Gesetz über Mitwirkungsrechte und das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzorganisationen (TierSchMVG) Vom 12. Mai 2015
§ 1 Zweck des Gesetzes
Zweck des Gesetzes ist, einem nach § 5 anerkannten rechtsfähigen Tierschutzverein oder einer rechtsfähigen Stiftung (anerkannte Tierschutzorganisation) mit der Schaffung verfahrensrechtlicher Normen die Mitwirkung in Verwaltungsverfahren und Überprüfungsmöglichkeiten durch Gerichte zu eröffnen, ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein. Damit soll ein Beitrag zur Verwirklichung des in Artikel 20a
des Grundgesetzes und Artikel 3b
der Verfassung des Landes Baden-Württemberg verankerten Staatsziels Tierschutz geleistet werden.
§ 2 Mitwirkungs- und Informationsrechte
(1) Einer anerkannten Tierschutzorganisation ist von der jeweils zuständigen Behörde rechtzeitig Gelegenheit zur Stellungnahme sowie Einsicht in die tierschutzrelevanten Sachverständigengutachten oder die tierschutzrelevanten fachtechnischen Stellungnahmen zu geben
1.
bei der Vorbereitung von tierschutzrelevanten Rechts- und Verwaltungsvorschriften der für den Tierschutz zuständigen Behörden des Landes,
2.
vor Erteilung von Genehmigungen und Erlaubnissen nach § 4a
Absatz 2 Nummer 2, § 6
Absatz 3 und § 11
Absatz 1 Nummer 2 bis 8 des Tierschutzgesetzes
(TierSchG),
3.
vor Erteilung bau- und immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen für Vorhaben zum Halten von Tieren zu Erwerbszwecken. Bei Vorhaben zum Halten von landwirtschaftlichen Nutztieren gilt dies nur für Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach §§ 3b
bis f des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) in Verbindung mit Nummer 7.1 bis 7.11 der Anlage 1
zum UVPG unterliegen,
4.
nach Erteilung von Genehmigungen nach § 8
Absatz 1 und Erlaubnissen nach § 11
Absatz 1 Nummer 1 TierSchG.
(2) Eine anerkannte Tierschutzorganisation kann über das nach § 4 eingerichtete gemeinsame Büro der anerkannten Tierschutzorganisationen (gemeinsames Büro) bei der zuständigen Behörde beantragen, über den Stand eines bestimmten Verwaltungsverfahrens nach § 16a
TierSchG informiert zu werden. Die Auskunft soll innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags erteilt werden.
(3) § 29
Absatz 1 und 3 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes
(LVwVfG) gilt entsprechend, soweit es sich um Akten handelt, die einen unmittelbaren tierschutzrelevanten Bezug aufweisen.
(4) § 28
Absatz 2 Nummer 1 und 2, Absatz 3 und § 29
Absatz 2 LVwVfG gelten entsprechend. Die anerkannte Tierschutzorganisation kann Einwendungen und Stellungnahmen nur innerhalb von vier Wochen, nachdem ihr Informationen gemäß Absatz 6 bekannt gegeben wurden, gegenüber der zuständigen Behörde erheben.
(5) In anderen Rechtsvorschriften vorgeschriebene Formen der Mitwirkung der anerkannten Tierschutzorganisation bleiben unberührt, sofern diese inhaltsgleich oder weitergehend sind.
(6) Die zuständige Behörde informiert das gemeinsame Büro über die Vorbereitungen nach Absatz 1 Nummer 1, den Beginn der entsprechenden Verwaltungsverfahren nach Absatz 1 Nummer 2 und 3, den Abschluss der Verwaltungsverfahren nach Absatz 1 Nummer 4 und über das Ergebnis der Auskunftsersuchen nach Absatz 2. Mit der Bekanntgabe an das gemeinsame Büro gelten die Informationen zugleich als jeder anerkannten Tierschutzorganisation bekannt gegeben.
§ 3 Rechtsbehelfe von anerkannten Tierschutzorganisationen
(1) Eine anerkannte Tierschutzorganisation kann, ohne die Verletzung eigener Rechte geltend machen zu müssen, Widerspruch und Klage nach § 42
Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung einlegen gegen
1.
Genehmigungen und Erlaubnisse nach § 4
Absatz 3 Satz 3, § 4a
Absatz 2 Nummer 2, § 6
Absatz 3, § 11
Absatz 1 Nummer 2 bis 8 TierSchG,
2.
bau- und immissionsschutzrechtliche Genehmigungen für Vorhaben zum Halten von Tieren zu Erwerbszwecken im Sinne des § 2 Absatz 1 Nummer 3,
3.
Anordnungen oder die Unterlassung von Anordnungen nach § 16a
TierSchG oder einer unmittelbar geltenden Bestimmung eines Rechtsakts der Europäischen Union zum Schutze des Wohlergehens der Tiere,
soweit es sich dabei nicht um Maßnahmen oder Unterlassungen von Bundesbehörden handelt.
(2) Eine anerkannte Tierschutzorganisation muss keine Verletzung in ihren Rechten geltend machen, soweit ihr Klagebegehren auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Genehmigung nach § 8 Absatz 1 oder einer Erlaubnis nach § 11
Absatz 1 Nummer 1 TierSchG gerichtet ist. Absatz 1 und Satz 1 dieses Absatzes gelten nicht, wenn ein dort aufgeführter Verwaltungsakt auf Grund einer Entscheidung in einem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren erlassen oder in einem solchen Verfahren als rechtmäßig bestätigt worden ist.
(3) Rechtsbehelfe nach Absatz 1 und 2 sind nur zulässig, wenn die anerkannte Tierschutzorganisation geltend macht, dass
1.
ein in Absatz 1 Nummer 1 bis 3 oder Absatz 2 genannter Verwaltungsakt oder die Unterlassung eines in Absatz 1 Nummer 3 genannten Verwaltungsaktes gegen Vorschriften des Tierschutzgesetzes, aufgrund des Tierschutzgesetzes erlassene Rechtsvorschriften oder eine unmittelbar geltende Bestimmung eines Rechtsakts der Europäischen Union zum Schutze des Wohlergehens der Tiere verstößt,
2.
sie dadurch in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich berührt wird und
3.
sie zur Mitwirkung nach § 2 Absatz 1 berechtigt war und sie in der Sache eine Stellungnahme fristgerecht abgegeben hat oder sie entgegen § 2 Absatz 1 keine Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, weil das gemeinsame Büro unter Verstoß gegen § 2 Absatz 6 nicht informiert worden war.
(4) Hat die anerkannte Tierschutzorganisation Gelegenheit zur Stellungnahme in den Fällen des § 2 Absatz 1 Nummer 2 oder 3 gehabt, ist sie im Verfahren über den Rechtsbehelf mit den Einwendungen ausgeschlossen, die sie im Verfahren nach § 2 Absatz 1 Nummer 2 oder 3 nicht oder nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können.
(5) Ein in Absatz 1 genannter Verwaltungsakt ist dem gemeinsamen Büro als Bevollmächtigtem der anerkannten Tierschutzorganisationen bekannt zu geben. § 41
LVwVfG gilt entsprechend. Die Bekanntgabe gegenüber dem gemeinsamen Büro gilt als Bekanntgabe gegenüber jeder anerkannten Tierschutzorganisation. Die Bekanntgabe eines in Absatz 1 genannten Verwaltungsaktes gilt auch für den Fall, dass der Verwaltungsakt weder öffentlich noch dem gemeinsamen Büro bekannt gegeben wurde, als zu dem Zeitpunkt erfolgt, in dem das gemeinsame Büro von dem Verwaltungsakt tatsächlich Kenntnis erlangt hatte oder hätte erlangen können.
§ 4 Gemeinsames Büro der anerkannten Tierschutzorganisationen
(1) Die anerkannten Tierschutzorganisationen richten ein gemeinsames Büro in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts ein. Dabei ist allen anerkannten Tierschutzorganisationen, welche die satzungsmäßigen Ziele des gemeinsamen Büros unterstützen, der Eintritt als Mitglied, das in der Mitgliederversammlung volles Stimmrecht hat, zu ermöglichen. Eine Gewichtung des Stimmrechts im Verhältnis zu den Mitgliederzahlen der einzelnen Tierschutzorganisationen ist möglich. Dem für den Tierschutz zuständigen Ministerium ist die Satzung der juristischen Person des Privatrechts zur Genehmigung vorzulegen.
(2) Das gemeinsame Büro kann Mitglieder ausschließen, die nach Abmahnung wiederholt oder schwerwiegend gegen die satzungsmäßigen Ziele des gemeinsamen Büros verstoßen oder das gemeinsame Büro nicht aktiv unterstützen. Vor einem Ausschluss ist das für den Tierschutz zuständige Ministerium zu unterrichten.
(3) Das gemeinsame Büro nimmt im Auftrag der Mitglieder die nach § 2 Absatz 6 Satz 1 bekannt zu gebenden Informationen und die nach § 3 Absatz 5 Satz 1 bekannt zu gebenden Verwaltungsakte entgegen und leitet diese unverzüglich an die Mitglieder weiter. Das gemeinsame Büro achtet darauf, dass bezüglich der in Satz 1 genannten Informationen und Verwaltungsakte Vertraulichkeit sichergestellt ist und dass diese ausschließlich an die Mitglieder des gemeinsamen Büros weiter gegeben werden. Das gemeinsame Büro bündelt die Stellungnahmen der Mitglieder und leitet diese fristgerecht an die zuständige Behörde weiter. Eine materielle Prüfungskompetenz kommt dem gemeinsamen Büro dabei nicht zu. Das gemeinsame Büro nimmt keine hoheitlichen Aufgaben wahr.
(4) Die Mitglieder können im Rahmen der Satzung regeln, dass dem gemeinsamen Büro zusätzliche Aufgaben übertragen werden können.
§ 5 Anerkennung von Tierschutzvereinen oder Stiftungen
(1) Die Anerkennung von eingetragenen rechtsfähigen Tierschutzvereinen oder rechtsfähigen Stiftungen wird auf Antrag über das jeweils zuständige Regierungspräsidium durch das für den Tierschutz zuständige Ministerium erteilt. Sie ist zu erteilen, wenn der Verein oder die Stiftung
1.
nach seiner Satzung ideell und nicht nur vorübergehend vorwiegend die Ziele des Tierschutzes fördert,
2.
seinen Sitz in Baden-Württemberg hat und sich der satzungsgemäße Tätigkeitsbereich auf das gesamte Gebiet des Landes erstreckt,
3.
im Zeitpunkt der Anerkennung mindestens fünf Jahre besteht und in diesem Zeitraum im Sinne der Nummer 1 tätig gewesen ist,
4.
die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung bietet; dabei sind Art und Umfang seiner bisherigen Tätigkeit, der Mitgliederkreis sowie die Leistungsfähigkeit des Vereins zu berücksichtigen,
5.
wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke nach § 5
Absatz 1 Nummer 9 des Körperschaftsteuergesetzes von der Körperschaftsteuer befreit ist,
6.
jedem den Eintritt als Mitglied, das in der Mitgliederversammlung volles Stimmrecht hat, ermöglicht, der die Ziele des Vereins unterstützt und
7.
sich verpflichtet, die datenschutzrechtlichen Bestimmungen einzuhalten und die aufgrund dieses Gesetzes erhaltenen Daten vertraulich zu behandeln. Die Weitergabe von Unterlagen, insbesondere von personenbezogenen Daten, an Mitglieder der anerkannten Tierschutzorganisationen oder von ihr beauftragte Sachverständige ist ausschließlich zur Verfolgung des in § 1 Satz 1 festgelegten Zwecks zulässig und dabei zugleich auf das notwendige Maß zu beschränken.
(2) Die Anerkennung gilt für das Gebiet des Landes. Sie wird durch eine Veröffentlichung auf der Internetseite des für den Tierschutz zuständigen Ministeriums bekannt gemacht.
(3) Die Anerkennung kann auch nachträglich mit der Auflage verbunden werden, dass Satzungsänderungen mitzuteilen sind. Die Anerkennung ist zurückzunehmen, wenn die Voraussetzungen für ihre Erteilung nicht vorlagen und dieser Mangel auch nach Aufforderung nicht beseitigt wird. Die Anerkennung ist zu widerrufen, wenn eine Voraussetzung für ihre Erteilung nachträglich weggefallen ist oder wiederholt schwerwiegend gegen Absatz 1 Nummer 7 verstoßen wird. Das gleiche gilt, wenn keine Mitgliedschaft im gemeinsamen Büro nach § 4 besteht oder nicht mehr besteht. Mit der unanfechtbaren Aufhebung der Anerkennung entfallen die Rechte nach §§ 2 und 3.
§ 6 Ermächtigungen
Das für den Tierschutz zuständige Ministerium wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung
1.
die Ausgestaltung oder den Ablauf des Verfahrens nach § 2 Absatz 6 und § 3 Absatz 5, insbesondere zu Form und Inhalt der zu übermittelnden Daten sowie Art und Weise einer elektronischen Datenübermittlung an das gemeinsame Büro,
2.
Kriterien, die eine Gleichbehandlung aller anerkannten Tierschutzorganisationen innerhalb des gemeinsamen Büros nach § 4 gewährleisten,
3.
nähere Kriterien und deren Nachweise für eine Anerkennung nach § 5 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 bis 4, insbesondere
a)
Kriterien, die eine tatsächliche landesweite Tätigkeit im Sinne von § 5 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 durch Festlegung von Mindestmitgliederzahlen der im Sinne von § 5 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 voll stimmberechtigten Mitglieder der Tierschutzorganisation vermuten lassen oder durch Nachweise von Aktivitäten im Land, oder
b)
Kriterien, die die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung nach § 5 Absatz 1 Satz 2 Nummer 4 konkretisieren, unter anderem durch Festlegung der nachzuweisenden beruflichen Qualifikation zur Erfüllung und Erreichung der satzungsgemäßen Ziele der Tierschutzorganisation zumindest von Teilen der Mitglieder oder Mitarbeiter und deren organisatorische Einbindung in die Aufgabenerfüllung der Tierschutzorganisation sowie das Vorhandensein einer internen Verwaltungs- und Organisationsstruktur, bei Stiftungen von pluralistisch besetzten Verwaltungsräten,
zu regeln.
§ 7 Übergangsvorschrift
Dieses Gesetz gilt nicht für Verfahren nach § 2 Absatz 1 Nummer 2 und 3, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes durch einen Antrag eingeleitet und für die alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt wurden, sowie für vor Inkrafttreten dieses Gesetzes erteilte Genehmigungen und Erlaubnisse nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 und 2.
§ 8 Inkrafttreten, Evaluierung und Bericht
(1) Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.
(2) Die Auswirkungen dieses Gesetzes werden überprüft. Die Landesregierung berichtet hierzu drei Jahre nach seinem Inkrafttreten dem Landtag.
Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt und ist zu verkünden.
STUTTGART, den 12. Mai 2015
Die Regierung des Landes Baden-Württemberg: |
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KRETSCHMANN |
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KREBS |
FRIEDRICH |
UNTERSTELLER |
STOCH |
BONDE |
STICKELBERGER |
BAUER |
ALTPETER |
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ERLER |
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