Verordnung des Kultministeriums über die Schulen der niederen evangelisch-theologischen Seminare (Seminar-Verordnung) Vom 5. März 1928
§ 1
(1) Die Schulen der niederen ev.-theologischen Seminare sind öffentliche Schulen, die den vier oberen Klaffen der staatlich anerkannten Gymnasien entsprechen. Sie sind berechtigt, die Reifeprüfung abzuhalten.
(2) Zum Besuch der Schulen sind die Zöglinge der Seminarheime berechtigt und verpflichtet. Der Vorstand der Ev. Seminarstiftung kann mit Genehmigung der Staatsbehörde aus besonderen Gründen sonstige Schüler zum Besuch der Schulen oder einzelner Unterrichtsfächer zulassen; die Zulassung ist widerruflich.
§ 2
(1) Die Seminarschulen werden von der staatlichen Unterrichtsverwaltung beaufsichtigt und geleitet. Die Mitwirkung des Stiftungsvorstands ist in § 3 geregelt.
(2) Für die Beaufsichtigung und Leitung des Religionsunterrichts gelten die Bestimmungen über den Religionsunterricht der höheren Schulen (§ 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 1 und Abs. 2 B Nr. 1, 2 und 5 der Verfügung des Kultministeriums über den Religionsunterricht an den höheren Schulen vom 1. April 1922, Amtsbl. S. 39).
(3) Die für die Seminarschulen bestimmten Gebäude und Grundstücke sowie die Schulgeräte und Lehrmittel mit Einschluß der Lehrer- und Schülerbüchereien werden von dem Vorstand der Ev. Seminarstiftung unter der Aufsicht des Oberkirchenrats vermaltet. Soweit die Vereinbarung über die Seminare vom 5. März 1928 nichts anderes bestimmt, gelten für die Aufsicht der Staatsbehörde über diese Verwaltung die Grundsätze, nach denen die Unterrichtsverwaltung die Gebäude und die sonstige Ausstattung der höheren Schulen beaufsichtigt, deren fachliche Kosten von den Gemeinden getragen werden.
§ 3
(1) Der Vorstand der Ev. Seminarstiftung übt unter der Aufsicht der Staatsbehörde folgende Befugnisse aus:
1.
Er vermittelt den schriftlichen Verkehr zwischen der Staatsbehörde und den Schulvorständen.
2.
Er erläßt mit Genehmigung der Staatsbehörde die Schülervorschriften, genehmigt die Stundenpläne, setzt mit Genehmigung der Staatsbehörde die Ferien fest und regelt die Lernmittelbeiträge sowie die Beiträge der Schüler für die Schülerbüchereien.
Bevor die Staatsbehörde den Lehrplan festsetzt und die Verteilung der Lehraufträge und die Einführung von Lehr- und Lernmitteln genehmigt, gibt sie dem Stiftungsvorstand Gelegenheit zur Äußerung.
3.
Der Stiftungsvorstand entscheidet endgültig über Beschwerden gegen Schulstrafverfügungen der Schulvorstände und Lehrerkonvente.
4.
Die Mitglieder des Stiftungsvorstands sind berechtigt, der Besichtigung des Unterrichts durch die Staatsbehörde anzuwohnen.
5.
Die Mitglieder des Stiftungsvorstands können in die bei der Reifeprüfung gefertigten schriftlichen Arbeiten der Schüler Einsicht nehmen und dem mündlichen Teil der Prüfung anwohnen.
(2) Für die Mitwirkung des Stiftungsvorstands in Angelegenheiten der Seminarschulen gelten die §§ 3 und 4 der Stiftungsverfassung.
§ 4
(1) Die Vorstände und Lehrer der Seminarschulen sind Staatsbeamte.
(2) Die Vorstände und planmäßigen Lehrer genießen mit den Abweichungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 die Rechte der auf Lebenszeit angestellten Beamten.
(3) Den Lehrern steht die Hälfte der Repetenten gleich. Die kirchlichen Repetenten erhalten ihre Lehraufträge von der Staatsbehörde.
§ 5
(1) Vor der Ernennung eines Schulvorstands versichert sich die Staatsbehörde, daß der Kirchenpräsident bereit ist, ihn zum Leiter des Seminarheims zu ernennen. Mit der Enthebung von dem kirchlichen Amt endigt das Amt des Schulvorstands.
(2) Die Staatsbehörde holt vor der Ernennung der Schulvorstände und der planmäßigen Religionslehrer Vorschläge des Stiftungsvorstands ein und gibt dem Stiftungsvorstand vor der Ernennung der übrigen planmäßigen Lehrer Gelegenheit, sich zu den beabsichtigten Ernennungsvorschlägen zu äußern.
(3) Zu planmäßigen Religionslehrern werden nur solche Bewerber ernannt, die der Oberkirchenrat für geeignet hält, die Seelsorge an den Seminarzöglingen zu übernehmen.
(4) Zur Bekleidung der hauptamtlichen Lehrstellen sind nur Angehörige der evangelischen Landeskirche befähigt.
(5) Die Lehrer sind verpflichtet, neben dem Lehramt die Dienstleistungen für das Seminarheim zu übernehmen, die der Vorstand der Ev. Seminarstiftung mit Genehmigung der Staatsbehörde festsetzt.
§ 6
(1) Die Bezüge der Vorstände und Lehrer der Seminarschulen werden von der Staatshauptkasse gezahlt. Der Wert der Dienstwohnung oder Mietzinsentschädigung wird angerechnet, soweit nicht die Vereinbarung über die Seminare etwas anderes bestimmt.
(2) Die Höhe der Staatsleistung für die Vorstände und Lehrer der Schulen bleibt der Verabschiedung des Landtags vorbehalten.
(3) Die Leistungen des Staats für die sachlichen Kosten der Seminarschulen sind in der Vereinbarung über die Seminare geordnet.
§ 7
(1) Die Seminarzöglinge, die freie Unterkunft und Verpflegung genießen, sind von der Entrichtung des Schulgelds für den Unterricht in den Pflichtfächern befreit. Die übrigen Schüler zahlen für diesen Unterricht nach den näheren Bestimmungen der Staatsbehörde das Schulgelb an die Staatskasse, das in der staatlichen Schulgelbordnung für die entsprechenden Klassen der Gymnasien festgesetzt ist. Das Schulgeld für freiwilligen Unterricht regelt die Staatsbehörde.
(2) Von dem Ertrag der Schulgelder für den Unterricht in den Pflichtfächern wird der Ev. Seminarstiftung die Summe von 500 RM jährlich zu Beiträgen an bedürftige Seminarzöglinge für die in den Seminarschulen benötigten Lernmittel überlassen. Bei einer Änderung des Schulgeldsatzes ändert sich die Summe im gleichen Verhältnis.
§ 8
(1) Die Verordnung tritt gleichzeitig mit der in § 2 genannten Vereinbarung in Kraft.
(2) Die Rechte der vorher ernannten Schulvorstände werden durch die Verordnung nicht berührt.
(3) Die zuständige Staatsbehörde wird von dem Kultministerium bestimmt.
(4) Auf den Musikunterricht der Seminare findet die Verordnung feine Anwendung.
Stuttgart, den 5. März 1928.
Bazille.
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