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Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland

Nachstehend wird die von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland beschlossene Neufassung der Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland bekannt gemacht:
„Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 6. Mai 1994)
Gliederung:
1.
Ziele und Aufgaben
2.
Sonderpädagogischer Förderbedarf
3.
Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf
3.1
Ermittlung sonderpädagogischen Förderbedarfs
3.2
Entscheidung über den Bildungsgang und den Förderort
1.
Erziehung und Unterricht
2.
Sonderpädagogische Förderschwerpunkte
3.
Formen und Orte sonderpädagogischer Förderung
3.1
Sonderpädagogische Förderung durch vorbeugende Maßnahmen
3.2
Sonderpädagogische Förderung im gemeinsamen Unterricht
3.3
Sonderpädagogische Förderung in Sonderschulen
3.4
Sonderpädagogische Förderung in kooperativen Formen .
3.5
Sonderpädagogische Förderung im Rahmen von sonderpädagogischen Förderzentren
3.6
Sonderpädagogische Förderung im berufsbildenden Bereich und beim Übergang in die Arbeitswelt
4.
Zusammenarbeit
5.
Besondere Regelungen für den Schulbesuch

I. Vorwort

Im Zuge des Zusammenwachsens der alten und der neuen Länder in der Bundesrepublik Deutschland gilt es, auch für die sonderpädagogische Förderung eine gemeinsame Orientierung für die künftige Entwicklung zu finden und den Veränderungen pädagogischen Arbeitens Rechnung zu tragen.
Für die Länder in der Bundesrepublik Deutschland hat die KMK mit ihrer ‚Empfehlung zur Ordnung des Sonderschulwesens‘ vom 16. März 1972 zur Verwirklichung des Rechts auf Bildung für behinderte Kinder beigetragen, der schulischen Bildung und Erziehung behinderter junger Menschen wesentliche Impulse verliehen und den Ausbau eines differenzierten Sonderschulwesens unterstützt.
Für die Deutsche Demokratische Republik wurde mit dem ‚Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem‘ vom 25. Februar 1965 und mit der ‚Fünften Durchführungsbestimmung zum Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem - Sonderschulwesen -‘ vom 23. März 1984 die Erziehung und Unterrichtung behinderter Kinder und Jugendlicher (mit Ausnahme eines Teils der Geistigbehinderten) geregelt.
Die hiermit vorgelegten Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigen zum einen die pädagogischen Folgen der gesellschaftlichen Umbrüche und die in den vergangenen Jahren veränderten Lebensbedingungen und Lernvoraussetzungen der Kinder und Jugendlichen; sie tragen zum anderen einem gewandelten pädagogischen Selbstverständnis Rechnung.
Die wachsende Vielfalt der Organisationsformen und der Vorgehensweisen in der pädagogischen Förderung, die Erfahrungen mit gemeinsamem Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder, erziehungswissenschaftliche Denkanstöße und schulpolitische Schwerpunktsetzungen in den einzelnen Ländern lassen heute vielfältige Übereinstimmungen erkennen; sie sind Zeichen für eine eher personenbezogene, individualisierende und nicht mehr vorrangig institutionenbezogene Sichtweise sonderpädagogischer Förderung. In diesem Prozess ist neben den Begriff der
Die Bildung behinderter junger Menschen ist verstärkt als gemeinsame Aufgabe für grundsätzlich alle Schulen anzustreben. Die Sonderpädagogik versteht sich dabei immer mehr als eine notwendige Ergänzung und Schwerpunktsetzung der allgemeinen Pädagogik.
Dieser Prozess ist vor allem gekennzeichnet durch
– die Erfahrungen sonderpädagögischer Förderung in Sonderschulen und in allgemeinen Schulen,
– ein verändertes Verständnis im Umgang mit behinderten Menschen,
– die Ausweitung der Früherkennung und Frühförderung,
– die Weiterentwicklung von pädagogischen Konzepten in Kindergärten, Kindertagesstätten und allgemeinen Schulen sowie von erweiterten Fördermöglichkeiten vor allem in der Grundschule,
– den Einsatz weiterentwickelter und neuer technischer Hilfen,
– die Verbesserung der förderdiagnostischen Möglichkeiten,
– eine Höherbewertung der wohnortnahen Schule für das Kind.
Die Empfehlungen haben zum Ziel, ausgehend vom heute erreichten Standard in der Behindertenförderung die Weiterentwicklung der schulischen Förderung aller behinderten und von Behinderung bedrohten Kinder und Jugendlichen abzusichern und die Bemühungen um gemeinsame Erziehung und gemeinsamen Unterricht für Behinderte und Nichtbehinderte zu unterstützen. Es gilt, Bewährtes zu erhalten, Verbesserungen zu erreichen und Ziele zu beschreiben und zu verfolgen. Diese Bestrebungen stehen in Verbindung mit der Weiterentwicklung der allgemeinen Schule.
Bei allen geplanten Veränderungen ist darauf zu achten,
– dass die notwendige Qualität und der erforderliche Umfang der Fördermaßnahmen gesichert wird,
– dass die Flexibilität der Förderangebote in einem System gestufter und miteinander verbundener Hilfen gewährleistet ist,
– dass Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf unabhängig von Ort und Form der Förderung möglichst gleiche Bildungschancen erhalten,
– dass Behinderte und Nichtbehinderte im gemeinsamen Unterricht ihren Bedürfnissen entsprechend gefördert und gefordert werden,
– dass die Zusammenarbeit aller an der Förderung des jeweiligen Kindes beziehungsweise Jugendlichen beteiligten Personen und Institutionen gewährleistet ist.

II. Grundlegung sonderpädagogischer Förderung

1. Ziele und Aufgaben

Sonderpädagogische Förderung soll das Recht der behinderten und von Behinderung bedrohten Kinder und Jugendlichen auf eine ihren persönlichen Möglichkeiten entsprechende schulische Bildung und Erziehung verwirklichen. Sie unterstützt und begleitet diese Kinder und Jugendlichen durch individuelle Hilfen, um für diese ein möglichst hohes Maß an schulischer und beruflicher Eingliederung, gesellschaftlicher Teilhabe und selbständiger Lebensgestaltung zu erlangen.
Dabei ist es vordringliche Aufgabe,
– das Bedingungsgefüge einer Behinderung - ihre Ausgangspunkte und Entwicklungsdynamik - zu erkennen,
– die Bedeutung der jeweiligen Behinderung für den Bildungs- und Lebensweg des Kindes beziehungsweise Jugendlichen einzuschätzen, um dann
– die pädagogischen Notwendigkeiten hinsichtlich Erziehung, Unterricht und Förderung so zu verwirklichen, dass die Betroffenen fähig werden, ein Leben mit einer Behinderung in sozialer Begegnung sinnerfüllt zu gestalten und - wann immer möglich - eine Minderung oder Kompensation der Behinderung und ihrer Auswirkungen zu erreichen.
Sonderpädagogische Förderung orientiert sich daher an der individuellen und sozialen Situation des behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindes beziehungsweise Jugendlichen und schließt die persönlichkeits- und entwicklungsorientierte Vorbereitung auf zukünftige Lebenssituationen ein:
– Es werden Möglichkeiten eröffnet, in denen soziale Beziehungen und BindungenBehinderter untereinander und zwischen Behinderten und Nichtbehinderten entstehen und aufgebaut werden können.
– Es werden Lernsituationen geschaffen, die geeignet sind, das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl der Kinder und Jugendlichen unter Anerkennung individueller Leistungsmöglichkeiten und -grenzen zu stärken und ihre Handlungsmöglichkeiten auszuschöpfen und zu erweitern.
– Den Kindern und Jugendlichen werden Gelegenheiten gegeben, gemeinsam mit für sie wichtigen Partnern Lebens- und Zukunftsfragen aufzugreifen.
Sonderpädagogische Förderung schließt begleitende spezifische Hilfen ein mit dem Ziel, für den einzelnen bestehende Abhängigkeiten und Hemmnisse so weit wie möglich zu überwinden. Dies bedeutet:
– Bei der Gestaltung des Unterrichts werden - wenn pädagogisch erforderlich - Freiräume und Entscheidungskompetenzen der Lehrkräfte ausgeschöpft. Entsprechend individueller Fördernotwendigkeiten werden die Zielsetzungen und Bildungsinhalte der Lehrpläne verändert.
– Technische und behinderungsspezifische apparative Hilfen sowie Medien sollen bereitgestellt und individuell angepasst werden; ihr Gebrauch ist einzuüben; Kenntnisse über die Beschaffung der Hilfsmittel, über Einbau, Nutzung und Wartung sind zu vermitteln.
– Für eine fachgerechte Pflege, auch zur Vermeidung gesundheitlicher Risiken, ist Sorge zu tragen. Dabei kann Eingliederungshilfe anderer Maßnahmeträger notwendig werden.
– Baulich-räumliche Voraussetzungen für ein bedürfnis- und behinderungsgerechtes Leben und Lernen sollen gewährleistet werden.

2. Sonderpädagogischer Förderbedarf

Sonderpädagogischer Förderbedarf ist bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen, die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule ohne sonderpädagogische Unterstützung nicht hinreichend gefördert werden können. Dabei können auch therapeutische und soziale Hilfen weiterer außerschulischer Maßnahmeträger notwendig sein.
Sonderpädagogischer Förderbedarf ist immer auch in Abhängigkeit von den Aufgaben, den Anforderungen und den Fördermöglichkeiten der jeweiligen Schule zu definieren. Er hat Konsequenzen für die Erziehung und für die didaktisch-methodischen Entscheidungen und die Gestaltung der Lernsituationen im Unterricht. Er ist damit eine didaktisch-methodische Bedingung der Erziehung und Unterrichtung, die nur individuell bestimmt werden kann und die in jedem neuen Lernzusammenhang eigens bedacht werden muss. Sonderpädagogischer Förderbedarf lässt sich nicht allein von schulfachbezogenen Anforderungen her bestimmen; seine Klärung und Beschreibung müssen das Umfeld des Kindes beziehungsweise Jugendlichen einschließlich der Schule und die persönlichen Fähigkeiten, Interessen und Zukunftserwartungen gleichermaßen berücksichtigen. Daher sind Voraussetzungen und Perspektiven der elementaren Bereiche der Entwicklung wie Motorik, Wahrnehmung, Kognition, Motivation, sprachliche Kommunikation, Interaktion, Emotionalität und Kreativität in eine Kind-Umfeld-Analyse einzubeziehen.
Da die Entwicklung dieser Bereiche sich in stetiger Wechselwirkung untereinander wie auch in Abhängigkeit von den äußeren Lebens- und Lernbedingungen vollzieht, sind Behinderungen oft gekoppelt mit Beeinträchtigungen in anderen Bereichen. Gleichwohl kann der sonderpädagogische Förderbedarf beim einzelnen Kind beziehungsweise Jugendlichen seine spezifische Ausformung in bestimmten Bereichen haben, wodurch die inhaltliche Ausrichtung der Förderung Schwerpunkte erhält:
– das Lern- und Leistungsverhalten, insbesondere das schulische Lernen, das Umgehen-Können mit Beeinträchtigungen beim Lernen
– die Sprache, das Sprechen, das kommunikative Handeln, das Umgehen-Können mit sprachlichen Beeinträchtigungen
– die emotionale und soziale Entwicklung, das Erleben und die Selbststeuerung, das Umgehen-Können mit Störungen im Erleben und Verhalten
– die geistige Entwicklung, das Umgehen-Können mit geistiger Behinderung
– die körperliche und motorische Entwicklung, das Umgehen-Können mit erheblichen Beeinträchtigungen im Bereich der Bewegung und mit körperlicher Behinderung
– das Hören, die auditive Wahrnehmung, das Umgehen-Können mit einer Hörschädigung
– das Sehen, die visuelle Wahrnehmung, das Umgehen-Können mit einer Sehschädigung
– die körperliche und seelische Verfassung, das Umgehen-Können mit einer lang andauernden Krankheit.
Mit der Beschreibung sonderpädagogischen Förderbedarfs ist ein Verständnis von Behinderung verbunden, das die Bedeutung für den Bildungs- und Lebensweg der Betroffenen, die Folgen für die Aneignungsweisen, für das Lern- und Sozialverhalten, die Auswirkungen auf das psychische Gleichgewicht vor dem Hintergrund schulischer Anforderungen in den Vordergrund rückt. Das behinderte Kind und der behinderte Jugendliche dürfen dabei nicht nur unter dem Blickwinkel ihrer Behinderung gesehen werden; eine Behinderung stellt immer nur einen Aspekt der Gesamtpersönlichkeit des Kindes beziehungsweise des Jugendlichen dar; Anknüpfungspunkte für die Förderung sind ihre jeweils bereits entwickelten Fähigkeiten.
Besondere Anforderungen stellen zunehmend Kinder und Jugendliche .mit schweren Mehrfachbehinderungen.

3. Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf

Die Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs umfasst die Ermittlung des individuellen Förderbedarfs sowie die Entscheidung über den Bildungsgang und den Förderort. Sie findet statt in Verantwortung der Schulaufsicht, die entweder selbst über eine sonderpädagogische Kompetenz und ausreichende Erfahrungen in der schulen Förderung Behinderter verfügt oder fachkundige Beratung hinzuzieht.

3.1 Ermittlung sonderpädagogischen Förderbedarfs

Bei der Ermittlung sonderpädagogischen Förderbedarfs sind die diagnostischen Fragestellungen auf ein qualitatives und ein quantitatives Profil der Fördermaßnahmen gerichtet, das Grundlage sein soll für die angestrebte Entscheidungsempfehlung. Es sind Art und Umfang, ggf. auch die Dauer des behinderungsbedingten und problembezogenen Förderbedarfs zu erheben; darüber hinaus sind die im konkreten Einzelfall gegebenen und organisierbaren Formen der Förderung in der Schule abzuklären, die das Kind beziehungsweise der Jugendliche besucht oder besuchen soll.
Für die Ermittlung sonderpädagogischen Förderbedarfs sind daher Informationen aus folgenden Bereichen wichtig:
– Erleben und Verhalten, Handlungskompetenzen und Aneignungsweisen
– Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung
– Entwicklungs- und Leistungsstand
– soziale Einbindung
– Kommunikations- und Interaktionsfähigkeit
– individuelle Erziehungs- und Lebensumstände
– das schulische Umfeld und die Möglichkeiten seiner Veränderung
– das berufliche Umfeld und die erforderlichen Fördermöglichkeiten.
Das Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs kann von den Erziehungsberechtigten, den volljährigen Schülerinnen und Schülern selbst, der Schule und ggf. von anderen zuständigen Diensten beantragt werden und sollte die Kompetenzen der an der Förderung und Unterrichtung beteiligten beziehungsweise zu beteiligenden Personen auf geeignete Weise einbeziehen. Die Erkenntnisse und Daten zum sonderpädagogischen Förderbedarf sollten interdisziplinär gewichtet und abgestimmt sowie unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Erziehungsberechtigten zu einer Empfehlung zusammengefasst werden, die in eine Förderplanung einmündet.

3.2 Entscheidung über den Bildungsgang und den Förderort

Auf der Grundlage der Empfehlung unter Beteiligung der Erziehungsberechtigten so wie unter Beachtung der jeweils gegebenen beziehungsweise bereitstellbaren Rahmenbedingungen entscheidet die Schulaufsicht, ob die Schülerin oder der Schüler in die allgemeine Schule aufgenommen wird, dort verbleibt, Unterricht und Förderung in einer Sonderschule oder in kooperativen Förderformen erhält. In diese Entscheidung kann auch die Inanspruchnahme von Einrichtungen mit ergänzenden Betreuungs- oder Ganztagsangeboten einbezogen werden. Dabei sind bei jeder einzelnen Entscheidung zu berücksichtigen:
– Art und Umfang des Förderbedarfs
– Stellungnahme der Erziehungsberechtigten, ggf. beratender Gremien
– Fördermöglichkeiten der allgemeinen Schulen
– Verfügbarkeit des erforderlichen sonderpädagogischen Personals
– Verfügbarkeit technischer, apparativer Hilfsmittel sowie spezieller Lehr- und Lernmittel, ggf. baulich-räumlicher Voraussetzungen.
Vor diesem Hintergrund ist dann derjenige Lernort zu wählen, der auf bestmögliche Weise den Förderbedürfnissen des Kindes beziehungsweise Jugendlichen, seiner Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung gerecht werden und auf die gesellschaftliche Eingliederung sowie auf berufliche Anforderungen vorbereiten kann. Die Entscheidung über den individuellen Förderbedarf erfordert in geeigneten Abständen eine Überprüfung.

III. Realisierung sonderpädagogischer Förderung

1. Erziehung und Unterricht

Sonderpädagogisch orientierte Erziehung und Unterrichtsgestaltung beruhen auf einer den Lernprozess begleitenden Diagnostik und lassen sich von den übergeordneten Prinzipien Entwicklungsnähe, Ganzheitlichkeit, Kommunikations- und Handlungsorientierung leiten. Ziele, Methoden, Lernorganisation und Medien werden dem Förderbedarf entsprechend ausgewählt. Damit unterscheiden sich eine sonderpädagogisch ausgerichtete Erziehung und Unterrichtsgestaltung nicht prinzipiell von allgemeinpädagogischer Arbeit. Sonderpädagogik hat subsidiäre Aufgaben.
Wichtig ist, dass Lernzusammenhänge hergestellt werden, in denen sich die Schülerinnen und Schüler mit ihren Fähigkeiten und Neigungen, mit ihren Motiven, Fragen und Zielvorstellungen als handelnde Personen erleben und begegnen können. Ein offenes und anregungsreiches Lernumfeld soll es den Kindern und Jugendlichen ermöglichen, sich auch für die Übernahme bisher nicht vertrauter sozialer Rollen, für die eigenaktive Erprobung an neuen Aufgaben und für ein möglichst selbstverantwortliches Leben und Lernen zu entscheiden. Die Bildungsziele und -inhalte sollen auch die voraussichtlich zu erwartenden Anforderungen im späteren persönlichen und beruflichen Lebenszusammenhang einbeziehen.

2. Sonderpädagogische Förderschwerpunkte

Eine zentrale Aufgabe sonderpädagogischer Förderung besteht darin, behinderungsspezifische Förderschwerpunkte aus einem oder aus mehreren Entwicklungsbereichen mit erzieherischen und unterrichtlichen Aufgaben zu verknüpfen. Dies gilt vor allem bei den häufig anzutreffenden Verbindungen von Beeinträchtigungen im Lernen, in der Motorik, in der Sprache sowie in emotionalen und sozialen Entwicklungsbereichen, die eine individuelle und umfassende Förderung notwendig machen. Bei Kindern und Jugendlichen mit schweren Mehrfachbehinderungen sind verschiedene Förderschwerpunkte zur Sicherstellung einer basalen Förderung zu beachten.
Nachfolgend sind sonderpädagogische Förderschwerpunkte aufgeführt:
Eine. Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen im schulischen Lernen, in der Leistung sowie im Lernverhalten setzt die Bereitstellung von anregenden Erfahrungsräumen voraus. Sie schafft strukturierte Lernsituationen, in denen vor allem elementare Bereiche der Lernentwicklung wie Motorik, Wahrnehmung, Kognition, sprachliche Kommunikation, Emotionalität und Interaktion beachtet werden. Diese müssen geeignet sein, Interesse zu wecken, individuelle Lernwege zu erschließen, Aneignungsweisen aufzubauen, um die Aufnahme, Verarbeitung und handelnde Durchdringung von Bildungsinhalten zu ermöglichen und über die Vermittlung von Lernerfolgen das Selbstvertrauen der Kinder und Jugendlichen zu stärken.
Zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Sprachbeeinträchtigungen sind für das Sprachverstehen und die Sprachverwendung besonders ergiebige Sprachlernsituationen auszuwählen, methodenbewusst zu planen und aufzubereiten. Damit soll erreicht werden, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen über einen dialoggerichteten Gebrauch Sprache auf- und ausbauen, sprachliches Handeln in Bewährungssituationen bewältigen und sich als kommunikationsfähig erleben können. Die Komplexität der Entstehungsbedingungen von Sprach- und Kommunikationsstörungen samt ihrer Verbindungen und Rückwirkungen auf das Lernen und das Erleben erfordern einen mehrdimensional angelegten sonderpädagogisch gestalteten Unterricht. Hierbei ist kommunikatives Handeln in natürlichen Situationen besonders wertvoll.
Die spezifischen Maßnahmen müssen frühzeitig einsetzen zur Sicherung einer erfolgreichen Mitwirkung des Kindes an der im Wesentlichen sprachlich vermittelten schulischen Bildungsarbeit und Kulturaneignung; in diesem Zusammenhang ist auch auf voraussehbare und anzugehende Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb zu achten.
Eine Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung sowie des Erlebens und des Verhaltens zielt auf Erziehungshilfe und strebt bei einem hohen Maß an Verständnis, besonderer persönlicher Zuwendung und pädagogisch-psychologischer Unterstützung einen Aufbau von Grundverhaltensweisen an. Hilfen zur Orientierung im sozialen Umfeld und zur Selbststeuerung dienen auch der Verarbeitung von belastenden Lebenseindrücken und sollen so zu einer individuell und sozial befriedigenden Lebensführung beitragen. Wenn verschiedene Dienste beteiligt sind, ist eine Koordinierung der Maßnahmen erforderlich.
Bei allen Bemühungen sind Wege zu suchen, bei den Betroffenen Lernbereitschaft anzuregen, Leistungsfähigkeit zu entwickeln und sie gleichzeitig aufzuschließen für die Lerninhalte der Schule. Musische, sportliche und technische Unterrichtsangebote, Projekte und gruppenpädagogische Verfahren eignen sich in besonderer Weise für die Förderung dieser Schülerinnen und Schüler und sollten daher den entsprechenden Stellenwert im Rahmen der schulischen Arbeit erhalten.
Eine Förderung von Schülerinnen und Schülern mit geistiger Behinderung beinhaltet eine alle Entwicklungsbereiche umfassende Erziehung und Unterrichtung mit lebenspraktischem Bezug. Um ein Leben in größtmöglicher Selbständigkeit und in Würde führen zu können, sind lebensbegleitende Förderung und spezielle Lern- und Strukturierungshilfen für eine aktive Lebensbewältigung in sozialer Integration erforderlich. Die Förderung umfasst Maßnahmen zur kognitiven, sprachlichen, senso- und psycho-motorischen, emotionalen und sozialen Entwicklung. Für Schülerinnen und Schüler mit geistiger Behinderung soll über den Vormittagsunterricht hinaus ein Nachmittagsangebot vorgehalten werden.
Eine Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen der motorischen und körperlichen Entwicklung richtet sich auf Hilfen zur Ausweitung der Wahrnehmungs- und Erlebnisfähigkeit, zur Erweiterung eigener Handlungsmöglichkeiten, zur Nutzung von spezifischen Hilfsmitteln, zum möglichst selbständigen Bewältigen alltäglicher Verrichtungen. Psychomotorische Maßnahmen sind in die alltägliche Unterrichtsarbeit einzubeziehen. Wichtig sind der Aufbau sozialer Beziehungen, die Hinführung zu einer realistischen Selbsteinschätzung der eigenen Leistungsmöglichkeiten und die Akzeptanz der eigenen, oft bleibenden Behinderung.
Eine Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Hörschädigungen soll zur Begegnung mit der Welt der Hörenden befähigen. Sie führt - soweit möglich - zu einer verständlichen Lautsprache unter Einbeziehung der Schulung des Resthörvermögens. Für die Identitätsfindung Hörgeschädigter bezieht die Schule gebärdensprachliche Kommunikationsformen ein.
Besondere Förderschwerpunkte sind der systematische Sprachaufbau, Artikulationsunterricht, Absehschulung, die Förderung der optischen Orientierung und des Vibrationssinnes, Hörtraining sowie die optimale Nutzung von technischen Hörhilfen. Die Bildungsinhalte sind immer auf die besondere psychische Situation von Kindern und Jugendlichen mit Hörschädigungen, auf ihren großen Informationsbedarf und auf ihre Kommunikationsbehinderung abzustimmen; der Schriftsprache kommt bei der Bildungsarbeit ein hoher Stellenwert zu.
Eine Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Sehschädigungen richtet sich auf die Erschließung der Umwelt, auf die Entwicklung von Orientierungsstrategien und Verhaltensweisen zur Bewältigung der Anforderungen des Alltags in bekannter und unbekannter Umgebung. Förderung der Mobilität und Unterricht zum Erwerb lebenspraktischer Fertigkeiten sind erforderlich. Entscheidende Bedeutung für die Informationsaufnahme kommt der Aktivierung des Restsehvermögens sowie der Ausbildung der taktil-kinästhetischen und auditiven Wahrnehmung und der Sprache zu; zudem sind alle geeigneten technischen Hilfsmittel zur Kompensation der Behinderung und zum Umgang mit ihr auszunutzen. Die Schülerinnen und Schüler erhalten vor allem durch Rhythmik, Sport und Tanz Sicherheit in der Bewegung, eine gute Körperbeherrschung und Körperhaltung. Auch das bildnerische Gestalten mit spezifischen Materialien und der Musik haben für Sehgeschädigte hohen Bildungswert.
Eine Förderung von Schülerinnen und Schülern, die aufgrund einer Erkrankung für längere Zeit oder in regelmäßigen Abständen im Krankenhaus untergebracht sind oder zuhause bleiben müssen, kann im Einzel- oder Gruppenunterricht erfolgen, der auch zum Schulabschluss führen kann.
Die sonderpädagogische Aufgabe besteht darin, der sich auf einer längeren Erkrankung und Abwesenheit von der Schule ergebenden Belastung für das seelische Gleichgewicht, einer Gefährdung der Schullaufbahn und einer möglichen Isolierung der Betroffenen pädagogisch entgegenzuwirken. Über leistbare Anforderungen, Erfolgserlebnisse und persönliche Zuwendung sollen Selbstvertrauen, Lern- und Lebensfreude und Genesung gestärkt und gestützt werden.

3. Formen und Orte sonderpädagogischer Förderung

Die schulische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf bezieht alle Schulstufen und Schularten ein-, sie hat in den vergangenen Jahren zu einer Vielfalt von Förderformen und Förderorten geführt. Es entwickeln sich Formen der gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung an unterschiedlichen Lernorten. Vorbeugende Maßnahmen erfahren zunehmend eine höhere Bewertung.

3.1 Sonderpädagogische Förderung durch vorbeugende Maßnahmen

Je früher vorbeugende Maßnahmen einsetzen, desto größer ist ihre Wirksamkeit. Vorbeugende Maßnahmen (Prävention) zielen darauf, weitergehende Auswirkungen einer bestehenden Behinderung zu vermeiden. Bei Kindern und Jugendlichen, die von einer Behinderung bedroht sind, wirken vorbeugende Hilfen dem Entstehen einer Behinderung entgegen. Der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Frühförderung kommt eine herausragende Bedeutung zu.
Vorbeugende sonderpädagogische Maßnahmen in der Schule können neben der Förderung der Kinder und Jugendlichen auch die gemeinsame Beratung der Sonderschullehrkräfte mit Lehrkräften der anderen Schulen, mit den betroffenen Eltern sowie besondere Förderung einer Schülerin beziehungsweise eines Schülers umfassen. Je nach Notwendigkeit im Einzelfall gehört auch die Zusammenarbeit mit bestimmten Institutionen, Fachleuten und Beratungsdiensten dazu.

3.2 Sonderpädagogische Förderung im gemeinsamen Unterricht

Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf können allgemeine Schulen besuchen, wenn dort die notwendige sonderpädagogische und auch sächliche Unterstützung sowie die räumlichen Voraussetzungen gewährleistet sind; die Förderung aller Schülerinnen und Schüler muss sichergestellt sein.
Zu den notwendigen Voraussetzungen gehören neben den äußeren Rahmenbedingungen sonderpädagogisch qualifizierte Lehrkräfte, individualisierende Formen der Planung, Durchführung und Kontrolle der Unterrichtsprozesse und eine abgestimmte Zusammenarbeit der beteiligten Lehr- und Fachkräfte. Dabei ist eine inhaltliche, methodische und organisatorische Einbeziehung pädagogischer Maßnahmen/auch individueller Unterrichtsziele und -inhalte, in die Unterrichtsvorhaben für die gesamte Schulklasse vorzunehmen. Sonderpädagogische Förderung findet dabei im und, wenn notwendig, auch neben dem Klassenunterricht statt.

3.3 Sonderpädagogische Förderung in Sonderschulen

Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf, deren Förderung in einer allgemeinen Schule nicht ausreichend gewährleistet werden kann, werden in Sonderschulen, Sonderberufsschulen und Berufsschulen mit sonderpädagogischen Förderschwerpunkten sowie vergleichbaren Einrichtungen unterrichtet.
Die Sonderschulen haben dafür Sorge zu tragen, eine auf die individuelle Problemlage und Behinderung von Schülerinnen und Schülern ausgerichtete Erziehung und Unterrichtung anzubieten; sie müssen in die Lage versetzt werden, die erforderlichen technischen Medien sowie spezielle Lehr- und Lernmittel bereitzustellen. Es können auch therapeutische, pflegerische und soziale Hilfen anderer außerschulischer Maßnahmeträger einbezogen werden. Sonderschulen unterscheiden sich nach der Art ihrer sonder pädagogischen Förderschwerpunkte und nach ihrem Angebot an Bildungsgängen. Sie unterstützen bei ihren Schülerinnen- und Schülern alle Entwicklungen, die zu einem möglichen Wechsel in eine allgemeine Schule und in die Ausbildung führen können.
Mehrfachbehinderte Schülerinnen und Schüler besuchen die Sonderschule, in der sie am besten gefördert werden können.

3.4 Sonderpädagogische Förderung in kooperativen Formen

Viele Sonderschulen und allgemeine Schulen sind dabei, eine enge pädagogische Zusammenarbeit aufzubauen. Kooperative Formen der Förderung und Unterrichtung erschließen allen Beteiligten die Möglichkeiten zur wechselseitigen Annäherung und zur Erfahrung von mehr Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander. Kooperative Formen können den Unterricht und das Schulleben bereichern. Die Durchlässigkeit der Schularten und ihrer Bildungsgänge, die Erhöhung gemeinsamer Unterrichtsanteile und der Wechsel von Schülerinnen und Schülern aus den Sonderschulen in allgemeine Schulen werden hierdurch begünstigt. Die räumliche Zusammenführung von Klassen der Sonderschulen mit Klassen der allgemeinen Schulen kann geeignete Rahmenbedingungen für die angestrebte Kooperation schaffen.

3.5 Sonderpädagogische Förderung im Rahmen von sonderpädagogischen Förderzentren

Die Angebotsvielfalt sonderpädagogischer Förderung führt immer häufiger zur Herausbildung sonderpädagogischer Förderzentren. Es lassen sich dabei verschiedene Richtungen ausmachen, die einer fachlichen und organisatorischen Weiterentwicklung der sonderpädagogischen Förderung Rechnung tragen. Dabei sollen sonderpädagogische Förderzentren als regionale oder überregionale Einrichtungen einzelnen oder mehreren Förderschwerpunkten entsprechen und sonderpädagogische Förderung in präventiven, integrativen, stationären und kooperativen Formen möglichst wohnortnah und fachgerecht sicherstellen.

3.6 Sonderpädagogische Förderung im berufsbildenden Bereich und beim Übergang in die Arbeitswelt

Jungen Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind Wege zu einer qualifizierten Berufsbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf oder, wo dies nicht durchführbar erscheint, in einem für Behinderte vorgesehenen Ausbildungsberuf zu öffnen, um damit die Voraussetzungen für eine dauerhafte Eingliederung in die Arbeitswelt zu schaffen. Soweit dies nicht durchführbar ist, muss eine an die individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Jugendlichen an gepasste Vorbereitung auf eine Berufstätigkeit mit selbständiger Lebensführung oder auf eine Beschäftigung in der Werkstatt für Behinderte angeboten werden.
Aufgabe der sonderpädagogischen Förderung im berufsbildenden Bereich ist es auch, Voraussetzungen für erfolgreiches berufliches Lernen zu schaffen, Berufswahlvorbereitungen und Berufsvorbereitung zu unterstützen.
Um die bestmögliche berufliche Eingliederung zu erreichen, bedarf es der vertrauensvollen Zusammenarbeit der beruflichen Schulen mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie den Rehabilitationspartnern, den Kammern, der Arbeitsverwaltung, den Fachdiensten, den Erziehungsberechtigten und den Ausbildern.
Der Unterricht ist grundsätzlich von Lehrkräften zu erteilen, die die Befähigung zum Lehramt an beruflichen Schulen besitzen; diese sollten durch entsprechende Aus- oder Fortbildung eine sonderpädagogische Qualifikation erworben haben. Bestimmte sonderpädagogische Aufgaben sind von Sonderschullehrkräften wahrzunehmen.
Für den berufsbildenden Bereich gelten im Übrigen die sonstigen Inhalte dieser Empfehlungen entsprechend.

4. Zusammenarbeit

Bei Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist eine intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Erziehungsberechtigten und Schule erforderlich. Die Lehrkräfte erhalten für ihre Arbeit, z.B. aus den Gesprächen mit Erziehungsberechtigten, Hinweise über Erleben und Verhalten des Kindes oder Jugendlichen außerhalb der Schule. Sie informieren ihrerseits die Erziehungsberechtigten über wichtige Beobachtungen und die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen und beraten sich gemeinsam mit ihnen über Möglichkeiten und Grenzen der Förderangebote und -maßnahmen. Mitunter ist es nötig, Erziehungsberechtigte für spezifische Fördermöglichkeiten ihres Kindes zu gewinnen. Aussprachen dienen dazu, die beiderseitigen Bemühungen aufeinander abzustimmen und auftretende alltägliche Schwierigkeiten gemeinsam zu bewältigen. Solche Gespräche können sowohl zuhause als auch in der Schule stattfinden.
Die gemeinsame Verantwortung der Schulen für die schulische Bildung und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf macht eine verbindliche und qualifizierte Zusammenarbeit der Lehrkräfte unverzichtbar. Die Zusammenarbeit der Lehrerinnen und Lehrer und weiterer Fachkräfte verlangt ein gemeinsames Grundverständnis der Aufgaben und eine klare Zuordnung von Kompetenz- und Verantwortungsbereichen für jeden Beteiligten in Unterricht und Schulleben.
Sonderpädagogische Förderung in der Schule bedarf einer Ergänzung durch Maßnahmen unterschiedlicher Dienste und Leistungsträger. Daher müssen Schulen mit den Gesundheits-, Sozial- und Jugendämtern, den schulpsychologischen, schul- und fachärztlichen Diensten, Einrichtungen der Frühförderung, weiteren Fachleuten und Institutionen, Arbeitsämtern, Kammern, Betrieben und Erziehungsberatungsstellen im Interesse einer abgestimmten ganzheitlichen Förderung zusammenarbeiten. In dieser Hinsicht besteht ein deutlicher Regelungsbedarf. Es sind Verbindungen zwischen verschiedenen Fach- und Dienstleistungsbereichen sowie Maßnahmeträgern herzustellen, unterschiedliche Förder- und Hilfeleistungen zu koordinieren, damit verfügbare Ressourcen und Kompetenzen effektiv eingesetzt und genutzt werden können.
Dies kann unterstützt werden durch die Bildung von Patenschaften zwischen Schulen, zwischen Schulen und Betrieben sowie mit anderen Institutionen, z.B. durch Inanspruchnahme von Bildungs-, Kultur- und Freizeitangeboten.

5. Besondere Regelungen für den Schulbesuch

Für Schülerinnen und Schüler, die für eine angemessene Schulbildung und zur Erfüllung ihres sonderpädagogischen Förderbedarfs einer längeren Zeit bedürfen, als es die Schulpflichtbestimmungen vorsehen, ist die Schulbesuchszeit entsprechend zu verlängern. Einem von den Schülerinnen und Schülern oder deren Erziehungsberechtigten gestellten Antrag auf Verlängerung der Schulbesuchszeit soll stattgegeben werden, wenn zu erwarten ist, dass das angestrebte Bildungsziel bei einer Verlängerung erreicht werden kann.
Für die Dauer der Bearbeitung mündlicher, schriftlicher und praktischer Aufgaben zum Leistungsstand kann für die einzelne Schülerin beziehungsweise den einzelnen Schüler entsprechend der Beeinträchtigung die allgemein vorgesehene Zeit verlängert werden. Außerdem können andere Unterstützungsformen erforderlich werden, um Nachteile aus Art und Schwere einer Behinderung auszugleichen.
Aus den Zeugnissen von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in allgemeinbildenden Schulen muss hervorgehen, nach welchen Lehrplänen diese unterrichtet wurden.

IV. Einsatz und Qualifikation des Personals in der sonderpädagogischen Förderung

Sonderpädagogische Förderung geschieht in vielfältigen Aufgabenfeldern und Handlungsformen. Sie erfordert den Einsatz unterschiedlicher Berufsgruppen mit entsprechenden Fachkompetenzen. Das Personal muss befähigt sein, die Aufgaben in Unterricht und Erziehung, in Sonderschulen und allgemeinen Schulen, in besonderen behinderungsspezifischen Fördermaßnahmen und im Bereich der Vorsorgung und Pflege unter Berücksichtigung der individuellen Bildungsmöglichkeiten behinderter Kinder und Jugendlicher in einem abgestimmten pädagogischen Gesamtkonzept kompetent wahrzunehmen. Über die Mitarbeit von wissenschaftlich ausgebildeten Lehrkräften und anderem pädagogisch ausgebildeten Personal hinaus ist auch der Einsatz von medizinisch-therapeutischen Fachkräften und Mitarbeitern im Bereich der Versorgung und Pflege erforderlich.
Die Ausbildung des Personals muss Breite und Struktur des jeweiligen Tätigkeitsfeldes und dessen Anforderungen an die einzelne Person berücksichtigen. Sie vermittelt nicht nur die Grundkompetenz für die eigene Aufgabe, sondern auch einen Überblick über den Gesamtbereich der Erziehung und Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Aufgabenbezogene und sonderpädagogische Zusatzausbildungen müssen absolviert werden können. Sonderpädagogische Förderangebote werden maßgeblich in der Praxis und an der Praxis ausgestaltet. Die Anwendung und Erprobung wissenschaftlicher und fachlicher Mittel und Wege im praktischen Zusammenhang sind deshalb auch in allen' Phasen der Ausbildung unverzichtbare Elemente.
Kennzeichnend für das sonderpädagogische Handeln sind Veränderungen der Schülerschaft und ihres Umfeldes, der Aufgaben sonderpädagogischer Förderung sowie Weiterentwicklungen im Bereich der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der praktischen Handlungsmodelle. Zur Sicherung der Qualität der sonderpädagogischen Förderung und des zeitgemäßen Standes in der Kompetenz des Personals ist eine regelmäßige fachliche Fortbildung unabdingbar. In den Fortbildungsangeboten ist jeweils auch der Kooperations- und Abstimmungsbedarf zu berücksichtigen, der sich durch die fachliche Arbeitsteilung ergibt. Unterschiedliche individuelle Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler und die häufig notwendige Abstimmung individueller Fördermaßnahmen mit Instanzen im Umfeld der Schule machen es erforderlich, dass sich die Schule auch im Bereich der Fortbildung für die Zusammenarbeit mit anderen Fachkräften öffnet.

V. Schlussbestimmung

Die ‚Empfehlung zur Ordnung des Sonderschulwesens‘ (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16. März 1972) wird aufgehoben mit Ausnahme des Abschnittes 2. ‚Richtlinien für die einzelnen Sonderschulen‘, soweit die hierin getroffenen Aussagen den neuen Empfehlungen nicht widersprechen.

Anlagen

Version: 02.11.1994
Anzahl Änderungen: 0

Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland

Nachstehend wird die von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland beschlossene Neufassung der Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland bekannt gemacht:
„Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 6. Mai 1994)
Gliederung:
1.
Ziele und Aufgaben
2.
Sonderpädagogischer Förderbedarf
3.
Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf
3.1
Ermittlung sonderpädagogischen Förderbedarfs
3.2
Entscheidung über den Bildungsgang und den Förderort
1.
Erziehung und Unterricht
2.
Sonderpädagogische Förderschwerpunkte
3.
Formen und Orte sonderpädagogischer Förderung
3.1
Sonderpädagogische Förderung durch vorbeugende Maßnahmen
3.2
Sonderpädagogische Förderung im gemeinsamen Unterricht
3.3
Sonderpädagogische Förderung in Sonderschulen
3.4
Sonderpädagogische Förderung in kooperativen Formen .
3.5
Sonderpädagogische Förderung im Rahmen von sonderpädagogischen Förderzentren
3.6
Sonderpädagogische Förderung im berufsbildenden Bereich und beim Übergang in die Arbeitswelt
4.
Zusammenarbeit
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Besondere Regelungen für den Schulbesuch

I. Vorwort

Im Zuge des Zusammenwachsens der alten und der neuen Länder in der Bundesrepublik Deutschland gilt es, auch für die sonderpädagogische Förderung eine gemeinsame Orientierung für die künftige Entwicklung zu finden und den Veränderungen pädagogischen Arbeitens Rechnung zu tragen.
Für die Länder in der Bundesrepublik Deutschland hat die KMK mit ihrer ‚Empfehlung zur Ordnung des Sonderschulwesens‘ vom 16. März 1972 zur Verwirklichung des Rechts auf Bildung für behinderte Kinder beigetragen, der schulischen Bildung und Erziehung behinderter junger Menschen wesentliche Impulse verliehen und den Ausbau eines differenzierten Sonderschulwesens unterstützt.
Für die Deutsche Demokratische Republik wurde mit dem ‚Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem‘ vom 25. Februar 1965 und mit der ‚Fünften Durchführungsbestimmung zum Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem - Sonderschulwesen -‘ vom 23. März 1984 die Erziehung und Unterrichtung behinderter Kinder und Jugendlicher (mit Ausnahme eines Teils der Geistigbehinderten) geregelt.
Die hiermit vorgelegten Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigen zum einen die pädagogischen Folgen der gesellschaftlichen Umbrüche und die in den vergangenen Jahren veränderten Lebensbedingungen und Lernvoraussetzungen der Kinder und Jugendlichen; sie tragen zum anderen einem gewandelten pädagogischen Selbstverständnis Rechnung.
Die wachsende Vielfalt der Organisationsformen und der Vorgehensweisen in der pädagogischen Förderung, die Erfahrungen mit gemeinsamem Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder, erziehungswissenschaftliche Denkanstöße und schulpolitische Schwerpunktsetzungen in den einzelnen Ländern lassen heute vielfältige Übereinstimmungen erkennen; sie sind Zeichen für eine eher personenbezogene, individualisierende und nicht mehr vorrangig institutionenbezogene Sichtweise sonderpädagogischer Förderung. In diesem Prozess ist neben den Begriff der
Die Bildung behinderter junger Menschen ist verstärkt als gemeinsame Aufgabe für grundsätzlich alle Schulen anzustreben. Die Sonderpädagogik versteht sich dabei immer mehr als eine notwendige Ergänzung und Schwerpunktsetzung der allgemeinen Pädagogik.
Dieser Prozess ist vor allem gekennzeichnet durch
– die Erfahrungen sonderpädagögischer Förderung in Sonderschulen und in allgemeinen Schulen,
– ein verändertes Verständnis im Umgang mit behinderten Menschen,
– die Ausweitung der Früherkennung und Frühförderung,
– die Weiterentwicklung von pädagogischen Konzepten in Kindergärten, Kindertagesstätten und allgemeinen Schulen sowie von erweiterten Fördermöglichkeiten vor allem in der Grundschule,
– den Einsatz weiterentwickelter und neuer technischer Hilfen,
– die Verbesserung der förderdiagnostischen Möglichkeiten,
– eine Höherbewertung der wohnortnahen Schule für das Kind.
Die Empfehlungen haben zum Ziel, ausgehend vom heute erreichten Standard in der Behindertenförderung die Weiterentwicklung der schulischen Förderung aller behinderten und von Behinderung bedrohten Kinder und Jugendlichen abzusichern und die Bemühungen um gemeinsame Erziehung und gemeinsamen Unterricht für Behinderte und Nichtbehinderte zu unterstützen. Es gilt, Bewährtes zu erhalten, Verbesserungen zu erreichen und Ziele zu beschreiben und zu verfolgen. Diese Bestrebungen stehen in Verbindung mit der Weiterentwicklung der allgemeinen Schule.
Bei allen geplanten Veränderungen ist darauf zu achten,
– dass die notwendige Qualität und der erforderliche Umfang der Fördermaßnahmen gesichert wird,
– dass die Flexibilität der Förderangebote in einem System gestufter und miteinander verbundener Hilfen gewährleistet ist,
– dass Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf unabhängig von Ort und Form der Förderung möglichst gleiche Bildungschancen erhalten,
– dass Behinderte und Nichtbehinderte im gemeinsamen Unterricht ihren Bedürfnissen entsprechend gefördert und gefordert werden,
– dass die Zusammenarbeit aller an der Förderung des jeweiligen Kindes beziehungsweise Jugendlichen beteiligten Personen und Institutionen gewährleistet ist.

II. Grundlegung sonderpädagogischer Förderung

1. Ziele und Aufgaben

Sonderpädagogische Förderung soll das Recht der behinderten und von Behinderung bedrohten Kinder und Jugendlichen auf eine ihren persönlichen Möglichkeiten entsprechende schulische Bildung und Erziehung verwirklichen. Sie unterstützt und begleitet diese Kinder und Jugendlichen durch individuelle Hilfen, um für diese ein möglichst hohes Maß an schulischer und beruflicher Eingliederung, gesellschaftlicher Teilhabe und selbständiger Lebensgestaltung zu erlangen.
Dabei ist es vordringliche Aufgabe,
– das Bedingungsgefüge einer Behinderung - ihre Ausgangspunkte und Entwicklungsdynamik - zu erkennen,
– die Bedeutung der jeweiligen Behinderung für den Bildungs- und Lebensweg des Kindes beziehungsweise Jugendlichen einzuschätzen, um dann
– die pädagogischen Notwendigkeiten hinsichtlich Erziehung, Unterricht und Förderung so zu verwirklichen, dass die Betroffenen fähig werden, ein Leben mit einer Behinderung in sozialer Begegnung sinnerfüllt zu gestalten und - wann immer möglich - eine Minderung oder Kompensation der Behinderung und ihrer Auswirkungen zu erreichen.
Sonderpädagogische Förderung orientiert sich daher an der individuellen und sozialen Situation des behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindes beziehungsweise Jugendlichen und schließt die persönlichkeits- und entwicklungsorientierte Vorbereitung auf zukünftige Lebenssituationen ein:
– Es werden Möglichkeiten eröffnet, in denen soziale Beziehungen und BindungenBehinderter untereinander und zwischen Behinderten und Nichtbehinderten entstehen und aufgebaut werden können.
– Es werden Lernsituationen geschaffen, die geeignet sind, das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl der Kinder und Jugendlichen unter Anerkennung individueller Leistungsmöglichkeiten und -grenzen zu stärken und ihre Handlungsmöglichkeiten auszuschöpfen und zu erweitern.
– Den Kindern und Jugendlichen werden Gelegenheiten gegeben, gemeinsam mit für sie wichtigen Partnern Lebens- und Zukunftsfragen aufzugreifen.
Sonderpädagogische Förderung schließt begleitende spezifische Hilfen ein mit dem Ziel, für den einzelnen bestehende Abhängigkeiten und Hemmnisse so weit wie möglich zu überwinden. Dies bedeutet:
– Bei der Gestaltung des Unterrichts werden - wenn pädagogisch erforderlich - Freiräume und Entscheidungskompetenzen der Lehrkräfte ausgeschöpft. Entsprechend individueller Fördernotwendigkeiten werden die Zielsetzungen und Bildungsinhalte der Lehrpläne verändert.
– Technische und behinderungsspezifische apparative Hilfen sowie Medien sollen bereitgestellt und individuell angepasst werden; ihr Gebrauch ist einzuüben; Kenntnisse über die Beschaffung der Hilfsmittel, über Einbau, Nutzung und Wartung sind zu vermitteln.
– Für eine fachgerechte Pflege, auch zur Vermeidung gesundheitlicher Risiken, ist Sorge zu tragen. Dabei kann Eingliederungshilfe anderer Maßnahmeträger notwendig werden.
– Baulich-räumliche Voraussetzungen für ein bedürfnis- und behinderungsgerechtes Leben und Lernen sollen gewährleistet werden.

2. Sonderpädagogischer Förderbedarf

Sonderpädagogischer Förderbedarf ist bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen, die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule ohne sonderpädagogische Unterstützung nicht hinreichend gefördert werden können. Dabei können auch therapeutische und soziale Hilfen weiterer außerschulischer Maßnahmeträger notwendig sein.
Sonderpädagogischer Förderbedarf ist immer auch in Abhängigkeit von den Aufgaben, den Anforderungen und den Fördermöglichkeiten der jeweiligen Schule zu definieren. Er hat Konsequenzen für die Erziehung und für die didaktisch-methodischen Entscheidungen und die Gestaltung der Lernsituationen im Unterricht. Er ist damit eine didaktisch-methodische Bedingung der Erziehung und Unterrichtung, die nur individuell bestimmt werden kann und die in jedem neuen Lernzusammenhang eigens bedacht werden muss. Sonderpädagogischer Förderbedarf lässt sich nicht allein von schulfachbezogenen Anforderungen her bestimmen; seine Klärung und Beschreibung müssen das Umfeld des Kindes beziehungsweise Jugendlichen einschließlich der Schule und die persönlichen Fähigkeiten, Interessen und Zukunftserwartungen gleichermaßen berücksichtigen. Daher sind Voraussetzungen und Perspektiven der elementaren Bereiche der Entwicklung wie Motorik, Wahrnehmung, Kognition, Motivation, sprachliche Kommunikation, Interaktion, Emotionalität und Kreativität in eine Kind-Umfeld-Analyse einzubeziehen.
Da die Entwicklung dieser Bereiche sich in stetiger Wechselwirkung untereinander wie auch in Abhängigkeit von den äußeren Lebens- und Lernbedingungen vollzieht, sind Behinderungen oft gekoppelt mit Beeinträchtigungen in anderen Bereichen. Gleichwohl kann der sonderpädagogische Förderbedarf beim einzelnen Kind beziehungsweise Jugendlichen seine spezifische Ausformung in bestimmten Bereichen haben, wodurch die inhaltliche Ausrichtung der Förderung Schwerpunkte erhält:
– das Lern- und Leistungsverhalten, insbesondere das schulische Lernen, das Umgehen-Können mit Beeinträchtigungen beim Lernen
– die Sprache, das Sprechen, das kommunikative Handeln, das Umgehen-Können mit sprachlichen Beeinträchtigungen
– die emotionale und soziale Entwicklung, das Erleben und die Selbststeuerung, das Umgehen-Können mit Störungen im Erleben und Verhalten
– die geistige Entwicklung, das Umgehen-Können mit geistiger Behinderung
– die körperliche und motorische Entwicklung, das Umgehen-Können mit erheblichen Beeinträchtigungen im Bereich der Bewegung und mit körperlicher Behinderung
– das Hören, die auditive Wahrnehmung, das Umgehen-Können mit einer Hörschädigung
– das Sehen, die visuelle Wahrnehmung, das Umgehen-Können mit einer Sehschädigung
– die körperliche und seelische Verfassung, das Umgehen-Können mit einer lang andauernden Krankheit.
Mit der Beschreibung sonderpädagogischen Förderbedarfs ist ein Verständnis von Behinderung verbunden, das die Bedeutung für den Bildungs- und Lebensweg der Betroffenen, die Folgen für die Aneignungsweisen, für das Lern- und Sozialverhalten, die Auswirkungen auf das psychische Gleichgewicht vor dem Hintergrund schulischer Anforderungen in den Vordergrund rückt. Das behinderte Kind und der behinderte Jugendliche dürfen dabei nicht nur unter dem Blickwinkel ihrer Behinderung gesehen werden; eine Behinderung stellt immer nur einen Aspekt der Gesamtpersönlichkeit des Kindes beziehungsweise des Jugendlichen dar; Anknüpfungspunkte für die Förderung sind ihre jeweils bereits entwickelten Fähigkeiten.
Besondere Anforderungen stellen zunehmend Kinder und Jugendliche .mit schweren Mehrfachbehinderungen.

3. Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf

Die Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs umfasst die Ermittlung des individuellen Förderbedarfs sowie die Entscheidung über den Bildungsgang und den Förderort. Sie findet statt in Verantwortung der Schulaufsicht, die entweder selbst über eine sonderpädagogische Kompetenz und ausreichende Erfahrungen in der schulen Förderung Behinderter verfügt oder fachkundige Beratung hinzuzieht.

3.1 Ermittlung sonderpädagogischen Förderbedarfs

Bei der Ermittlung sonderpädagogischen Förderbedarfs sind die diagnostischen Fragestellungen auf ein qualitatives und ein quantitatives Profil der Fördermaßnahmen gerichtet, das Grundlage sein soll für die angestrebte Entscheidungsempfehlung. Es sind Art und Umfang, ggf. auch die Dauer des behinderungsbedingten und problembezogenen Förderbedarfs zu erheben; darüber hinaus sind die im konkreten Einzelfall gegebenen und organisierbaren Formen der Förderung in der Schule abzuklären, die das Kind beziehungsweise der Jugendliche besucht oder besuchen soll.
Für die Ermittlung sonderpädagogischen Förderbedarfs sind daher Informationen aus folgenden Bereichen wichtig:
– Erleben und Verhalten, Handlungskompetenzen und Aneignungsweisen
– Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung
– Entwicklungs- und Leistungsstand
– soziale Einbindung
– Kommunikations- und Interaktionsfähigkeit
– individuelle Erziehungs- und Lebensumstände
– das schulische Umfeld und die Möglichkeiten seiner Veränderung
– das berufliche Umfeld und die erforderlichen Fördermöglichkeiten.
Das Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs kann von den Erziehungsberechtigten, den volljährigen Schülerinnen und Schülern selbst, der Schule und ggf. von anderen zuständigen Diensten beantragt werden und sollte die Kompetenzen der an der Förderung und Unterrichtung beteiligten beziehungsweise zu beteiligenden Personen auf geeignete Weise einbeziehen. Die Erkenntnisse und Daten zum sonderpädagogischen Förderbedarf sollten interdisziplinär gewichtet und abgestimmt sowie unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Erziehungsberechtigten zu einer Empfehlung zusammengefasst werden, die in eine Förderplanung einmündet.

3.2 Entscheidung über den Bildungsgang und den Förderort

Auf der Grundlage der Empfehlung unter Beteiligung der Erziehungsberechtigten so wie unter Beachtung der jeweils gegebenen beziehungsweise bereitstellbaren Rahmenbedingungen entscheidet die Schulaufsicht, ob die Schülerin oder der Schüler in die allgemeine Schule aufgenommen wird, dort verbleibt, Unterricht und Förderung in einer Sonderschule oder in kooperativen Förderformen erhält. In diese Entscheidung kann auch die Inanspruchnahme von Einrichtungen mit ergänzenden Betreuungs- oder Ganztagsangeboten einbezogen werden. Dabei sind bei jeder einzelnen Entscheidung zu berücksichtigen:
– Art und Umfang des Förderbedarfs
– Stellungnahme der Erziehungsberechtigten, ggf. beratender Gremien
– Fördermöglichkeiten der allgemeinen Schulen
– Verfügbarkeit des erforderlichen sonderpädagogischen Personals
– Verfügbarkeit technischer, apparativer Hilfsmittel sowie spezieller Lehr- und Lernmittel, ggf. baulich-räumlicher Voraussetzungen.
Vor diesem Hintergrund ist dann derjenige Lernort zu wählen, der auf bestmögliche Weise den Förderbedürfnissen des Kindes beziehungsweise Jugendlichen, seiner Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung gerecht werden und auf die gesellschaftliche Eingliederung sowie auf berufliche Anforderungen vorbereiten kann. Die Entscheidung über den individuellen Förderbedarf erfordert in geeigneten Abständen eine Überprüfung.

III. Realisierung sonderpädagogischer Förderung

1. Erziehung und Unterricht

Sonderpädagogisch orientierte Erziehung und Unterrichtsgestaltung beruhen auf einer den Lernprozess begleitenden Diagnostik und lassen sich von den übergeordneten Prinzipien Entwicklungsnähe, Ganzheitlichkeit, Kommunikations- und Handlungsorientierung leiten. Ziele, Methoden, Lernorganisation und Medien werden dem Förderbedarf entsprechend ausgewählt. Damit unterscheiden sich eine sonderpädagogisch ausgerichtete Erziehung und Unterrichtsgestaltung nicht prinzipiell von allgemeinpädagogischer Arbeit. Sonderpädagogik hat subsidiäre Aufgaben.
Wichtig ist, dass Lernzusammenhänge hergestellt werden, in denen sich die Schülerinnen und Schüler mit ihren Fähigkeiten und Neigungen, mit ihren Motiven, Fragen und Zielvorstellungen als handelnde Personen erleben und begegnen können. Ein offenes und anregungsreiches Lernumfeld soll es den Kindern und Jugendlichen ermöglichen, sich auch für die Übernahme bisher nicht vertrauter sozialer Rollen, für die eigenaktive Erprobung an neuen Aufgaben und für ein möglichst selbstverantwortliches Leben und Lernen zu entscheiden. Die Bildungsziele und -inhalte sollen auch die voraussichtlich zu erwartenden Anforderungen im späteren persönlichen und beruflichen Lebenszusammenhang einbeziehen.

2. Sonderpädagogische Förderschwerpunkte

Eine zentrale Aufgabe sonderpädagogischer Förderung besteht darin, behinderungsspezifische Förderschwerpunkte aus einem oder aus mehreren Entwicklungsbereichen mit erzieherischen und unterrichtlichen Aufgaben zu verknüpfen. Dies gilt vor allem bei den häufig anzutreffenden Verbindungen von Beeinträchtigungen im Lernen, in der Motorik, in der Sprache sowie in emotionalen und sozialen Entwicklungsbereichen, die eine individuelle und umfassende Förderung notwendig machen. Bei Kindern und Jugendlichen mit schweren Mehrfachbehinderungen sind verschiedene Förderschwerpunkte zur Sicherstellung einer basalen Förderung zu beachten.
Nachfolgend sind sonderpädagogische Förderschwerpunkte aufgeführt:
Eine. Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen im schulischen Lernen, in der Leistung sowie im Lernverhalten setzt die Bereitstellung von anregenden Erfahrungsräumen voraus. Sie schafft strukturierte Lernsituationen, in denen vor allem elementare Bereiche der Lernentwicklung wie Motorik, Wahrnehmung, Kognition, sprachliche Kommunikation, Emotionalität und Interaktion beachtet werden. Diese müssen geeignet sein, Interesse zu wecken, individuelle Lernwege zu erschließen, Aneignungsweisen aufzubauen, um die Aufnahme, Verarbeitung und handelnde Durchdringung von Bildungsinhalten zu ermöglichen und über die Vermittlung von Lernerfolgen das Selbstvertrauen der Kinder und Jugendlichen zu stärken.
Zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Sprachbeeinträchtigungen sind für das Sprachverstehen und die Sprachverwendung besonders ergiebige Sprachlernsituationen auszuwählen, methodenbewusst zu planen und aufzubereiten. Damit soll erreicht werden, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen über einen dialoggerichteten Gebrauch Sprache auf- und ausbauen, sprachliches Handeln in Bewährungssituationen bewältigen und sich als kommunikationsfähig erleben können. Die Komplexität der Entstehungsbedingungen von Sprach- und Kommunikationsstörungen samt ihrer Verbindungen und Rückwirkungen auf das Lernen und das Erleben erfordern einen mehrdimensional angelegten sonderpädagogisch gestalteten Unterricht. Hierbei ist kommunikatives Handeln in natürlichen Situationen besonders wertvoll.
Die spezifischen Maßnahmen müssen frühzeitig einsetzen zur Sicherung einer erfolgreichen Mitwirkung des Kindes an der im Wesentlichen sprachlich vermittelten schulischen Bildungsarbeit und Kulturaneignung; in diesem Zusammenhang ist auch auf voraussehbare und anzugehende Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb zu achten.
Eine Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung sowie des Erlebens und des Verhaltens zielt auf Erziehungshilfe und strebt bei einem hohen Maß an Verständnis, besonderer persönlicher Zuwendung und pädagogisch-psychologischer Unterstützung einen Aufbau von Grundverhaltensweisen an. Hilfen zur Orientierung im sozialen Umfeld und zur Selbststeuerung dienen auch der Verarbeitung von belastenden Lebenseindrücken und sollen so zu einer individuell und sozial befriedigenden Lebensführung beitragen. Wenn verschiedene Dienste beteiligt sind, ist eine Koordinierung der Maßnahmen erforderlich.
Bei allen Bemühungen sind Wege zu suchen, bei den Betroffenen Lernbereitschaft anzuregen, Leistungsfähigkeit zu entwickeln und sie gleichzeitig aufzuschließen für die Lerninhalte der Schule. Musische, sportliche und technische Unterrichtsangebote, Projekte und gruppenpädagogische Verfahren eignen sich in besonderer Weise für die Förderung dieser Schülerinnen und Schüler und sollten daher den entsprechenden Stellenwert im Rahmen der schulischen Arbeit erhalten.
Eine Förderung von Schülerinnen und Schülern mit geistiger Behinderung beinhaltet eine alle Entwicklungsbereiche umfassende Erziehung und Unterrichtung mit lebenspraktischem Bezug. Um ein Leben in größtmöglicher Selbständigkeit und in Würde führen zu können, sind lebensbegleitende Förderung und spezielle Lern- und Strukturierungshilfen für eine aktive Lebensbewältigung in sozialer Integration erforderlich. Die Förderung umfasst Maßnahmen zur kognitiven, sprachlichen, senso- und psycho-motorischen, emotionalen und sozialen Entwicklung. Für Schülerinnen und Schüler mit geistiger Behinderung soll über den Vormittagsunterricht hinaus ein Nachmittagsangebot vorgehalten werden.
Eine Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen der motorischen und körperlichen Entwicklung richtet sich auf Hilfen zur Ausweitung der Wahrnehmungs- und Erlebnisfähigkeit, zur Erweiterung eigener Handlungsmöglichkeiten, zur Nutzung von spezifischen Hilfsmitteln, zum möglichst selbständigen Bewältigen alltäglicher Verrichtungen. Psychomotorische Maßnahmen sind in die alltägliche Unterrichtsarbeit einzubeziehen. Wichtig sind der Aufbau sozialer Beziehungen, die Hinführung zu einer realistischen Selbsteinschätzung der eigenen Leistungsmöglichkeiten und die Akzeptanz der eigenen, oft bleibenden Behinderung.
Eine Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Hörschädigungen soll zur Begegnung mit der Welt der Hörenden befähigen. Sie führt - soweit möglich - zu einer verständlichen Lautsprache unter Einbeziehung der Schulung des Resthörvermögens. Für die Identitätsfindung Hörgeschädigter bezieht die Schule gebärdensprachliche Kommunikationsformen ein.
Besondere Förderschwerpunkte sind der systematische Sprachaufbau, Artikulationsunterricht, Absehschulung, die Förderung der optischen Orientierung und des Vibrationssinnes, Hörtraining sowie die optimale Nutzung von technischen Hörhilfen. Die Bildungsinhalte sind immer auf die besondere psychische Situation von Kindern und Jugendlichen mit Hörschädigungen, auf ihren großen Informationsbedarf und auf ihre Kommunikationsbehinderung abzustimmen; der Schriftsprache kommt bei der Bildungsarbeit ein hoher Stellenwert zu.
Eine Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Sehschädigungen richtet sich auf die Erschließung der Umwelt, auf die Entwicklung von Orientierungsstrategien und Verhaltensweisen zur Bewältigung der Anforderungen des Alltags in bekannter und unbekannter Umgebung. Förderung der Mobilität und Unterricht zum Erwerb lebenspraktischer Fertigkeiten sind erforderlich. Entscheidende Bedeutung für die Informationsaufnahme kommt der Aktivierung des Restsehvermögens sowie der Ausbildung der taktil-kinästhetischen und auditiven Wahrnehmung und der Sprache zu; zudem sind alle geeigneten technischen Hilfsmittel zur Kompensation der Behinderung und zum Umgang mit ihr auszunutzen. Die Schülerinnen und Schüler erhalten vor allem durch Rhythmik, Sport und Tanz Sicherheit in der Bewegung, eine gute Körperbeherrschung und Körperhaltung. Auch das bildnerische Gestalten mit spezifischen Materialien und der Musik haben für Sehgeschädigte hohen Bildungswert.
Eine Förderung von Schülerinnen und Schülern, die aufgrund einer Erkrankung für längere Zeit oder in regelmäßigen Abständen im Krankenhaus untergebracht sind oder zuhause bleiben müssen, kann im Einzel- oder Gruppenunterricht erfolgen, der auch zum Schulabschluss führen kann.
Die sonderpädagogische Aufgabe besteht darin, der sich auf einer längeren Erkrankung und Abwesenheit von der Schule ergebenden Belastung für das seelische Gleichgewicht, einer Gefährdung der Schullaufbahn und einer möglichen Isolierung der Betroffenen pädagogisch entgegenzuwirken. Über leistbare Anforderungen, Erfolgserlebnisse und persönliche Zuwendung sollen Selbstvertrauen, Lern- und Lebensfreude und Genesung gestärkt und gestützt werden.

3. Formen und Orte sonderpädagogischer Förderung

Die schulische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf bezieht alle Schulstufen und Schularten ein-, sie hat in den vergangenen Jahren zu einer Vielfalt von Förderformen und Förderorten geführt. Es entwickeln sich Formen der gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung an unterschiedlichen Lernorten. Vorbeugende Maßnahmen erfahren zunehmend eine höhere Bewertung.

3.1 Sonderpädagogische Förderung durch vorbeugende Maßnahmen

Je früher vorbeugende Maßnahmen einsetzen, desto größer ist ihre Wirksamkeit. Vorbeugende Maßnahmen (Prävention) zielen darauf, weitergehende Auswirkungen einer bestehenden Behinderung zu vermeiden. Bei Kindern und Jugendlichen, die von einer Behinderung bedroht sind, wirken vorbeugende Hilfen dem Entstehen einer Behinderung entgegen. Der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Frühförderung kommt eine herausragende Bedeutung zu.
Vorbeugende sonderpädagogische Maßnahmen in der Schule können neben der Förderung der Kinder und Jugendlichen auch die gemeinsame Beratung der Sonderschullehrkräfte mit Lehrkräften der anderen Schulen, mit den betroffenen Eltern sowie besondere Förderung einer Schülerin beziehungsweise eines Schülers umfassen. Je nach Notwendigkeit im Einzelfall gehört auch die Zusammenarbeit mit bestimmten Institutionen, Fachleuten und Beratungsdiensten dazu.

3.2 Sonderpädagogische Förderung im gemeinsamen Unterricht

Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf können allgemeine Schulen besuchen, wenn dort die notwendige sonderpädagogische und auch sächliche Unterstützung sowie die räumlichen Voraussetzungen gewährleistet sind; die Förderung aller Schülerinnen und Schüler muss sichergestellt sein.
Zu den notwendigen Voraussetzungen gehören neben den äußeren Rahmenbedingungen sonderpädagogisch qualifizierte Lehrkräfte, individualisierende Formen der Planung, Durchführung und Kontrolle der Unterrichtsprozesse und eine abgestimmte Zusammenarbeit der beteiligten Lehr- und Fachkräfte. Dabei ist eine inhaltliche, methodische und organisatorische Einbeziehung pädagogischer Maßnahmen/auch individueller Unterrichtsziele und -inhalte, in die Unterrichtsvorhaben für die gesamte Schulklasse vorzunehmen. Sonderpädagogische Förderung findet dabei im und, wenn notwendig, auch neben dem Klassenunterricht statt.

3.3 Sonderpädagogische Förderung in Sonderschulen

Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf, deren Förderung in einer allgemeinen Schule nicht ausreichend gewährleistet werden kann, werden in Sonderschulen, Sonderberufsschulen und Berufsschulen mit sonderpädagogischen Förderschwerpunkten sowie vergleichbaren Einrichtungen unterrichtet.
Die Sonderschulen haben dafür Sorge zu tragen, eine auf die individuelle Problemlage und Behinderung von Schülerinnen und Schülern ausgerichtete Erziehung und Unterrichtung anzubieten; sie müssen in die Lage versetzt werden, die erforderlichen technischen Medien sowie spezielle Lehr- und Lernmittel bereitzustellen. Es können auch therapeutische, pflegerische und soziale Hilfen anderer außerschulischer Maßnahmeträger einbezogen werden. Sonderschulen unterscheiden sich nach der Art ihrer sonder pädagogischen Förderschwerpunkte und nach ihrem Angebot an Bildungsgängen. Sie unterstützen bei ihren Schülerinnen- und Schülern alle Entwicklungen, die zu einem möglichen Wechsel in eine allgemeine Schule und in die Ausbildung führen können.
Mehrfachbehinderte Schülerinnen und Schüler besuchen die Sonderschule, in der sie am besten gefördert werden können.

3.4 Sonderpädagogische Förderung in kooperativen Formen

Viele Sonderschulen und allgemeine Schulen sind dabei, eine enge pädagogische Zusammenarbeit aufzubauen. Kooperative Formen der Förderung und Unterrichtung erschließen allen Beteiligten die Möglichkeiten zur wechselseitigen Annäherung und zur Erfahrung von mehr Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander. Kooperative Formen können den Unterricht und das Schulleben bereichern. Die Durchlässigkeit der Schularten und ihrer Bildungsgänge, die Erhöhung gemeinsamer Unterrichtsanteile und der Wechsel von Schülerinnen und Schülern aus den Sonderschulen in allgemeine Schulen werden hierdurch begünstigt. Die räumliche Zusammenführung von Klassen der Sonderschulen mit Klassen der allgemeinen Schulen kann geeignete Rahmenbedingungen für die angestrebte Kooperation schaffen.

3.5 Sonderpädagogische Förderung im Rahmen von sonderpädagogischen Förderzentren

Die Angebotsvielfalt sonderpädagogischer Förderung führt immer häufiger zur Herausbildung sonderpädagogischer Förderzentren. Es lassen sich dabei verschiedene Richtungen ausmachen, die einer fachlichen und organisatorischen Weiterentwicklung der sonderpädagogischen Förderung Rechnung tragen. Dabei sollen sonderpädagogische Förderzentren als regionale oder überregionale Einrichtungen einzelnen oder mehreren Förderschwerpunkten entsprechen und sonderpädagogische Förderung in präventiven, integrativen, stationären und kooperativen Formen möglichst wohnortnah und fachgerecht sicherstellen.

3.6 Sonderpädagogische Förderung im berufsbildenden Bereich und beim Übergang in die Arbeitswelt

Jungen Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind Wege zu einer qualifizierten Berufsbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf oder, wo dies nicht durchführbar erscheint, in einem für Behinderte vorgesehenen Ausbildungsberuf zu öffnen, um damit die Voraussetzungen für eine dauerhafte Eingliederung in die Arbeitswelt zu schaffen. Soweit dies nicht durchführbar ist, muss eine an die individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Jugendlichen an gepasste Vorbereitung auf eine Berufstätigkeit mit selbständiger Lebensführung oder auf eine Beschäftigung in der Werkstatt für Behinderte angeboten werden.
Aufgabe der sonderpädagogischen Förderung im berufsbildenden Bereich ist es auch, Voraussetzungen für erfolgreiches berufliches Lernen zu schaffen, Berufswahlvorbereitungen und Berufsvorbereitung zu unterstützen.
Um die bestmögliche berufliche Eingliederung zu erreichen, bedarf es der vertrauensvollen Zusammenarbeit der beruflichen Schulen mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie den Rehabilitationspartnern, den Kammern, der Arbeitsverwaltung, den Fachdiensten, den Erziehungsberechtigten und den Ausbildern.
Der Unterricht ist grundsätzlich von Lehrkräften zu erteilen, die die Befähigung zum Lehramt an beruflichen Schulen besitzen; diese sollten durch entsprechende Aus- oder Fortbildung eine sonderpädagogische Qualifikation erworben haben. Bestimmte sonderpädagogische Aufgaben sind von Sonderschullehrkräften wahrzunehmen.
Für den berufsbildenden Bereich gelten im Übrigen die sonstigen Inhalte dieser Empfehlungen entsprechend.

4. Zusammenarbeit

Bei Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist eine intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Erziehungsberechtigten und Schule erforderlich. Die Lehrkräfte erhalten für ihre Arbeit, z.B. aus den Gesprächen mit Erziehungsberechtigten, Hinweise über Erleben und Verhalten des Kindes oder Jugendlichen außerhalb der Schule. Sie informieren ihrerseits die Erziehungsberechtigten über wichtige Beobachtungen und die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen und beraten sich gemeinsam mit ihnen über Möglichkeiten und Grenzen der Förderangebote und -maßnahmen. Mitunter ist es nötig, Erziehungsberechtigte für spezifische Fördermöglichkeiten ihres Kindes zu gewinnen. Aussprachen dienen dazu, die beiderseitigen Bemühungen aufeinander abzustimmen und auftretende alltägliche Schwierigkeiten gemeinsam zu bewältigen. Solche Gespräche können sowohl zuhause als auch in der Schule stattfinden.
Die gemeinsame Verantwortung der Schulen für die schulische Bildung und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf macht eine verbindliche und qualifizierte Zusammenarbeit der Lehrkräfte unverzichtbar. Die Zusammenarbeit der Lehrerinnen und Lehrer und weiterer Fachkräfte verlangt ein gemeinsames Grundverständnis der Aufgaben und eine klare Zuordnung von Kompetenz- und Verantwortungsbereichen für jeden Beteiligten in Unterricht und Schulleben.
Sonderpädagogische Förderung in der Schule bedarf einer Ergänzung durch Maßnahmen unterschiedlicher Dienste und Leistungsträger. Daher müssen Schulen mit den Gesundheits-, Sozial- und Jugendämtern, den schulpsychologischen, schul- und fachärztlichen Diensten, Einrichtungen der Frühförderung, weiteren Fachleuten und Institutionen, Arbeitsämtern, Kammern, Betrieben und Erziehungsberatungsstellen im Interesse einer abgestimmten ganzheitlichen Förderung zusammenarbeiten. In dieser Hinsicht besteht ein deutlicher Regelungsbedarf. Es sind Verbindungen zwischen verschiedenen Fach- und Dienstleistungsbereichen sowie Maßnahmeträgern herzustellen, unterschiedliche Förder- und Hilfeleistungen zu koordinieren, damit verfügbare Ressourcen und Kompetenzen effektiv eingesetzt und genutzt werden können.
Dies kann unterstützt werden durch die Bildung von Patenschaften zwischen Schulen, zwischen Schulen und Betrieben sowie mit anderen Institutionen, z.B. durch Inanspruchnahme von Bildungs-, Kultur- und Freizeitangeboten.

5. Besondere Regelungen für den Schulbesuch

Für Schülerinnen und Schüler, die für eine angemessene Schulbildung und zur Erfüllung ihres sonderpädagogischen Förderbedarfs einer längeren Zeit bedürfen, als es die Schulpflichtbestimmungen vorsehen, ist die Schulbesuchszeit entsprechend zu verlängern. Einem von den Schülerinnen und Schülern oder deren Erziehungsberechtigten gestellten Antrag auf Verlängerung der Schulbesuchszeit soll stattgegeben werden, wenn zu erwarten ist, dass das angestrebte Bildungsziel bei einer Verlängerung erreicht werden kann.
Für die Dauer der Bearbeitung mündlicher, schriftlicher und praktischer Aufgaben zum Leistungsstand kann für die einzelne Schülerin beziehungsweise den einzelnen Schüler entsprechend der Beeinträchtigung die allgemein vorgesehene Zeit verlängert werden. Außerdem können andere Unterstützungsformen erforderlich werden, um Nachteile aus Art und Schwere einer Behinderung auszugleichen.
Aus den Zeugnissen von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in allgemeinbildenden Schulen muss hervorgehen, nach welchen Lehrplänen diese unterrichtet wurden.

IV. Einsatz und Qualifikation des Personals in der sonderpädagogischen Förderung

Sonderpädagogische Förderung geschieht in vielfältigen Aufgabenfeldern und Handlungsformen. Sie erfordert den Einsatz unterschiedlicher Berufsgruppen mit entsprechenden Fachkompetenzen. Das Personal muss befähigt sein, die Aufgaben in Unterricht und Erziehung, in Sonderschulen und allgemeinen Schulen, in besonderen behinderungsspezifischen Fördermaßnahmen und im Bereich der Vorsorgung und Pflege unter Berücksichtigung der individuellen Bildungsmöglichkeiten behinderter Kinder und Jugendlicher in einem abgestimmten pädagogischen Gesamtkonzept kompetent wahrzunehmen. Über die Mitarbeit von wissenschaftlich ausgebildeten Lehrkräften und anderem pädagogisch ausgebildeten Personal hinaus ist auch der Einsatz von medizinisch-therapeutischen Fachkräften und Mitarbeitern im Bereich der Versorgung und Pflege erforderlich.
Die Ausbildung des Personals muss Breite und Struktur des jeweiligen Tätigkeitsfeldes und dessen Anforderungen an die einzelne Person berücksichtigen. Sie vermittelt nicht nur die Grundkompetenz für die eigene Aufgabe, sondern auch einen Überblick über den Gesamtbereich der Erziehung und Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Aufgabenbezogene und sonderpädagogische Zusatzausbildungen müssen absolviert werden können. Sonderpädagogische Förderangebote werden maßgeblich in der Praxis und an der Praxis ausgestaltet. Die Anwendung und Erprobung wissenschaftlicher und fachlicher Mittel und Wege im praktischen Zusammenhang sind deshalb auch in allen' Phasen der Ausbildung unverzichtbare Elemente.
Kennzeichnend für das sonderpädagogische Handeln sind Veränderungen der Schülerschaft und ihres Umfeldes, der Aufgaben sonderpädagogischer Förderung sowie Weiterentwicklungen im Bereich der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der praktischen Handlungsmodelle. Zur Sicherung der Qualität der sonderpädagogischen Förderung und des zeitgemäßen Standes in der Kompetenz des Personals ist eine regelmäßige fachliche Fortbildung unabdingbar. In den Fortbildungsangeboten ist jeweils auch der Kooperations- und Abstimmungsbedarf zu berücksichtigen, der sich durch die fachliche Arbeitsteilung ergibt. Unterschiedliche individuelle Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler und die häufig notwendige Abstimmung individueller Fördermaßnahmen mit Instanzen im Umfeld der Schule machen es erforderlich, dass sich die Schule auch im Bereich der Fortbildung für die Zusammenarbeit mit anderen Fachkräften öffnet.

V. Schlussbestimmung

Die ‚Empfehlung zur Ordnung des Sonderschulwesens‘ (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16. März 1972) wird aufgehoben mit Ausnahme des Abschnittes 2. ‚Richtlinien für die einzelnen Sonderschulen‘, soweit die hierin getroffenen Aussagen den neuen Empfehlungen nicht widersprechen.

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