Gewahrsamsvollzugsverordnung – GewvollzVO
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Verordnung über den Vollzug der Freiheitsentziehung im Polizeigewahrsam des Landes Nordrhein-Westfalen (Gewahrsamsvollzugsverordnung – GewvollzVO)

Verordnung über den Vollzug der Freiheitsentziehung im Polizeigewahrsam des Landes Nordrhein-Westfalen (Gewahrsamsvollzugsverordnung – GewvollzVO)
Vom 19. März 2021 (Fn 1)
Auf Grund des § 37 Absatz 4 Satz 2 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-West-falen in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Juli 2003 (GV. NRW. S. 441), der durch Artikel 1 des Gesetzes vom 19. Dezember 2019 (GV. NRW. S. 995) eingefügt worden ist, verordnet das Ministerium des Innern:
Inhaltsübersicht
Abschnitt 1 Allgemeines
§ 1 Geltungsbereich
§ 2 Befugnisse der Bediensteten im Sinne des § 37 Absatz 4 Satz 1 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen
§ 3 Verhalten gegenüber in Gewahrsam genommenen Personen
§ 4 Dokumentationspflichten
Abschnitt 2 Aufnahme
§ 5 Einlieferung
§ 6 Gewahrsamsfähigkeit
§ 7 Durchsuchung, Sicherstellung
Abschnitt 3 Unterbringung
§ 8 Arten der Unterbringung
§ 9 Verpflegung
§ 10 Aufenthalt im Freien
§ 11 Zuwendungen
§ 12 Druckschriften, Hörfunk und Fernsehen
Abschnitt 4 Außenkontakte
§ 13 Postverkehr
§ 14 Besuche
§ 15 Kontakt mit Verteidigerinnen und Verteidigern
Abschnitt 5 Sicherheit und Ordnung im Gewahrsam
§ 16 Kontrollen
§ 17 Sicherungsmaßnahmen
§ 18 Schadensersatz
§ 19 Schwangerschaften, Krankheits- und Todesfälle
Abschnitt 6 Entlassung
§ 20 Entlassung, Übergabe an eine andere Dienststelle oder Behörde
§ 21 Rückgabe sichergestellter Gegenstände
Abschnitt 7 Schlussbestimmungen
§ 22 Inkrafttreten
Abschnitt 1 Allgemeines

§ 1 Geltungsbereich

(1) Diese Verordnung regelt den Vollzug der Freiheitsentziehung im Polizeigewahrsam. Darüber hinaus wird der Umfang der polizeilichen Befugnisse für Bedienstete gemäß § 2 geregelt.
(2) Kinder und Jugendliche dürfen mit Ausnahme des Satzes 3 nicht in einem Polizeigewahrsam untergebracht werden. Können sie nicht sofort einer erziehungsberechtigten Person oder dem Jugendamt zugeführt werden, so sind sie außerhalb eines Polizeigewahrsams zu beaufsichtigen. Dies gilt nicht für Jugendliche, die aus strafprozessualen Gründen in Gewahrsam genommen werden oder die den Dienstbetrieb erheblich stören.

§ 2 Befugnisse der Bediensteten im Sinne des § 37 Absatz 4 Satz 1 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen

(1) Die Bediensteten der Polizei, die nicht Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte sind (Bedienstete im Sinne des § 37 Absatz 4 Satz 1 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25. Juli 2003 (GV. NRW. S. 441) in der jeweils geltenden Fassung, im Folgenden: PolG NRW), haben die folgenden Befugnisse nach dem PolG NRW, soweit dies für ihre Aufgabenerfüllung in polizeilichen Gewahrsamseinrichtungen erforderlich ist:
1. Allgemeine Datenerhebung und Befragung gemäß § 9 PolG NRW,
2. Identitätsfeststellung gemäß § 12 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 Satz 1 und 2 PolG NRW,
3. Durchsuchung von Sachen gemäß § 40 PolG NRW und
4. Sicherstellung gemäß § 43 PolG NRW.
(2) Soweit es zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist, können die Bediensteten im Sinne des § 37 Absatz 4 Satz 1 PolG NRW erhobene Daten nach den §§ 22 bis 25 PolG NRW weiterverarbeiten.
(3) Bedienstete im Sinne des § 37 Absatz 4 Satz 1 PolG NRW dürfen mit Aufgaben in polizeilichen Gewahrsamseinrichtungen nur betraut werden, wenn sie zur Aufgabenwahrnehmung persönlich und fachlich geeignet sind. Als Bestandteil eines geeigneten Einstellungs- oder Auswahlverfahrens sind Bewerberinnen und Bewerber auf der Grundlage des § 18 Absatz 4 und noch nicht in einer polizeilichen Gewahrsamseinrichtung Beschäftigte auf der Grundlage des § 18 Absatz 1 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 2018 (GV. NRW. S. 244, ber. S. 278 und S. 404) in der jeweils geltenden Fassung in Vorgangsverwaltungs- und Informationssystemen der Polizei und der Verfassungsschutzbehörden zu überprüfen. Sie haben vor Ausübung der Befugnisse an einer Schulung über die rechtlichen und praktischen Grundlagen teilzunehmen.

§ 3 Verhalten gegenüber in Gewahrsam genommenen Personen

(1) Auf Jugendliche, Kranke, Menschen mit Behinderung und schutzbedürftige Personen ist besondere Rücksicht zu nehmen.
(2) Der Umgang mit der in Gewahrsam genommenen Person ist auf das dienstlich notwendige Maß zu beschränken.
(3) Die Grundsätze der Eigensicherung sind zu beachten.

§ 4 Dokumentationspflichten

(1) Über in Gewahrsam genommene Personen ist ein Gewahrsamsnachweis zu Dokumentationszwecken zu führen. Darin sind alle Daten und Vermerke, die zur Durchführung des Gewahrsams erforderlich sind, für die Zeit des Gewahrsams einer Person von der Aufnahme bis zur Entlassung, Vorführung oder dem anderweitigen Verbleib einzutragen.
(2) Die weitere Speicherung der Daten erfolgt gemäß § 32 PolG NRW. Die danach verbleibenden Nachweise sind zwei Jahre aufzubewahren. Die Frist beginnt am Ende des Jahres, in dem der Gewahrsam geendet hat.
Abschnitt 2 Aufnahme

§ 5 Einlieferung

(1) In Gewahrsam genommenen Personen ist ein Merkblatt mit der Belehrung über ihre Rechte und Pflichten in einer verständlichen Sprache auszuhändigen.
(2) In Gewahrsam genommenen Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit ist Gelegenheit zu geben, die konsularische Vertretung ihres Heimatstaates zu unterrichten.

§ 6 Gewahrsamsfähigkeit

(1) In Gewahrsam darf nur genommen werden, wer gewahrsamsfähig ist. Nicht gewahrsamsfähig ist, wer bewusstlos, orientierungslos, nicht ansprechbar ist, Anzeichen eines Entzugs nach Gebrauch suchtinduzierender Substanzen zeigt oder aus anderen Gründen einer sofortigen ärztlichen Versorgung bedarf.
(2) Die Gewahrsamsfähigkeit ist in Zweifelsfällen von der Polizei unverzüglich ärztlich feststellen zu lassen. Zweifel sind insbesondere bei Personen angebracht, die äußere, offensichtlich nicht unerhebliche Verletzungen haben, stark unter        Alkohol-, Medikamenten- beziehungsweise Drogeneinfluss stehen, erhebliche Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenentzugserscheinungen wie Verwirrtheitszustände oder Halluzinationen zeigen, Äußerungen über Schmerzen, krankhafte Zustände und Medikamentenbedarf machen oder Hinweise auf Kopfverletzungen bieten.
(3) Die Untersuchung der in Gewahrsam genommenen Personen soll nach Möglichkeit in einem ärztlichen Untersuchungsraum erfolgen. Soweit ein solcher nicht verfügbar ist, darf die Untersuchung in der Gewahrsamszelle erfolgen. Ist eine medikamentöse Versorgung der in Gewahrsam genommenen Personen erforderlich, ist diese ausschließlich nach ärztlicher Verordnung durch die Polizei sicherzustellen. Dies gilt auch für mitgeführte Medikamente. Medizinische Daten der in Gewahrsam genommenen Personen sollen nur zugänglich gemacht werden soweit dies zum Zweck des Gewahrsams erforderlich ist.
(4) Werden in Gewahrsam genommene Personen in einem Krankenhaus untergebracht, sind sie erforderlichenfalls zu bewachen.

§ 7 Durchsuchung, Sicherstellung

(1) In Gewahrsam genommene Personen sind bei ihrer Einlieferung gemäß § 39 PolG NRW zu durchsuchen. Dies gilt auch bei der Wiedereinlieferung nach vorübergehender Abwesenheit vom Gewahrsam. Eine mit einer vollständigen Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung ist zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person Gegenstände im Sinne von § 43 PolG NRW verborgen hält oder bei sich trägt und diese Gegenstände ansonsten unentdeckt blieben.
(2) Durchsuchungen sollen in einem geschlossenen Raum durchgeführt werden. Das Schamgefühl ist bei der Durchsuchung zu schonen.
(3) Ist eine Durchsuchung nach § 39 PolG NRW durch eine Person gleichen Geschlechts nicht möglich, ist die Durchsuchung auf Wunsch der betroffenen Person durch eine Person bestimmten anderen Geschlechts übertragen oder eine ärztliche Durchsuchung zu veranlassen.
(4) Im Zuge der Ingewahrsamnahme einer Person sind Sicherstellungen auf der Grundlage des § 43 PolG NRW zu prüfen.
(5) In Gewahrsam genommene Personen, die Piercings oder vergleichbaren Körperschmuck tragen, sind zur Ablegung aufzufordern. Kommen die in Gewahrsam genommenen Personen der Aufforderung nicht nach, so ist dies zu dokumentieren. Die in Gewahrsam genommenen Personen sind unter unmittelbare Dauerbeobachtung zu stellen, es sei denn, dies ist im Einzelfall nicht erforderlich. Die Gründe sind zu dokumentieren.   
(6) Bargeld und sonstige Wertsachen sowie abgelegte oder entfernte Piercings oder abgelegter oder entfernter Körperschmuck sind in amtliche Verwahrung zu nehmen.
Abschnitt 3 Unterbringung

§ 8 Arten der Unterbringung

(1) In Gewahrsam genommene Personen sind grundsätzlich einzeln unterzubringen.
(2) Wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine in Gewahrsam genommene Person eine Gefahr für sich oder andere darstellt, ist grundsätzlich eine Einzelunterbringung in einer Beobachtungszelle durchzuführen. Der in Gewahrsam genommenen Person soll diese besondere Sicherungsmaßnahme zusammen mit der Anordnung erläutert werden. Bei einer Gefährdung der Sicherheit kann dies auch nachgeholt werden. Die Prüfung und Anwendung der Vorschriften des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten vom 17. Dezember 1999 (GV. NRW. S. 662), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 2. Juli 2019 (GV. NRW. S. 339) geändert worden ist, bleiben davon unberührt. Sollte die Unterbringung in einer Beobachtungszelle im Einzelfall aus Kapazitätsgründen nicht möglich sein, dürfen diese Personen ausnahmsweise in einer Einzelzelle oder in einer leeren Sammelzelle untergebracht werden. Bei der Beobachtung ist das Schamgefühl der in Gewahrsam genommenen Person zu schonen.
(3) In Gewahrsam genommene Personen sind nach § 37 Absatz 3 PolG NRW getrennt nach Geschlechtern, Jugendliche getrennt von Erwachsenen unterzubringen. Bei nahen Familienangehörigen wie Ehegatten, Eltern und Geschwistern sind Ausnahmen zulässig.

§ 9 Verpflegung

In Gewahrsam genommene Personen sind angemessen zu verpflegen. Auf ärztliche Verordnung wird besondere Verpflegung gewährt. In Gewahrsam genommenen Personen ist es zu ermöglichen, Speisevorschriften ihrer Religionsgemeinschaft zu befolgen, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren. Der Konsum von Alkohol und Rauschmitteln ist nicht erlaubt.

§ 10 Aufenthalt im Freien

Sofern Gründe der Sicherheit nicht entgegenstehen, kann in Gewahrsam genommenen Personen ermöglicht werden, sich täglich bis zu 45 Minuten unter Aufsicht im Freien aufzuhalten. In den Fällen, in denen die Dauer des Gewahrsams über zehn Tage hinausgeht, ist den in Gewahrsam genommenen Personen zu ermöglichen, sich täglich bis zu 45 Minuten unter Aufsicht im Freien aufzuhalten, sofern auch hier keine Gründe der Sicherheit entgegenstehen.

§ 11 Zuwendungen

(1) Sachen zum persönlichen Gebrauch oder Verbrauch, die für in Gewahrsam genommene Personen abgegeben werden, dürfen erst nach Durchsicht und nur dann ausgehändigt werden, wenn es mit dem Zweck der Verwahrung oder der Ordnung im Gewahrsam vereinbar ist. Die Empfängerin oder der Empfänger muss mit einer Überprüfung der Zuwendungen einverstanden sein. Andernfalls sind die Gegenstände zurückzuweisen. Sofern die Empfängerin oder der Empfänger im Fall des Satzes 2 nicht befragt werden kann, ist an seiner Stelle die Absenderin oder der Absender zu befragen.
(2) Geldbeträge, die für in Gewahrsam genommene Personen abgegeben werden, sind anzunehmen, aufzubewahren und in der Einlieferungsanzeige einzutragen. Die in Gewahrsam genommenen Personen sind zu unterrichten.

§ 12 Druckschriften, Hörfunk und Fernsehen

(1) In Gewahrsam genommene Personen dürfen handelsübliche Druckschriften beziehen, soweit Gründe der Sicherheit nicht entgegenstehen. Dies gilt auch für Personen, die aus strafprozessualen Gründen in Gewahrsam genommen werden, sofern nicht eine Gefährdung des Untersuchungszweckes zu befürchten ist.
(2) In Gewahrsam genommene Personen, bei denen die Dauer des Gewahrsams von mehr als zehn Tagen angeordnet wurde oder bei denen die Dauer des Gewahrsams zehn Tage überschreitet, erhalten Zugang zum Hörfunk- und Fernsehempfang. Der Hörfunk- und Fernsehempfang kann vorübergehend ausgesetzt oder einzelnen in Gewahrsam genommenen Personen untersagt werden, wenn die Zwecke der Ingewahrsamnahme dies erfordern.
Abschnitt 4 Außenkontakte

§ 13 Postverkehr

(1) Postsendungen an oder von Personen, die aus strafprozessualen Gründen verwahrt werden, sind ungeöffnet der sachbearbeitenden Dienststelle zuzuleiten.
(2) Postsendungen an Personen, die nicht aus strafprozessualen Gründen verwahrt werden, sind bis zu einer Länge von 23,5 Zentimetern, einer Breite von 12,5 Zentimetern, einer Höhe von 1Zentimetern und einem Höchstgewicht von 50 Gramm unverzüglich auszuhändigen. Die Annahme von Postsendungen eines anderen Formates wird verweigert. Das Öffnen und die Kenntnisnahme vom Inhalt der Postsendung sind nur in Anwesenheit einer diensthabenden Person zuzulassen. Diese darf keine Kenntnis vom Inhalt der Postsendung nehmen. Die Postsendungen sind anschließend in amtliche Verwahrung gemäß § 7 Absatz 6 zu nehmen. Den in Gewahrsam genommenen Personen ist die Möglichkeit der erneuten Einsichtnahme unter den Voraussetzungen der Sätze 3 und 4 zu geben, soweit Gründe der Sicherheit des Gewahrsams nicht entgegenstehen.

§ 14 Besuche

(1) In Gewahrsam genommene Personen dürfen Besuch von Angehörigen im Sinne von § 11 Absatz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, Rechtsbeiständen, Geistlichen und konsularischen Vertreterinnen und Vertretern in dafür vorgesehenen Räumlichkeiten empfangen. Im Übrigen sind Besuche nur im Einverständnis mit der sachbearbeitenden Dienststelle zulässig.
(2) Die Zulassung der Personen nach Absatz 1 zum Besuch kann von ihrer Durchsuchung abhängig gemacht werden, wenn dies aus Gründen der Sicherheit des Gewahrsams erforderlich ist.
(3) Besuche können untersagt oder beschränkt werden, wenn im Einzelfall
1. die Sicherheit oder Ordnung des Gewahrsamsbetriebs gefährdet würde,
2. der Zweck des Gewahrsams dies erfordert oder
3. bei Personen, die aus strafprozessualen Gründen in Gewahrsam genommen werden, eine Gefährdung des Untersuchungszwecks zu befürchten ist.
(4) Die Besuchszeit ist grundsätzlich auf 15 Minuten zu beschränken. Soweit die Dauer des Gewahrsams über zehn Tage hinausgeht, soll grundsätzlich eine wöchentliche Gesamtbesuchsdauer von einer Stunde ermöglicht werden. Das Nähere regelt die Dienststelle.
(5) Gegenstände dürfen beim Besuch nur mit Erlaubnis der Polizei übergeben werden.
(6) Besuche werden aus Gründen der Sicherheit und Ordnung überwacht.
(7) Der Besuch kann nach Abmahnung abgebrochen werden, wenn auf Grund des Verhaltens der Besucherinnen und Besucher oder der in Gewahrsam genommenen Personen die Sicherheit oder Ordnung gefährdet wird. Die Abmahnung unterbleibt, wenn es unerlässlich ist, den Besuch sofort abzubrechen.

§ 15 Kontakt mit Verteidigerinnen und Verteidigern

(1) Besuche von Verteidigerinnen und Verteidigern in Rechtssachen der in Gewahrsam genommenen Personen werden nicht überwacht.
(2) Verteidigerinnen und Verteidigern sind Besuchsmöglichkeiten ohne Einschränkung in Bezug auf Dauer und Häufigkeit zu eröffnen, § 14 Absatz 3 Nummer 1 Alternative 2, Nummer 2 und 3, Absatz 4 finden keine Anwendung.
Abschnitt 5 Sicherheit und Ordnung im Gewahrsam

§ 16 Kontrollen

(1) In Gewahrsam genommene Personen sind in angemessenen Zeitabständen, mindestens stündlich, einer unmittelbaren Sichtkontrolle zu unterziehen. Dabei hat mindestens eine Überprüfung der Atmung zu erfolgen. Die Kontrolle ist mit geringstmöglicher Beeinträchtigung für die in Gewahrsam genommenen Personen vorzunehmen. Sofern bei den in Gewahrsam genommenen Personen zum Beispiel aus dem Gesundheitszustand und dem Verhalten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine stündliche Überprüfung nicht erforderlich ist, kann von den vorgenannten Zeitintervallen abgewichen werden. In diesen Fällen hat die Sichtkontrolle mindestens alle drei Stunden zu erfolgen.
(2) Bei Personen, bei denen ein Hinweis auf Eigengefährdung besteht und der Kontrollmodus nicht fallbezogen durch die Ärztin oder den Arzt präzisiert wurde, gilt Absatz 1. Zusätzlich sind diese Personen von Beginn an unter unmittelbare Dauerbeobachtung zu stellen.
(3) Für Personen, deren Gewahrsamsfähigkeit nach § 6 Absatz 2 festgestellt ist, die aber unter Alkohol-, Medikamenten- oder Drogeneinfluss stehen oder Hinweise auf Kopfverletzungen bieten, oder sonstige hilflose Personen gelten die Absätze 1 und 2. Zusätzlich sind sie mindestens während der ersten zwei Stunden zumindest viertelstündlich einer Bewusstseinskontrolle (unter anderem Erweckbarkeit und Orientierung nach Zeit, Raum und Person) zu unterziehen, soweit nicht anderweitig ärztlich bestimmt.

§ 17 Sicherungsmaßnahmen

(1) Bei Gewalttätigkeiten, Widerstand, Fluchtversuchen, Eigengefährdung oder wenn besondere Umstände für eine Befreiung der in Gewahrsam genommenen Personen sprechen, sind unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit folgende Maßnahmen zulässig:
1. Fesselung gemäß § 62 PolG NRW,
2. Fixierung im Sinne des Absatz 2 und
3. Unterbringung unter Dauerbeobachtung außerhalb einer Gewahrsamszelle.
(2) Fixierung ist die Fesselung an die in den Gewahrsamszellen dafür vorgesehenen Fixierungsstellen in Form von Griffmulden mittels der bei der Polizei Nordrhein-Westfalen zulässigen Fixierungsmittel. Fixierungen haben grundsätzlich so zu erfolgen, dass die Betätigung der Meldeeinrichtung mittels Sensortaster der Zellenrufanlage durch die betroffene Person gewährleistet ist oder eine ständige persönliche Beobachtung erfolgt. Körperliche Einwirkungen auf den Rücken- und Brustbereich sind zu vermeiden. Liegen Indikatoren und Verhaltensauffälligkeiten vor, ist zur Verhinderung eines lagebedingten Erstickungstodes eine Fixierung der in Gewahrsam genommenen Personen grundsätzlich in Seitenlage oder im Sitzen durchzuführen. Eine durchgängige persönliche Beobachtung ist bei der in der Seitenlage oder im Sitzen fixierten Person zu gewährleisten. Bei Zweifeln an der Gewahrsamsfähigkeit ist diese gemäß § 6 Absatz 2 unverzüglich ärztlich feststellen zu lassen.
(3) Für die Fixierung sämtlicher Gliedmaßen an die in polizeilichen Gewahrsamseinrichtungen dafür vorgesehenen Fixierungsstellen, die absehbar von nicht nur kurzfristiger Dauer ist, gilt § 37a PolG NRW.
(4) Sicherungsmaßnahmen nach Absatz 1 und 2 sollen grundsätzlich nur von der Aufsicht führenden Polizeivollzugsbeamtin oder dem Aufsicht führenden Polizeivollzugsbeamten angeordnet werden. Sie sind unter Angabe der Gründe, der Art und der Dauer in der Einlieferungsanzeige einzutragen.

§ 18 Schadensersatz

In Gewahrsam genommene Personen, die Räume oder Gegenstände verunreinigen, beschädigen oder zerstören, sind auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen.

§ 19 Schwangerschaften, Krankheits- und Todesfälle

(1) Bei Schwangerschaften, Krankmeldungen oder äußerlich erkennbaren Erkrankungen ist unverzüglich eine Ärztin oder ein Arzt hinzuzuziehen. Diese oder dieser entscheidet über die Notwendigkeit von Gewahrsamserleichterungen, Sonderverpflegung, die Gewahrsamsfähigkeit und eine stationäre Behandlung.
(2) Erkranken in Gewahrsam genommene Personen schwer oder versterben sie, sind Angehörige oder gesetzliche Vertreterinnen oder Vertreter unverzüglich zu benachrichtigen. Dem Wunsch der in Gewahrsam genommenen Personen, auch andere Personen zu benachrichtigen, soll entsprochen werden. Im Fall einer schweren Erkrankung kann von der Benachrichtigung abgesehen werden, wenn dies dem ausdrücklich erklärten Willen der in Gewahrsam genommenen Personen entspricht.
(3) Der Tod von in Gewahrsam genommenen Personen ist durch eine Ärztin oder einen Arzt feststellen zu lassen, die oder der nicht an der gegebenenfalls im Vorfeld erfolgten Gewahrsamsfähigkeitsuntersuchung beteiligt war.
Abschnitt 6 Entlassung

§ 20 Entlassung, Übergabe an eine andere Dienststelle oder Behörde

(1) Müssen in Gewahrsam genommene Personen zur Nachtzeit entlassen werden, so kann ihnen, wenn dienstliche Gründe nicht entgegenstehen, gestattet werden, bis zum Morgen in Gewahrsam zu bleiben. Der zugrundeliegende Wunsch ist von den in Gewahrsam genommenen Personen schriftlich zu bestätigen.
(2) Die Übergabe an eine andere Dienststelle oder Behörde erfolgt auf schriftliche Anweisung der sachbearbeitenden Dienststelle, in Eilfällen kann die Anweisung telefonisch erfolgen.

§ 21 Rückgabe sichergestellter Gegenstände

Entlassenen sind sichergestellte Gegenstände und in amtliche Verwahrung genommene Gegenstände zurückzugeben, soweit sie nicht weiterhin sichergestellt oder in amtlicher Verwahrung bleiben.
Abschnitt 7 Schlussbestimmungen

§ 22 Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am 01. Mai 2021 in Kraft und mit Ablauf des 30. April 2031 außer Kraft.
Der Minister des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen

Fussnoten

Fn 1

In Kraft getreten am 1. Mai 2021 (GV. NRW. S. 344).

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