilungspflicht bei vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis
¹Wird die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet, so teilt dies die Staatsanwaltschaft auf dem Dienstweg dem Präsidenten oder der Präsidentin der gesetzgebenden Körperschaft mit. ²Dies gilt nicht, wenn bereits in der Mitteilung nach Nr. 192a Abs. 3 RiStBV darauf hingewiesen worden ist, dass ein Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis beabsichtigt ist.
9.4 Mitteilungspflicht bei Abschluss einer Instanz
Außer den in § 8 Abs. 1 Satz 1 EGStPO genannten Entscheidungen sind auch die die Instanz abschließenden Entscheidungen mitzuteilen; dabei ist anzugeben, ob und von wem ein Rechtsmittel eingelegt worden ist.
9.5 Weitere Berichts- und Mitteilungspflichten
¹Wegen weiterer Berichts- und Mitteilungspflichten wird verwiesen auf Nr. 191 Abs. 5, Nr. 192 Abs. 3, Nr. 192a Abs. 3, Nr. 192b Abs. 5 RiStBV sowie auf Nr. 5.3 und 7.5.2. ²Ferner ist dem Staatsministerium der Justiz gemäß JMS vom 17. Januar 1995, Az.: 1044 - II - 88/95, in sämtlichen Straf- und Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder des Landtags ab 1. März 1995 jeweils vierteljährlich zu berichten, vgl. Nr. 4 der Anlage 3 zur BayLTGeschO (
9.6 Berichtspflicht bei zweifelhafter Rechts- und Sachlage
Beabsichtigt die Staatsanwaltschaft, ein Ermittlungsverfahren nicht einzuleiten (§ 152 Abs. 2 StPO) oder ein Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO oder nach den §§ 153 ff. StPO ohne Beweiserhebung einzustellen und erscheint die Rechts- und Sachlage insoweit nicht völlig zweifelsfrei, so ist vor der abschließenden Verfügung der Staatsanwaltschaft dem Staatsministerium der Justiz unter Einhaltung des Dienstwegs zu berichten (Absichtsbericht) und Gelegenheit zu geben, Bedenken gegen die beabsichtigte Sachbehandlung geltend zu machen.
10. Inkrafttreten, Außerkrafttreten
10.1
Diese Bekanntmachung tritt am 1. Februar 2020 in Kraft.
10.2
Mit Ablauf des 31. Januar 2020 tritt die Bekanntmachung über die Immunität der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften vom 20. Oktober 1999 (JMBl. 1999, S. 178), die zuletzt durch Bekanntmachung vom 28. November 2014 (JMBl. 2015, S. 4) geändert worden ist, außer Kraft.
Prof. Dr. Frank Arloth
Ministerialdirektor
Anlagen
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